Auktion: 560 / Evening Sale am 06.12.2024 in München Lot 124001139


124001139
Ernst Wilhelm Nay
Von Höhlen und Grotten, 1952.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 180.000 - 240.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Von Höhlen und Grotten. 1952.
Öl auf Leinwand.
Links unten signiert und datiert. Verso auf dem Keilrahmen signiert, datiert, betitelt und mit der Richtungsanweisung "oben" bezeichnet. 101,5 x 120 cm (39,9 x 47,2 in).
Verso eine weitere Darstellung, vom Künstler verworfen bzw. übermalt.

• Aus der wichtigen, konzentrierten Werkphase der "Rhythmischen Bilder" (1952/53).
• Nach seiner Übersiedlung nach Köln kommt Ernst Wilhelm Nay erstmals mit elektronischer Musik in Kontakt: Seine Werke sind in dieser Zeit stark von der progressiven Musik eines Boulez, Nono oder Stockhausen beeinflusst.
• Bereits im Entstehungsjahr Teil der Ausstellung "Die Reine Form. Wege absoluter Malerei in Deutschland" in der Kunsthalle Mannheim.
• Aus der Zeit der frühen künstlerischen Anerkennung: 1948 und 1950 ist E. W. Nay auf der Biennale di Venezia und 1955 dann auch auf der ersten documenta in Kassel vertreten.
• Vergleichbare Gemälde sind heute Teil bedeutender musealer Sammlungen, darunter das Folkwang Museum, Essen, die Pinakothek der Moderne, München, das Museum Ludwig, Köln, das Stedelijk Museum, Amsterdam, und das Saint Louis Art Museum, Missouri
.

PROVENIENZ: Sammlung Elly Nay, Berlin (verso auf dem Keilrahmen auf einem Etikett mit der Bezeichnung "Elly Nay Berlin").
Galerie Orangerie-Reinz, Köln (1984).
Privatsammlung.
Privatsammlung Berlin (2006 erworben, Grisebach, Berlin).
Seitdem in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Die Reine Form. Wege absoluter Malerei in Deutschland, Städtische Kunsthalle, Mannheim, 24.5.-15.6.1952.
E. W. Nay. Retrospektive, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 9.1.-15.2.1959, Kat.-Nr. 80 (verso auf dem Keilrahmen m. d. Ausstellungsetikett).
Ernst Wilhelm Nay, Galerie Orangerie-Reinz, Köln, 11.4.-31.5.1975, Kat.-Nr. 19 (m. Abb.).

LITERATUR: Aurel Scheibler, Ernst Wilhelm Nay. Werkverzeichnis der Ölgemälde, Bd. 1: 1922-1951, Köln 1990, WVZ-Nr. 618 (m. Farbabb.).
- -
Villa Grisebach, Berlin, 139. Auktion, Ausgewählte Werke, 1.12.2006, Los 86 (m. Abb.).

"Farbe ist für mich Gestaltwert. Ich gebe der Farbe nicht nur den Vorrang vor anderen bildnerischen Mitteln, sondern das gesamte bildnerische Tun meiner Kunst ist allein von der farbigen Gestaltung her bestimmt."
E. W. Nay, Die Gestaltfarbe, in: Das Werk, 6. Jg. (1952), Heft 2, S. 4, zit. nach: Ausst.-Kat. Ernst Wilhelm Nay. Retrospektive, Hamburger Kunsthalle, Köln 2022, S. 151.

Zu Beginn der 1950er Jahre zieht es E. W. Nay nach Köln. Ganz bewusst entscheidet er sich für die junge, kulturell lebendige Stadt, der damaligen Hauptstadt der "Neuen Musik". Hier wird das "Studio für elektronische Musik" gegründet, in dem Komponisten wie Pierre Boulez, Herbert Eimert oder Karlheinz Stockhausen Musikgeschichte schreiben werden.
Für Nay beginnt eine besonders kreative Schaffenszeit und er geht einen für sein gesamtes weiteres Schaffen richtungsweisenden, entscheidenden Entwicklungsschritt: Nay gelangt zu der Erkenntnis, dass er seine Kunst ganz und gar aus der Farbe gestalten müsse. Während die ab 1949 entstehenden "Fugalen Bilder" (1949–1951) noch den Übergang von Figuration zur Abstraktion und einen gewissen Schnittpunkt bilden, leiten die 1952 beginnenden "Rhythmischen Bilder" (1952/53), zu denen auch die hier angebotene Arbeit gehört, eine erstmals rein abstrakte Schaffensperiode ein. Im Zuge der nun völligen Abkehr von gegenständlichen Bildelementen findet Nay die "lebhafteste Befreiung der Farbe" (E. W. Nay, Brief an Alfred Hentzen, 1950) und macht sie zum zentralen Gestaltungselement: "Meine Anlage weist zur Farbe als Bildgestalt. Farbe ist also Form. Farbe ist für mich Gestaltfarbe. Ich gebe der Farbe nicht nur den Vorrang vor anderen bildnerischen Mitteln, sondern das gesamte bildnerische Tun meiner Kunst ist allein von der farbigen Gestaltung her bestimmt. […]." (E. W. Nay, Die Gestaltfarbe, in: Das Kunstwerk, 6. Jg., 1952, Heft 2, S. 4)

1953 erscheint der Künstlerfilm "Eine Melodie – vier Maler" (Drehbuch und Regie: Herbert Segelke), ein filmisches Projekt, an dem neben Jean Cocteau, Hans Erni, und Gino Severini auch E. W. Nay teilnimmt. Mit einem Fettstift übertragen die Maler ihre Eindrücke und optischen Interpretationen beim Hören der Polonaise aus der sechsten Französischen Suite von J. S. Bach direkt auf ein Filmband.
Auch die "Rhythmischen Bilder", die in den Jahren 1952 und 1953 entstehen, sind maßgeblich von Musik inspiriert. Die das Bildgefüge seiner Werke ordnende Methode scheint in Teilen aus der Musiktheorie entlehnt zu sein. "In Analogie zur musikalischen Komposition mit Tönen versuchte Nay in seinen Bildern, die Farben methodisch nach Klangqualitäten und Farbakkorden zu ordnen und dadurch eine visuelle Dynamik zu entwickeln.“ (Sophia Colditz, Melodik der Farben. Fugale und Rhythmische Bilder, in: Ausst.-Kat. E. W. Nay. Retrospektive, Hamburger Kunsthalle, Köln 2022, S. 152) Aus der Geste heraus gestaltete zahlreiche kleine Farbakkorde treffen auf freie Linien, stakkatoartige Zickzack-Formen und zarte Schwünge. Wie einzelne im Takt gespielte Klänge lösen sich Farben und Formen gegenseitig ab, wiederholen und überlagern sich, bis schließlich eine spürbar rhythmisch-melodische Komposition entsteht.

Während die Farbfragmente in den "Fugalen Bildern" noch von scharfen Konturen getrennt sind, verweben sich die Farben in den "Rhythmischen Bildern" nun lockerer, in Unschärfe miteinander. Weiterhin ist es die Farbe, die das Bildgefüge strukturiert, doch durch das Verhältnis und die freien Formen der auf der Leinwand verteilten Farbfragmente entsteht nun eine größere Dynamik. Das daraus resultierende Bewegungsmoment wird zum eigentlichen Thema dieser Bilder, das Nay durch die starken, kontrastierenden Farben noch zusätzlich betont und damit zu einer absoluten, bis dato unerreichten Freiheit seines künstlerischen Ausdrucks gelangt. [CH]



124001139
Ernst Wilhelm Nay
Von Höhlen und Grotten, 1952.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 180.000 - 240.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.