Stories
 
Kenneth Noland	
Via Media (Suddenly), 1963.
Kenneth Noland
Via Media (Suddenly), 1963.
Jeder Schuss ein Treffer. Kenneth Noland bezeichnete sich – ziemlich robust – als „one-shot painter“. Zunächst möchte man meinen, er berufe sich damit auf seine „Target“-Gemälde mit den konzentrischen Farbkreisen, die an Zielscheiben erinnern. Doch diese Zuschreibung galt zumindest ab Mitte der fünfziger Jahre auch seinen „Stripes“, danach seinen „Chevrons“ und später der Bemalung der „Shaped Canvases“. Da hatte er sich von der mystifizierend gestischen Malerei eines Willem de Kooning, Robert Motherwell und Franz Kline, den maßgeblichen Protagonisten des American Abstract Expressionism bereits gelöst. Das Dripping von Jackson Pollock entsprach zwar Nolands Vorstellung von einer originären Gestaltung ohne korrigierende Eingriffe. Doch fehlte ihm hier schon im Ansatz die Struktur, die Klarheit. Und wie Barnett Newman und Morris Louis wandte er sich dem radikalen Color Field Painting zu.
Kenneth Noland bekam als Air Force-Veteran des 2. Weltkriegs ein Stipendium am Black Mountain College in North Carolina und studierte unter anderem bei dem emigrierten Bauhaus-Lehrer Josef Albers, ging Ende der vierziger Jahre für einige Zeit nach Paris und lernte schließlich in New York den einflussreichen, der Avantgarde mit all seinem Wissen, Sachverstand und Spürsinn zugewandten Kritiker Clement Greenberg kennen. Das Zusammentreffen mit ihm und Helen Frankenthaler, die der gelinde gesagt ungestümen Gruppe der American Abstract Expressionists nahestand, ließ ihn einen entscheidenden Weg in seiner Malerei einschlagen. Frankenthaler experimentierte mit Magna-Farbe, mit aufgelösten Pigmenten, die mit Öl gemischt und mit Terpentin verdünnt werden konnte und so ungehindert in die nicht grundierte Leinwand sickerte. Auch Noland bediente sich nun dieser soak-stained method, deren Ergebnis unterschiedlich gesättigte Farbfelder auf der teils sichtbar rohen Leinwand waren. Es gab, anders als bei mit Pinsel auf eine grundierte Leinwand geschichteten Farben, keine Möglichkeit der Korrektur, kein Schaben, kein Übermalen. Die Konsequenz war ein minimalistischer Ansatz, Präzision sowieso, aber vor allem ein unerschütterliches Vertrauen in Gestaltung und Wahl der Mittel. Hinzu kamen, ganz wichtig, wie Noland einmal sagte, Kraft und Nerven, der Versuchung zu widerstehen, doch noch irgendwelche Änderungen vorzunehmen . „I guess it had to do with the fact that if you were impressed with what you were doing, you only had to do it one time … so that each thing that you did was just done that one time with no afterthoughts and it had to stand“, so der one-shot painter Kenneth Noland. Sein Hauptelement der Bildsprache war die Farbe. Eines seiner bevorzugten Motive waren ab den sechziger Jahren die „chevrons“, mal aufrechte, mal auf den Kopf gestellte V-förmige Abzeichen, mal einfach, mal dupliziert oder verdreifacht ineinander gesetzt. Unterschiedlich breit, farbstark, die Schenkelenden förmlich an den Bildrand gepresst, ein Manifest der Dynamik. Chevrons sind vor allem als militärische Rangkürzel bekannt, dekoriert als Abzeichen auf Schultern oder Ärmeln einer Uniform. Tatsächlich kannte man sie jedoch schon in der Antike als schmückendes seinerzeit allgemein verständliches Symbol der Kraft, der Macht, des Rechts, schlicht der guten Energie. Sie sind ein Zeichen, das sich über Jahrhunderte, Jahrtausende in unser unbewusstes Gedächtnis eingegraben hat. Ein starkes Signal. Kenneth Noland bedient sich dieser Hieroglyphe und steigert ihre Wirkung mit dem flachen, in den textilen Bildträger versunkenen Farbauftrag. Figurative Elemente waren überflüssig. Die räumliche Wirkung war mit der puren, der puristischen Abstraktion gegeben. Unser monumentales Gemälde Via Media (Suddenly) von 1963, spätestens seit 1967 in etlichen internationalen Ausstellungen vertreten, gehört zu den ersten Exemplaren seiner von nun an so wichtigen Motivreihe. Einmal mehr und überaus konsequent hatte sich der heute anerkannte Pionier der amerikanischen Avantgarde, insbesondere des Color Field Painting, damit deutlich von dem gestischen Furor seiner amerikanischen Zeitgenossen abgesetzt. Das Werk "Via Media (Suddently)" von 1963 kommt im Evening Sale am 6. Dezember 2024 zu einem Schätzpreis von € 600.000 - 800.000 zum Aufruf.

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 Otto Dix	
Bilderbuch für Hana, Around 1925.
Otto Dix
Bilderbuch für Hana, Around 1925.
Ein Feingeist war Otto Dix (1891-1969) wohl nicht. Er war ein Künstler mit überbordender Fantasie, mit einem schonungslosen, veristischen Bildpro-gramm, das in die seinerzeit skandalisierte drastische Darstellung und Interpretation seiner prägenden Kriegs-erlebnisse an den Fronten des Zweiten Weltkriegs mündete. „Der Schützen-graben“ (1921-23), eine virtuose und gleichermaßen erschütternde Sensation, wurde später in der berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst“ diffamiert und ist inzwischen verschollen. Seine 1924 im sogenannten Antikriegsjahr von der Galerie Nierendorf in siebzig Exemplaren herausgegebene, fünfzig graphische Blatt umfassende Mappe „Der Krieg“ ist bis heute die gültige künstlerische Umsetzung der Apokalypse eines sinn-losen Kriegs. Dix verhehlte jedoch nie, dass ihn, der wie so viele seiner Künstlerkollegen naiv und freiwillig in den Krieg zog, der Schrecken faszinierte („Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges, das durfte ich auf keinen Fall versäumen! Man muss den Menschen in diesem entfesselten Zustand gesehen haben, um etwas über den Menschen zu wissen.“) In den Zwischenkriegsjahren hatte sich der kritische Realist, getreu den Grundsätzen des Verismus, der überwiegend politischen und unerbittlich gesellschaftskritischen Hauptströmung der nachexpressionistischen Neuen Sachlichkeit zugewandt. In seinen Lustmordmotiven thematisierte und kritisierte er beispielsweise in größter Härte und Anschaulichkeit die rigorose Sexualisierung der Öffentlichkeit und die Vergnügungssucht einer vollkommen degenerierten Gesellschaft der 1920er-Jahre.
Doch da gab es auch den anderen Dix. Er war ein begnadeter Geschichtenerzähler, seine Kinder liebten die Spaziergänge, auf denen er von alten Sagen, von geheimnisumwobenen Legenden und biblischen Geschichten erzählte. Und er kannte sich mit der zwischen Wahrheit und überbordender Fantasie oszillierenden Fantasie von Kindern ganz offensichtlich recht gut aus. Er wusste von den Monstern unterm Bett, von den bedrohlichen Gespenstern, die in Gestalt dunkler Schatten von der nächtlichen Zimmerdecke herunterlugten. Und er wusste intuitiv, dass Kinder die Angstlust genossen, diese Mischung von Furcht, Wonne und Hoffnung angesichts einer Gefahr, die ja doch nur ein Gedanken- und Fantasiekonstrukt ist. Am Ende, soviel war gewiss, würde, eingekuschelt in die warme Bettdecke im Schein des Nachttischlämpchens, alles gut ausgehen. Wissenschaftlich belegt und behandelt hat das Thema der kindlichen Angstlust später der amerikanisch-österreichische Kinderpsychologe Bruno Bettelheim. Die alten in der Regel schauerlichen Märchen mit grundsätzlich gutem, das Böse vernichtendem Ausgang für die Fantasiebildung und Persönlichkeitsreifung der Kinder sind, so postuliert er 1976 in seiner maßgeblichen Abhandlung „Kinder brauchen Märchen“ sogar unentbehrlich. Dix und seine Vorväter wussten das schon immer. Was zunächst rücksichtslos und überfordernd scheint, ist das Ergebnis einer tiefgehenden Erfassung der kindlichen Seele. Und der Verankerung eines Urvertrauens. Das Grauen weicht unweigerlich der Erlösung. Ohne die Angstlust-Strategie wären wohl nicht all die herrlichen Legenden entstanden, und das Alte Testament hätte kaum eine derartige Wucht entfalten können. Ein überaus gelungenes Beispiel ist das „Bilderbuch für Hana“, das Otto Dix der Tochter seiner Frau Martha aus erster Ehe zum fünften Geburtstag schenkte. Es bringt auf 14 farbstarken und bewegten Aquarellen ein spannendes Panoptikum, wie das Titelblatt mit von schwebenden Putten getragenem Füllhorn schon suggeriert. Bar jeder Spekulation auf Würdigung der Öffentlichkeit oder gar der Nachwelt, reiht Dix Schlaglicht an Schlaglicht: David tötet in allerletzter Not den niedergestreckten Riesen Goliath mit erhobenem Schwert, die Arche Noah kämpft scheinbar aussichtslos gegen die stürmischen Wogen der aufgewühlten See, Samson besiegt eingepfercht und ausweglos die Löwen in der Grube, allergrößte Gefahr droht dem Heiligen Antonius von den schauerlichen Gestalten, die ihn umringen – und erledigen wollen. Den wirksamsten, auch ein bisschen spaßigen Grusel vermitteln die grotesken Wesen. Sie sind die weitschweifend interpretierte Personifizierung der Sieben Todsünden – munter, aber schon auch ganz schön gefährlich. Ob Hana das Buch geliebt, sich gegruselt hat? Schonend behandelt hat sie es zeitlebens auf jeden Fall. Erst 2016 wurde es in ihrem Nachlass wiederentdeckt und im Jahr darauf der Öffentlichkeit in der großartigen Ausstellung „Otto Dix – Der böse Blick" in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, und der Tate Liverpool bekannt gemacht. Dix hat noch weitere Bilderbücher für seine Kinder zusammengestellt, ein bisschen milder gestimmte, weniger aufreibende. Das unbestritten anregendste und seinem Naturell entsprechendste gestaltete er jedoch für Hana. Das Bilderbuch für Hana kommt im Evening Sale am 6. Dezember 2024 zu einem Schätzpreis von € 250.000 - 300.000 zum Aufruf.

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Wojciech Fangor	
M 77, 1968.
Wojciech Fangor
M 77, 1968
Die New York Times bezeichnete ihn einmal als „The great Romantic of Op Art“. Das war nicht unbedingt in seinem Sinn. Wojciech Fangor experimentierte vielmehr mit der Wahrnehmung von Farbe im Raum. Konzentrische Kreise, fließende, pulsierende Farbflächen vermitteln den Eindruck einer flirrenden Bewegung, räumliche Grenzen werden aufgelöst. Der Betrachter verliert sich in nebulösen Farbverläufen. Sein Moment der Wahrnehmung (verstörend, anstrengend, erhellend oder überwältigend) wird essentieller Bestandteil des Kunstwerks. Fangor lotet die Beziehung zwischen dem Objekt und seinem Umfeld aus, interessiert sich dabei ausschließlich für die physikalischen Möglichkeiten und Effekte. Spiritualität war seine Sache nicht. Er bezeichnete sich selbst als Erfinder des „Environments“. Das scheint ein wenig hochgegriffen, ohnehin galt er in den USA als maßgeblicher Protagonist der Op Art.
Nach seiner Ausbildung zum Künstler und Plakatgestalter bereiste der selbstbewusste, kosmopolitisch geprägte Sohn einer Warschauer Industriellenfamilie Europa, lebte in Wien, Paris, Berlin und England. Zuvor war er in seiner künstlerischen Ausrichtung schon bald nach Stalins Tod vom Sozialistischen Realismus zur Abstraktion gewechselt. 1966 ging er für über dreißig Jahre nach New York. Eine gute Entscheidung, denn in seiner Heimat Polen war er eher auf Irritation als auf anerkennendes Interesse gestoßen. In New York hingegen integrierte das MoMA 1965 eine seiner schwebend vibrierenden Kompositionen in die legendäre Wanderausstellung “The Responsive Eye,”, den elementaren Überblick zur Op Art. Von da an wurde ihm die absolute, die sublime Beherrschung der Unschärfe attestiert. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. 1970 zeigte er als bisher einziger polnischer Künstler seine Werke in einer Sonderausstellung im Guggenheim Museum in New York. Der Kunstbetrieb hingegen ließ ihn kalt. Dem einflussreichen Kunstkritiker Clement Greenberg hatte er bis zuletzt nicht verziehen, dass der ihn anlässlich eines Dinners ermahnte „A painting is not a lollipop” und seine Erklärungen zur Beziehung von Farbe und Raum schlicht abtat. Selbstsicher, erfolgsverwöhnt und ein wenig dickschädelig lehnte Fangor das Angebot des mächtigen und meinungsbildenden Galeristen Leo Castelli ab, mit ihm zusammen zu arbeiten. Zu seinen persönlichen Freunden zählte Josef Albers, ehemaliger Bauhauslehrer, Emigrant, Kunstpädagoge am berühmten Black Mountain College und Schöpfer der zahlreichen, unübertroffenen Variationen zur „Homage to the Square“, der seine Kompositionen enorm schätzte. 1999 kehrte Fangor, nun auch in seiner Heimat verehrt und weithin anerkannt, zusammen mit seiner Frau Magdalena Shummer-Fangor nach Polen zurück. Sie ist Kunsthistorikerin und malt ebenfalls. Ihr Oeuvre könnte allerdings unterschiedlicher nicht sein. Sie verehrt Henri Rousseau, pflegt das manchmal ironische, meist naive Tier- und Pflanzenmotiv, und pflegt den, wie sie sagt, poetischen Realismus. Das Ehepaar lebte fortan bis zu Wojciech Fangors Tod 2015 im Alter von 92 Jahren in einer ausgebauten Mühle, sechzig Kilometer vor Warschau. 2007 gestaltete Wojciech Fangor, quasi im Rückgriff auf seine (zusätzliche) Ausbildung als Gebrauchsgrafiker, (s)ein populäres, in den Warschauer Alltag mühelos integriertes Denkmal. Diesmal nicht im Stil von Color Field oder Op Art, sondern in reinster fröhlicher Pop Art-Manier. Nun gut, Wojciech Fangor hat einige Säulen und Wände der sieben Metro-Bahnhöfe der seinerzeit neu eröffneten Linie im flirrenden Farbverlauf gestaltet. Das Werk „M 77“ aus dem Jahr 1968 kommt im Evening Sale am 6. Dezember 2024 zu einem Schätzpreis von € 400.000 - 600.000 zum Aufruf.

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Friedel Dzubas
Viking Voyage, 1975
Friedel Dzubas
Viking Voyage, 1975
Manhattan in den späten vierziger Jahren. Eine Reihe von radikal-ambitionierten Künstlern kommt regelmäßig in einem ungeheizten Loft in der 8th Street zusammen, debattiert, konstatiert einen Mangel an Visionen und beklagt den Zustand des Kunstbetriebs nach den Jahren der Depression. Danach geht es in die Cedar Bar, nichts Besonderes, scheußlich grün gestrichene Wände, ein kleiner Tresen. Dort ist es warm, Kaffee und Alkohol sind billig. Die Literaten, die Beatniks sind ebenfalls da. Quasi um die Ecke leben und arbeiten in reichlich prekären Verhältnissen Robert Motherwell, De Kooning und seine Frau Elaine, Jackson Pollock, der Berserker, Franz Kline, Mark Rothko und all die anderen, die zunächst gemeinschaftlich, später naturgemäß extrem individualisiert als radikale Erneuerer, als American Abstract Expressionists in die Kunstgeschichte eingehen. Es ist eine Versammlung rüpelhafter Bohemiens. Durch und durch egozentrisch, misogyn mit einem Hang zur großen Geste – und gnadenlos kompromisslos.
Manhattan in den späten vierziger Jahren. Eine Reihe von radikal-ambitionierten Künstlern kommt regelmäßig in einem ungeheizten Loft in der 8th Street zusammen, debattiert, konstatiert einen Mangel an Visionen und beklagt den Zustand des Kunstbetriebs nach den Jahren der Depression. Danach geht es in die Cedar Bar, nichts Besonderes, scheußlich grün gestrichene Wände, ein kleiner Tresen. Dort ist es warm, Kaffee und Alkohol sind billig. Die Literaten, die Beatniks sind ebenfalls da. Quasi um die Ecke leben und arbeiten in reichlich prekären Verhältnissen Robert Motherwell, De Kooning und seine Frau Elaine, Jackson Pollock, der Berserker, Franz Kline, Mark Rothko und all die anderen, die zunächst gemeinschaftlich, später naturgemäß extrem individualisiert als radikale Erneuerer, als American Abstract Expressionists in die Kunstgeschichte eingehen. Es ist eine Versammlung rüpelhafter Bohemiens. Durch und durch egozentrisch, misogyn mit einem Hang zur großen Geste – und gnadenlos kompromisslos. Was wie der ganz normale Hangout einer exzentrischen Männerclique aussah, war ein elitärer Kreis dauerhungriger Künstler, die dem soliden, dem althergebrachten Amerika den Kampf ansagten. Gegenstandslos musste das Bildprogramm sein, was zählte war Farbe und Gestalt, Romantik und Poesie. Frauen taten sich extrem schwer. Joan Mitchell buhlte um Anerkennung, indem sie fluchte, soff und vögelte wie ein Kerl. Sie hatte Erfolg mit ihrer Strategie, musste aber auch aushalten, dass Jackson Pollock die Klotür aus den Angeln riss und nach Franz Kline schleuderte (der hatte sich nämlich Pollocks Kritik an Philipp Guston verbeten) und dass Oberbeatnik Jack Kerouac in einen der Aschenbecher pinkelte. Sie schenkten sich schlicht gar nichts. Der Erfolg für den wilden Haufen kam mit der Anerkennung des einflussreichen Kritikers Clement Greenberg. Die New Yorker Szene jener Jahre war extrem überschaubar, bestand gerade mal aus einer Handvoll Galerien (Betty Parsons, Peggy Guggenheim, Samuel Kootz und Sidney Janis, später kam der umtriebige Leo Castelli hinzu). Erst als eine Gruppe um Ad Reinhardt (der den Abstract Expressionist zwar kritisch gegenüberstand, gleichwohl die Abende in der Cedar Bar lakonisch kommentierte: „We go there to meet the very people we hate most, other painters”) und Clement Greenberg sich 1950 weigerte an einer Ausstellung aktueller amerikanischer Kunst im MoMA teilzunehmen, wuchs die ersehnte Aufmerksamkeit. Mit diesem Protest gegen die Politik des Museums sollte ihre Malerei des Abstrakten Expressionismus als genuin amerikanische Kunst akzeptiert werden, als avantgardistische Revolte und grenzenloser Aufbruch. Das saß. Schwer vorstellbar, wie sich ein junger deutscher Emigrant in ein derart hermetisches Umfeld einfügen konnte. Glück und Zufall spielten eine entscheidende Rolle. Friedel Dzubas kommt 1915 in Berlin als Sohn einer katholischen Mutter und eines jüdischen Vaters zur Welt. Seine künstlerischen Ambitionen und der damit verbundene sehnliche Wunsch, Deutschland zu verlassen, mündet zunächst in eine landwirtschaftliche Ausbildung mit angegliederter Beschäftigung als Kunstlehrer in Gross-Breesen, einem Ausbildungs-Camp in der Nähe von Breslau, das junge Juden und Jüdinnen 1936 auf eine Auswanderung nach Süd- und Nordamerika vorbereiten sollte. 1939, in der Reichskristallnacht, wurden die Jugendlichen unter Arrest gestellt und nach Buchenwald deportiert. Dzubas entkommt den Schergen, er war zufällig in Berlin. Er erhält schließlich ein Visum für die Überfahrt nach New York. Einige Zeit arbeitet er als freischaffender Designer und Illustrator für Buchverlage, mietet 1948 für sich und seine kleine Familie ein Sommerhaus in Woodstock. Clement Greenberg, der eine Ferienunterkunft für den Sommer sucht, wird durch Zufall sein Untermieter. Der Kontakt zu dem großen Kritiker ist hergestellt, es entwickelt sich eine lebenslange, für Dzubas auch fruchtbare Freundschaft. In den frühen Fünfzigern schließlich zählt Friedel Dzubas zu den Abstract Expressionists der zweiten Stunde (die Initiatoren de Kooning, Rothko, Noland, Pollock, Kline etc. waren inzwischen gut im Geschäft und hatten sich ganz allmählich in die Hamptons und andere gepflegte Vororte abgesetzt). Er nimmt regelmäßig an zahlreichen Gruppenausstellungen etwa bei Kootz und Castelli teil, und teilt sich ein Atelier mit der jungen Helen Frankenthaler. Nach einem zehnmonatigen Aufenthalt in Deutschland und Österreich, der einhergeht mit einer schmerzhaften Auseinandersetzung mit seiner jüdisch-katholischen Identität, seiner deutschen Herkunft, entsteht eine Reihe von Black Paintings. Doch Dzubas findet nach einer schöpferischen Pause zurück zum lyrischen Colorfield Painting. Seit Mitte der sechziger Jahre verwendet der an diversen Hochschulen unterrichtende Dzubas für seine Großformate überwiegend Magna-Farben, eine Acrylfarbe, die mit Öl gemischt und mit Terpentin verdünnt werden kann. Friedel Dzubas nimmt in der bahnbrechenden abstrakten amerikanischen Malerei nicht zuletzt deshalb eine besondere Rolle ein, weil er sich in seinen gestisch-gegenstandslosen Kompositionen mutig und hingebungsvoll auf die lichte barocke Farbarchitektur eines Tizian bezieht. Seine besondere Verehrung galt zeitlebens den in vielerlei Hinsicht kompromisslosen Hervorbringungen der Protagonisten des Blauen Reiter und der Brücke-Künstler.

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Kate Waters
Bank, 2002
Kate Waters
Bank, 2002
Die monumentale Fassade eines Gebäudes in einer Großstadt, es ist Nacht. Die Straßenbeleuchtung und die Lichter der Autos spiegeln sich im nassen Asphalt, setzen fast schrille, dabei unscharfe Akzente. Kate Waters hat die fotorealistisch präzise Szene in eine impressionistische, nur der Lichtwirkung vertrauende Stimmung transferiert. Arbeitsbasis für die großformatigen Gemälde der britischen Künstlerin sind Fotografien. Doch das verrutschte, sorglos belichtete und fein verwischte Abbild der Realität wird zur Momentaufnahme einer Traumsequenz. Flüchtig, kaum greifbar.
Die bearbeiteten, collagierten, beschnittenen, oft auf Reisen entstandenen Fotografien projiziert Waters im vergrößerten Maßstab auf die Leinwand, entscheidet über Bildausschnitt und Konturen, übermalt diese „Skizzen“, fügt hinzu, löscht und lässt urbane Konstellationen irritierend stereotyp, dabei in ihrer Momenthaftigkeit geheimnisvoll, irgendwie bedrohlich wie eine Szene in einem David Lynch-Film erscheinen. Scheinbare Momentaufnahmen von Restaurantinterieurs, Cafés oder Bars, ihre populärsten Motive, haben sich, wiewohl kunstvoll arrangiert und oft weit von der Wirklichkeit entfernt, der Realität verschrieben. „You get what you see.“ Aber ist das die Wahrheit? Es ist auf jeden Fall Empfindung. Ein stark romantischer Impuls geht von den Gemälden aus. Und eine verstörende Uneindeutigkeit. Sind die Menschen in den Büros, den Restaurants einsam, deprimiert oder lost? Vielleicht sind sie aber auch ganz bei sich, konzentriert. Die Kulisse, das Setting ihrer Bilder, verstärkt lediglich das Gefühl einer Vereinzelung. Könnte eine höchst willkommene Situation sein? Oder doch ein trostloser Moment? Kate Waters eröffnet dem Betrachter, der interessierten Beobachterin eine Fülle von Möglichkeiten der Interpretation. Auf unserem Porträt eines Stadtraums in einer x-beliebigen Metropole dominiert die Fassade eines altehrwürdigen Bankgebäudes die nächtliche Straßenszene. Bedrohlich oder als Schutzwall? It’s up to you.

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Sonia Delaunay-Terk
Rythme coloré, 1958
Sonia Delaunay-Terk
Rythme coloré, 1958
Sonia Delaunay-Terk hatte eine einzigartige Gabe, mit pulsierenden, reinen Farben und rhythmisch schwingenden, klar voneinander abgegrenzten geometrischen Formen heiter gestimmte Abstraktionen zu entwickeln. Die 1895 in der Ukraine geborene Künstlerin bezog sich zeitlebens auf die Traditionen ihrer russisch-jüdischen Herkunft. Und fand dafür eine ultramoderne Ausdrucksform. Larmoyanz, gar Depression ließ die Kämpfernatur auf ihrem wendungsreichen, stets fokussierten Lebensweg nicht aufkommen.
Die in unserem Online Sale angebotene 1958 datierte und signierte Gouache ist ein signifikanter Beleg ihres Schaffens. Dabei beschränkte sie sich, anders als ihr Mann, der Künstler Robert Delaunay, den sie 1910 geheiratet hatte, nicht auf die Malerei, sondern wandte sich, ohne ihre avantgardistische Haltung, ihren Weg in die Abstraktion zu verraten, der angewandten Kunst zu. Sie folgte in den letzten Kriegsjahren dem Gebot der Stunde – das Ehepaar lebte und arbeitete inzwischen in Paris, die finanzielle Unterstützung des St. Petersburger Familienzweigs blieb nach der Russischen Revolution aus – und wandte sich dem Mode- und Kostümdesign zu, entwarf Bühnendekorationen und Kostüme für den Startänzer Vaslav Nijinsky und für Serge Diaghilevs Ballet-Inszenierungen. Und begründete so ihren internationalen, kriegsbedingt allerdings eingeschränkten Ruf in der Mode- und Theaterwelt. Mit der Eröffnung einer Boutique sicherte sie sich und ihrem Mann, zumindest in Maßen und für kurze Zeit, den Lebensunterhalt. Nachdem Herwarth Walden dem Ehepaar 1920 in seiner Sturm-Galerie in Berlin eine Einzelausstellung gewidmet hatte, verließen sie Madrid wieder in Richtung Paris, das intellektuelle und kulturelle Zentrum jener Jahre. Dort bewegten sie sich in den Kreisen der Pariser Avantgarde um André Breton und Tristan Tzara. Hans Arp und dessen Frau Sophie Taeuber-Arp wurden enge Freund und Unterstützer. Es gab Aufträge für Bühnenausstattungen und Wanddekorationen, etwa 1937 für Pavillons der Weltausstellung in Paris. Sonia Delaunay gestaltete Inneneinrichtungen und befasste sich weiterhin sehr erfolgreich mit Mode und Textilentwürfen. Ihr Werk kann heute mit Fug und Recht als beispielhaft für die französische Avantgarde bezeichnet werden. Dass sie sich als Frau unermüdlich und mit zeitgemäß gutem Erfolg um Anerkennung bemühte, macht sie zur vorbildlichen Protagonistin für ein gelungenes Leben als Künstlerin.

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Otto Mueller - Zwei Zigeunerinnen (Zigeunermutter mit Tochter), 1926
Otto Mueller
Zwei Zigeunerinnen (Zigeunermutter mit Tochter), 1926
Vielleicht war er ja ein Punk, zumindest war Otto Mueller reichlich unangepasst. Seine akademischen Studien in Dresden und München brach er ab. In Berlin wurde er von der „Secession“ abgewiesen, stellte in der Ausstellung „Zurückgewiesene der Secession Berlin 1910“ aus und schloss sich mit Anfang Dreißig schließlich doch der Gemeinschaft der Brücke-Künstler an. Wiewohl von den Kollegen geschätzt, nahm er auch hier zumindest künstlerisch eine Außenseiterposition ein.
Anders als sie, arbeitete er mit gedeckten erdigen Leimfarben auf Rupfen und erreichte so für seine eleganten jugendlichen Frauenakte in bewaldeter Umgebung oder am Flussufer eine bei aller Expressivität unnachahmliche lyrische Anmutung. Sein künstlerisches Streben galt auch in seinen druckgrafischen Arbeiten der Darstellung einer harmonischen Einheit von Mensch und Natur. Ein paar Jahre nach dem 1.Weltkrieg wurde Otto Mueller, ein schlanker, fast hagerer Mann mit markanten Gesichtszügen, Professor an der Breslauer Akademie. Er pflegte allerdings weiterhin seinen Hang zur Bohème, beurteilte seine Kollegen, auch die ehemaligen Brücke-Freunde, gelinde gesagt, sehr streng. Und scheint auch kein einfacher Lebenspartner gewesen zu sein. Er war mehrmals verheiratet. Das Ehe- und Familienleben behagte ihm auf Dauer ebenso wenig wie die Vaterrolle. Ab 1924 bereist er Osteuropa, hält sich länger in Dalmatien, Rumänien und Ungarn auf. Er ist fasziniert von der Lebensweise, der Kultur der Sinti und Roma. Ihr Freiheitsdrang, ihre Unabhängigkeit, vielleicht auch Zügellosigkeit beeindrucken ihn. Er idealisiert ihre Lebenswelt, sieht seine Ideale gespiegelt. Er dokumentiert seine Eindrücke in Fotografien und Skizzen, Grundlagen für später in seiner signifikantesten Werkphase ausgearbeitete Gemälde und Lithographien. 1927 entsteht die neunteilige Zigeuner-Mappe mit neun Lithographien, ein Höhepunkt seines Schaffens. Sie war sowohl für den Verkauf einzelner Blätter als auch als geschlossenes Mappenwerk konzipiert. Die zeittypische Betitelung „Zwei Zigeunerinnen (Zigeunermutter mit Tochter)“ belegt den seinerzeit nonchalanten, aus heutiger Sicht abwertenden Umgang mit Ethnien, die bei aller Bewunderung dennoch mit herabwürdigenden Begriffen bedacht wurden. Sorglos, harmlos, ohne Arg und mit viel Ignoranz. Wir wissen heute mehr. Der künstlerischen Hochleistung, die mit jedem Strich, jeder Farbnuance das Volk der Sinti und Roma feiert, tut dies keinen Abbruch.

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Christian Rohlfs - Landschaft bei Hetschburg, 1907
Christian Rohlfs
Landschaft bei Hetschburg, 1907
Christian Rohlfs war durchaus kein Spätberufener, doch seine Entwicklung vollzog sich in einem ruhigen und steten Fluss. Vom solide und handwerklich hervorragend ausgebildeten Maler naturalistischer Szenen und Motive zum Impressionisten. Doch der zeitlebens nach einer gültigen Form, nach bestimmenden Farbwerten suchende Künstler, erschöpfte sich nicht im Drang stets etwas Neues, etwas nie Dagewesenes zu schaffen. Bedächtig und eher tastend wandte er sich dem Expressionismus zu. Da ging er nach einem reichen schöpferischen Leben bereits auf die Siebzig zu...
In seinen Motiven ist nie etwas Altväterliches, nichts Abgeklärtes. Eine gewisse heitere Spannung zeichnet seine gut beobachteten, frei geschilderten Landschaften aus. Beispielhaft in diesem spätsommerlichen, malerisch zwischen Weimar und Bad Berka im mittleren Ilmtal gelegenen Idyll. Er nimmt Abschied von den pointillistisch angeregten Impressionen mit flirrender Lichtregie. Rohlfs setzt hier kurze starkfarbige Pinselstriche nahezu akkurat nebeneinander, trennt die Farben, baut die „Landschaft bei Hetschburg“ von einer Anhöhe aus gesehen in einzelnen lang gestreckten Bahnen nach und erzeugt so ein kompaktes Tableau, das einem Teppich gleicht, expressiv strukturiert und verwoben zugleich. Seine ruhigen, frisch empfundenen, Naturschilderungen, die oft geheimnisumwehten Frauenbilder, die zarten Blumenstilleben brachten ihm Anerkennung im zeittypischen Szeneauftrieb. Der 1849 in der Nähe von Segeberg geborene Maler blieb gelassen, tauschte sich mit dem Malerkollegen Emil Nolde aus, wurde von Karl Ernst Osthaus, dem Hagener Kunstmäzen und Museumsstifter gefördert, bereiste das Tessin und Bayern ­und wurde zum freilich unspektakulär agierenden, prägenden Wegbereiter des deutschen Expressionismus. Mit entsprechender Reife und Erfahrung hatte er den ungestümen Radikalen einiges voraus. Seine körperliche Einschränkung – als er Mitte Zwanzig war musste ihm als Spätfolge eines Unfalls in der Kindheit ein Bein amputiert werden ­ – mag sich in seinem fokussierten Naturell spiegeln. Ein stiller Antrieb, eine kontinuierliche Überwindung, den Widrigkeiten trotzend, begleitete ihn zeitlebens. 1937 blieb ihm die Diffamierung der Nationalsozialisten nicht erspart. Zahlreiche Werke wurden konfisziert und in der Ausstellung „Entartete Kunst“ an den Pranger gestellt. Er erhielt Malverbot und am 7. Januar 1938, einen Tag vor seinem Tod, hielt man es schamlos für angebracht, den 88jährigen Künstler als Mitglied der Preußischen Akademie der Künste in Berlin auszuschließen.

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Eduardo Arroyo - Ramoneur II, 1980
Eduardo Arroyo
Ramoneur II, 1980.
Er war ein Provokateur reinsten Wassers. Unangepasst und doch immer mitten im Geschehen. Der 1937 in Madrid geborene Eduardo Arroyo war zunächst Journalist und dezidierter Kritiker des Franco-Regimes. Das machte sein Leben nicht einfacher. Schließlich hielt er Zensur und Gängelei nicht mehr aus und ging 1958 nach Paris, wandte sich dort der Malerei zu, blieb aber auch hier der große Provokateur, der sich schließlich einen Namen als bedeutender Vertreter des Kritischen Realismus machte.
Arroyo attackierte nicht nur die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Spanien, sondern auch die seiner Meinung nach viel zu angepassten und marktbeeinflussenden Künstlerkollegen Joan Miró und Marcel Duchamp. Der Plakat- und Straßenmaler hat keine Akademie besucht, war Autodidakt. Seine Gemälde, Collagen und Skulpturen verhandeln aktuelle Themen oft im Gewand mythischer und märchenhafter Motive. Der Boxsport faszinierte ihn ebenso wie Facetten literarischer Meisterwerke. In seine Heimat kehrte er erst nach Francos Tod 1958 zurück, lebte später in Mailand, wo er die langjährige Zusammenarbeit als Bühnenbildner mit dem Theater- und Opernregisseur Klaus Michael Grüber begann. 1983 wurde ihm in seiner Heimat der Große Nationalpreis für Malerei verliehen. Zu seinen weniger zeittypischen Werken, die heute eher als historisch-originelle Weckrufe beziehungsweise Unverschämtheiten zu bewerten sind, gehören die sehr privaten, durch seine Reisen in die Schweiz inspirierten Schornsteinfeger – köstliche Bronze-Figuren respektive Köpfe stets mit Hut, die durch hölzerne und sonstige Auflagen und Intarsien eine fast humorige Relativierung erfahren. Was zunächst durch die Wiederholung wie ein künstlerischer Fetisch anmutet, eine Art Obsession, bekommt bei genauerer Betrachtung die beschwörende Bedeutung eines Mannes, der Unheil, vielleicht auch nur Ungemach verhindert. Ein Unverzichtbarer, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, den angesammelten Ruß und Schmutz in den Kaminen zu beseitigen. Das Haus wird warm, gefährliche Gase ziehen ab. Was in Gestalt des Kaminkehrers so menschenfreundlich praktisch und dabei auch abgeklärt liebevoll dargestellt ist, hat bei genauerem Hinsehen die wohl nie versiegende Komponente einer schon noch kritischen, jetzt aber melancholischen Weltsicht eines untröstlichen Weltbürgers.

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Andy Warhol - Saint Appolonia, 1984
Andy Warhol
Saint Appolonia, 1984
"Wenn du alles über Andy Warhol wissen möchtest, betrachte nur meine Oberfläche, die meiner Gemälde und Filme, und da bin ich. Nichts ist dahinter." Soll er einmal gesagt haben. Seine ständige und respektlose Auseinandersetzung mit populären Themen, mit der Definition der Kunst überhaupt und nicht zuletzt mit einem einflussreichen Umfeld machte Andy Warhol zum Pionier der Pop-Art-Bewegung. Dazu gehörte die konsequente Integration der Populärkultur und der kommerziellen Gemeinplätze und Alltagsgegenstände in seine künstlerischen Arbeiten. Tiefgründige idealistische Visionen, gar persönliche Emotionen gehörten absolut nicht in sein schöpferisches Wirken.
Unkonventionell in Habitus und Anspruch spielte er auf der Klaviatur der provokanten Öffentlichkeitsarbeit, scharte Schauspieler, Dichter, Maler, Musiker in seiner „Factory“ um sich und wurde zum Inbegriff der New Yorker Subkultur mit größtmöglicher populärer Ausstrahlung. 1968 überlebte er knapp den mörderischen Anschlag von Valerie Solanas, einer einstigen Anhängerin aus der Factory, die in rasender Verwirrung zur Attentäterin geworden war. Es fiel ihm ab dann schwer, weiterhin große Gemälde zu bewältigen, er wandte sich mehr dem filmischen Schaffen zu und erweiterte vor allem sein Siebdruck-Repertoire. Das ermöglichte eine Massenproduktion für (fast) Jedermann und er balancierte damit sehr zufrieden und ironisch auf der Grenze zwischen Original und Kopie. Außerdem konnte er so ein Motiv mehrmals in jeweils unterschiedlichen Farbkonstellationen wiederholen. Seine Bildnisse, insbesondere von kulturellen Ikonen, illustrieren seine Faszination für die absolut konstruierte Wirkmacht der Medien. Nach dem Attentat löste er die Factory allmählich auf, wandte sich zunehmend der reichen und einflussreichen New Yorker High Society zu. Und schuf massenhaft Auftragsporträts der Reichen und Schönen. Für angeblich 25 000 Dollar gestaltete er ein farbiges Siebdruckporträt nach einer Polaroidfotografie in gewünschter Auflage. Sein Stern als radikaler Erneuerer des überkommenen Kunstbegriffs begann zu sinken. Erst in den achtziger Jahren und im Ergebnis seiner Zusammenarbeit mit dem weit jüngeren und radikaleren Jean-Michel Basquiat erlangte er wieder und dauerhaft den ihm zustehenden Ruhm als Ideenproduzent im Kontext von Konsum, Ruhm und Massenmedien. In diesen Jahren entstanden auch etliche religiöse Motive – Warhol war katholisch erzogen ­–, die allerdings nicht den Geist eines älterwerdenden frömmelnden Künstlers spiegeln, sondern stets das Heilige mit einem Quantum Respektlosigkeit verknüpfen. Ein Düsseldorfer Zahnarzt gab 1984 den Auftrag für ein Bildnis der Heiligen Apollonia. Andy Warhol schuf ein Bildnis der Märtyrerin, Schutzpatronin der Zahnärzte; ihr Attribut ist ein ziemlich großer Backenzahn in einer zeptergleich gehaltenen Zange. Als Vorbild diente ein leicht krakeliertes italienisches Tafelbild aus dem 15. Jahrhundert. Aus der vierteiligen Serie mit schwarzem, gelbem, rotem oder goldenem Hintergrund wird die schwarzgrundige, signierte und nummerierte Variante – eines von 250 Exemplaren – in unserer Online-Auktion bei 3000 Euro aufgerufen.

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