Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 124000460


124000460
Henry Moore
Family Group, 1944.
Bronze mit brauner Patina
Schätzpreis: € 300.000 - 400.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Family Group. 1944.
Bronze mit brauner Patina.
Eines von neun Exemplaren (zzgl. eines Künstlerexemplars). 15,2 x 10,7 x 7,5 cm (5,9 x 4,2 x 2,9 in).
Gegossen um 1956 von der Art Bronze Foundry (Gaskin's), London.
Weitere Werke aus der Sammlung Dr. Maier-Mohr werden in unserem Contemporary Art Day Sale am Freitag, dem 7. Juni 2024, sowie in unserem Modern Art Day Sale am Samstag, dem 8. Juni 2024, angeboten (siehe Sonderkatalog "Dr. Theo Maier-Mohr – Eine private Sammlung").

• Die Familie gehört zu den zentralen Themen im Œuvre des Künstlers.
• Die frühe Werkgruppe der "Family Groups" (1944–1949) gilt als erste eigenständige Umsetzung dieses Motivs in Bronze und ist bereits 1946 in Moores erster Einzelausstellung im Museum of Modern Art in New York vertreten.
• Diese "Family Group" ist eine der ersten dieser bedeutenden Werkgruppe und entsprechend gesucht.
• In ihrer geschlossenen Form und vollendeten Harmonie eine der gelungensten Versionen des Motivs.
• Moore übersetzt das traditionelle Urbild der Familie in eine mehrfigurige, intime Szene mit zutiefst moderner Ausdruckskraft.
• Zwei weitere Güsse dieser Arbeit befinden sich im Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, und im Dallas Museum of Art
.

Mit einer vom Künstler signierten und datierten Fotoexpertise, Fischer Fine Art Ltd., London, vom September 1976.

Das Werk ist bei der Henry Moore Foundation, Hertfordshire, unter der Nummer LH 230 verzeichnet.

PROVENIENZ: Fischer Fine Art Ltd., London.
Sammlung Dr. Theo Maier-Mohr (1976 vom Vorgenannten erworben).
Seitdem in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG:
Henry Moore, Tate Gallery, London, 17.7.-22.9.1968, Kat.-Nr. 62 (m. Abb., anderes Exemplar).
Mother and Child: the Art of Henry Henry Moore, Hofstra Museum, Hofstra University, H.empstead (New York), 10.9.-21.11.1987, The Baltimore Art Museum, Baltimore, 16.2.-17.4.1988 u. a., S. 138, Kat.-Nr. 28 (m. SW-Abb., S. 53, anderes Exemplar).
Henry Moore. The Human Dimension; Benais Museum, Petrodvorets, 17.6.-15.8.1991, Puschkin Museum, Moskau, 3.9.-9.10.1991, S. 81, Kat.-Nr. 56 (m. Abb., anderes Exemplar).
Henry Moore. Sculpting the 20th Century, Dallas Museum of Art, Dallas, 25.2.-27.5.2001, Fine Arts Museums of San Francisco, 24.6.-16.9.2001, National Gallery of Art, Washington D.C., 21.10.2001-27.1.2002, Kat.-Nr. 49 (m. Abb., anderes Exemplar).
Henry Moore. Natur und Figur, Museum Lothar Fischer, Neumarkt i. d. Opf., 17.10.2010-9.1.2011.

LITERATUR: Herbert Read, Henry Moore. Sculpture and Drawings, Bd. 1, London 1949 (3. Auflage), WVZ-Nr. 70 h (m. SW-Abb. in Terrakotta).
David Sylvester (Hrsg.), Henry Moore. Sculpture and Drawings, Bd. 1 (1921-1948), London 1957 (4. Auflage), WVZ-Nr. 230 (m. SW-Abb. in Terrakotta, S. 144).
David Sylvester (Hrsg.), Henry Moore. Complete Sculpture, Bd. 1 (1921-1948), London 1988 (5. Auflage), WVZ-Nr. 230 (m. Abb in Terrakotta).
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Lewis Lapham (Hrsg.), Lapham's Quarterly, New York, Winter 2012, Bd. 5, erste Ausgabe (m. Farbabb. auf dem Umschlag, anderes Exemplar).

"Alle Ideen für die Family Groups entstanden beim Zeichnen, vielleicht weil dieses Thema mich persönlich berührte. Es war kurz bevor wir unsere erste Tochter Mary bekamen."
Henry Moore, zit. nach: Henry Moore, Maquetten, München 1978, S. 72.

Vor den "Family Groups": Mutter-und-Kind-Figuren und "Shelter Drawings"
Die Familie ist in der Kunstgeschichte seit jeher ein in jeder Kultur verwendetes, bedeutendes Motiv und nimmt auch im von der menschlichen Gestalt geprägten Schaffen Henry Moores eine übergeordnete Stellung ein. Bereits in den 1920er Jahren, seit dem Beginn seiner künstlerischen Laufbahn, greift Moore die Thematik in seinen Mutter-und-Kind-Figuren auf und kommt in seinem plastischen und (druck)grafischen Schaffen bis in die 1980er Jahre wiederholt darauf zurück.
Im Zweiten Weltkrieg zeichnet Moore u. a. die während zahlreicher Bombenangriffe Schutz suchenden Menschen in den Londoner U-Bahnen, seine sog. "Shelter Drawings". Auch hier zeigt Moore die Beziehungen und die Intimität zwischen zusammengedrängten Familienmitgliedern, zwischen nebeneinander schlafenden Geschwistern, Müttern und ihren dicht an sie gepressten Kindern.
Nach der Zerstörung seines Ateliers zieht Moore mit seiner Ehefrau Irina (verh. 1929) 1941 aufs Land, nach Perry Green in Hertfordshire, wo er bis zu seinem Lebensende lebt und arbeitet (heute Sitz der Henry Moore Foundation). 1942 erhält der Künstler einen Auftrag für eine Mutter-und-Kind-Figur für die St.-Matthews-Kirche in Northampton, die er 1944 fertigstellt. Auch hier sucht Moore nach einer modernen, zeitgemäßen Lösung für das so traditionelle, ikonografisch aufgeladene Sujet.

Die Idee der "Family Group"
Dem Projekt folgt die Arbeit an einer weiteren für den öffentlichen Raum bestimmten Skulptur: Schon vor Kriegsbeginn war Moore auf das Angebot des in England lebenden deutschen Architekten und Bauhaus-Gründers Walter Gropius eingegangen, eine auf die Familie bezogene plastische Arbeit für die 1935/36 von Gropius und Maxwell Fry entworfene Schule in Impington (nahe Cambridge) zu gestalten. Einige Zeichnungen hatte Moore bereits angefertigt, mit denen er nach einer passenden Komposition, nach einer ganz bestimmten plastischen Form suchte, die sowohl für die Eltern als auch für die Kinder eine gewisse Aussagekraft enthalten sollte. Das 1939 eröffnete Gebäude war nicht nur als reines Schulgebäude konzipiert worden, sondern gedachte mit flexibel nutzbaren Räumlichkeiten die gesamte Familie einzubeziehen. Die Finanzierung für Moores Skulptur war zunächst nicht zustande gekommen, doch 1944 bringt Henry Morris, damaliger Bildungsbeauftragter des Cambridgeshire County Council die beauftragte Skulptur erneut ins Gespräch. Mit großer künstlerischer Energie und Schaffenskraft füllt Moore fast zwei komplette Skizzenbücher mit Zeichnungen und fertigt etwas mehr als zwei Dutzend Ton- bzw. Terrakotta-Modelle an, in dener er seine Figuren in verschiedenen Posen, Formen und Konstellationen zu ganz verschiedenen Gruppierungen zusammenfügt. Zehn dieser unterschiedlichen Modelle lässt er anschließend in Bronze gießen, obwohl das Projekt auch in diesem zweiten Anlauf nicht realisiert werden kann.
In ihrer Grundidee verbinden die "Family Groups" mehrere Figuren, zwei Erwachsene sowie ein oder zwei Kinder verschiedener Altersstufen, zu einer geschlossenen stabilen Einheit. Manche Figuren wirken recht lebhaft, andere erscheinen deutlich ruhiger und passiver. Die hier angebotene "Family Group" (LH 230) kann dabei als eine der gelungensten Versionen bezeichnet werden, denn sie zeigt in ihrer geschlossenen Form eine besonders harmonische, ausgewogene Komposition. Die breiten Schultern und kräftigen, parallel angeordneten Beine der sitzenden Figuren vermitteln Stabilität, während ihre Berührungen untereinander sowie ihre Ausrichtung, ihr gemeinsamer Blick in dieselbe Richtung die Geschlossenheit ihrer familiären Einheit bezeugen.


Wunsch und Erfüllung: Die Sehnsucht nach Harmonie und Stabilität

Vielen Künstlern liegt es in den Kriegs- und Nachkriegsjahren fern, Intimität, Zärtlichkeit oder sogar Menschlichkeit auf eine solch direkte Art und Weise darzustellen. Doch Moore gelingt es in ebendieser Zeit, in der so viele Familien unwiederbringlich auseinandergerissen werden, mit der "Family Group" in ihrer unverwechselbaren zeitgenössischen Formensprache ein Gefühl von Hoffnung und den Wunsch nach friedlicher Stabilität zu vermitteln, dessen Erfüllung zum damaligen Zeitpunkt greifbar, und dennoch in weiter Ferne zu liegen schien. Womöglich rührt Moores Wertschätzung familiärer Werte und seine Interpretation der Familie als Quelle von Frieden und Harmonie aus seiner eigener Kindheit her: "Perhaps the family groups reflect this outlook. [..] no doubt, my own childhood would have an influence. I was the seventh child of a family of eight, my childhood was very full and very happy." (Henry Moore in einem Brief an Evelyn S. Ringold, 24.2.1975, Henry Moore Foundation Archive)
Mit dem Ende des Krieges wendet sich auch Henry Moores persönliche wie berufliche Zukunft zum Guten. Nach mehreren Fehlgeburten erfüllt sich 1946 mit der Geburt der gemeinsamen Tochter Mary ein lange gehegter Kinderwunsch. Im selben Jahr zeigt das Museum of Modern Art in New York eine umfassende Einzelausstellung des Künstlers, die im darauffolgenden Jahr auch im San Francisco Museum of Art und im Art Institute of Chicago zu sehen ist. 1948 stellt Henry Moore im britischen Pavillon auf der 24. Biennale di Venezia aus und erhält den internationalen Preis für Bildhauerei. [CH]



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Henry Moore
Family Group, 1944.
Bronze mit brauner Patina
Schätzpreis: € 300.000 - 400.000
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