Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 124000133


124000133
Lucio Fontana
Concetto spaziale, 1957.
Öl und Glas auf Leinwand
Schätzpreis: € 180.000 - 250.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Concetto spaziale. 1957.
Öl und Glas auf Leinwand.
Verso signiert, datiert und betitelt. 72,5 x 59,5 cm (28,5 x 23,4 in).

• Eines der ersten goldenen "Concetti spaziali": verdichteter Sinneseindruck aus der „Goldenen Stadt“ Venedig.
• Frühe, wegweisende Arbeit: aus der berühmten Werkgruppe der "Buchi", Fontanas frühesten "Concetti spaziali".
• Fontanas Leinwanddurchstoßungen der "Buchi"
zähleninternational zu den bedeutendsten Positionen der Nachkriegsmoderne.
• Arbeiten dieser Werkreihe widmet das Museo del Nuove Cento in Mailand einen eigenen Raum.

• Von musealer Qualität: Vergleichbar frühe "Concetti spaziali" befinden sich in internationalen Sammlungen, u. a. dem Museum of Modern Art und der Solomon R. Guggenheim Foundation, New York.
• Aus der bedeutenden Moderne-Sammlung Dr. Hanns Hülsberg und seit über 50 Jahre in Familienbesitz
.

PROVENIENZ: Everaert, Brüssel.
Sammlung Dr. Hanns Hülsberg, Hagen (vor 1969 vom Vorgannten erworben).
Seither in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Hommage à Fontana, Kunst- und Museumsverein, Wuppertal, 1969, Kat.-Nr. 9 (o. Abb.).

LITERATUR: Enrico Crispolti, Lucio Fontana, hrsg. v. Archivio Lucio Fontana, Mailand, Brüssel 1974, S. 109, WVZ-Nr. 61 O 6 (m. SW-Abb., hier thematisch der Werrkfruppe vom 1961 zugeordnet).
Enrico Crispolti, Catalogo ragionato di sculture, dipinti, ambientazioni, Mailand 2006, S. 363, WVZ-Nr. 61 O 6 (m. SW-Abb., hier thematisch der Werkgruppe von 1961 zugeordnet mit dem Zusatz "Riferibile al 1961 nonostante la data inscritta").

"Meine Entdeckung ist das Loch, punktum; und nach dieser Entdeckung kann ich auch beruhigt sterben [..]."

Lucio Fontana, 1960er Jahre, zit. nach: Barbara Hess, Lucio Fontana 1899-1968, Köln 2006, S. 7.
"Du kannst über die Löcher sagen, was du willst; doch aus ihnen wird eine neue Kunstrichtung gereinigt hervortreten [..]."
Lucio Fontana, 1953, zit. nach: Barbara Hess, Lucio Fontana 1899-1968, Köln 2006, S. 8.


"Buchi" – Zentraler Wendepunkt und Beginn der "Concetti spaziali"
Nicht nur in der nachträglichen kunsthistorischen Würdigung, sondern auch für Lucio Fontana selbst sind seine ersten perforierten Papiere und Leinwände, die ab dem Jahr 1949 entstehen, der bedeutendste Wendepunkt und der wichtigste Schritt seiner gesamten künstlerischen Laufbahn. In der kunsthistorischen Forschung wird Fontanas radikale Geste seiner ersten Durchstoßungen, den "Buchi" (Löcher), wie der Künstler selbst diese zentrale Werkgruppe bezeichnet hat, als ein bedeutender Ausgangspunkt der europäischen Nachkriegskunst gefeiert. Selten wird der Name eines Künstlers so eng mit einer einzigen Geste, einer einzigen künstlerischen Errungenschaft verbunden wie im Fall Fontanas, in dessen Werk zum einen die Durchlöcherung der Leinwand und zum anderen der etwa zehn Jahre später daraus abgeleitete Schnitt im Zentrum seines Schaffens steht. Als Fontana 1949 erstmals ein auf Leinwand aufgezogenes Papier, anstatt darauf zu zeichnen, von der Rückseite mit zahlreichen Löchern durchstößt, sodass sich an den Rändern das verdrängte Material aufwirft und damit den zweidimensionalen Bildraum in die dritte Dimension weitet, ist Fontana vermutlich noch nicht klar, dass dieser Moment der späte und entscheidende Wendepunkt seiner künstlerischen Laufbahn sein wird. Fontana ist damals bereits 50 Jahre alt und blickt auf eine vorrangig bildhauerische Tätigkeit zurück.

"Concetti Spaziali" – Zur Radikalität und Progressivität Fontanas
Bis heute wird Fontana jedoch vor allem mit seinen berühmten "Concetti spaziali" (Raumkonzepten) identifiziert, unter diesem Obertitel hat der Künstler selbst sowohl seine "Buchi" (Löcher) als auch die etwa ein Jahrzehnt später hinzutretenden "Tagli" (Schnitte) zusammengefasst. Damals aber ruft der radikale Schritt der Durchstoßung des Bildträgers großes Unverständnis hervor. Fontana selbst hat dazu Folgendes festgehalten: "Gelächter während vieler Jahre! [..] Die Leute sagten zu mir: 'Was machst Du denn da? Gerade du, Lucio, der du ein ausgezeichneter Bildhauer bist ..' Für sie war ich vorher gut und hinterher ein Esel. Und es gelang mir, an der Biennale [von Venedig 1950] teilzunehmen und die Kommission hinters Licht zu führen, weil ich ja eigentlich mit Skulpturen eingeladen war! Ich ließ jedoch nichts verlauten und ging mit 20 durchlöcherten Leinwänden an die Biennale. Du kannst Dir die Reaktion vorstellen: 'Das sind doch keine Skulpturen, das ist Malerei!' [..] Für mich sind es perforierte Leinwände, die eine Skulptur darstellen, ein neues Faktum in der Skulptur." (zit. nach: Barbara Hess, Lucio Fontana, Köln 2006, S. 8).
Materialität und Raum – Fontana und die Entgrenzung der Malerei
Das vorliegende Werk aus der Sammlung des bedeutenden rheinländischen Moderne-Sammlers Dr. Hanns Hülsberg ist eines von Fontanas frühen "Concetti spaziali", die sich heute vielfach in bedeutenden internationalen Sammlungen befinden. Geradezu wie eine Bildbeschreibung der vorliegenden Schöpfung wirken Fontanas Ausführungen der 1960er Jahre zu seinen Durchstoßungen: "Wenn ich als Maler an einem meiner durchlöcherten Bilder arbeite, habe ich nicht die Absicht ein Gemälde zu machen: ich will einen Raum öffnen, eine neue Dimension der Kunst erschaffen, in eine Beziehung zum Kosmos treten, der sich jenseits der begrenzten Oberfläche des Gemäldes ins Unendliche erstreckt" (ebd., S. 8). Die Leinwand ist nicht mehr allein der Träger der künstlerischen Fantasie, sondern gerät in ihrer Materialität ins Zentrum des künstlerischen Interesses und öffnet die Komposition durch die Durchstoßung der Leinwandfläche in die dritte Dimension.

Fontana und Venedig – Sinneseindrücke aus der "Goldenen Stadt"
Gerade die von Fontana selbst angesprochene Entgrenzung ins Kosmische wird in der vorliegenden Leinwand aufgrund ihrer außergewöhnlichen goldbraunen Farbgebung und der Verwendung roter Glasstückchen noch gesteigert, die eine deutliche Nähe zur Farbgebung mittelalterlicher Altartafeln und Mosaike aufweisen. Fontana hat diese Farbgebung und Technik inspiriert von einem Venedig-Aufenhalt nachweislich erst 1961 in seinen "Olii", einer Folge von "Concetti spaziali", aufgegriffen, die alle Titelzusätze mit klarem Venedig-Bezug tragen, wie etwa "Concetto spaziale. Venezia era tutta d'oro" (1961, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid) oder "Concetto spaziale. Venezia d'oro" (1961, Palazzo Ducale Museum, Genua). Dieser Venedig-Bezug scheint aber auch bereits für die vorliegende frühe, 1957 datierte Arbeit initiierend gewesen zu sein, etwa in den einzigartigen Farb- und Lichteindrücken in der Markus-Basilika mit dem berühmten mittelalterlichen, mit Gold und Edelsteinen verzierten Altarbild der "Pala d'Oro". Fontana war mit diesen kosmisch entrückten Venedig-Eindrücken spätestens seit seiner ersten Biennale-Beteiligung 1950 eng vertraut, und die vorliegende Arbeit ist nicht nur eine der ersten künstlerischen Umsetzungen dieser im Unterbewusstsein gespeicherten Sinneseindrücke, sondern darüber hinaus eines seiner ersten goldenen "Concetti spaziali". Im Sommer 1958 bespielt der international ausgestellte Künstler einen eigenen Raum auf der XXIX Biennale di Venezia und unterzeichnet dort das "VII Manifesto del Spazialismo", das u. a. die zentrale Bedeutung der im Unterbewusstsein gespeicherten Sinneseindrücke für die Kunst betont, bevor er noch im selben Jahr seinen bedeutenden Zyklus der "Tagli (Schnitte)" beginnen sollte.
Fontana hat mit seinem progressiven Oeuvre neben dem Amerikaner Frank Stella einen der international bedeutendsten Beiträge zum zeitgenössischen Streben nach räumlicher Entgrenzung der Malerei geleistet. Seine Arbeiten befinden sich heute in zahlreichen internationalen Sammlungen, wie u. a. dem Solomon R. Guggenheim Museum, New York, der Tate Collection, London, dem Centre Pompidou, Paris, und dem National Museum of Modern Art, Tokio. Zuletzt zeigte das Metropolitan Museum of Art, New York, 2019 unter dem Titel "Lucio Fontana. On the Threshold" eine große Retrospektive dieses für die internationale Nachkriegsmoderne wegweisenden Oeuvres. [JS]



124000133
Lucio Fontana
Concetto spaziale, 1957.
Öl und Glas auf Leinwand
Schätzpreis: € 180.000 - 250.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.