Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 22


22
Gerhard Richter
Alster (Hamburg), 1963.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 1.000.000
Ergebnis:
€ 2.105.000

(inklusive Aufgeld)
Alster (Hamburg). 1963.
Öl auf Leinwand.
Verso signiert, datiert und betitelt "Alster". 62 x 84 cm (24,4 x 33 in). [JS].

• Erste Schwarzweiß-Landschaft und zugleich erste Stadtansicht in Gerhard Richters Œuvre.
• Gemälde der 1960er Jahre gehören zu den gesuchtesten Motiven.
• Die Werkgruppe der Stadtansichten sind von allergrößter Seltenheit auf dem internationalen Auktionsmarkt.
• Die Stadtansicht "Domplatz, Mailand" (1968) erzielte 2013 einen Weltrekord (Quelle: artnet.com).
• Prominente Ausstellungshistorie: 1964 auf der für Richters Schaffen legendären "Vorgartenausstellung" der Galerie Parnass und seither auf bedeutenden Richter-Ausstellungen vertreten
.

PROVENIENZ: Galerie René Block, Berlin.
Sammlung Klaus E. und U. Momm, Bremen (wohl vom Vorgenannten erworben, bis 1995, Christie’s New York, 3.5.1995).
Galerie Orangerie-Reinz, Köln.
Sammlung Olbricht, Essen.
Privatsammlung Norddeutschland.

AUSSTELLUNG: Vorgartenausstellung, Galerie Parnass, Wuppertal, Februar 1964 (hier noch mit dem von Richter später entfernten weißen Rand).
Gerd Richter. Fotobilder, Portraits und Familien, Galerie Friedrich & Dahlem, München, 10.6.-10.7.1964.
Kunst des 20. Jahrhunderts aus privaten Sammlungen im Lande Bremen, Kunsthalle Bremen, 30.6.-15.9.1985.
Gerhard Richter. Bilder / Paintings 1962-1985, Städtische Kunsthalle, Düsseldorf / Neue Nationalgalerie, Berlin, 18.1.-1.6.1986.
Gerhard Richter. Landschaften, Sprengel Museum, Hannover, 4.10.1998-3.1.1999 (m. Abb. S. 41).
Gerhard Richter, K20 Grabbeplatz, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, 12.2.-16.5.2005 (m. Abb. S.102).
Gerhard Richter, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 4.6.-21.8.2005 (m. Abb. S. 102).
Gerhard Richter. Bilder einer Epoche, Bucerius Kunst Forum, Hamburg, 5.2.-15.5.2011 (m. Abb. S.128).

LITERATUR: Dietmar Elger, Gerhard Richter. Catalogue raisonné, Bd. 1: 1962-1968, Ostfildern 2011, S. 65f., WVZ-Nr. 10 (m. Abb.).

Gerhard Richter, 36. Biennale in Venedig (Deutscher Pavillon), Essen 1972 (m. Abb. S. 48).
Gerhard Richter. Bilder / Paintings 1962-1985, Ausst.-Kat. Städtische Kunsthalle Düsseldorf u. a., Köln 1986 (m. Abb. S. 6).
Gerhard Richter. Werkübersicht / Catalogue raisonné 1962-1993, Ausst.-Kat. Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn u. a., Bd. III, Ostfildern-Ruit 1993 (m. Abb. Nr. 10).
Christie’s, New York, Auktion Contemporary Art, 3.5.1995, Los 32, S. 70 (m. Abb. S. 71).
Ulrich Pohlmann, Eine andere Natur. Das Fotoarchiv des Künstlers von Barbizon bis Gerhard Richter, in: Jahrbuch 13, Bayerische Akademie der Schönen Künste, Bd. 1, München 1999, S. 432 (m. Abb. S. 433).
Rainer Unruh, Max Beckmann / Gerhard Richter, in: Kunstforum international, Jan./Feb. 1999, S. 366.
Dietmar Elger, Gerhard Richter. Maler, Köln 2002, S. 164.
Armin Zweite, Sehen, Reflektieren, Erscheinen. Anmerkungen zum Werk von Gerhard Richter, in: Ausst.-Kat. Gerhard Richter, K20 Grabbeplatz, Kunstsammlungen Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Düsseldorf 2005, S. 19-21 (m. Abb. S. 102).
Dietmar Elger (Hrsg.), Gerhard Richter. Landschaften, Ostfildern 2011 (m. Abb. S. 7).
Dietmar Elger, Das gemalte Foto. Gerhard Richter im Atelier, in: Gerhard Richter, Bilder einer Epoche, Ausst.-Kat. Bucerius Kunst Forum, Hamburg, München 2011, S. 68 (m. Abb. S. 128 u. S. 197).
Uwe M. Schneede, Kommentiertes Verzeichnis der ausgestellten Werke, in: Gerhard Richter. Bilder einer Epoche, Ausst.-Kat. Bucerius Kunst Forum, Hamburg, München 2011, S. 197 (m. Abb. S. 128 u. S. 197).
Francesco Zanot, Gerhard Richter, in: Walter Guadagnini (Hrsg.): Photography. From the Press to the Museum 1941-1980, Mailand 2013 (Abb. S. 219).
Gerhard Richter/Götz Adriani, Gerhard Richter 1962 bis 1969 (Interview), in: Die jungen Jahre der alten Meister. Baselitz – Richter – Polke – Kiefer, Staatsgalerie Stuttgart, 2019, S. 118.
Armin Zweite, Gerhard Richter. Leben und Werk. Das Denken ist beim Malen das Malen, München 2019, S. 224 (m. Abb. S. 224).
Almuth Spiegler, Spielfelder, in: art. Das Kunstmagazin, Oktober 2020, S. 33.

"Bilder mit landschaftlichen Motiven entstehen im Werk von Gerhard Richter seit mehr als 45 Jahren. In der 1962 begonnenen und seitdem konsequent geführten Werkliste treten sie bereits im folgenden Jahr als Darstellungen von 'Schloss Neuschwanstein'
[WVZ 8, Sammlung Frieder Burda, Baden-Baden] und als Ansicht der nächtlichen Hamburger Alster [WVZ 10] auf. Kein anderes Sujet hat Gerhard Richter ähnlich fasziniert und ihn über einen vergleichbaren Zeitraum beschäftigt. Dabei ist die Zahl der Landschaftsbilder eher gering geblieben. Ihre Bedeutung liegt vielmehr in ihrem herausragenden Stellenwert, den sie im Gesamtwerk beanspruchen, und in der Konsequenz, mit der Gerhard Richter sie immer wieder in einen intuitiven Dialog zu anderen Motiven und vor allem seinen abstrakten Bildern gestellt hat."
Dietmar Elger, Landschaft als Modell, in: Dietmar Elger (Hrsg.), Gerhard Richter. Landschaften, Ostfildern 2011, S. 17.

"Gerhard Richter [..] gilt [..] als der bedeutendste Maler der Nachkriegszeit, weltweit. Mehr als eine Million Menschen sahen seine jüngste Retrospektive, sein Werk wird von der Kunstgeschichte genauso gefeiert wie vom Kunstmarkt: Gemälde von Richter, vor allem frühere, erzielen zweistellige Millionen-Zuschläge auf internationalen Auktionen."
Catrin Lorch, Süddeutsche Zeitung, 18/19. Juni 2016, Nr. 139, S. 24.


Die "Vorgartenausstellung" in Wuppertal – Richters neuer Realismus

Legendär und für Richters Aufstieg als Maler in entscheidender Weise initiierend ist die als "Vorgartenausstellung" bekannt gewordene Präsentation im Garten der Wuppertaler Galerie Parnass, die spontan an einem kalten Februartag 1964 stattfand und für die Richter auch das Gemälde "Alster (Hamburg)" ausgewählt hatte. Der Galerist Rolf Jährling erinnert sich folgendermaßen: "1964 telefonierte eines Tages die Gruppe 'Kapitalistischer Realismus', also Fischer-Lueg, Richter und Polke, ob sie mal ihre Sachen zeigen könnten. 'Sicher', sagte ich, 'gerne!' Und wirklich schellte es wenig später, und sie standen nebst einem kleinen Lieferwagen mit Persenning [= wasserfeste Plane] vor der Tür. 'Kommen Sie doch mal raus', meinten sie". (zit. nach: https://zadik.uni-koeln.de/homepage/default.aspx?s=470). Gerhard Richter, Sigmar Polke, Konrad Lueg und Manfred Kuttner, damals noch Studenten an der Düsseldorfer Akademie, präsentierten ihre Gemälde an Bäume und Büsche gelehnt im verschneiten Vorgarten der Galerie. Jährling dokumentierte diesen kreativen Überfall der aufstrebenden, jungen Künstlergeneration mit seiner Minox-Kamera. Seine damaligen Aufnahmen zeigen auch Richters faszinierende Stadtansicht "Alster (Hamburg)". Sie basiert auf einem Ausschnitt aus einer im Oktober 1963 im Magazin Stern publizierten Fotografie. Dieser Ausschnitt ist heute neben anderen ikonischen Richter-Motiven Teil von Richters berühmter Vorlagensammlung "Atlas". Auf Tafel 10 sind hier neben der Vorlage für "Alster (Hamburg)" auch die Fotografie aus einer Kodak-Werbeanzeige aus dem Stern, welche Richter als Ausgangspunkt für sein berühmtes Schwarz-Weiß-Gemälde "Motorboot" (1965, als Leihgabe aus Privatbesitz in den Staatlichen Kunstsammlungen, Dresden) verwendet hat, sowie die grundlegenden Zeitungsausschnitte für das Fotogemälde "Bomber" (1963) oder "Mutter und Tochter (B.)" (1965) archiviert, das Brigitte Bardot mit ihrer Mutter zeigt. Die "Vorgartenausstellung" der jungen Düsseldorfer Maler hatte den Wuppertaler Galeristen Jährling überzeugt: Am 20. November 1964 widmete er diesen vielversprechenden jungen gegenständlichen Positionen unter dem Titel "Neue Realisten. Richter, Polke, Lueg" eine erste eigene Ausstellung. Bereits im Sommer 1964 wurde "Alster (Hamburg)" in München auf der ersten Einzelausstellung Richters "Gerd Richter. Fotobilder" in der Galerie Friedrich & Dahlem gezeigt. Neben dem wunderbar in Unschärfe entrückten Hamburg-Panorama waren dort auch weitere frühe Fotobilder wie "Tisch" (1962), "Schloss Neuschwanstein" (1963), "Kuh" (1964), "Bomber" (1963) und "Familie am Meer" (1964) zu sehen, welche sich heute alle im Besitz bedeutender internationaler Museen und Privatsammlungen befinden.

Die Fotogemälde – Perfekte Balance zwischen Schärfe und Unschärfe

Vor Richters erster Stadtansicht "Alster (Hamburg)", dem weiten, von abendlichem Leuchten erfüllten Hamburg-Panorama aus dem Jahr 1963, spürt man schnell, worin die herausragende Qualität von Richters Malerei liegt: Es ist die faszinierende Kombination aus Nähe und Distanz, die durch Richters einzigartige Maltechnik hervorgerufen wird. Richter verbirgt das zunächst in feinster Detailtreue auf die Leinwand Gebrachte sogleich wieder hinter einem zarten malerischen Schleier durch die gleichmäßige, sanfte Vermalung mit weichen Pinseln. Aber es ist nicht nur die technische Meisterschaft, die in "Alster (Hamburg)" überzeugt, sondern auch Richters sicherer Blick, mit dem er das zugrunde liegende Fotomaterial aus Printmedien und privaten Fotoalben sichtet und selektiert, und mit dem er letztlich auch den perfekten Bildausschnitt aus der Printvorlage auswählt. Gerade dieser Prozess lässt sich anhand der wunderbar kontrastreich geschilderten Stadtsilhouette von "Alster (Hamburg)" besonders gut nachvollziehen, da die am 27. Oktober 1963 im Stern publizierte Fotografie ein noch deutlicheres Panoramaformat aufweist. Richter wählt nur die rechte Bildhälfte als fotografische Basis für sein Gemälde aus, auf der die Äste der Bäume den Blick auf die Stadtsilhouette am anderen Alsterufer nur partiell freigeben.

Richter widmet sich hier ganz dem äußerst spannungsvollen Kontrast aus Vordergrund und Hintergrund, aus Licht und Schatten und einer durch die abstrakten Strukturen des Geästes teils verdeckten und damit auf zusätzliche Weise verschleierten Gegenständlichkeit. "Alster (Hamburg)" verbindet auf wunderbare Weise die gegenständlichen Elemente der Stadtansicht mit den abstrakt überlagernden Strukturen des Vordergrundes und nimmt somit bereits Elemente vorweg, die unter anderem in Landschaftsgemälden der späten 1990er Jahre, wie "Sommertag" (1999), Albertina, Wien), Wiederaufnahme finden und die letztlich auch für Richters abstraktes Spätwerk grundlegend sind. Richter sind durch den Einsatz verschiedenster Pinsel nicht nur feinste Übergänge, sondern sogar eine vollkommen homogene Bildoberfläche gelungen: "Ich verwische, um alles gleich zu machen, alles gleich wichtig und gleich unwichtig. Ich verwische, damit es nicht künstlerisch-handwerklich aussieht, sondern technisch, glatt und perfekt. Ich verwische, damit alle Teile etwas ineinander rücken. Ich wische vielleicht auch das Zuviel an unwichtiger Information aus." (Gerhard Richter, Notizen 1964/65, zit. nach: Gerhard Richter, Text, Köln 2008, S. 33). "Alster (Hamburg)" ist ein herausragendes Zeugnis von Richters künstlerischem Ringen um die perfekte Balance zwischen Schärfe und Unschärfe, zwischen fotorealistischer Perfektion und dem scheinbar zufälligen Prozess des nachträglichen Verwischens, der die gegenständliche Motivik hinter einem sanften Schleier verbirgt und dadurch jene einzigartige poetische Entrücktheit erzeugt, die Richters malerisches Schaffen auszeichnet.

Reine Malerei – Zur Bedeutung der Stadtansicht in Richters Werk
Richters entrückte Hamburg-Ansicht "Alster (Hamburg)" ist die erste Stadtansicht in Richters offiziellem Œuvre, das Richter erst mit dem nach seiner Übersiedlung nach Düsseldorf entstandenen Gemälde "Tisch" aus dem Jahr 1962 beginnen lässt. Richter hat bereits Mitte der 1950er Jahre sein Studium an der Hochschule für Bildende Künste in seiner Geburtsstadt Dresden mit einem Diplom in Wandmalerei abgeschlossen und arbeitet dort fortan als Meisterschüler, übernimmt Staatsaufträge der DDR. In dieser Zeit entstehen vorrangig Wandgemälde und ein heute nur noch in kleinen Teilen erhaltenes malerisches Frühwerk, das Richter rückblickend aus seinem offiziellen Œuvre ausgeschlossen hat. Unter diesen Arbeiten soll sich auch eine Stadtansicht von Dresden befunden haben. Der junge Kunststudent Richter muss sich bereits in Dresden geradezu zwangsläufig mit der kunsthistorischen Tradition der Vedutenmalerei auseinandergesetzt haben. Noch heute berühmt sind die panoramatisch angelegten und in altmeisterlicher Feinmalerei Mitte des 18. Jahrhunderts ausgeführten Dresden-Ansichten des venezianischen Malers Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, die in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden zu sehen sind. Der Vergleich mit Canaletto und der altmeisterlichen Tradition der Stadtansicht zeigt deutlich, wie Richter bei der Umsetzung dieses kunsthistorisch bedeutenden Sujets die Auseinandersetzung mit der Tradition sucht: Wie Canaletto wählt er den traditionellen Blick von der anderen Seite des Flussufers aus auf die Stadt, doch er überführt diesen zum einen durch die Verwendung einer Fotografie als Vorlage, die Reduktion auf schwarz-weiße Farbwerte, und zum anderen durch seine einzigartig zwischen Schärfe und Unschärfe oszillierende malerische Handschrift in eine äußerst moderne Bildsprache. Hinsichtlich der Verwendung von fotografischen Vorlagen greift sie zwar Elemente der amerikanischen Pop-Art auf, kommt jedoch zu einem vollkommen einzigartigen malerischen Ergebnis.

Mit seiner einzigartigen Arbeitsweise hat Richter die gegenständliche Malerei in einer Zeit neu erfunden, in der die abstrakte Kunst des Informel, von "ZERO" und der konkreten Kunst in Europa en vogue war und die schrille Plakativität der Pop-Art in Amerika anfing Aufsehen zu erregen. "Neue Realisten" ist deshalb der Titel der Ausstellung, die Rolf Jährling dem progressiven gegenständlichen Schaffen der jungen Düsseldorfer Kunststudenten Richter, Polke und Lueg im November 1964 widmet. Abgesehen von dem Gemälde "Verwaltungsgebäude" (1964), das sich heute als Teil der renommierten Fisher Collection im San Francisco Museum of Modern Art befindet, wendet sich Richter erst ab 1968 wieder dem Sujet der Stadtansicht zu. Ausgelöst wird dies durch den Auftrag der Siemens AG für das Gemälde "Domplatz, Mailand" (1968), das 2013 zum damaligen Weltrekordpreis in New York versteigert, heute den vierthöchsten Zuschlag für ein Richter-Gemälde auf einer internationalen Auktion hält.
Im Zuge der Beschäftigung mit diesem Gemälde entsteht auch die erste Serie der "Stadtbilder", für die Richter ein großformatiges Luftbildgemälde von Mailand in neun ausschnitthafte Einzelgemälde zerlegt. Weitere luftbildartige Ansichten von Madrid, München, Paris und Frankfurt folgen, die sich heute allesamt in bedeutenden internationalen Privat- und Museumssammlungen befinden und mit ihrem groben Duktus in Schwarz-Weiß die späteren Gebirgs- und Wolkenbilder und letztlich die grauen "Vermalungen" vorbereiten.

Gerhard Richter – Ein international gefeierter Ausnahmekünstler
Heute ist Gerhard Richter nicht nur hinsichtlich der kunsthistorischen Würdigung seines Schaffens, sondern auch durch die Erfolge auf dem internationalen Kunstmarkt mit einer Vielzahl von Superlativen verbunden: Er gilt als der bedeutendste deutsche Künstler, dessen beeindruckendes malerisches Werk seit Jahrzehnten größte internationale Anerkennung erfährt, zudem ist er einer der teuersten lebenden Künstler. 2020 widmete das Metropolitan Museum of Art in New York dem epochalen Schaffen des deutschen Ausnahmekünstlers die große Einzelausstellung "Gerhard Richter – Painting after all" (4. März bis 5. Juli 2020), welche ebenso wie die legendäre Retrospektive "Gerhard Richter. Forty Years of Painting" im Museum of Modern Art (2002) den großen Bogen von Richters schwarz-weißen Fotobildern hin zu seinen farbintensiven abstrakten Großformaten spannt. Auch mit Blick auf die Spitzenpreise für Richter-Gemälde zeigt sich das gleichwertige Nebeneinander seiner frühen gegenständlichen Fotovermalungen und seines späteren abstrakten Schaffens. In unserem kollektiven Gedächtnis ist der Name Gerhard Richter aber vor allem mit seinem gegenständlichen Frühwerk, wie etwa "Sekretärin" (1963, Staatliche Kunstsammlungen Dresden), "Motorboot" (1965), "Domplatz, Mailand" (1968), "Ema (Akt auf einer Treppe)" (1966, Museum Ludwig, Köln), und dem sogenannten RAF-Zyklus "Zyklus 18. Oktober 1977" (1988, Museum of Modern Art, New York) verbunden. In diesen fotobasierten Werken hat Richter nicht nur eine neue Gegenständlichkeit erfunden, sondern die deutsche Nachkriegsgesellschaft mit ihrer Zeitgeschichte oder – wie in den Stadtansichten – mit ihrer nationalen Identität konfrontiert. Richters erste Stadtansicht "Alster (Hamburg)" zählt zu diesem epochalen Frühwerk und war 2011 gemeinsam mit anderen Hauptwerken dieser Schaffensphase auf der großen, mit internationalen Leihgaben bestückten Überblicksschau "Gerhard Richter. Bilder einer Epoche" im Bucerius Kunst Form in Hamburg zu sehen. Auch wenn für Richter die jeweilige Motivik meist nicht mehr als der formale Ausgangspunkt, die materielle Basis seiner Malerei ist, so macht aber gerade diese jedes einzelne seiner frühen schwarz-weißen Fotogemälde zu einem unverwechselbaren Einzelstück. Einmal gesehen, geht einem der einzigartige sanfte Duktus und die gleißende Unschärfe dieses faszinierend entrückten, in sanftes Abendlicht getauchten Stadt-Panoramas "Alster (Hamburg)" nicht mehr aus dem Kopf. Qualitativ vergleichbare Gemälde aus dieser frühen und bedeutenden Werkphase Gerhard Richters befinden sich heute zum größten Teil in bedeutenden internationalen Privat- und Museumssammlungen. [JS]



22
Gerhard Richter
Alster (Hamburg), 1963.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 1.000.000
Ergebnis:
€ 2.105.000

(inklusive Aufgeld)