Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 124000020


124000020
Karl Hofer
Zwei Frauen am Brunnen, 1940.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 150.000 - 250.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Zwei Frauen am Brunnen. 1940.
Öl auf Leinwand.
Rechts unten monogrammiert (in Ligatur) und datiert. 102,5 x 78,5 cm (40,3 x 30,9 in).


• Hofers einzigartig entrückte Mädchenbildnisse gehören zu den eindringlichsten Schöpfungen des Künstlers.
• Einnehmende Visualisierung einer Stimmungshaltung, einer ausdrucksstarken Melancholie.
• Durch die Verbindung von Figurenporträts und weiter Landschaft sowie von Nacktheit und Verhüllung erhält die vielschichtige Komposition eine subtile Spannung.
• Hofers Inszenierung dieser rätselhaften Begegnung und seine verwendete Symbolik erlaubt politische, historische, biografische und ikonografische Deutungen und Assoziationen.
• Geschlossene Provenienz: direkt beim Künstler erworben.
• Seit drei Generationen Teil einer rheinischen Privatsammlung.
• 2022 Teil der viel besprochenen Ausstellung "Kunst für Keinen" in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main
.

PROVENIENZ: Privatsammlung Rheinland (1940/41 direkt beim Künstler in Berlin erworben).
Seitdem in Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Kunst für keinen, Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. Main, 4.3.-6.6.2022, S. 290 (m. Abb., S. 179).

LITERATUR: Karl Bernhard Wohlert, Karl Hofer. Werkverzeichnis der Gemälde, Bd. 2, Köln 2008, WVZ-Nr. 1482 (m. SW-Abb.).

"Es ist immer erfreulich, wenn sich eine Hofer-Arbeit, die man aus Gründen für kriegszerstört halten mußte, plötzlich als wohlerhalten erweist."
Karl Bernhard Wohlert, Werkverzeichnisverfasser, über die hier angebotenene Arbeit, Brief (privat) vom 21. Januar 2000.


Melancholie und "stille Schönheit". Hofers Figurengemälde

"Die große Leistung Karl Hofers liegt zweifelsohne im Figurenbild", schreibt Dr. Frank Schmidt, damaliger Direktor der Emdener Kunsthalle, 2012 im Katalog zur Ausstellung "Karl Hofer. Von Lebensspuk und stiller Schönheit" (S. 92).
Seine Gemälde werden oftmals dem expressiven Realismus zugeordnet, stehen in ihrer fast nüchternen Klarheit und geordneten Form sowie der darin enthaltenen Ruhe und Stille der Dinge der Kunst der Neuen Sachlichkeit sehr nahe. Mit den so zeitlosen, zurückgenommenen und doch anmutig-melancholischen Darstellungen gehört Karl Hofer zu den großen künstlerischen Einzelgängern des 20. Jahrhunderts. Die zumeist weiblichen Protagonisten zeigt der Künstler stets im Augenblick des Innehaltens, mit einer kaum bestimmbaren Empfindung, deren Quelle die Betrachtenden aufgrund der im Bild oftmals nicht ausgeführten Erzählung nicht ergründen können.

Entfremdung in Gesellschaft
In "Zwei Frauen am Brunnen" bringt Hofer zwei weibliche Figuren im charakteristischen "Hofer-Typus" mit mandelförmigen Augen, hellem Teint und spitz zulaufendem Kinn an einem Brunnen zusammen, der eigentlich ein verbindendes Element darstellt, von Hofer jedoch zum Aufzeigen einer Grenze verwendet wird: als optische, die Szene unterteilende und die Figuren voneinander trennende Barriere. Hofer rückt die Figuren nah an die vordere Bildgrenze heran, doch trotz der Enge und kompositorischen Nähe, in der sie sich befinden, ist kein Austausch, keine Kommunikation und kein Blickkontakt zwischen den Frauen auszumachen. Diese statuenhafte, emotionslose Regungslosigkeit bildet einen deutlichen Kontrast zu der subtil-erotischen Sinnlichkeit der fast entblößten, nahezu klassizistisch anmutenden Dargestellten rechts und der wiederum für diese Zeit sehr farbenfroh und modern bzw. spärlich, mit ärmellosem Oberteil bekleideten Frau links, die in selbstbewusster Haltung und kühlem Blick, in einem Bewegungsmoment erstarrt, demonstrativ an ihr vorbeischaut.

Rückgriff und Modernität
Hofers Œuvre offenbart ein breit gefächertes Interesse an der Kunst anderer Epochen, auf die er sich subtil, jedoch wiederholt bezieht. Das für seinen Figurenkanon so charakteristische Kopftuch mag an Pieter Bruegel d. Ä. erinnern, Hofers Briefleserinnen an Jan Vermeer und seine Tischgesellschaften rufen womöglich holländische Genrebilder in Erinnerung. In seinen kunsttheoretischen Schriften ist diesbezüglich von dem Begriff der "Selektion" die Rede: Hofer wählt ein kunsthistorisch tradiertes Motiv, folgt diesem jedoch nicht gänzlich, sondern macht es sich – wie in der hier angebotenen Arbeit – ganz und gar zu eigen. Mit formaler Reduzierung auf einzelne wesentliche Bildelemente, höchst modernen motivischen Akzenten und der Hofers Figuren intrinsischen In-sich-Gekehrtheit gelingt es dem Künstler, das Sujet in seine ganz eigene, zeitgenössische Bildsprache zu übersetzen und in eine allgemeingültige Darstellung zu verwandeln.
Der Künstler intendiert stets eine künstlerische Verallgemeinerung, die Darstellung einer allgemeingültigen Definition des Schönheitsbegriffs und eine malerische Visualisierung einer Stimmungshaltung: der ihm selbst so vertrauten Melancholie und Elegie dieser entbehrungsreichen Jahre.


Einem tragischen Schicksal entgangen

Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs kehrt Hofer 1939 aus dem Tessin, seiner damaligen Wahlheimat, nach Berlin zurück. Der Hintergrund unseres kurz darauf entstandenen Gemäldes stellt die zurückgelassene Tessiner Landschaft dar: Was nun bleibt, ist eine sehnsuchtsvolle malerische Rückschau in eine unwiederbringlich verlorene Vergangenheit. 1943 zerstören Bombenangriffe Karl Hofers Berliner Atelier und einen Großteil der darin befindlichen Bilder. "Zwei Frauen am Brunnen" gelangt jedoch kurz nach Entstehung (1940 oder 1941) in die Sammlung eines kunstinteressierten Düsseldorfer Industriellen und entgeht damit der Zerstörung. Der einstige Besitzer kommt Ende März 1945 gemeinsam mit seiner Frau durch eine Fliegerbombe ums Leben, das Gemälde jedoch verbleibt in den darauffolgenden 70 Jahren im Besitz der Familie. [CH]



124000020
Karl Hofer
Zwei Frauen am Brunnen, 1940.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 150.000 - 250.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.