Auktion: 555 / 19th Century Art am 08.06.2024 in München Lot 123001355


123001355
Carl Spitzweg
Die Scharwache, Um 1875-1880.
Öl auf Papier, kaschiert in Holztafel
Schätzpreis: € 70.000 - 90.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Die Scharwache. Um 1875-1880.
Öl auf Papier, kaschiert in Holztafel.
Links unten mit der Signaturparaphe. Verso nummeriert "103-707" und "582". 32,5 x 15 cm (12,7 x 5,9 in). Tafel: 35,2 x 17,6 cm (13,8 x 6,9 in).


• Ikonisches, atmosphärisches Nachtstück mit charakteristischen Figuren in typisch-verwinkelter Architekturkulisse
.

Wir danken Herrn Detlef Rosenberger, der das Werk im Original begutachtet hat, für die freundliche Auskunft.

PROVENIENZ: Privatsammlung Baden-Württemberg.

LITERATUR: Siegfried Wichmann, Carl Spitzweg. Verzeichnis der Werke. Gemälde und Aquarelle, Stuttgart 2002, WVZ-Nr. 1584 (m. Abb.).
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Auktionshaus Lempertz, Köln, Auktion 23.11.1977, Los 582 (m. Abb.).
Siegfried Wichmann, Carl Spitzweg und die französischen Zeichner, Ausst.-Kat. Haus der Kunst München, 1985, S. 370, Nr. 691 (m. Abb.), S. 496.
Siegfried Wichmann, Carl Spitzweg. Die Scharwache, ein nächtliches Thema. Dokumentation, Starnberg-München, R.f.v.u.a.K. 1990, S. 41, Bayerische Staatsbibliothek München, Inv.-Nr. Ana 656 SW 39.
Siegfried Wichmann, Kunst, Kosten und Konflikte, Frankfurt/Berlin 1991, S. 286f.
Siegfried Wichmann, Münchner Landschaftsmaler im 19. Jahrhundert, Meister Schüler Themen, Weyarn o. J., S. 210f., Nr. 463 (m. Abb.).
Siegfried Wichmann, Carl Spitzweg. Die Scharwache. Dokumentation, Starnberg-München, R.f.v.u.a.K. 2000, S. 32f., Bayerische Staatsbibliothek München, Inv.-Nr. Ana 656 SW 159.

Um 1850/55 beginnt sich Carl Spitzweg mit den Wachsoldaten zu beschäftigen, die in der Nacht in den kleinen deutschen Städtchen ihre sogenannte „Ronde“ ausführten. Die Hauptronde wurde vor Mitternacht gegangen, die zweite, sogenannte „Visitierronde“, danach, bestehend aus einem Hauptmann und einigen Bürgersoldaten. Das nächtliche Motiv wird zu einem der erfolgreichsten in Spitzwegs Œuvre, die „Mondschein Scharwache“ oder „Schaarwache“, eine davon mit dem Motto versehen „So ist, wenigstens für die heutige Nacht, die Ruhe gesichert – der Staat gerettet“ (zit. nach Siegfried Wichmann, Kunst, Kosten und Konflikte, Eigenhändiges Verkaufsverzeichnis Carl Spitzweg, Frankfurt/Berlin 1991, S. 319). Die Wachsoldaten gehen hervor aus den Bürger- und Landwehren, die Max I. Joseph als erster König Bayerns mit der Verordnung über die „Uniformierung und Organisierung des Bürgerlichen Militärs in den Städten, Flecken und Märkten des Königreichs betreffend“ fest etabliert. In ihr dienen oftmals altgediente Soldaten oder Invalide der Landwehr, die nicht mehr aktiv für kriegerische Konflikte herangezogen werden können und deswegen als Wachtposten für Ruhe und Ordnung sorgen. Spitzweg selbst hatte einige Kriege als Beboachter miterlebt, von Napoleon Bonapartes Untergang über den Angriff Preußens im Deutschen Krieg 1866 bis hin zum deutsch-französischen Krieg 1870/71. In den Städten studiert Spitzweg in seinen Skizzenbüchern Gruppen von Soldaten, oftmals beiläufig und von hinten betrachtet, wie als ob Zeichnen Militärangehöriger das Risiko birgt, für einen Spion gehalten werden zu können. Zu fünft schreitet hier eine Ronde die flachen Treppenstufen in die dunkle Gasse hinein, die sich in die Architekturkulisse hineinbahnt. Spitzweg schachtelt hier schräge Mauern, Stufen, Gesimse und Mauervorsprünge sowie den Durchblick des Torbogens wie in einer Theaterkulisse ineinander. Möglicherweise handelt es sich bereits um die zweite Runde nach Mitternacht: die zwei im Vordergrund noch gut erkennbaren Protagonisten der Szene scheinen müde zu sein, einer stützt sich trotz der flachen Stufen an der Mauer ab, der andere scheint bereits weißes Haar zu haben. Auch die Uniform ist altertümlich und verweist mit dem Zweispitz, dem blauen Rock und den weißen Lederstreifen für das Säbelgehänge auf Uniformen französischer Kompanien um 1800, die Max I. Joseph zum Vorbild nehmen ließ und die von vielen altgedienten Soldaten aufgetragen wurde. Spitzwegs Nachtlandschaft in der späteren Zeit bilden fast schon einen geschlossenen Zyklus, in denen das silbrige Blau, die entsättigten Farben eine besondere malerische Herausforderung darstellen. Die Beleuchtungsphänomene der Szenen im „blaulichtigen Abendschein“ (Eintragung in das Skizzenbuch 1868, zit. n. Siegfried Wichmann, Carl Spitzweg, Stuttgart 2002, S. 110) werden hier durch einen wohlgesetzten goldenen und einen silbrigen Akzent, links mit der Kugel und rechts mit der Laterne mit ausgebranntem Glühstrumpf, effektvoll ausgeschöpft. Anders als die Impressionisten und viele seiner Zeitgenossen sucht Spitzweg nicht nur das Tageslicht, sondern zeigt auch eine besondere Vorliebe für Nachtstücke, die mit einzigartiger Farbstimmung und ganz speziellem Figurenarsenal einher gehen. [KT]



123001355
Carl Spitzweg
Die Scharwache, Um 1875-1880.
Öl auf Papier, kaschiert in Holztafel
Schätzpreis: € 70.000 - 90.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.