Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 75


75
Robert Rauschenberg
Holy Lattice (Urban Bourbon), 1988.
Siebdruckfarbe und Acryl auf emailliertem Alumi...
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 254.000

(inklusive Aufgeld)
Holy Lattice (Urban Bourbon). 1988.
Siebdruckfarbe und Acryl auf emailliertem Aluminium. Unikat.
Links unten signiert und datiert. Verso von fremder Hand bezeichnet "RR.008" sowie "88.105". Mit Orig.-Aluminiumrahmen: 215,3 x 123,8 cm (84,7 x 48,7 in).
[AR].

• Eines der frühen Unikate aus der berühmten "Urban Bourbon"-Serie (1988–1996).
• Provokativer Clash von christlicher Ikonografie und indigener Popfigur, von naturbelassener Vegetation und menschengemachter Infrastruktur.
• Basierend auf Schwarz-Weiß-Fotografien des Künstlers, in farbigen Siebdrucken auf Aluminium transferiert und durch manuellen Farbauftrag individualisiert.
• Die Aufnahmen entstanden u. a. während des ROCI-Projekts in Chile und Kuba, mit dem Rauschenberg die Völkerverständigung durch kulturellen Austausch anstrebte.
• Äußerst vielschichtiges Werk, exemplarisch für Rauschenbergs großes, künstlerisches Repertoire.
• Weitere Arbeiten der "Urban-Bourbon"-Serie befinden sich in internationalen Museumssammlungen, darunter das Whitney Museum of American Art, New York, die Albertina in Wien, das Israel Museum, Jerusalem, das Kawamura Memorial Museum of Art, Tokio, das Los Angeles County Museum of Art oder das ZKM in Karlsruhe
.

Die Arbeit ist unter der Nummer "RRF 88.105" im Archiv der Robert Rauschenberg Foundation, New York, registriert.

PROVENIENZ: Privatsammlung Schweden (erworben über die Heland Wetterling Gallery).
Guy Pieters Gallery, Saint-Paul-de-Vence.
Privatsammlung Schweiz (2001 von Vorgenanntem erworben).

AUSSTELLUNG: Heland Wetterling Gallery, Göteborg, Sweden, Robert Rauschenberg: Skulpturer and Målningar, 6.10.-20.11.1988 (m. Farbabb.).

"Ich möchte die Leute wachrütteln. Ich möchte, dass die Leute das Material betrachten und darauf reagieren. Ihre individuelle Verantwortung möchte ich ihnen bewusst machen, sowohl für sich selbst wie für die übrige Menschheit."
Robert Rauschenberg, zit. nach: Armin Zweite (Hrsg.), Robert Rauschenberg, Düsseldorf 1994, S. 48.

Seit den 1950er Jahren hat der amerikanische Künstlers Robert Rauschenberg den Kunstbegriff in entscheidender Weise erweitert und mit seiner Experimentierfreude die Grenzen des Bekannten und Denkbaren neu definiert. Neben seinen frühen "Combines", die bekannt sind für die Integration dreidimensionaler Objekte in die Malerei, gelten auch seine "silkscreen paintings" als wichtige Errungenschaft eines neuen Kunstverständnisses. Ihre Entstehung geht auf einen Besuch Robert Rauschenbergs im Studio von Andy Warhol im Jahr 1962 in New York zurück. Dort beobachtet er, wie Fotografien im Siebdruckverfahren auf Leinwand übertragen werden, und adaptiert die Technik. Bereits zwischen 1962 und 1964 entsteht eine erste Gruppe von Arbeiten, die auf Abbildungen verschiedener Magazine wie National Geographic oder The Esquire zurückgreifen. Die auf Leinwand übertragenen Bildvorlagen überarbeitet Rauschenberg anschließend mit Ölfarbe, sodass nur einzelne Ausschnitte der Magazinbilder sichtbar bleiben. Die realen Ausschnitte existieren weiter, werden durch den künstlerischen Eingriff jedoch in einen neuen Kontext verschoben.

Auf dieser Methode basiert letztlich auch die "Urban Bourbon"-Serie aus der Zeit zwischen 1988 und 1996, deren Name sich von einer Anekdote ableitet. So soll die Verwendung von "Bourbon" auf eine Begegnung mit Willem de Kooning zu Beginn von Rauschenbergs künstlerischer Laufbahn im Jahr 1953 zurückgehen, als er den damaligen Star des abstrakten Expressionismus fragte, ob er sein Werk ausradieren dürfe. Das Ergebnis, Rauschenbergs "Erased de Kooning Drawing", machte den damals 27-Jährigen schlagartig bekannt. Als Dank für dessen Kooperation überreichte er Willem de Kooning eine Flasche Jack Daniel's, einen Bourbon. Das erste Wort der Werkserie, "Urban", ergibt in Kombination nicht nur einen Wortreim, wofür Rauschenberg eine Vorliebe hatte, sondern verweist wohl auch auf seine in den 1950er Jahren entwickelte Methode, Objekte des städtischen Umfelds in seine Arbeiten zu integrieren. Als Bildträger kommen hier allerdings unterschiedliche Arten von Metall zum Einsatz, die seit den 1980er Jahren die Leinwände ersetzen und mitunter direkt an die Wand montiert werden. Allein zwischen 1985 und 1995 schafft der hochproduktive Künstler zahlreiche Werkserien auf metallischen Bildträgern, wie Messing, Aluminium oder Kupfer, und experimentiert mit den chemischen Reaktionen industriell hergestellten Metalls. In "Holy Lattice" von 1988 ist diese Arbeitsweise deutlich erkennbar. Auch hier greift Rauschenberg mit seiner eigenen künstlerischen Handschrift ins Bildgefüge ein, setzt die maschinell reproduzierten Bilder in Kontrast zu ungewöhnlich zarter, gestischer Malerei und konfrontiert uns mit einem komplexen Gefüge visueller Reize.

In den 1980er Jahren dienen Robert Rauschenberg dabei vermehrt seine eigenen Erfahrungen als Ausgangspunkt. In "Holy Lattice" werden Schwarz-Weiß-Fotografien des Künstlers verwendet, die unter anderem 1984 und 1987 während des ROCI (Rauschenberg Overseas Culture Interchange)-Projekts in Chile und Kuba entstanden sind. Sie werden in Farben transferiert, die stark an die Landesflaggen der beiden Länder erinnern, die sich einst beide ihre Unabhängigkeit von Spanien erkämpften. In einer collageartigen Anordnung werden sie anschließend auf Aluminium übertragen. Dominiert wird die Arbeit von Jesus am Kreuz (Chile), ergänzt durch Abbildungen eines Elefanten unter Palmen (unbekannter Entstehungsort), sowie Nahansichten eines Baums (Kuba) und eines Hydranten (Kuba). Die über das Kreuz gedruckten, orangen Linien lassen schemenhaft eine weibliche Figur mit großen Ohrringen, einem Knochen im Haar und einem tragbaren Radio in der Hand erkennen, eine Art indigene Pop-Figur, deren Abbildung Rauschenberg in den Straßen von Chile aufgenommen hatte. Die zunächst willkürlich wirkende Auswahl an Abbildungen erweist sich bei genauerer Betrachtung, wie für Rauschenberg so typisch, schnell als "polyphones Geflecht formaler, ikonografischer und politischer Querverweise" (Ingo F. Walther (Hrsg.), Karl Ruhrberg, Kunst des 20. Jahrhunderts, Bd. I, Köln 2005). Sie lassen sich auf die Themen Religion sowie Natur und Menschen eingrenzen und sind im Kontext des ROCI-Projekts zu verstehen. Für das international ausgerichtete Projekt bereiste Rauschenberg zwischen 1984 und 1991 die Welt, mit dem Ziel der Völkerverständigung durch kulturellen Austausch. Die für "Holy Lattice" ausgewählten Bilder gewähren einen Einblick in die sozialpolitischen Gegebenheiten dieser Länder, zeigen Ausschnitte des täglichen Lebens, die aktuellen Veränderungen unterworfen sind, lassen die Natur mit menschengemachter Infrastruktur kollidieren und verschmelzen christliche Ikonografie mit kulturellen Stereotypen. So erschafft Rauschenberg ein dichtes Geflecht aus Anknüpfungspunkten, deren Verbindungen von eigenen Prägungen und Erfahrungen ergänzt werden und eine Vielfalt an Interpretationen zulassen.

Auch der Titel "Holy Lattice" muss in enger Verbindung mit dem Inhalt der Arbeit gelesen werden. Nicht nur übernimmt er einen Teil des englischen Begriffs "Holy Cross" und stellt einen Bezug zum religiösen Hauptmotiv her. Auch der zweite Teil, "Lattice", findet seinen Widerhall in der gitterartigen Struktur, den orangenen Linien und der vertikalen Linie des Kreuzes. Was im Visuellen beginnt, setzt Rauschenberg somit im Titel fort. Ein ständiges Spiel mit einer schier endlosen Fülle von Assoziationsebenen beginnt, die eine thematische Richtung vorgeben, konkrete Festlegung jedoch vermeiden. Nicht nur technisch, mit dem Rückgriff auf die Methode der "silkscreen paintings", sondern auch inhaltlich steht "Holy Lattice" aus der "Urban Bourbon"-Serie somit exemplarisch für Robert Rauschenbergs großes künstlerisches Repertoire und seine Fähigkeit, über die Transformation der Wirklichkeit, neue bisher nicht gekannte assoziative Räume zu erschaffen. "Ich möchte die Leute wachrütteln", hat Rauschenberg einmal gesagt, "ich möchte, dass die Leute das Material betrachten und darauf reagieren. Ihre individuelle Verantwortung möchte ich ihnen bewusst machen, sowohl für sich selbst wie für die übrige Menschheit." [AR]



75
Robert Rauschenberg
Holy Lattice (Urban Bourbon), 1988.
Siebdruckfarbe und Acryl auf emailliertem Alumi...
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 254.000

(inklusive Aufgeld)