Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 47


47
Albrecht Dürer
Melencolia I (Die Melancholie), 1514.
Kupferstich
Schätzung:
€ 150.000
Ergebnis:
€ 279.400

(inklusive Aufgeld)
Melencolia I (Die Melancholie). 1514.
Kupferstich.
Meder 75 2 b (von 2 f). Schoch/Mende/Scherbaum 71 II b (von II f). In der Platte monogrammiert und datiert sowie betitelt "Melencolia I". Auf leicht gräulichem Bütten (ohne Wasserzeichen). 23,7 x 18,7 cm (9,3 x 7,3 in). Papier: 27,7 x 22,6 cm (10,8 x 8,9 in).
Weitere Werke aus der Ahlers Collection werden in unserem Contemporary Art Day Sale am Freitag, den 8. Dezember, sowie in unserem Modern Art Day Sale am Samstag, den 9. Dezember 2023, angeboten (siehe Sonderkatalog "32 Werke aus der Ahlers Collection").

• Lebzeitdruck: Seltener früher Abzug des 2. Druckzustandes, vor den Kratzern im Oberschenkel und dem Ritz auf der Kugel.
• Dürers "Melencolia I" ist eine Ikone der Kunstgeschichte und eines der bekanntesten Kunstwerke weltweit.
• Druckgrafische Rarität. Fein ausdifferenzierter Abzug mit außergewöhnlich breitem Rand.
• Bis heute fesselt die Deutung der rätselhaften Ikonografie die internationale Forschung.
• Die "Melencolia I" gilt als eine spirituelle Selbstdarstellung Dürers.
• Weitere frühe Abzüge befinden sich u. a. in der Sammlung des Metropolitan Museum, New York, der Staatlichen Museen zu Berlin, dem Städel Museum, Frankfurt a. Main, und der Graphischen Sammlung, München.
• Aus der Ahlers Collection
.

PROVENIENZ: Privatsammlung Frankreich.
Galerie J. H. Bauer, Hannover (vom Vorgenannten).
Firmensammlung Ahlers AG, Herford (2006 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Schwarz auf Weiß. Druck-Graphik im Wandel der Zeit von Rembrandt bis Dieter Roth, Stiftung Ahlers Pro Arte / Kestner Pro Arte, Hannover, 28.9.2013-5.1.2014, S. 7 (m. Abb. S. 8).

LITERATUR: (in Auswahl, jeweils ein anderes Exemplar angebildet)
Erwin Panofsky, The Life and Art of Albrecht Dürer, New Jersey, 1945, S. 151-171.
J. Campbell Hutchison, Albrecht Dürer - A Biography, New Jersey, 1990, S. 104f., 114, 117f.
R. Schoch/M. Mende/A. Scherbaum, Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk, Bd. 1, München 2001, S. 179-184 (m. Abb.).
G. Bartrum, Albrecht Dürer and his Legacy, London 2002, S. 188 (Abb. 128).
P. Doorly, Dürer's Melencolia I: Plato's Abandoned Search for the Beautiful, in: Art Bulletin, Juni 2004, LXXXVI, S. 255-276 (Abb. 2).
J. Sander u.a., Dürer. Kunst - Künstler - Kontext, Ausst.-Kat., Städel Museum, Frankfurt a. Main, 2013/14, S. 262f. (Abb. 10.3).

"Dürers Stich "Melencolia I" ist das meist besprochene und kommentierte Werk der Kunstgeschichte. Er ist, wie Peter-Klaus Schuster formulierte, 'Das Bild der Bilder'."
R. Schoch/M. Mende/A. Scherbaum, Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk, Bd. 1, München 2001, S. 179.

"[..] Albrecht Dürer's Melencolia I (1514), a masterpiece of engraving whose imagery has fascinated artists, historians, scientists, and mathematicians for centuries."
The Metropolitan Museum of Art, New York, zit. nach:
https://www.metmuseum.org/blogs/now-at-the-met/2014/melencolia-i

"Einer seiner rätselhaftesten Drucke, Melencolia I, ist die Abbildung der intellektuellen Situation des Künstlers und, darüber hinausgehend, ein spirituelles Selbstportrait Dürers."

The Metropolitan Museum of Art, New York, zit. nach: https://www.metmuseum.org/de/art/collection/search/336228

Technisch meisterhaft und inhaltlich hochkomplex ist Albrecht Dürers "Melencolia I". Ein faszinierender Kupferstich, dessen rätselhafte Darstellung und technische Perfektion bis heute fesselt. Dürers "Melencolia I" gilt als das am meisten besprochene und kommentierte Werk der Kunstgeschichte. Vielfach in Kunstbüchern reproduziert, umgibt jedoch nur das Original jene fesselnde Aura, die sich aus der inhaltlichen Dichte und Rätselhaftigkeit in Kombination mit der unendlichen Feinheit und Plastizität der Liniatur des Tiefdrucks ergibt. Dürer hat in seiner "Melencolia I" eine technische Perfektion erreicht, die bereits die Zeitgenossen faszinierte. Er hat der harten Kupferplatte mit seinem Stichel eine Feinheit und sanfte Tonalität abgerungen, die in ihrer Tiefenwirkung und Stofflichkeit von malerischer Wirkung ist. Hellwach und glänzend weiß sind die Augen, mit denen die geflügelte Allegorie der Melancholie mit aufgestütztem Kopf sinnend vor sich hinblickt. Dunkel verschattet ist das Gesicht und von greifbarer Plastizität die Textur der Haare, Federn, und des Lorbeerkranzes. Auch das Fell des schlafenden Hundes hat Dürer im wahrsten Sinne des Wortes "haargenau" wiedergegeben und durch die verschiedenen Strichführungen und Linienstärken eine Stofflichkeit und haptische Präsenz der Flächen erreicht, die in der linearen Technik des Kupferstiches in dieser Qualität einmalig ist. Albrecht Dürer, der wohl international bedeutendste deutsche Renaissancekünstler, war Maler, Grafiker, Mathematiker und Kunsttheoretiker und beginnt sein Kunstschaffen ganz im Sinne der Renaissance nicht mehr nur als das Ergebnis eines handwerklichen Schaffensprozesses, sondern als die Essenz eines intensiven intellektuellen Schöpfungsaktes zu begreifen. Der Künstler ist vielmehr ein Wissenschaftler, der sich Kenntnisse in den verschiedensten Wissensbereichen wie Anatomie, Mathematik, Geometrie und Perspektive aneignen muss und in religiösen wie profanen Themen belesen sein soll. Die "Melencolia I" ist ein grafisches Meisterwerk, das wie auch die anderen beiden sogenannten Meisterstiche ("Der heilige Hieronymus" und "Ritter, Tod und Teufel") auf dem Höhepunkt von Dürers Schaffenskaft entstanden ist. Vermutlich haben wir es in diesen drei großformatigen Stichen, die Dürer zwischen 1513 und 1514 in seiner Nürnberger Werkstatt konzipiert und in minutiöser Detailarbeit auf der Kupferplatte umsetzt, mit Repräsentanten des tugendhaften Lebens zu tun, dem moralisch tugendhaften Ritter ("Ritter, Tod und Teufel"), dem theologisch tugendhaften Heiligen ("Der heilige Hieronymus") sowie der Darstellung der intellektuellen Tugendhaftigkeit in Form der hoch komplexen allegorischen Darstellung der "Melencolia I". Das im Mittelalter noch negativ beurteilte menschliche Temperament des Melancholikers erfährt in der neuplatonischen Literatur der Renaissance, Bezug nehmend auf eine Passage in den "Problemata" des antiken Philosophen Aristoteles (4. Jh. v. Chr.), eine positive Umdeutung. Dürer setzt diese erstmals bildlich um, indem er seine "Melencolia I" durch die Vielzahl der beigegebenen Attribute (Verweise auf die verschiedensten Wissenbereiche) als in hervorgehobener Weise intellektuell befähigtes Wesen inszeniert. Aristoteles nämlich hatte die für den bis heute nachwirkenden Geniekult des Künstlers grundlegende Frage aufgeworfen, warum alle hervorragenden Vertreter der Philosophie, Politik, Dichtkunst und der bildenden Künste Melancholiker gewesen seien, ein Gedanke, der von den Neuplatonikern in der Renaissance wieder aufgegriffen und in verschiedenen zeitgenössischen Schriften rezipiert wird. "Der im Mittelalter mit viel Skepsis betrachtete Melancholiker avancierte zur Genieklasse, der anzugehören sich viele, unter ihnen Dürer, Mühe gaben. Melancholie und Genialität bedingten sich nun wechselseitig. Mit Recht sprechen Forscher wie Schuster von einem 'versteckten Selbstbildnis' [..]" (R. Schoch/M. Mende/A. Scherbaum, Albrecht Dürer. Das druckgraphische Werk, Bd. 1, München 2001, S. 183). Dürer hat uns in dem Kupferstich der "Melencolia I" eine hochkomplexe autoreferenzielle Vorstellung des Künstlerdaseins hinterlassen, die für zahlreiche nachfolgende Künstlergenerationen und den bis heute nachwirkenden Geniekult des Künstlers prägend sein sollte. Dürers "Melencolia I" ist nicht nur Gegenstand einer schier endlosen Menge an wissenschaftlicher Literatur, sondern wird auch bis hin zu Thomas Mann und Günter Grass vielfach literarisch rezipiert.
Die bildliche Rezeption dieses Ausnahmewerkes setzt sogar bereits 1602 mit der fast zeitgenössischen Kopie von Johann Wiricx ein und wird für das moderne künstlerische Selbstverständnis und die künstlerischen Selbstdarstellungen bis heute in entscheidender Weise initiierend. Es überrascht also nicht, dass sich etwa Anselm Kiefer, der mystische Sinnsucher unter den Malern, fast 500 Jahre später in mehreren seiner Werke intensiv mit der Dürer'schen Motivik der "Melencolia I" auseinandergesetzt hat, und es belegt einmal mehr die qualitative Einmaligkeit von Dürers Schöpfung. Der vorliegende frühe, zu Lebzeiten Dürers hergestellte Abzug, ist darüber hinaus aufgrund seiner guten Erhaltung eine druckgrafische Rarität: Anders als die meisten Druckgrafiken der Zeit, wurde das vorliegende Blatt nicht auf die Plattenkante und damit bis an den Rand des Motives beschnitten, wie es ansonsten unter Grafiksammlern häufig üblich war. Damit ist er einer der äußerst raren Abzüge, der noch in einem solch "unberührten" Zustand erhalten ist. [JS]



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Albrecht Dürer
Melencolia I (Die Melancholie), 1514.
Kupferstich
Schätzung:
€ 150.000
Ergebnis:
€ 279.400

(inklusive Aufgeld)