Auktion: 525 / Evening Sale am 10.12.2021 in München Lot 200


200
Egon Schiele
Schlafendes Mädchen (Melanie Schiele), 1908.
Bleistiftzeichnung, aquarelliert
Schätzung:
€ 150.000
Ergebnis:
€ 193.750

(inklusive Aufgeld)
Schlafendes Mädchen (Melanie Schiele). 1908.
Bleistiftzeichnung, aquarelliert.
Rechts oben signiert und datiert. Verso von fremder Hand bezeichnet "Besitz Hayd". Auf bräunlichem Maschinenbütten. 22 x 30,2 cm (8,6 x 11,8 in), fast blattgroß. [EH].

• Frühe, wegweisende Arbeit aus dem Jahr 1908.
• Neuentdeckung aus dem Nachlass des Schiele-Freundes Karl Hayd.
• Egon Schiele überführt das Motiv der Danaë von Gustav Klimt in seine unverkennbare, expressive Formensprache.
• Jane Kallir widmet diesem neu entdeckten Blatt am 30.7.2021 einen eigenen Feed auf dem Instagram Account des KRI (Kallir Research Institute)
.

Mit einer Fotoexpertise von Jane Kallir, Kallir Research Institute, New York, vom 19. August 2021. Das Werk wird unter der Nummer D 196a in das Werkverzeichnis des Kallir Research Institute aufgenommen.

PROVENIENZ: Sammlung Karl Hayd, Linz (wohl 1908 direkt vom Künstler erworben-1945, verso mit der handschriftlichen Bezeichnung "Besitz Hayd").
Nachlass Karl Hayd, Linz (wohl Hedwig Hayd, ab 1945 durch Erbschaft).
Sammlung Joseph Drexel, Nürnberg (bis 1976).
Nachlass Joseph Drexel, Nürnberg.
Privatsammlung Süddeutschland (1976 vom Vorgenannten erworben).

LITERATUR: Jane Kallir, Newly discovered Schiele Drawing, in:kallirresearch, 30. Juli 2021 (www.instagram.com/tv/CR9cWVMFYs/?utm_medium=copy_link) [letzter Aufruf am 22.9.2021].

Die Zeichnung ist von außerordentlicher Präsenz. Mit wenigen Strichen markiert Schiele mit Blick von oben ein Gesicht, betont die Augenbrauen, fächert die Wimpern der geschlossenen Augenlider auf, skizziert Ohr, Nasenrücken und Mund, ordnet das volle Haar. Mit wenig Aquarell laviert der Künstler abschließend Haare und Gesicht, das auf den Fingern der linken Hand zu liegen kommt. Mit sparsamen Linien beschreibt Schiele die Körperlichkeit der mit einem Kleid bekleideten Frau, die seitlich mit angezogenen Beinen auf dem Bett – vielleicht ist es auch eine Couch – liegt und schläft. Es ist mehr als verblüffend, wie der junge Künstler eine ruhige, gleichsam Zärtlichkeit ausstrahlende Atmosphäre vermittelt, mit wenigen Details auskommt, etwa den Saum des Kleides oder die Riffelung der Strümpfe markiert, und dabei dennoch entschieden den Blick auf das schlafende Gesicht lenkt. Welch wunderbare Szene, die der junge, gerade 18-jährige Egon Schiele zeichnet. Wie ausgewogen und gekonnt er es bereits versteht, den Körper in seiner Fülle elegant auf das Blatt zu verteilen.

1906 beginnt der von seinem Kunstlehrer Ludwig Karl Strauch geförderte Schiele sein Studium an der Wiener Akademie der bildenden Künste. 1907, die Lehre an der Akademie wird ihm zu eng, bricht er förmlich aus und sucht den Kontakt zu Gustav Klimt, der ihm ein väterlicher Freund und Mentor ist. Er bezieht ein erstes eigenes Atelier in der Kurzbauergasse in der Leopoldstadt, unweit des Wiener Praters. Es folgen Ausstellungen mit Werken, die an Gustav Klimt erinnern. Klimt ist der erfolgreiche Star der Wiener Secessionsszene, sein dekorativer Jugendstil wird nicht nur von der Wiener Gesellschaft gefeiert. Und 1908 macht Schiele auch Bekanntschaft mit Oskar Kokoschka. Es wird nicht lange dauern, bis er und der etwas ältere Kokoschka die Malerei und vor allem die Linie der Zeichnung verändern: Sie wird direkter, rüder und aufgeladener bis zur gestenhaft provokanten Deformierung vorgetragen. Beide Künstler sind von unbändigem Gestaltungswillen besessen und überführen als Reaktion den Wiener Jugendstil in einen übertreibenden Expressionismus.

Die Zeichnung „Schlafendes Mädchen“ lässt die bevorstehenden Veränderungen des Künstlers erahnen, zeigt er hier doch neben der Art, wie er sein Modell mit feinen Linien inszeniert, sein eigenes inneres Empfinden. Somit sei spekulativ versucht, das schlafende Modell seinem engen Umfeld zuzuschreiben. Es bietet sich im Vergleich mit anderen, in diesem Zeitraum entstehenden Zeichnungen an, eine deutliche Verbindung zu seiner älteren Schwester Melanie Schiele zu sehen, die ihm hilfreich Modell steht, ebenso wie seine Mutter Marie und später seine jüngere Schwester Gertrud.

Bleibt noch etwas über die Provenienz zu berichten. Die Schiele-Expertin Jane Kallir, die diese Zeichnung "Schlafendes Mädchen" in das Werkverzeichnis aufnehmen wird, entziffert einen in Sütterlin geschriebenen Vermerk auf der Rückseite: „Besitz Hayd“. Karl Hayd, österreichischer Maler und Grafiker, besucht die Wiener Akademie von 1902 bis 1906 und wechselt zu weiteren Studien nach Prag. Nach seiner Rückkehr 1908 lernen sich Hayd und Schiele kennen und tauschen mehrfach Zeichnungen. Auf welchem Weg die Zeichnung in den Nachlass von Joseph Drexel gelangt, bleibt ungewiss; er hatte laut Kallir keinen Bezug zu Egon Schiele. [MvL]



200
Egon Schiele
Schlafendes Mädchen (Melanie Schiele), 1908.
Bleistiftzeichnung, aquarelliert
Schätzung:
€ 150.000
Ergebnis:
€ 193.750

(inklusive Aufgeld)