Auktion: 520 / Evening Sale am 18.06.2021 in München Lot 329


329
Gerhard Hoehme
James Joyce Epiphanie (Hommage), 1961.
Öl, Ölkreide und Papiercollage auf Leinwand
Schätzung:
€ 50.000
Ergebnis:
€ 75.000

(inkl. Käuferaufgeld)
James Joyce Epiphanie (Hommage). 1961.
Öl, Ölkreide und Papiercollage auf Leinwand.
Hoehme 61-19. Rechts unten signiert und datiert. Verso signiert, datiert, betitelt und mit Richtungspfeil. 99 x 80 cm (38,9 x 31,4 in).

• Herausragende Arbeit aus seiner besten Zeit.
• Die gestische Freiheit der skripturalen Chiffre zeigt deutliche Parallelen zum zeitgenössischen Schaffen Cy Twomblys.
• Eindrucksvolles Zeugnis von Hoehmes frühem Bestreben nach der Entgrenzung des Bildraumes.
• 1959 Teilnahme an der documenta II.
• Vergleichbare Gemälde befinden sich u. a. in der Nationalgalerie Berlin, dem Stedelijk Museum, Amsterdam, dem Sprengel Museum, Hannover, und der Staatsgalerie Stuttgart
.

PROVENIENZ: Privatsammlung Krefeld.
Galerie Gunzenhauser, München.
Sammlung Deutsche Bank (vom Vorgennanten erworben).

AUSSTELLUNG: Gegenwart bis 1962, Haus am Waldsee, Berlin, Kat.-Nr. 60, mit Abb.
Gerhard Hoehme 1950-1961, Kölnischer Kunstverein, Köln 1962, Kat.-Nr. 33, mit Abb.
Krefelder Privatsammlungen nach 1945, Museum Haus Lange, Krefeld 1964 (auf dem Keilrahmen mit dem Etikett).
Gerhard Hoehme, Haus am Waldsee, Berlin, Kat.-Nr. 39, mit S-W-Abb.

LITERATUR: Gerhard Hoehme, Städtische Kunstgalerie, Bochum 1964, mit S-W-Abb.
Gerhard Hoehme. Bilder, Städtische Kunsthalle, Düsseldorf, und Kunstverein Heidelberg, Stuttgart/Zürich 1979, mit S-W-Abb. S. 8.
"Wie beneide ich den Höhlenmaler der Vorzeit um seine Unbekümmertheit, um seine Unabhängigkeit von Flächen und begrenzendem Format!"
Gerhard Hoehme, 1957, zit. nach: G. Hoehme. Catalogue Raisonné, S. 506.

Basierend auf informellen Anfängen in den 1950er Jahren, entwickelt Hoehme in den kommenden Jahrzehnten ein ausgesprochen vielseitiges Werk, welches das Ergebnis eines steten künstlerischen Ringens um die Entgrenzung der Malerei von der Fläche ist. Bereits 1957 hat Hoehme sich zu diesem starken Verlangen folgendermaßen geäußert: "Den Gesetzen der Fläche bin ich immer nur widerwillig gefolgt. [..] Meine Sehnsucht war der weite Raum, der dritte, vierte, fünfte - nach oben, zur Seite, nach vorn, ja sogar nach hinten, aber ohne illusionistische Tiefe. Eines Tages spannte ich nicht mehr die Leinwand auf das Geviert des Keilrahmens, sondern ich ging den umgekehrten Weg: Mit einem großen Stück Malleinen verfügte ich über das Feld, auf dem sich die Geschehnisse abspielen sollten. [..]" (zit. nach: G. Hoehme. Catalogue Raisonné, S. 506). Gleich einer "Écriture automatique", eine durch den menschlichen Verstand weitestgehend unzensierte künstlerische Geste, legen sich in der lyrischen Komposition "James Joyce Epiphanie" skizzenhafte Elemente und Notizfragmente wie ein Vorhang aus skripturalen Chiffren über den malerischen Grund. Verkrustete Schichten aus Ölfarbe in erdiger Tonalität bilden die Basis für das sich fein darüberlegende Liniengewirr aus Ritzungen und Notizen in schwarzer und roter Ölkreide, die sich gleich einer Höhlenmalerei über die Fläche ausbreiten. Der irische Schriftsteller James Joyce übernimmt den Begriff der "Epiphanie", der ursprünglich aus dem religiösen Kontext stammt und die unmittelbare Offenbarung göttlicher Macht bezeichnet, als literarisches Stilmittel in seinem autobiografisch geprägten Bildungsroman "Porträt des Künstlers als junger Mann" (1914/15). Bei Joyce verliert der Begriff der "Epiphanie" zwar seine religiöse Bedeutung, aber nicht das ihm innewohnende metaphysische Momentum einer sich den Kriterien des menschlichen Verstandes entziehenden Inspiration. Hoehme muss sich also hinsichtlich seiner autoreferenziellen Überlegungen in Joyces Vorstellung vom Kunstschaffenden wiedergefunden haben, wonach es Aufgabe des Künstlers sei, diesen Augenblick und die Empfindung der Epiphanie zu registrieren und durch seine besondere Vorstellungskraft ein ästhetisches Bild derselben zu entwerfen. Letztlich also thematisiert Hoehme in "James Joyce Epiphanie" künstlerisch die zentrale Frage nach den geistigen Grundlagen des künstlerischen Schöpfungsaktes, nach Inspiration und der Genese der künstlerischen Idee, wie sie spätestens seit der frühen Neuzeit in den kunsttheoretischen Überlegungen zahlreicher Künstler von Bedeutung war. Aufgrund seiner selbstbezüglichen Thematik ist die vorliegende Arbeit ein herausragendes Beispiel aus Hoehmes kleiner Werkgruppe der Sprachbilder. Zudem zeigt die freie zeichnerische Geste, die sich in "James Joyce Epiphanie" aus jeglicher Lesbarkeit und Rhythmisierung befreit hat (vgl. ZU, 1960, Nationalgalerie Berlin) deutliche Parallelen zu den zeitgenössischen Schöpfungen Cy Twomblys. Im Zuge der gemeinsamen Ausstellung Rauschenbergs mit Arbeiten Twomblys in der Düsseldorfer Galerie 22 (1960) ergab sich ein Austausch zwischen Hoehme und dem Amerikaner, der das damals skripturale Schaffen Hoehmes weiter inspiriert und befruchtet hat. Die stilistische Nähe beider Künstler ist jedoch nur von kurzer Dauer: Hoehme wendet sich auf der Suche nach der maximalen Entgrenzung des Bildes bald Schnittmusterbögen und Schnurbildern zu, überwindet durch die Einbeziehung fremder Materialen und langer, die Leinwand in den Raum erweiternder PVC-Schnüre die traditionellen Grenzen der Malerei und hinterlässt ein ausgesprochen wechselvolles Œuvre, das jedoch immer von dem unbedingten Wunsch nach Entgrenzung getragen ist. [JS]



329
Gerhard Hoehme
James Joyce Epiphanie (Hommage), 1961.
Öl, Ölkreide und Papiercollage auf Leinwand
Schätzung:
€ 50.000
Ergebnis:
€ 75.000

(inkl. Käuferaufgeld)