Mit nur 17 Jahren verlässt der 1858 in Milwaukee geborene Carl von Marr, Sohn deutscher Auswanderer, Amerika, um in Europa seine künstlerische Ausbildung zu beginnen. Nach anfänglichen Studien in Weimar und Berlin zieht er 1877 in die zu der Zeit hochangesehene Kunststadt München und studiert an der Akademie, wo er nach Studienabschluss selbst als Dozent lehrt. Carl von Marr genießt bald großes Renommé in München des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Als Direktor der Kunstakademie, Präsident der Künstler-Genossenschaft und langjähriger Leiter der berühmten Glaspalast-Ausstellungen zählt er schließlich zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Jahrhundertwende. Neben an den Symbolismus angelehnten Motiven, mit denen er seinem Münchner Kollegen Franz von Stuck nahesteht, wird er zudem vor allem für seine Porträts der angesehenen Gesellschaft gefeiert. In vornehm-aristokratischer, abgedunkelter Tonalität schafft er Darstellungen von subtiler Eleganz, die durch die lockere und freie Pinselführung noch gesteigert wird. Seine Porträts faszinieren oft durch die in ihnen liegende Ambivalenz des Zeigens und Verbergens: so die leuchtende, transparent erscheinende Haut der Dargestellten, deren Blick in der Abwendung des Kopfes jedoch nach innen und auf sich selbst zurückfällt. Marr lässt so ein Mysterium um die junge Dame entstehen, das in den Betrachter:innen den Wunsch aufrechterhält, die Porträtierte möge den Kopf wenden, um einen Blick in ihre sicherlich wundervollen Augen zu erhaschen. Mit großer Kunstfertigkeit erzielt Marr eine faszinierende Spannung, die dem Werk seinen ganz besonderen Charakter in der Gattung des Porträts verleiht. [KT]