Auktion: 563 / Modern Art Day Sale am 07.12.2024 in München Lot 123001187

abbildung folgt


123001187
Georg Schrimpf
Ausschauende, 1932.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 80.000 - 100.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Ausschauende. 1932.
Öl auf Leinwand.
Links unten signiert und datiert. Auf dem Keilrahmen handschriftlich bezeichnet "Schrimpf Ausschauende 1932". 68 x 57 cm (26,7 x 22,4 in).
[SM].

• Neben Max Beckmann, Alexander Kanoldt, Christian Schad und anderen ist der Künstler sehr prominent vertreten auf der stilformenden Mannheimer Ausstellung "Deutsche Malerei seit dem Expressionismus. Die Neue Sachlichkeit", Mannheim 1925.
• Georg Schrimpf zählt in den 1920er und 1930er Jahren zweifellos zu den führenden Vertretern der Neuen Sachlichkeit.
• Mit seinen entrückten Frauenfiguren und einsamen Landschaften bedient sich Schrimpf retrospektiv bei Motiven der deutschen Romantik
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PROVENIENZ: Graphisches Kabinett Günther Franke, München (auf dem Keilrahmen mit dem Etikett und Stempel).
Privatsammlung München.
Privatsammlung Süddeutschland (durch Erbschaft vom Vorgenannten).

AUSSTELLUNG: Münchner Kunst. Sonderausstellung in der Neuen Pinakothek, Januar/Februar 1935, Kat.-Nr. 437 (m. Abb. S. 31).

LITERATUR: Wolfgang Storch (Hrsg.), Georg Schrimpf und Maria Uhden. Leben und Werk. Mit einem Werkverzeichnis von Karl Ludwig Hofmann und Christmut Praeger, Berlin 1985, Kat.-Nr. 1932/4.
Matthias Pförtner, Georg Schrimpf, Berlin 1940, Abb. S. 39.

"Was ich gerne möchte und schonlange verfolge, ist dies: klar, einfach und eindeutig zu sein."
Georg Schrimpf


Georg Schrimpf als Meister der seelischen Malerei

Kaum ein Künstler versteht es, seine wenigen Themen so mit melancholischen Emotionen zu beladen wie Georg Schrimpf. Als Einzelgänger und dennoch bestens mit der schreibenden Zunft seiner Zeit vernetzt, etwa mit Oskar Maria Graf, gelingt es ihm trotz vieler politischer Anfechtungen wie auch einschneidender privater Geschehnisse, sein Werk bestens da zu platzieren, wo es für sein künstlerisches Fortkommen wichtig ist. Vor allem in den 1920 und 1930 Jahren. "Nirgends ist das klarer als bei Georg Schrimpf", weiß der deutsche Journalist und Schriftsteller Richard Bie (Biedrzynski) 1930 zu berichten, "dessen klassische Werke am Beginn der Lebensreihe deutscher Maler der Gegenwart stehen. Georg Schrimpf kann zunächst als Widerstand gegen eine impressionistische Zeit des Kunstgeschmacks gelten. Impressionismus war der Widerschein einer farbigen Welt, einer pathetischen Oberfläche, hinter der sich die Natur verlor. […] Daher wird man für Georg Schrimpf und für den Kreis der deutschen Malerei der Gegenwart, der mit ihm auftritt, das bloße Schlagwort der "Sachlichkeit" ablehnen müssen. Die neue Sachlichkeit hat sich eine Zeitlang als revolutionäre Richtung gedacht. Sie ist alles andere als Revolution, als Aufstand, als Revolte, als Unordnung. Denn sie ist in ihrer Tiefe wahre Zucht und natürliche Bestimmung des Menschen. […] Man hat mit Recht daran erinnert, daß die Bilder von Georg Schrimpf ihr Vorbild im Cinquecento, der italienischen Malerei des sechzehnten Jahrhunderts, haben. Das trifft die seelische Bedeutung dieser Werke. Dass aber Georg Schrimpf die Natur für sich hat, bildet seine Größe." (Richard Bie, Der sachliche Kreis. Georg Schrimpf, in: ders., Deutsche Malerei der Gegenwart, Weimar 1930, S. 10ff.).

Formung in Richtung der "Neuen Sachlichkeit"
Dem 1899 in München geborenen Schrimpf gelingt 1916 mit der Aufmerksamkeit des Berliner Kunsthändlers Herwarth Walden ein entscheidender Schritt in Richtung Anerkennung. Sein Engagement für die noch 1918 in Berlin gegründete Künstlervereinigung "Novembergruppe", die sich als radikal und politisch versteht und nach dem mörderischen Stellungskrieg den 'neuen Menschen' propagiert, formt seine Malerei in Richtung "Neue Sachlichkeit". Dieser Terminus findet freilich erst 1925 mit der legendären Ausstellung in der Mannheimer Kunsthalle seinen festen Platz in der Beschreibung der Moderne. Seine entrückten Frauenfiguren und einsamen Landschaften entlehnt Schrimpf retrospektiv von den Nazarenern, jener romantisch-religiösen Kunstrichtung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Und auch die deutsche Romantik, speziell Figuren-Motive eines Philipp Otto Runge etwa, findet Eingang in Schrimpfs Malerei. Ebenso das Motiv der Rückenfigur, wie wir sie aus dem Werk von Caspar David Friedrich kennen, oder jener 'berühmte' Blick durchs offene Fenster, ein intimes malerisches Motiv des frühen Realismus in Deutschland.
Justus Bier, amerikanischer Kunsthistoriker und von 1930 bis 1936 Direktor der Kestner Gesellschaft in Hannover, verantwortet im Jahr 1933 die 126. Ausstellung der Kestner-Gesellschaft "Neue deutsche Romantik" mit Werken von Alexander Kanoldt, Franz Radziwill, Georg Schrimpf und Albert Renger-Patzsch. Bier beschreibt deren künstlerische Quelle als die der romantischen Schule des frühen 19. Jahrhunderts. "Wenn Schrimpf über seine künstlerischen Absichten äußert", so Bier, dann "'was ich gerne möchte und schonlange verfolge, ist dies: 'klar, einfach und eindeutig zu sein (und dazu gehört auch dieselbe menschliche Voraussetzung)‘, so ist das eine Äußerung, wie sie ähnlich auch Runge oder Friedrich getan haben könnte." (Justus Bier, in: Neue deutsche Romantik, 126. Ausstellung der Kestner-Gesellschaft, 1933)

Schrimpf ein Romantiker?
Ist Georg Schrimpf 1933 ein Romantiker? 1925 ist der Künstler sehr prominent neben Max Beckmann, Alexander Kanoldt und anderen auf der Mannheimer Ausstellung "Deutsche Malerei seit dem Expressionismus. Die Neue Sachlichkeit" vertreten. Der Direktor der Mannheimer Kunsthalle, Gustav F. Hartlaub, setzt für die Kunst der Weimarer Republik den Begriff "Neue Sachlichkeit" durch und fasst darunter verschiedene realistische Positionen wie Verismus und Klassizismus. Noch im selben Jahr macht der in München lebende Kunsthistoriker und Künstler Franz Roh einen Alternativvorschlag. Er veröffentlicht das Buch "Nach-Expressionismus – Magischer Realismus: Probleme der neuesten europäischen Malerei", das sich der Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg widmet. Roh fällt es nicht leicht, einen alles verbindenden Namen für die neuen Tendenzen zu finden: Er verwirft die Bezeichnungen "idealer Realismus", "Verismus" und "Neuklassizismus" und entscheidet sich chronologisch für "Nachexpressionismus", um die zeitliche Abhängigkeit zu beschreiben. Schließlich wählt er auch noch die schwer definierbare Formulierung "Magischer Realismus", um die Vielfalt der aktuellen figürlichen Malerei zusammenzufassen. Mit der Konzentration auf gegenständliche Positionen, seien sie nun realistisch oder magisch, wird jedoch auch ein großer Teil der Kunst der Zeit ausgeblendet.
Für das Werk von Georg Schrimpf begeistert sich Franz Roh immer wieder in Aufsätzen und Rezensionen und bemerkt 1927 zu dem Gemälde "Am Morgen" im Kunstblatt: "Wie groß und einfach ist das alles aufgebaut, ein Menschenkleid zum Beispiel kann kaum einfacher gestaltet werden. Was alles ist da 'weggelassen'. Wie einfach schon die Sacherfindung, wo nichts zu einer Erzählung oder Anekdote abbröckelt, wo alles zum ruhenden Existenzbild, beinah zum Symbol versteinert. Aber nicht die alte, vorexpressionistische Monumentalisierung, soweit sich diese zu blaßer Flächigkeit verflüchtigte. Trotz Rückführung auf einfachste Gestalt, überall strenge Raum- und Sachwirklichkeit." (Franz Roh, Am Fenster, in: Das Kunstblatt 1927, H. 11, S. 42).

Stiller Protest in den besten Bildern Schrimpfs
Schon 1924, geschrieben für ein geplantes Buch über Georg Schrimpf, sieht Franz Roh in dessen Bildern einen "Idealismus der Güte mit einem Realismus gewissenhafter Erfahrung. […] Andererseits aber malt er nie vor dem Modell, auch wenn mit mikroskopischer Genauigkeit geschildert wird. Alles muß aus der Erinnerung, aus der inneren Formenvorstellung hervorgehen, um sich erst von hier aus, aber nun unerbittlich bis ins Kleinste, mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen. Schlechte Realismen reproduzieren mehr die Natur, als daß sie sie produzieren. Die besten Bilder Schrimpfs sind stiller Protest nach mehreren Seiten hin: Sie wollen weder eine nackte, abstrakte Ordnung (Kubismus), noch gar einen kosmischen Wirbel (Futurismus), noch an Objekt und Materie kleben (Realismus des 19. Jahrhunderts). […] Schrimpfs Bilder stiften tiefen Frieden zwischen beiden Welten, ohne eine zarte Spannung, die zwischen diesen Sphären stets bestehen bleiben soll, austilgen zu wollen. […] Die stoische Regungslosigkeit der reiferen Bilder will kundtun, daß die Wesen eben nicht in Qual geraten, wenn sie eingehen in diese kühlen, zart gespannten Kurven. Eine Quelle war für Schrimpf zunächst der Kubismus. Ferner die italienische Malerei bis zur Renaissance. Kaum aber Henri Rousseau, so sehr er in vieler Hinsicht als unbewußter Begründer der neuen Sachlichkeit gepriesen werden muß." (Franz Roh, zit. nach: Georg Schrimpf und Maria Uhden. Leben und Werk, Berlin 1985, S. 142f.).

Von der Neuen Sachlichkeit zur "entarteten" Kunst
1932 veranstaltete Günther Franke im Graphischen Kabinett eine Einzelausstellung, die erste seit zehn Jahren in München. Der Kunsthistoriker und Publizist Hans Eckstein notierte in der Zeitschrift "Kunst und Künstler": "Unter den Malern der sogenannten Neuromantik erfreut sich Schrimpf seit längerem besonderer Anerkennung – mehr noch im Norden als im Süden Deutschlands, dessen Landschaften, Menschen und Lebensarten dem Künstler und seinem Werk eng verbunden sind. Diese Verbundenheit ist erst recht sichtbar geworden, nachdem Schrimpf sich von dem Manierismus abgekehrt hat, womit er der expressionistischen Kunstmode opferte und ihr Opfer wurde. Der heutige Schrimpf ist echter; ja er ist ganz echt."

Georg Schrimpf zählt in den 1920er und 1930er Jahren zweifellos zu den führenden Vertretern der Neuen Sachlichkeit. Er wird dem Verismus zugerechnet und in einem Atemzug genannt mit Künstlern wie Christian Schad und Georg Scholz. Die Nationalsozialisten betrachten das Werk von Georg Schrimpf zunächst als eine zeitgenössische Sicht auf die deutsche Romantik, nehmen von dieser positiven Einschätzung aber wieder Abstand, als die 'rote' Vergangenheit des Künstlers bekannt wird; Schrimpf ist für kurze Zeit Mitglied der KPD. Auch seine Stellung als außerordentlicher Professor an der Hochschule für Kunsterziehung in Berlin, die er erst 1933 angetreten hatte, wird ihm entzogen. Und 1937 werden auch seine in musealem Besitz befindlichen Werke als "entartete" Kunst beschlagnahmt. Georg Schrimpf stirbt am 19. April 1938 in Berlin. [MvL]



123001187
Georg Schrimpf
Ausschauende, 1932.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 80.000 - 100.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.