Lexikon
Historismus

Der Begriff Historismus bezeichnet in der Kunstgeschichte im weiten Sinn den Rückgriff auf ältere Stile, wie es beispielsweise bereits in der Renaissance im Hinblick auf die Rezeption der Antike erfolgt war. Im engeren Sinn versteht man unter Historismus den Stilpluralismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Anschluss an das Biedermeier, der durch die Verwendung früherer Stilformen eine Reihe so genannter Neostile (unter anderem Neorokoko, Neogotik, Neorenaissance und Neobarock) hervorbrachte. Wurden verschiedene historische Stilelemente an einem einzigen Bauwerk eingesetzt, so spricht man auch von Eklektizismus.
War der Historismus zunächst negativ konnotiert, da man in der bewussten Stilnachahmung ein Zeichen mangelnder Kreativität sah, so wird das Phänomen heute unter Bezug auf originelle Syntheseleistungen, ein nationales Geschichtsbewusstsein und ein ausgeprägtes Interesse am europäischen christlichen Mittelalter als selbständiger Stil ausgedeutet.
Hauptträger des Historismus ist die Architektur, wo alte Stile entsprechend der Funktion des Gebäudes ausgewählt und instrumentalisiert wurden: Gerne verwendete man für Wohnhäuser gotische Elemente, Kulturinstitutionen wie Theater und Museen hingegen wurden im Stil der Neorenaissance errichtet; für Bürgerhäuser und Hotels favorisierte man den repräsentativen Neobarock. In England entwickelte sich mit den Viktorianischen Stilen ein Historismus eigener Prägung, zugleich war hier die Neogotik bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts in Mode gekommen.
Die Maler des Historismus bevorzugten Historienszenen und orientierten sich an der Malweise alter Meister. Bereits bei den Nazarenern finden sich historisierende Tendenzen, zogen sie doch aus der Kunst der Gotik und der Renaissance wichtige Impulse. Eine eigene Gruppierung sind auch die Präraffaeliten, die sich in besonderem Maße auf die italienische Malerei des 14. und 15. Jahrhunderts und auf die Kunst der Nazarener beriefen. Zum Historismus sind die Werke von Künstlern aus dem Kreis der Münchner Schule zu rechnen, zu dem unter anderem Franz von Defregger, Wilhelm von Diez, Franz von Lenbach und Carl Theodor von Piloty gehörten, sowie Werke der Deutschrömer, unter ihnen Arnold Böcklin, Anselm Feuerbach und Hans von Marées.
Im Bereich des Kunsthandwerks sind der Altdeutsche Stil, der unterschiedliche Stilformen mischte, und der Makart-Stil hervorzuheben.