Auktion: 498 / Kunst des 19. Jahrhunderts am 18.07.2020 in München Lot 554

 

554
Franz von Stuck
Judith und Holofernes, Um 1927.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 40.000
Ergebnis:
€ 81.250

(inkl. Käuferaufgeld)
Judith und Holofernes. Um 1927.
Öl auf Malpappe.
Vgl. Voss Nachtrag 17. Links unten signiert. Verso handschriftlich nummeriert. 46 x 44 cm (18,1 x 17,3 in).

• Bedeutendes Motiv des Symbolismus
• Charakteristische Arbeit aus dem Spätwerk Franz von Stucks
• Einblick in den Schaffensprozess des Künstlers
.

PROVENIENZ: Aus dem Nachlass des Künstlers.
Sammlung Mary Heilmann-Stuck und Albert Heilmann, München (durch Erbschaft vom Vorgenannten).
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München, als Hinterstellung aus Privatbesitz von Konsul Heilmann.
Bergungsdepot Höglwörth (1944-1946, Nr. 30 auf der „Hinterstellungsliste“ der BStGS).
Central Collecting Point, München (1946-1948, verso mit der „München-Nr." 26179).
Mary Heilmann-Stuck und Albert Heilmann, München (1948 vom Vorgenannten zurückerhalten).
Galerie Brigantine 1900, München (aus Familienbesitz der Vorgenannten).
Privatsammlung Süddeutschland (2005 vom Vorgenannten erworben).

LITERATUR: Claudia Gross-Roath, Das Frauenbild bei Franz von Stuck (Diss. Bonn 1998), Weimar 1999, S. 269f.
Thomas Raff, Christliche Themen im Werk Franz Stucks, Ausst.-Kat. Franz-von-Stuck-Geburtshaus Tettenweis, 2005/06, S. 28-31, 66 (mit Abb.).

Stuck nimmt sich hier eines traditionsreichen und faszinierenden Motivs der Kunstgeschichte an. Unser Werk zeigt den Moment, kurz bevor Judith das Schwert ergreift und zum tödlichen Hieb ausholen kann gegen den ihr im Schlafe ausgelieferten feindlichen Heerführer Holofernes. In völliger Entspanntheit liegt dieser vor ihr nackt auf dem Bett. Ihren ebenfalls nackten Körper zeigt Stuck in gespannter Dynamik: Die gegenläufige Drehung des Körpers lässt bereits die schicksalhafte Bewegung vorausahnen. Das bedrohliche Halbdunkel der in blutrot und schwarz gehaltenen Szenerie sowie die Nacktheit der beiden Figuren suggeriert eine vorangegangene erotische Begegnung und weist ebenso auf die unmittelbar bevorstehende Gewalttat. Der für Stucks Spätwerk so charakteristische Farbkontrast von Rot und Blau und die vorherrschende dunkle Tonalität - koloristisch bereichert mit grün-violetten Farbtönen - erzeugen eine intensive Farbigkeit. Orientalisierender Luxus wird in den aus der Dunkelheit schimmernden goldenen Reflexen des kostbaren Schmucks der beiden angedeutet. Die summarische Fassung der Figuren lässt vermuten, dass es sich um eine Kompositionsskizze Stucks handelt, der sich dem Thema der Judith insgesamt ca. sieben Mal in verschiedenen Variationen unterschiedlicher Ausführungsgrade widmet (eine ähnliche zeigt die beiden Aktmodelle ohne motivspezifische Ausschmückung, Stadtmusem München). In diesen kompositorischen Varianten inszeniert Stuck kunstvoll jeweils unterschiedliche Momente in der Dramaturgie der Erzählung und der psychologischen Charakterisierung. So hält er noch 1926 Judith im Augenblick der Macht mit dem Schwert in der Hand fest (Staatliches Museum, Schwerin). Unsere Version behandelt dagegen einen früheren Moment der Geschichte und zeigt Judith interessanterweise vor der Tat und ihrem Triumph. Seit dem Mittelalter dient das Motiv immer wieder der Inszenierung der ebenso heroischen wie grausamen Tat; Maler des Barock wie Caravaggio und Artemisia Gentileschi zeigen den blutigen Moment der gewalttätigen Enthauptung. Am Ende des 19. Jahrhunderts hat sich jedoch die Perspektive auf die Figur grundlegend geändert. Nicht unwesentlichen Einfluss auf diese Umdeutung hat hierbei die literarische und musikalische Beschäftigung mit dem Thema, allen voran Friedrich Hebbels Theaterstück von 1840. Anders als in der biblischen Erzählung findet hier sehr wohl eine erotische Begegnung statt, wobei Judith Opfer ihres eigenen Begehrens wird. Sie tötet Holofernes aus Rache für die von ihr empfundene weibliche Schwäche, als ihr die Gefühle für den sie rücksichtslos unterwerfenden Mann bewusst werden. Darüber hinaus verschmilzt in der Malerei die im biblischen Geschehen ihrer tugendhaften Pflichterfüllung verschriebene Judith zusehends mit ihrer typologischen Gegenfigur des Neuen Testaments, der verführerischen Salome, deren Tanz vor Herodes die Enthauptung Johannes des Täufers veranlasst. Sie dient Stuck 1906 ebenso als Motiv lasziver Bewegung (Lenbachhaus, München). Judith und Salome verbinden sich im Archetyp der nymphomanischen Femme fatale des Fin de Siècle, der für den Mann schicksalshaften Frauengestalt. Diese bereitet dem Mann mit ihrer erotischen Verführungskraft zwar Vergnügen, wird aber auch zum ihn überwältigenden Verhängnis, im Œuvre Stucks präsent in der Form biblischer und mythologischer Gestalten wie Eva, Medea, Helena sowie der männerverschlingenden Sphinx. Zur Ikone werden jedoch vor allem die Figuren von Salome und Judith, die auch Gustav Klimt 1901 malt (Belvedere, Wien). Herausgelöst aus der biblischen Erzählung und ohne religiösen Gehalt zeigt dieser sie als Typus der Verführung, wobei er sich deutlich an Stucks „Sünde“ von 1893 orientiert. Von Stuck sogar auf seinen Künstleraltar im Atelier erhoben, wird deutlich, wie sehr die entfesselte erotische Triebkraft um 1900 auch als Antrieb künstlerisch-schöpferischer Betätigung verstanden wird. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema zeigt, wie tradierte Männer- und Frauenbilder sich im Wandel befinden und Kräfteverhältnisse sich neu zu ordnen beginnen. Ständige dynamische Machtverschiebungen zwischen Mann und Frau im Geschlechterkampf bilden auch im Werk Stucks einen kontinuierlichen psychologischen Unterton. Die Judiths und Salomes dienen zwar gemeinhin nach wie vor als Projektionsfläche männlicher erotischer Fantasien, zum anderen bergen sie aber auch (bedrohliches) emanzipatorisches Potenzial selbstbestimmter weiblicher Sexualität außerhalb gesellschaftlich vorgegebener Rollen als dienende Ehefrau und Mutter. Unser Werk ist Teil der malerischen Auseinandersetzung mit diesem ebenso reichen wie grundlegenden, sich über Jahrhunderte immer wieder wandelnden Motiv in der Kunstgeschichte; zugleich trägt es den persönlichen Charakter von Stucks Schaffensprozess. In der Aktualisierung von Tradition zeigt sich Stucks Vermögen, das Vergangene mit dem Zeitgenössischen zu verbinden, durch das auch seine Judith zum Symbol gesellschaftlichen Wandels wird. [KT]



554
Franz von Stuck
Judith und Holofernes, Um 1927.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 40.000
Ergebnis:
€ 81.250

(inkl. Käuferaufgeld)