Auktion: 424 / Klassische Moderne am 11./13.06.2015 in München Lot 214

 

214
Alexej von Jawlensky
Ohne Titel, Fragment (Stillleben mit grünem Reiter), 1908/09.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 350.000
Ergebnis:
€ 500.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Ohne Titel, Fragment (Stillleben mit grünem Reiter). 1908/09.
Öl auf Malpappe, auf Karton aufgezogen.
Jawlensky Bianconi Nachtrag Band 3 CR (2257v). 26,2 x 40 cm (10,3 x 15,7 in).
Das Werk ist die ursprüngliche Rückseite der auch in der Auktion angebotenen Arbeit "Teller mit Äpfeln" von 1932. Die Komposition wurde 2005 freigelegt und die Malpappe gespalten. [KD/ATh].
Wichtiges Frühwerk, Vorstudie zu dem Gemälde "Stillleben mit weißem Pferd" von 1912.
Wir danken Frau Angelica Jawlensky-Bianconi, Alexej von Jawlensky-Archiv S.A., Locarno, für die wissenschaftliche Beratung.

PROVENIENZ: Sammlung Dr. Bernward Talleur, Hofheim im Taunus (seit 1938/39, direkt vom Künstler unter Vermittlung von Hanna Bekker vom Rath erworben).
Privatsammlung, Hofheim im Taunus (seit 1965 durch Erbschaft).
Privatsammlung Deutschland.

LITERATUR: Angelica Jawlensky Bianconi, Zur Spaltung der Kartonbildträger Alexej von Jawlenskys, in: Alexej von Jawlensky-Archiv AG, Locarno (Hrsg.), Forschungsbeiträge zu Leben und Werk Alexej von Jawlenskys (Reihe Bild und Wissenschaft Bd. 3), Locarno 2009, S. 145-161, hier S. 145, 147, 149, 155f., 158-161, Farbabb. 5-7.
Nathalie Bäschlin, Alexej Jawlenskys Grüner Reiter – ein Kommentar aus restaurierungsethischer Sicht, in: Alexej von Jawlensky-Archiv AG, Locarno (Hrsg.), Forschungsbeiträge zu Leben und Werk Alexej von Jawlenskys (Reihe Bild und Wissenschaft Bd. 3), Locarno 2009, S. 162-169, Farbabb. 2, 3.
Bruno Glaus, Die Spaltung von Werken und die Veränderung im Kontext, in: Alexej von Jawlensky-Archiv AG, Locarno (Hrsg.), Forschungsbeiträge zu Leben und Werk Alexej von Jawlenskys (Reihe Bild und Wissenschaft Bd. 3), Locarno 2009, S. 170-175, hier S. 170.
Axel Müller, Kunstwissenschaftliche Analyse des Bildes "Grüner Reiter" bzw. "Stillleben mit grünem Reiter" (1909) von Alexej von Jawlensky, ohne Datum [2006], Alexej von Jawlensky-Archiv.

In den Anfangsjahren oszilliert die Malerei von Jawlensky zwischen verschiedenen Auffassungen, die sich deutlich auch in der Anwendung der Maltechniken unterscheiden. Von einem farbgesättigten Spätimpressionismus über Einflüsse von Cézanne und van Gogh bis hin zu einem mehr formalen Bildaufbau dokumentieren Arbeiten, die in dieser Zeit entstehen, den suchend-schöpferischen Weg, auf dem sich der Künstler befindet. Jawlensky nimmt viele Anregungen auf, verwirft sie teilweise wieder und findet so zu dem ihm eigenen Malstil, der ihn als Maler der Avantgarde zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts einzig und unverwechselbar macht. In dieser Zeit entsteht auch unser Werk, dessen reine Flächenmalerei von einer Beeinflussung durch die Murnauer Künstler zeugt. Die schwarzen Konturen, die sich auch im Schaffen von Kandinsky und Münter wiederfinden, haben ihren Ursprung in der bäuerlich-naiven Hinterglasmalerei des Voralpenlandes. Die kleinen Objekte der Stillleben, hier ist es ein Reiter, stammen aus den zusammengetragenen Zeugnissen eben dieser Volkskunst, die in besonderer Gunst von Münter steht. In der stark flächenhaft aufgebauten Komposition ist bereits der Versuch Jawlenskys erkennbar, sich von den Vorbildern zu lösen, um in einer reinen Farbflächenmalerei zu dem ihm eigenen Stil zu finden.

Ein Werk wird entdeckt
Erst seit wenigen Jahren ist unser Werk bekannt. Viele Jahrzehnte bleibt es unter dem grauen Anstrich auf der Rückseite des "Tellers mit Äpfeln" (Kat. Nr. 215) verborgen. Die wohl eigenhändige Überstreichung erfolgt gemäß eines schwer lesbaren Schweizer Zollstempels eventuell noch vor 1911, wahrscheinlicher erst vor 1914 (Jawlenskys Ausreise in die Schweiz) und nach 1912 ("Stillleben mit weißem Pferd"). Mutmaßlich ist zu diesem Zeitpunkt die damalige Rückseite bereits neu bemalt, denn unter dem "Apfelstillleben" befindet sich ein unbekanntes früheres Werk Jawlenskys.
Was der dünne Anstrich auf der Rückseite der Malpappe schon dem bloßen Auge verrät, wird 2005 Gewissheit: In der Restaurierungs-Werkstatt des Frankfurter Städel-Museums wird unser Bild entdeckt und freigelegt. Es erscheint ein bislang völlig unbekanntes Werk aus Jawlenskys intensiver Murnauer Zeit. Wenige Monate später erfolgt, ein vom Künstler selbst für einige Pappen vorgesehenes Verfahren, die Spaltung des Bildträgers. Auch wenn dieser Weg zu unserem Bild umstritten ist, tritt dadurch doch eine Arbeit zutage, die einen spannenden Einblick in Jawlenskys frühe Stilentwicklung gibt.

Stilsuche und Stillleben
Unsere nachträglich "Grüner Reiter" betitelte Ölskizze gehört zur Gattung des Stilllebens. In diesem Rahmen sucht Jawlensky schon seit 1907, ebenso wie viele internationale Avantgardisten, gezielt nach neuen Kompositionsstrukturen.
In unserem Werk findet er zu starker Abstraktion: Die Raumperspektive ist ganz aufgegeben, die Form deutlich vereinfacht, eingefasst von starken, schwarzen Linien und mit intuitiven Pinselhieben gefüllt. Kontrastreiche Farben auf ungrundierter Pappe gliedern die Bildfläche mit starker Hand.
Diese Reduktion auf das Wesentliche spiegelt wider, wonach Jawlensky in diesen Jahren auf verschiedenen Wegen sucht: nach der "Synthese", nach dem Kern und Extrakt des Dargestellten. Mit dieser an Gauguins "Synthetismus" anknüpfenden Idee beeinflusst er auch seine Künstlerfreunde Münter und Kandinsky.
"Grüner Reiter" - "Weißes Pferd"
1912 erinnert sich Jawlensky an seine (zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht überstrichene) Komposition: Im "Stillleben mit weißem Pferd" greift er das Motiv nun erneut auf. Er übersetzt sie zugleich in eine stilistisch anders geartete, mehr expressive denn abstrakte Szenerie.
Aus dem Vergleich wird deutlich, dass der "Grüne Reiter" auf eine Ikone oder ein Hinterglasbild zurückgeht, vielleicht auf ein Werk aus Jawlenskys eigener Volkskunst-Sammlung. Wahrscheinlich handelt es sich um den hl. Georg, den Schutzpatron Moskaus - und Murnaus.
Ein expressiver Reiter
Dieses Motiv bleibt bei Jawlensky die absolute Ausnahme. Im Murnauer Kreis aber spielt es eine herausragende Rolle. Besonders Kandinsky setzt den Reiter als dynamisches Symbol des Aufbruchs zu einer neuen Kunst ein, schon zur Gründungszeit der NKVM und auch später im "Blauen Reiter". In dieser drängenden Figur personifiziert sich die Kunsttheorie des Kreises: der Sieg des "Geistigen in der Kunst" über den Materialismus.
So ist es sicher kein Zufall, dass Jawlensky sich gerade 1912 an seinen "Grünen Reiter" erinnert, im großen Jahr des "Blauen Reiters". Unser Bild darf wohl in diese Ideenkreise eingegliedert werden.



214
Alexej von Jawlensky
Ohne Titel, Fragment (Stillleben mit grünem Reiter), 1908/09.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 350.000
Ergebnis:
€ 500.000

(inkl. Käuferaufgeld)