Auktion: 386 / Moderne Kunst am 10.12.2011 in München Lot 24

 
Ernst Ludwig Kirchner - Hugo Biallowons


24
Ernst Ludwig Kirchner
Hugo Biallowons, 1916.
Holzschnitt
Schätzung:
€ 10.000
Ergebnis:
€ 12.500

(inkl. Käuferaufgeld)
Holzschnitt.
Dube H 277 I (von II). Schiefler H 582. Rechts unten signiert (stark verblichen), rechts unten bezeichnet Handdruck (stark verblichen). Im Druckstock betitelt "Hugo B". Auf weichem Velin. 46 x 33,7 cm (18,1 x 13,2 in). Papier: 56,5 x 41 cm (22,2 x 16,1 In).
Dube beschreibt nur ein Exemplar. In öffentlichem Besitz ist von diesem Zustand nur ein Exemplar im Museum of Fine Arts, Boston, und eines im Coninx-Museum, Zürich, bekannt. Außerordentlich seltenes Exemplar des 1. Zustandes vor der Fortführung der Schrift nach dem Tod Hugo Biallowons.

Wir danken Herrn Prof. Dr. Günther Gercken für die wissenschaftliche Beratung.
Wir danken Herrn Prof. Dr. Dr. Gerd Presler für die wissenschaftliche Beratung.

Nach dem Abschluss eines Architekturstudiums in Dresden, während dem Ernst Ludwig Kirchner Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff kennenlernt und mit diesen bereits künstlerisch zusammenarbeitet, entscheidet sich Ernst Ludwig Kirchner gegen den Wunsch seines Vaters ganz für die Malerei. Der intensive Austausch der vier Freunde führt 1905 zur Gründung der Künstlergemeinschaft "Die Brücke". Die Künstler beginnen mit den "Viertelstundenakten", den Zeichnungen nach Aktmodellen im Atelier oder in der Natur. Die Gruppe orientiert sich zunächst an Künstlern des Spätimpressionismus. Die Entdeckung der Fauves, der Südsee-Kunst und van Goghs führt die Maler zum Expressionismus. Infolge der Begegnung mit der Kunst der italienischen Futuristen verändert sich der Malstil der Gruppe um 1910, er wird "härter". Ernst Ludwig Kirchner studiert die Plastik im Dresdner Völkerkundemuseum und haut und schneidet unter diesem Eindruck eigene Holzplastiken. 1911 übersiedelt Kirchner nach Berlin. Die Großstadt bietet ihm eine Fülle neuer Motive, die er in vereinfachten, scharf konturierten Formen, expressiven Zügen und grellen Farbkontrasten umsetzt. Diese Großstadtbilder werden zu Inkunabeln des Expressionismus und machen Ernst Ludwig Kirchner zu einem der bedeutendsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die folgenden Jahre bedeuten einen Wendepunkt in Kirchners Leben.

Ernst Ludwig Kirchner lernt den Forstaufseher und Tänzer Hugo Biallowons (1879-1916) 1914 als engen Freund des Archäologen und Kunsthistorikers Botho Graef kennen. Schon im selben Jahr gestaltet er das Gemälde "Porträt Hugo" (Gordons 415). Hugo Biallowons steht Ernst Ludwig Kirchner auch für das Motiv "Tänzer zwischen zwei Frauen" (vgl. Gordons 443) mehrfach Modell (vgl. Die Maler der Brücke. Sammlung Hermann Gerlinger, hrsg. von Heinz Spielmann, Stuttgart 1995, S. 264, Abb. 382). Ein von Kirchner aufgenommenes Foto von Botho Graef und Hugo Biallowons zeigt die beiden vor dem Bild "Badende im Raum" (Ernst Ludwig Kirchner 1880 - 1938, Ausst.Kat. Berlin/München/Köln/Zürich 1980, S. 70, Abb. 71). Der frühe Kriegstod Hugo Biallowons bei Verdun 1916 erschüttert Kirchner sehr. Er setzt ihm mit dem vorliegenden Holzschnitt ein eindringliches Denkmal. Unser Holzschnitt geht zurück auf ein Blatt im Skizzenbuch von 1914 (Presler Skb 39, siehe: Die Maler der Brücke. Sammlung Hermann Gerlinger, hrsg. von Heinz Spielmann, Stuttgart 1995, S. 263, Abb. 379). Es zeigt das klar geschnittene Gesicht in Frontalansicht. So ist durchaus ein früherer Entstehungszeitpunkt für den ersten Zustand des Holzschnittes denkbar. Unser erster Druckzustand zeigt Hugo Biallowons vor weitgehend dunklem Hintergrund. Der spannungsreiche, klare Blick des Dargestellten findet sich gerade in diesem Druckzustand verstärkt wieder. Im zweiten Zustand setzt Kirchner den Porträtierten in den Rahmen der Uniform und vervollständigt die Schrift zu dem Satz "Hugo Biallowons fiel für uns 9. Juli 1916".

Die Kriegsereignisse und der Militärdienst stürzen Kirchner in existenzielle Angst, führen letztlich zu Krankheit und langen Sanatoriumsaufenthalten. Um so bemerkenswerter ist seine künstlerische Produktion in dieser Zeit. Es entstehen Werke wie der Holzschnitt "Frauen am Potsdamer Platz", die "Bilder zu Chamissos Peter Schlemihl", die Selbstporträts und Holzschnittbildnisse aus den Sanatorien, die zu den Höhepunkten seines Œuvres zählen. 1917 lässt sich Ernst Ludwig Kirchner in Frauenkirch bei Davos nieder. Den Großstadtbildern folgen nun Gebirgslandschaften und Darstellungen ländlichen Lebens. Daneben entsteht ein bedeutendes grafisches Werk in Form von Holzschnitten, Lithografien und Federzeichnungen. 1923 zieht Ernst Ludwig Kirchner in das "Haus auf dem Wildboden" am Eingang zum Sertigtal, wo er bis zu seinem Freitod im Jahr 1938 lebt und arbeitet. [EH].




24
Ernst Ludwig Kirchner
Hugo Biallowons, 1916.
Holzschnitt
Schätzung:
€ 10.000
Ergebnis:
€ 12.500

(inkl. Käuferaufgeld)