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436
Gabriele Münter
Stilleben mit Kasperltheater, 1917.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 80.000 Ergebnis:
€ 95.250 (inklusive Aufgeld)
Stilleben mit Kasperltheater. 1917.
Öl auf Malpappe.
Links unten signiert. Verso mit dem Nachlassstempel. 37 x 34,5 cm (14,5 x 13,5 in). [EH].
• Aus dem für die Malerin privat wie beruflich so bewegenden Jahr 1917.
• In diesem Stillleben wird Gabriele Münters ganz persönliche Lebenswelt erfahrbar.
• Arbeiten aus dieser Schaffensphase befinden sich bspw. im Nationalmuseum in Oslo, im Cleveland Museum of Art in Ohio und in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München.
• Mit diesem Sujet erreicht die Künstlerin in der skandinavischen Schaffensphase (1915–1920) ihr Ziel einer künstlerischen Neuorientierung hin zu größerer Vereinfachung der Form und einer helleren, klareren Farbigkeit.
• Seit über 40 Jahren Teil derselben Privatsammlung.
Mit einer schriftlichen Bestätigung der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München, vom 8. August 2023. Die Arbeit wird in das Werkverzeichnis der Gemälde von Gabriele Münter aufgenommen.
PROVENIENZ: Aus dem Nachlass der Künstlerin (verso mit dem Stempel).
Kunsthandel München/Campione d’Italia.
Galleria Henze, Campione d’Italia (vom Vorgenannten erworben).
Privatsammlung Bayern (1979 vom Vorgenannten erworben).
Seitdem in Familienbesitz.
"Dann fängt sie das ein, was uns anderen entgeht und was zu still ist, um gesagt zu werden."
Gregor Poulsson über Gabriele Münters Malerei, in: Stockholms Dagblad, 20.10.1916, zit. nach: Ausst.-Kat. Gabriele Münter, München/Frankfurt a. Main/Stockholm 1992, S. 73.
"Ich stellte die Welt dar, wie sie mir wesentlich erschien."
Gabriele Münter rückblickend 1948, Beitrag für die Zeitschrift "Das Kunstwerk", zit. nach: Karoline Hille, Gabriele Münter. Die Künstlerin mit der Zauberhand, S. 12.
Öl auf Malpappe.
Links unten signiert. Verso mit dem Nachlassstempel. 37 x 34,5 cm (14,5 x 13,5 in). [EH].
• Aus dem für die Malerin privat wie beruflich so bewegenden Jahr 1917.
• In diesem Stillleben wird Gabriele Münters ganz persönliche Lebenswelt erfahrbar.
• Arbeiten aus dieser Schaffensphase befinden sich bspw. im Nationalmuseum in Oslo, im Cleveland Museum of Art in Ohio und in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München.
• Mit diesem Sujet erreicht die Künstlerin in der skandinavischen Schaffensphase (1915–1920) ihr Ziel einer künstlerischen Neuorientierung hin zu größerer Vereinfachung der Form und einer helleren, klareren Farbigkeit.
• Seit über 40 Jahren Teil derselben Privatsammlung.
Mit einer schriftlichen Bestätigung der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München, vom 8. August 2023. Die Arbeit wird in das Werkverzeichnis der Gemälde von Gabriele Münter aufgenommen.
PROVENIENZ: Aus dem Nachlass der Künstlerin (verso mit dem Stempel).
Kunsthandel München/Campione d’Italia.
Galleria Henze, Campione d’Italia (vom Vorgenannten erworben).
Privatsammlung Bayern (1979 vom Vorgenannten erworben).
Seitdem in Familienbesitz.
"Dann fängt sie das ein, was uns anderen entgeht und was zu still ist, um gesagt zu werden."
Gregor Poulsson über Gabriele Münters Malerei, in: Stockholms Dagblad, 20.10.1916, zit. nach: Ausst.-Kat. Gabriele Münter, München/Frankfurt a. Main/Stockholm 1992, S. 73.
"Ich stellte die Welt dar, wie sie mir wesentlich erschien."
Gabriele Münter rückblickend 1948, Beitrag für die Zeitschrift "Das Kunstwerk", zit. nach: Karoline Hille, Gabriele Münter. Die Künstlerin mit der Zauberhand, S. 12.
Vom Staffelsee in die Schären: Umzug und Umbruch
Gabriele Münters nahezu fünf Jahre überdauernde Zeit in Skandinavien unterscheidet sich sowohl in privater als auch künstlerischer Hinsicht deutlich von den vorherigen glücklich-unbekümmerten Jahren in Murnau vor dem Ersten Weltkrieg. Zum einen erfolgt nun der endgültige Bruch mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Wassily Kandinsky, zum anderen vollzieht sich in ihrem Werk ein deutlicher stilistischer Wandel. Dieser verhilft ihr auch in Skandinavien zu größerer Bekanntheit, erfolgreichen Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen. So findet im Frühjahr 1918 bspw. ihre bis dahin größte Einzelausstellung in "Den Frie Udstilling" in Kopenhagen mit größtenteils neuen, in Skandinavien entstandenen Arbeiten statt, die täglich mehr als 600 Besucher verzeichnet.
Im Frühjahr 1915 hatte die Künstlerin ihre Wohnung in der Ainmillerstraße in München aufgelöst, um nach kurzen Aufenthalten in Berlin und Kopenhagen schließlich nach Stockholm überzusiedeln. Im politisch neutralen Schweden erhofft sie sich angesichts des lodernden Ersten Weltkriegs häufigere Treffen mit Kandinsky, der zu dieser Zeit in Moskau lebt. Zudem lebt die Schwägerin ihres Berliner Galeristen Herwarth Walden in Skandinavien und bietet Münter damit einen willkommenen, fast familiären Anlaufpunkt. In Stockholm gelingt es ihr erstaunlich schnell, Fuß zu fassen und in der dortigen Kunstwelt wichtige Kontakte zu knüpfen. "Mir scheint so was schönes, famoses sympathisches wie Stockholm habe ich noch nicht gesehen. Wie von einem besseren Stern“, notiert die Malerin an ihrem ersten Abend in Stockholm (zit. nach: Karoline Hille, Gabriele Münter. Die Künstlerin mit der Zauberhand, S. 137). Es entstehen Freundschaften zum Malerehepaar Sigrid Hjertén und Isaac Grünewald sowie anderen schwedischen Maler:innen. Münter kann mehrere Einzel- und Gruppenausstellungen für sich und auch für Kandinsky organisieren, während ihre Werke in Berlin auch weiterhin in der renommierten Galerie "Der Sturm" gezeigt werden.
Die in Schweden und Dänemark lebenden und arbeiten jungen Maler:innen, auf die Gabriele Münter in diesen Jahren trifft, stehen damals unter dem großen Einfluss von Henri Matisse und der zeitgenössischen französischen Malerei. Viele sind nach ihren Lehrjahren an der Académie Matisse in Paris mit ihren Eindrücken der französischen Moderne gerade nach Skandinavien zurückgekehrt, wo sich nun ein sogenannter dekorativer Expressionismus durchsetzt. In diesen Kreisen lernt Münter nun die schwedische Sprache, die sie im Lesen und Schreiben bald nahezu fehlerlos beherrscht, und beschäftigt sich unter anderem auf ausgedehnten Reisen bis nach Nordschweden mit der schwedischen Kultur.
Von der Marienstatuette zum Dalapferd. Gabriele Münters leidenschaftliches Interesse für die Volkskunst
Kandinsky entwickelt bereits in Russland ein großes Interesse für volkstümliche Kunst. Er bringt eine in Münters Gemälden mehrfach dargestellte Madonnenfigur mit Kind und Krone mit Doppelkreuz mit nach Deutschland. In den darauffolgenden Jahren spielt die Volkskunst aufgrund ihrer Naivität und Ursprünglichkeit, der oftmals kräftigen Farbigkeit sowie der einfachen, schlichten Formensprache auch in den Bestrebungen der Künstler:innen des "Blauen Reiters" – bspw. Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin – und auch in Gabriele Münters Malerei eine wichtige Rolle. Die Volkskunst wird fortan zu einem Markenzeichen ihrer Stillleben und Interieurszenen. In Murnau entdecken Münter und Kandinsky die regionale Hinterglasmalerei und beginnen zudem, volkstümliche Plastiken, zeitgenössische Krippenfiguren, Kruzifixe, Marienstatuen, Votivtafeln sowie Holz- und Tonspielzeug zu sammeln. Obwohl Gabriele Münter sicherlich nur einzelne wenige Objekte mit nach Skandinavien nimmt, zeigt sich in der hier angebotenen Arbeit ein kleines strahlend-hellblaues Holzspielzeug, das sich bei näherer Betrachtung als das erzgebirgische Kasperletheater aus Gabriele Münters und Wassily Kandinskys privater Sammlung herausstellt (um 1900, heute Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München). Links im Bild ist vermutlich ein sog. Schnurvogel, ein Kinderspielzeug, zu erkennen: ein bunter Vogel mit Papierfedern und Papierschwanz, der mit einer Schnur an einem Stab befestigt ist und an diesem geschwungen werden kann.
Ganz so, als wolle sie auch motivisch eine Brücke zwischen ihren Schaffensjahren in Deutschland und Skandinavien schlagen, ist in unserem Gemälde neben dem deutschen Holzspielzeug auch der Kopf eines kompakten, weißen, bemalten Holzpferdes zu erkennen. Dabei handelt es sich um ein traditionelles schwedisches Dalapferd (Dalahäst) aus Kiefernholz, das bis heute und bereits seit dem 17. Jahrhundert in der Provinz Dalarna hergestellt wird. Heute sind die Pferde traditionell rot gefärbt, doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind die Pferde meistens weiß, mit in traditioneller Kurbitsmalerei aufgemaltem Sattel und Zaumzeug. Das Pferd findet sich erstmals im Frühjahr 1916 in einem von Münters Gemälden und zeigt sich in den darauffolgenden Jahren und sogar nach Münters Rückkehr nach Deutschland in weiteren Gemälden, Zeichnungen und einer druckgrafischen Arbeit.
Die hier angebotene Komposition vervollständigt Münter mit imaginativem Einfallsreichtum und kompositorischer Raffinesse mit einer größeren grünen Vase mit über das Arrangement ragenden, zu geometrischen Formen stilisierten Blättern am rechten Bildrand. Am linken Bildrand ist ein über die Höhe des Bildes gestreckter, nicht näher zu deutender Gegenstand mit bunter Vogelfigur zu sehen. In der Mitte des Tisches zeigt sich außerdem eine kleine blaue Kugelvase mit einem Strauß weißer Blumen und ein weiteres, ganz im Schatten gezeigtes Gefäß, in dem sich womöglich ein Sortiment unterschiedlicher Pinsel befindet und damit auf ihre Tätigkeit als Malerin hinweist.
Der Eindruck von zusammenhangslos nebeneinander platzierten Gegenständen bestätigt sich nach eingehender Betrachtung nicht, vielmehr handelt es sich hierbei um eine sorgfältig entworfene, raffinierte Komposition. Die skandinavischen Stillleben haben nichts mehr von den doch vergeistigten Madonnen-Darstellungen der Murnauer Jahre. Die Künstlerin nutzt das Stillleben nun gekonnt, um ihre weiterentwickelten und erneuerten künstlerischen Ziele zu formulieren: Sie verwendet helle, strahlende Farben, eine einfache, nahezu geometrische Formensprache, deutlich stärkere, dunkle Konturen und eine besonders geschwungene, dekorative Linienführung, die sich auch in weiteren Stillleben und Interieurszenen dieser Jahre wiederfindet (Abb.).
Vom "Blauen Reiter" zur künstlerischen Unabhängigkeit
Nach einem einzigen Besuch in Stockholm kehrt Kandinsky im März 1916 nach Russland zurück. Um sechs Uhr morgens nimmt er den Zug nach Moskau. Einen zweiten Besuch wird er so lange verschieben, bis der Kontakt zwischen dem einstigen Malerpaar schließlich vollends abbricht – Münter und Kandinsky werden sich nicht noch einmal wiedersehen. Im Entstehungsjahr unserer Arbeit, nur wenige Monate nach seinem Besuch in Stockholm, heiratet Kandinsky eine junge Russin. Die Künstlerin schreibt viele Jahre später rückblickend in einem Brief an einen Freund in Schweden: "Von 1916 ab habe ich sein Leben nicht mehr begleitet. Nach seiner Rückreise damals aus Stockholm blieb er in Russland, schwieg und verheiratete sich mit einer Russin. Damit verletzte er seine oft noch in Stockholm ausgesprochene Überzeugung und seinen Grundsatz, dass unsere Ehe untrennbar u. durch Gewissen fester begründet sei als durch amtliche Urkunden. Für mich war seine Untreue gegen sich u. mich unausdenkbar u. ein schwerer Schlag.“ (Brief an Carl Palme, 12.3.1949, zit. nach: Ausst.-Kat. 1992, S. 69).
Münter hat in den darauffolgenden Monaten jedoch nicht nur mit dem Verlust und der trotz ihrer Bekanntschaften schmerzlichen Einsamkeit zu kämpfen, sondern auch mit finanziellen Nöten und Lebensmittelknappheit infolge des Krieges. Trotz dieser Schwierigkeiten führt Münters Bedürfnis nach künstlerischer Neuorientierung in Skandinavien unter dem Einfluss ihres dortigen kulturellen Umfelds und der nationalen Kunstströmungen zu thematisch und stilistisch neuen Bildschöpfungen. Die Künstlerin findet ganz eigene Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks, mit denen sie sich immer weiter von den gemeinsamen Murnauer Schaffensjahren mit Kandinsky in der Zeit des "Blauen Reiters" emanzipiert, ohne die damals formulierten Grundsätze, bspw. die Verschmelzung von Linie und Farbe und das Streben nach Vereinfachung und Stilisierung, abzulegen. Stattdessen entwickelt sie nun, ohne den Einfluss ihrer ehemaligen Künstlerkolleg:innen, eine ganz besondere, von ihrem skandinavischen Umfeld inspirierte Bildsprache, mit der sie nicht nur einmal mehr ihre künstlerische Reife unter Beweis stellt, sondern auch ihren enormen künstlerischen Schaffensdrang, mit dem sie ihre damalige Lebenskrise in eine herausragende Phase ihrer künstlerischen Karriere umkehrt. [CH]
Gabriele Münters nahezu fünf Jahre überdauernde Zeit in Skandinavien unterscheidet sich sowohl in privater als auch künstlerischer Hinsicht deutlich von den vorherigen glücklich-unbekümmerten Jahren in Murnau vor dem Ersten Weltkrieg. Zum einen erfolgt nun der endgültige Bruch mit ihrem langjährigen Lebensgefährten Wassily Kandinsky, zum anderen vollzieht sich in ihrem Werk ein deutlicher stilistischer Wandel. Dieser verhilft ihr auch in Skandinavien zu größerer Bekanntheit, erfolgreichen Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen. So findet im Frühjahr 1918 bspw. ihre bis dahin größte Einzelausstellung in "Den Frie Udstilling" in Kopenhagen mit größtenteils neuen, in Skandinavien entstandenen Arbeiten statt, die täglich mehr als 600 Besucher verzeichnet.
Im Frühjahr 1915 hatte die Künstlerin ihre Wohnung in der Ainmillerstraße in München aufgelöst, um nach kurzen Aufenthalten in Berlin und Kopenhagen schließlich nach Stockholm überzusiedeln. Im politisch neutralen Schweden erhofft sie sich angesichts des lodernden Ersten Weltkriegs häufigere Treffen mit Kandinsky, der zu dieser Zeit in Moskau lebt. Zudem lebt die Schwägerin ihres Berliner Galeristen Herwarth Walden in Skandinavien und bietet Münter damit einen willkommenen, fast familiären Anlaufpunkt. In Stockholm gelingt es ihr erstaunlich schnell, Fuß zu fassen und in der dortigen Kunstwelt wichtige Kontakte zu knüpfen. "Mir scheint so was schönes, famoses sympathisches wie Stockholm habe ich noch nicht gesehen. Wie von einem besseren Stern“, notiert die Malerin an ihrem ersten Abend in Stockholm (zit. nach: Karoline Hille, Gabriele Münter. Die Künstlerin mit der Zauberhand, S. 137). Es entstehen Freundschaften zum Malerehepaar Sigrid Hjertén und Isaac Grünewald sowie anderen schwedischen Maler:innen. Münter kann mehrere Einzel- und Gruppenausstellungen für sich und auch für Kandinsky organisieren, während ihre Werke in Berlin auch weiterhin in der renommierten Galerie "Der Sturm" gezeigt werden.
Die in Schweden und Dänemark lebenden und arbeiten jungen Maler:innen, auf die Gabriele Münter in diesen Jahren trifft, stehen damals unter dem großen Einfluss von Henri Matisse und der zeitgenössischen französischen Malerei. Viele sind nach ihren Lehrjahren an der Académie Matisse in Paris mit ihren Eindrücken der französischen Moderne gerade nach Skandinavien zurückgekehrt, wo sich nun ein sogenannter dekorativer Expressionismus durchsetzt. In diesen Kreisen lernt Münter nun die schwedische Sprache, die sie im Lesen und Schreiben bald nahezu fehlerlos beherrscht, und beschäftigt sich unter anderem auf ausgedehnten Reisen bis nach Nordschweden mit der schwedischen Kultur.
Von der Marienstatuette zum Dalapferd. Gabriele Münters leidenschaftliches Interesse für die Volkskunst
Kandinsky entwickelt bereits in Russland ein großes Interesse für volkstümliche Kunst. Er bringt eine in Münters Gemälden mehrfach dargestellte Madonnenfigur mit Kind und Krone mit Doppelkreuz mit nach Deutschland. In den darauffolgenden Jahren spielt die Volkskunst aufgrund ihrer Naivität und Ursprünglichkeit, der oftmals kräftigen Farbigkeit sowie der einfachen, schlichten Formensprache auch in den Bestrebungen der Künstler:innen des "Blauen Reiters" – bspw. Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin – und auch in Gabriele Münters Malerei eine wichtige Rolle. Die Volkskunst wird fortan zu einem Markenzeichen ihrer Stillleben und Interieurszenen. In Murnau entdecken Münter und Kandinsky die regionale Hinterglasmalerei und beginnen zudem, volkstümliche Plastiken, zeitgenössische Krippenfiguren, Kruzifixe, Marienstatuen, Votivtafeln sowie Holz- und Tonspielzeug zu sammeln. Obwohl Gabriele Münter sicherlich nur einzelne wenige Objekte mit nach Skandinavien nimmt, zeigt sich in der hier angebotenen Arbeit ein kleines strahlend-hellblaues Holzspielzeug, das sich bei näherer Betrachtung als das erzgebirgische Kasperletheater aus Gabriele Münters und Wassily Kandinskys privater Sammlung herausstellt (um 1900, heute Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München). Links im Bild ist vermutlich ein sog. Schnurvogel, ein Kinderspielzeug, zu erkennen: ein bunter Vogel mit Papierfedern und Papierschwanz, der mit einer Schnur an einem Stab befestigt ist und an diesem geschwungen werden kann.
Ganz so, als wolle sie auch motivisch eine Brücke zwischen ihren Schaffensjahren in Deutschland und Skandinavien schlagen, ist in unserem Gemälde neben dem deutschen Holzspielzeug auch der Kopf eines kompakten, weißen, bemalten Holzpferdes zu erkennen. Dabei handelt es sich um ein traditionelles schwedisches Dalapferd (Dalahäst) aus Kiefernholz, das bis heute und bereits seit dem 17. Jahrhundert in der Provinz Dalarna hergestellt wird. Heute sind die Pferde traditionell rot gefärbt, doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts sind die Pferde meistens weiß, mit in traditioneller Kurbitsmalerei aufgemaltem Sattel und Zaumzeug. Das Pferd findet sich erstmals im Frühjahr 1916 in einem von Münters Gemälden und zeigt sich in den darauffolgenden Jahren und sogar nach Münters Rückkehr nach Deutschland in weiteren Gemälden, Zeichnungen und einer druckgrafischen Arbeit.
Die hier angebotene Komposition vervollständigt Münter mit imaginativem Einfallsreichtum und kompositorischer Raffinesse mit einer größeren grünen Vase mit über das Arrangement ragenden, zu geometrischen Formen stilisierten Blättern am rechten Bildrand. Am linken Bildrand ist ein über die Höhe des Bildes gestreckter, nicht näher zu deutender Gegenstand mit bunter Vogelfigur zu sehen. In der Mitte des Tisches zeigt sich außerdem eine kleine blaue Kugelvase mit einem Strauß weißer Blumen und ein weiteres, ganz im Schatten gezeigtes Gefäß, in dem sich womöglich ein Sortiment unterschiedlicher Pinsel befindet und damit auf ihre Tätigkeit als Malerin hinweist.
Der Eindruck von zusammenhangslos nebeneinander platzierten Gegenständen bestätigt sich nach eingehender Betrachtung nicht, vielmehr handelt es sich hierbei um eine sorgfältig entworfene, raffinierte Komposition. Die skandinavischen Stillleben haben nichts mehr von den doch vergeistigten Madonnen-Darstellungen der Murnauer Jahre. Die Künstlerin nutzt das Stillleben nun gekonnt, um ihre weiterentwickelten und erneuerten künstlerischen Ziele zu formulieren: Sie verwendet helle, strahlende Farben, eine einfache, nahezu geometrische Formensprache, deutlich stärkere, dunkle Konturen und eine besonders geschwungene, dekorative Linienführung, die sich auch in weiteren Stillleben und Interieurszenen dieser Jahre wiederfindet (Abb.).
Vom "Blauen Reiter" zur künstlerischen Unabhängigkeit
Nach einem einzigen Besuch in Stockholm kehrt Kandinsky im März 1916 nach Russland zurück. Um sechs Uhr morgens nimmt er den Zug nach Moskau. Einen zweiten Besuch wird er so lange verschieben, bis der Kontakt zwischen dem einstigen Malerpaar schließlich vollends abbricht – Münter und Kandinsky werden sich nicht noch einmal wiedersehen. Im Entstehungsjahr unserer Arbeit, nur wenige Monate nach seinem Besuch in Stockholm, heiratet Kandinsky eine junge Russin. Die Künstlerin schreibt viele Jahre später rückblickend in einem Brief an einen Freund in Schweden: "Von 1916 ab habe ich sein Leben nicht mehr begleitet. Nach seiner Rückreise damals aus Stockholm blieb er in Russland, schwieg und verheiratete sich mit einer Russin. Damit verletzte er seine oft noch in Stockholm ausgesprochene Überzeugung und seinen Grundsatz, dass unsere Ehe untrennbar u. durch Gewissen fester begründet sei als durch amtliche Urkunden. Für mich war seine Untreue gegen sich u. mich unausdenkbar u. ein schwerer Schlag.“ (Brief an Carl Palme, 12.3.1949, zit. nach: Ausst.-Kat. 1992, S. 69).
Münter hat in den darauffolgenden Monaten jedoch nicht nur mit dem Verlust und der trotz ihrer Bekanntschaften schmerzlichen Einsamkeit zu kämpfen, sondern auch mit finanziellen Nöten und Lebensmittelknappheit infolge des Krieges. Trotz dieser Schwierigkeiten führt Münters Bedürfnis nach künstlerischer Neuorientierung in Skandinavien unter dem Einfluss ihres dortigen kulturellen Umfelds und der nationalen Kunstströmungen zu thematisch und stilistisch neuen Bildschöpfungen. Die Künstlerin findet ganz eigene Möglichkeiten des künstlerischen Ausdrucks, mit denen sie sich immer weiter von den gemeinsamen Murnauer Schaffensjahren mit Kandinsky in der Zeit des "Blauen Reiters" emanzipiert, ohne die damals formulierten Grundsätze, bspw. die Verschmelzung von Linie und Farbe und das Streben nach Vereinfachung und Stilisierung, abzulegen. Stattdessen entwickelt sie nun, ohne den Einfluss ihrer ehemaligen Künstlerkolleg:innen, eine ganz besondere, von ihrem skandinavischen Umfeld inspirierte Bildsprache, mit der sie nicht nur einmal mehr ihre künstlerische Reife unter Beweis stellt, sondern auch ihren enormen künstlerischen Schaffensdrang, mit dem sie ihre damalige Lebenskrise in eine herausragende Phase ihrer künstlerischen Karriere umkehrt. [CH]
436
Gabriele Münter
Stilleben mit Kasperltheater, 1917.
Öl auf Malpappe
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