Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 41

 

41
August Macke
Junge mit Buch und Spielsachen, 1912.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 300.000
Ergebnis:
€ 381.000

(inklusive Aufgeld)
Junge mit Buch und Spielsachen. 1912.
Öl auf Leinwand.
Verso auf der Leinwand sowie auf dem Keilrahmen mit dem Nachlassstempel (Lugt 1775 b), in diesem handschriftlich bezeichnet "VR. 313". 87,5 x 71 cm (34,4 x 27,9 in).

• Auf dem Höhepunkt des "Blauen Reiter", unmittelbar nach Erscheinen des Almanachs "Der Blaue Reiter" entstanden.
• In einem vordergründig alltäglichem Motiv überwindet Macke die Regeln der Perspektive und inszeniert Form und Farbe frei auf der Fläche.
• Besonders großformatige und expressive Arbeit von leuchtender Farbigkeit
.

Wir danken Eline van Dijk, LWL-Museum, Münster für die freundliche, wissenschaftliche Beratung.

PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers.
Elisabeth Erdmann-Macke.
Wolfgang Macke (wohl von Vorgenannter erhalten).
Siegfried Adler, Monatgnola-Lugano (am 12.11.1968 vom Vorgenannten erworben).
Gordon Hampton, Kalifornien (1974 Leihgeber Pasadena, verso auf dem Rahmen ein Etikett).
Privatsammlung (erworben bei Sotheby’s, London, 1.4.1981, Los 45).
Privatsammlung Schweiz (vom Vorgenannten erworben: Sotheby’s, London, 3.2.2009, Los 14).
Privatsammlung Schweiz (vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: German Expressionist Paintings and Sculpture from California Collections, Pasadena Museum of Modern Art, 16.4.-9.6.1974, Kat.-Nr. 32.

LITERATUR: Ursula Heiderich, August Macke. Gemälde. Werkverzeichnis, Ostfildern 2008, WVZ-Nr. 398 (Abb. S. 427).
Gustav Vriesen, August Macke, Stuttgart, 1957, WVZ-Nr. 313, S. 325.
Galerie Gerda Bassenge, Berlin, 3.-7.5.1966, Los 1298 m. Farbabb. S. 4 (unverkauft).
Christie's, London, 30.6.1980, Los 35.
Sotheby's, London, 1.5.1981, Los 45.
Sotheby's London, Impressionist & Modern Art Evening Sale, 3.2.2009, Los 14.
ARCHIVALIEN:
LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, Macke-Archiv, Inv.-Nr. MA-285,2 LM; MA-285, 03 LM; MA-285, 4 LM; MA-286,3 LM; MA-388, G 266.

"Er hat von uns allen der Farbe den hellsten und reinsten Klang gegeben, so klar und hell wie sein ganzes Wesen war."
Franz Marc im Nachruf auf August Macke


Über Paris nach Tegernsee

Im Herbst 1909 weilt Macke gemeinsam mit seiner Ehefrau Elisabeth Gerhardt in Paris, als ihn die Einladung des Schiftstellers Wilhelm
Schmidtbonn nach Tegernsee erreicht. Macke erreicht Tegernsee Ende Oktober 1909 mit seiner schwangeren Ehefrau. Anfang Januar 1910 lernt Macke Franz Marc in München kennen, mit dem ihn eine lebenslange Künstlerfreundschaft verbinden wird. Im gleichen Jahr kommt sein erster Sohn auf die Welt,ein einschneidendes Erlebnis, das den gefühlvollen jungen Maler tief bewegt.

"Das Jahr in Tegernsee war ein äußerst glücklicher Abschnitt im Leben von August Macke. Für sein Werk bedeutete dieser erste Ruhepunkt die Möglichkeit zur Klärung von Eindrücken, zur Verarbeitung einer breit angelegten Rezeption von Tradition wie Avantgarde und schließlich den Durchbruch lang aufgestauter schöpferischer Energien. Noch Jahre später hat er von den überreich zuströmenden Bildideen in seinen Skizzenbüchern gezehrt." (Zit. nach: Ursula Heiderich, August Macke. Gemälde. Werkverzeichnis, Ostfildern 2008, S. 49) Macke hatte auf seinen Reisen und den bisherigen Stationen seiner künstlerischen Ausbildung verschiedene Einflüsse aufgesogen, wesentlich sind dabei Matisse und Derain zu nennen. Bei ihnen lernt er Farbe neu zu sehen und Form anders als bisher gewohnt zu gestalten. Das Ergebnis ist eine formal beruhigte Malerei, die in der Wahl der Farben von neuartiger Intensität und Klarheit ist. Im Sommer 1911 schließt sich August Macke dem "Blauen Reiter" an. Hier bleibt Franz Marc einer seiner engsten Vertrauten, wohingegen das Verhältnis zu Kandinsky und Münter sich spannungsreich entwickelt.

Das Porträt des Sohnes im Bonner Atelier
Am Tegernsee werden die räumlichen Verhältnisse bald zu eng. Daher kehrt die junge Künstlerfamilie zurück nach Bonn, wo Verwandte leben und August Macke ein kleines Atelierhaus nach seinen Vorstellungen umbauen und beziehen kann. Das Gemälde "Junge mit Buch und Spielsachen" zeigt im Hintergrund eine blaue Polsterliege; sie lässt sich eben diesem Atelier August Mackes in Bonn zuordnen. Das Gemälde zeigt einen starken Bezug zu den Werken, die in den Jahren 1909 und 1910 am Tegernsee entstanden waren. Eine Zeichnung, die im Werkverzeichnis von Ursula Heiderich unter der Nummer 653 verzeichnet ist, lässt sich dem Gemälde zuordnen. Sie gehört zu einer Gruppe von Skizzen des kleinen Burschen, die vielleicht einzig aus dem Gefühl der unbändigen Liebe zu diesem kleinen, eigenen Kind entstanden sind. Heute würde ein Vater vielfach das Handy zücken. Die Zeichnung bietet jedoch die Möglichkeit, im Jahr darauf ein Gemälde zu entwickeln, das den geliebten Sohn verewigt, der nun schon älter ist. Das Gemälde ermöglicht die besondere Auseinandersetzung mit der Wirkung und der Stellung der Farben zueinander. Sicherlich das ihm wichtigste künstlerische Thema, das August Macke während seines Schaffens, das durch den jähen, frühen Tod 1914 viel zu schnell beendet wurde, bewegt hat.

Besonders großformatige Arbeit voll expressiver, lichter und klarer Farbigkeit
Das scheinbar so ruhige Gemälde beeindruckt durch seine intensive Farbigkeit. Farbe ist für August Macke ein Punkt des höchsten Interesses. Er beschränkt sich auf wenige Farben in minimaler Abtönung. Mit ihren farbintensiven und großzügigen, flächigen Formen zeigen August Mackes Arbeiten aus dieser Zeit deutlich den Einfluss der Malerei von Henri Matisse und der "Fauves". Macke hat deren Arbeiten schon 1909 in Paris und später auch in München auf Ausstellungen gesehen.
Eine Besonderheit ist auch August Mackes Wahl des Bildthemas. Vielfach bildet er seine unmittelbare Umgebung und seine Familie ab. Die auf dem Tisch liegenden Gegenstände finden sich etwa auch auf dem Gemälde "Walterchens Spielsachen" (Städel Museum, Frankfurt), der kleine Stoffhamster neben einem kleinen Ball. August Macke fühlt sich in dieser familiären Einheit völlig geborgen, er hat hier sein irdisches Paradies. Bewusst blendet er die Rastlosigkeit der Welt mit all ihren Problemen und Unsicherheiten aus. Vielfach malt er den Garten, seine Frau. Hier malt er seinen Sohn, der ein Buch anschaut, in sich versunken. Er zeigt den Einklang der Gefühle, die Einheit von Mensch und Natur.
So ist dieses Gemälde ein herausragendes Beispiel für die formalen und inhaltlichen Schwerpunkte in der Bonner Zeit des Künstlers August Macke, der trotz seiner kurzen Schaffenszeit für die Entwicklung einer neuen Ästhetik steht und einen festen Platz in der ersten Riege der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts innehat. Am 2. August 1914 wird Macke als Reservist und Vizefeldwebel eingezogen und fällt schon sieben Wochen später in der Champagne. [EH]



41
August Macke
Junge mit Buch und Spielsachen, 1912.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 300.000
Ergebnis:
€ 381.000

(inklusive Aufgeld)