Auktion: 545 / Evening Sale am 08.12.2023 in München Lot 39

 

39
Lovis Corinth
Am Ostseestrand, 1903.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 190.500

(inklusive Aufgeld)
Am Ostseestrand. 1903.
Öl auf Leinwand.
Links unten signiert. Verso auf dem Keilrahmen mit verschiedenen handschriftlichen Besitzervermerken und Nummerierungen. 99,5 x 75 cm (39,1 x 29,5 in).


• Eine der frühen Liebeserklärungen an seine zukünftige Frau Charlotte Berend, entstanden im Verlobungsjahr.
• Im Schaffen Corinths ist die Malerin Charlotte Berend, einst seine Schülerin, eine der wichtigsten Inspirationsquellen.
• Bereits ein Jahr nach Entstehung öffentlich ausgestellt.
• Corinth gilt neben Liebermann und Slevogt als der größte deutsche Impressionist.
• Werke Corinths befinden sich in den wichtigsten internationalen Sammlungen, darunter die Neue Pinakothek und die Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, die National Gallery of Art, Washington, das Musée d'Orsay, Paris, sowie die Tate Gallery, London.
• Zuletzt wurde seine lebensbejahende Malerei in der großen Ausstellung "Lovis Corinth – Das Leben, ein Fest!" 2021/2022 in Wien und Saarbrücken gewürdigt
.

PROVENIENZ: Dr. Paul Ferdinand Straßmann (1866-1938), Berlin (direkt vom Künstler erworben).
Antonie Straßmann, New York (wohl vom Vorgenannten durch Erbschaft erhalten).
Schoneman Galleries, New York (um 1950 Einlieferung vom Vorgenannten).
Schaeffer Galleries, New York (1950 vom Vorgenannten in Kommission).
Privatsammlung USA (in den 1950er Jahren im New Yorker Kunsthandel erworben).
Seither Familienbesitz.

AUSSTELLUNG: Grosse Kunstausstellung, Dresden, 1904, 1.5.-Ende Oktober 1904, Kat.-Nr. 65.
Lovis Corinth. Gedächtnis-Ausstellung, Kunstverein Frankfurt, Juni 1926, Kat.-Nr. 23.
Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, Mai/Juni 1926, Kat.-Nr. 20: "Charlotte Berend auf dem Spaziergang (in Brunshaupten an der Ostsee)".
Lovis Corinth. Ausstellung von Gemälden und Aquarellen zu seinem Gedächtnis in der Nationalgalerie Berlin, 1926, S. 36, Nr. 98: "Charlotte Berend auf dem Spaziergang (in Brunshaupten an der Ostsee)".
Lovis Corinth Gedächtnis-Ausstellung. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Sächsischer Kunstverein zu Dresden, Brühlsche Terrasse, 22.1.-Mitte März 1927, S. 23, Nr. 40 (m. Abb.).

LITERATUR: Charlotte Berend-Corinth, Lovis Corinth. Die Gemälde. Werkverzeichnis, München 1992, WVZ-Nr. 258 (m. Abb.).

ARCHIVALIEN:
Schriftwechsel Paul Straßmann und NG bzgl. der Leihgabe zur Gedächtnisausstellung 1926, SMB-ZA, I/NG 676, Bll. 93ff und Bll. 200ff.
Schriftwechsel Paul Straßmann bzgl. der Leihgabe zur Gedächtnisausstellung 1926, SMB-ZA, I/NG 677, Bll. 368ff.
Liste der NG 1926 Leihgeber mit handschriftlichen Kommentaren von Ch. Berend-Corinth, Ausstellungsakte zur Corinth Ausstellung 1931, Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe, Landesarchiv Baden-Württemberg, LABW 441-3 Nr. 543.
Werkverzeichnis-Manuskript (Charlotte Berend-Corinth), Photothek, Zentralinsitut für Kunstgeschichte München, Nr. 1903/09 (248).
Kommissionsvertrag zwischen Schoneman Galleries und Schaeffer Galleries, Gemälde enthalten unter dem Titel "Mme Corinth in landcape" von L. Corinth, Getty Research Institute, Schaeffer box 103, f. 2.




"Die Zähmung des Widerspenstigen" – Lovis Corinth und Charlotte Berend

Nachdem Corinth 1901 von München nach Berlin gekommen und Mitglied der Secession geworden ist, eröffnet er dort im Oktober seine "Malschule für Weiber". Eine der ersten Schülerinnen ist die damals 21 Jahre alte Charlotte Berend, die ihm auch regelmäßig Modell steht und zu seiner künstlerischen Muse wird. Sie begleitet ihn von Juli bis September 1902 auf einer ersten Malreise an die Ostsee, wo als Zeugnis der wachsenden Beziehung der beiden das große Gemälde "Mädchen mit Stier" (Hamburger Kunsthalle) entsteht. Bei der Ausstellung des Bildes in der Berliner Secession sorgt es für viele Neckereien, der Malerfreund Leistikow schlägt jovial den Titel "Die Zähmung des Widerspenstigen" vor. Ein weiteres Porträt Charlottes im elfenbeinfarbenen Spitzenkleid widmet Corinth ihr mit den Worten "Frl Charlotte Berend der Herr Lehrer Lovis Corinth im Juli 1902" (Stadtmuseum, Berlin). Die während dieses ersten Aufenthalts in Pommern an der Ostsee wie auch die im Folgejahr 1903 entstehenden Werke veranschaulichen die wachsende Intimität und den künstlerischen Gleichklang der beiden. Von diesen Jahren an gewinnt Corinths Schaffen eine gewisse Feinheit, es finden sich intimere, weichere Motive, auch die fließende Sinnlichkeit in der Malweise nimmt zu. Corinth beschäftigt sich intensiv mit den Handlungen und dem Wesen seiner Gefährtin und umfängt sie malerisch; er zeigt sie etwa krank im Bett liegend, das Strumpfband richtend, am Waschtisch, beim Haareflechten. Nach dem ersten Sommer an der Ostsee verlobt sich das Paar im Oktober 1902. Im weißen Kleid auf den Dünen entsteht im Verlobungsjahr das vorliegende Porträt, das den Einfluss der zu der Zeit bei Cassirer gezeigten französischen Impressionisten verrät. Auf dem Kopf trägt Charlotte eine kleine Matrosen- oder, treffender, Kapitänsmütze, vielleicht als Anspielung auf die Rolle, die sie von nun an in Corinths Leben einnimmt. Am 26. März 1904 heiraten die beiden in Berlin, in späteren autobiografischen Angaben wird das Ereignis jedoch, vermutlich wegen der Geburt des ersten Sohnes im Oktober 1903, vordatiert auf das Entstehungsjahr dieses besonderen Gemäldes.

Die Kunstsammlung Prof. Dr. Paul Ferdinand Straßmann
"Wer die Strassmannsche Frauenklinik an der Schumannstraße betrat, ganz nahe der Luisenstraße – wo auf dem gegenüberliegenden Trottoir das riesige Grundstück des Charité-Krankenhauses begann –, kaum hundert Schritte vom Deutschen Theater und den Kammerspielen entfernt, der mußte von dieser bekannten Stätte ärztlicher Bemühungen sofort einen sehr bestimmt umrissenen Eindruck gewinnen. Durch einen breiten Torbogen, den das Denkmal des im Kriege gefallenen Sohnes und ihm gegenüber in einer Wandvertiefung eine große Bronzebüste Gerhard Hauptmanns zierten, gelangte man in das pergolageschmückte Viereck eines Gartenhofes. […] Treppen, Vorräume und Korridore, Arbeits- und Wohnzimmer waren überall mit Kunstwerken bedeckt: Ölbildern, Aquarellen und Radierungen, Bronzen, Glasgemälden und Schränken, kostbarem Kristall und Porzellan, Denkmünzen und Nippsachen; worunter neben einzelnen Stücken von Anton von Werner, Lovis Corinth und Leistikow, von Philipp Franck und Ury eine eigentliche Sammlung von Stilleben, Blumenstücken, Landschaften und behaglichen Intérieurs holländischer Meister des großen 17. Jahrhunderts hervorstach. Fast täglich, nach der Vorlesung von zwölf bis eins im eigenen Hörsaal ebener Erde, unternahm mein späterer Schwiegervater als liebste Erholung Gänge zu den benachbarten Kunsthändlern und Galerien.“ (Max Gutzwiller, Büchlein mit dem Denkmal, 1942).
Aus einer berühmten Ärzte- und Wissenschaftlerfamilie stammend, unter Fachkollegen wie den berühmten Mayo-Brüdern geschätzt und mit den Berliner Künstlern gut bekannt, ist Prof. Dr. Paul Straßmann eine beeindruckende Persönlichkeit der Berliner Kaiserzeit und der Weimarer Republik. Mit Lovis Corinth bekannt, bringt er nicht nur dessen Kinder Thomas und Wilhelmine zur Welt, er wird auch zum großen Bewunderer seines künstlerischen Schaffens. Neben der "Verhüllten Frau mit Kindern" (Berend-Corinth 276) erwirbt Straßmann auch die hier angebotene wunderschöne Momentaufnahme von Charlotte Berend-Corinth bei einem Spaziergang an der Ostsee.
Seine Klinik ebenso wie die umfangreiche Kunstsammlung kann Prof. Dr. Paul Straßmann mit der Machtergreifung nicht mehr erhalten. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft sind er und seine Familie Verfolgte des NS-Regimes und müssen ab 1933 um ihr Leben fürchten. 1936 ist Straßmann gezwungen, seine Klinik an die Charité zu verkaufen, er und seine Familie ziehen nach Berlin-Dahlem. Die Kunstsammlung lässt er zunächst verpacken und auf seinem Dachboden einlagern. Der mangelnde Platz sowie die finanzielle Not zwingen Straßmann jedoch dazu, seine geliebte Kunstsammlung alter Meister bei Rudolf Lepke am 12. Februar 1937 zu veräußern. Seine liebsten Werke, die der deutschen Impressionisten, deren Urheber er persönlich kannte, behält er – in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Im Sommer 1938 verstirbt Prof. Dr. Paul Straßmann auf einer Reise in die Schweiz unerwartet. Seine Frau Hedwig kehrt nur kurz nach Berlin-Dahlem zurück. Schnell packt sie ihre Habseligkeiten zusammen und flieht über die Schweiz in die USA, um ihr Leben vor dem NS-Regime zu retten. In New York wird sie bereits sehnsüchtig erwartet. Ihre Tochter Antonie Straßmann, die berühmte Sportfliegerin, nimmt die Mutter bei sich auf. Die verbliebenen Werke der einst großen Sammlung des Vaters gehen in ihren Besitz über und schmücken das große Herrenhaus am Rande New Yorks. 1950 verkauft Antonie Straßmann dieses Gemälde von Corinth an die Schoneman Galleries in New York. Im New Yorker Kunsthandel der 1950er Jahre erwerben es dann die heutigen Eigentümer. [KT/SvdL]



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Lovis Corinth
Am Ostseestrand, 1903.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 180.000
Ergebnis:
€ 190.500

(inklusive Aufgeld)