Auktion: 540 / Evening Sale am 09.06.2023 in München Lot 32

 

32
Ernst Ludwig Kirchner
Kokotten am Kurfürstendamm, 1914.
Lithografie
Schätzung:
€ 70.000
Ergebnis:
€ 120.650

(inklusive Aufgeld)
Kokotten am Kurfürstendamm. 1914.
Lithografie.
Gercken 668 II. Dube L 249. Verso mit dem Nachlassstempel des Kunstmuseums Basel (Lugt 1570 b) und der handschriftlichen Registriernummer "L 257 III" sowie zweifach mit dem Stempel "unverkäuflich/ E.L. Kirchner". Auf gelbem Velin. 59,5 x 50,3 cm (23,4 x 19,8 in). Papier: 66,5 x 56 cm (26,1 x 22 in).

• Das persönliche Archivexemplar des Künstlers.
• Nur 7 Exemplare von diesem Zustand bekannt, davon 4 in Museumsbesitz.
• Aus der besonders gesuchten Berliner Schaffenszeit vor dem Ersten Weltkrieg.
• Auf dem für Kirchner charakteristischen gelben Papier, dass er vor allem für große Lithografien nutzt
.

PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers (verso mit dem Nachlassstempel).
Privatsammlung Nordrhein-Westfalen.

LITERATUR: Galerie Kornfeld, Bern, Auktion 20.6.2014, Los 67.

"Das moderne Licht der Städte, in Verbindung mit der Bewegung der Straßen, gibt mir immer neue Anregungen. Es breitet eine neue Schönheit über die Welt, die nicht in der Einzelheit des Gegenständlichen liegt."
E. L. Kirchner, zit. nach Ausst.-Kat. Großstadtrausch / Naturidyll. Kirchner – Die Berliner Jahre, S. 29.

Seit 1911 lebt Kirchner dauerhaft in Berlin, alle Werke, die bis 1915 hier entstehen, atmen die pulsierende Lebendigkeit der modernen Großstadt. Es fasziniert ihn die schillernde Welt des Berliner Nachtlebens mit seinen Varietés mit Akrobaten und Tänzerinnen. Seit 1914 bestimmen die Straßenszenen zunehmend das künstlerische Schaffen Ernst Ludwig Kirchners und sie gehören heute zu den gefragtesten Motiven des Künstlers. Besonderes Interesse wecken bei Kirchner die in der Metropole weit verbreiteten Kokotten, die mit auffälligen Federhüten oder federbesetzten Mantelkrägen die Straßen Berlins entlangflanieren, um die Aufmerksamkeit möglicher Freier auf sich zu ziehen. Die beiläufig auftauchenden Menschen, sowohl Kokotten als auch Berliner Bürger, auf der Straße werden zu den Hauptakteuren seiner Kunst. Das flüchtige Erfassen von Spaziergängern und Passanten in einem sehr kleinen Ausschnitt der Straße bildet eine eigene Werkgruppe im Œuvre Ernst Ludwig Kirchners. Extreme Perspektiven und herausragende Bildlösungen bestimmen die Werke dieser Zeit. Es entstehen dichte Kompositionen, deren Einzelteile vom Auge erst sortiert werden müssen. In einem Brief an Gustav Schiefler beschreibt Kirchner, was ihn an der hier dargestellten Szene der sitzenden Kokotte besonders fasziniert: "Die Sitzende ist eine Kokotte in weißer Bluse und sitzt auf einer Bank, wie sie im Sommer oft tun, um Kavaliere zu erwarten. Das rosa Bogenlicht hebt für mich die Räumlichkeiten besonders an dunstigen Tagen vollkommen auf, so daß solche visionären Bilder entstehen. Sie stützt sich mit einer Hand auf einen Schirm. Die modernen Stickereiblusen waren oft so raffiniert gemacht, daß man von weitem einen nackten Körper zu sehen meinte." (E.L. Kirchner in einem Brief an Gustav Schiefler, 30. April 1919, zit. nach Wolfgang Henze, Briefwechsel, 1910-1935/38, S. 124). Die für den Künstler typische Zeichenweise ist auch in der Lithografie stilprägend. Diese Technik bietet Kirchner die Möglichkeit der direkten Übertragung einer zeichnerischen Idee in einen druckgrafischen Prozess. Großformatige Lithografien sind im grafischen Werk von Kirchner keine Seltenheit. Das setzt voraus, dass Kirchner Zugang zu großen Lithosteinen hatte, die er in ihrer gesamten Fläche für seine Arbeiten nutzte. Kirchners umfangreiches grafisches Werk ist ohne die Lithografie nicht zu denken. In ihr hat er bedeutende Werke verwirklicht und zugleich der Grafik des Expressionismus eine Bereicherung gegeben, die ihresgleichen sucht. Der so viel zitierte nervöse Strich wird charakteristisch für diese Zeit, auch in der Druckgrafik. Er nutzt dichte zackige Schraffuren als Stilelement, die frei von den umrissenen Formen Bündel reiner grafischer Energie bilden. Diese opfern oft die Klarheit der Komposition, bringen aber eine energetische Dynamik in die Komposition. Dabei geht es nicht um die Bewegung des Motivs, sondern es gilt die Bewegtheit des Lebensrhythmus der Großstadt als motorische Kraft des Lebendigen einzufangen. [SM]



32
Ernst Ludwig Kirchner
Kokotten am Kurfürstendamm, 1914.
Lithografie
Schätzung:
€ 70.000
Ergebnis:
€ 120.650

(inklusive Aufgeld)