Auktion: 540 / Evening Sale am 09.06.2023 in München Lot 16

 

16
Hermann Max Pechstein
Die Ruhende, 1911.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 1.200.000
Ergebnis:
€ 2.226.000

(inklusive Aufgeld)
Die Ruhende. 1911.
Öl auf Leinwand.
Soika 1911/70. Links unten signiert und datiert. Verso auf der Leinwand bezeichnet "Ruhende / 500 / M. Pechstein". 75 x 101 cm (29,5 x 39,7 in).

• Exzeptionelles Meisterwerk von musealem Rang – neun Jahrzehnte Bestandteil der Sammlung der Nationalgalerie, Berlin.
• Pechstein verwandelt Edvard Munchs Skandalbild „Der Tag danach“ aus dem Jahr 1894 (Nasjonalmuseet, Oslo) in eine Liebeserklärung an seine junge Frau Lotte.
• Lotte - sein inspirierendstes Modell in der vibrierenden Kunstmetropole Berlin.
• In dynamischen Farbkontrasten höchster Intensität und unmittelbarer Nahsicht verewigt Pechstein den intimen Moment in einem progressiven Meisterwerk.
• Einvernehmliche Restitution der Stiftung Preußischer Museen, Neue Nationalgalerie, Berlin, an die Erben des bedeutenden Kunstsammlers Dr. Ismar Littmann
.

Weitere Werke aus der Sammlung Dr. Ismar Littmann finden Sie in unserem Modern Art Day Sale am Samstag, 10. Juni 2023 (Los 320 und Los 321).

PROVENIENZ:
Sammlung Dr. Ismar Littmann, Breslau (bis 23.9.1934).
Nachlass von Dr. Ismar Littmann, Breslau (am 23.9.1934 durch Erbschaft von Dr. Ismar Littmann, bis ca. 1934/35: Dresdner Bank).
Dresdner Bank, Breslau (durch Sicherheitsübereignung vom Vorgenannten, Bankengagement "Schwedenberg (Filiale Breslau)").
Auktionshaus Max Perl, Berlin, 26./27.2.1935 (vom Vorgenannten eingeliefert, Rückgang).
Dresdner Bank, Breslau (Bankengagement "Schwedenberg (Filiale Breslau)").
Staatsbesitz (seit 15.8.1935: En-bloc-Ankauf von Pfandgut und Eigenbesitz der Dresdner Bank an das Land Preußen).
Nationalgalerie, Berlin (seit 10.2.1936: Übernahme vom Vorgenannten durch Erlass Vd 29/36).
Nationalgalerie Ost-Berlin (1968 nachinventarisiert).
Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (seit 1991: Inventar-Nr. A IV 204, Zusammenführung der Sammlungen Ost und West).
Restitution an die Erben nach Dr. Ismar Littmann, Breslau (2022).

AUSSTELLUNG:
XXIV. Ausstellung der Berliner Secession, Ausstellungshaus am Kurfürstendamm, Berlin 1912, Kat.-Nr. 195.
Max Pechstein. Das ferne Paradies, Städtisches Kunstmuseum Spendhaus, Reutlingen, 26.11.1995-28.1.1996; Städtisches Museum, Zwickau, 18.2.-14.4.1996, Kat.-Nr. 5 (m. Abb. S. 26, Taf. 5).
Max Pechstein - Sein malerisches Werk, hrsg. von Magdalena Moeller, Brücke-Museum Berlin, 22.9.1996-1.1.1997; Kunsthalle Tübingen, 11.1.-6.4.1997; Kunsthalle Kiel, 20.4.-15.6.1997, Kat.-Nr. 68, S. 315 (m. Abb.).
Max Pechstein. Werke aus dem Brücke-Museum Berlin und anderen Sammlungen, Städtische Galerie, Bietigheim-Bissingen, 6.7.-15.9.2002, Nr. Z 8 (m. Abb. S. 18).
Brücke und Berlin, 100 Jahre Expressionismus Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, 8.6.-28.8.2005; Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München, 24.2.-21.5.2006 (hier unter dem Titel: 100 Jahre Brücke - Expressionismus aus Berlin), Kat.-Nr. 336 (m. Abb. 21, S. 37).
Im Farbenrausch - Munch, Matisse und die Expressionisten, Museum Folkwang, Essen, 29.9.2012-13.1.2013, Kat.-Nr. 134, Abb. S.258 (zusammen mit Edvard Munch, „Der Tag danach“, 1894, Kat.-Nr. 102, Abb. S. 259).

LITERATUR:
Max Perl, Berlin, Bücher des 15.-20. Jahrh.: darunter Bücher aus der Bibliothek Robert Steinberg, Bielefeld; Gemälde, Aquarelle, Handzeichnungen, Graphik, Kunstgewerbe, Plastik, 188. Auktion, 26./27.2.1935, Nr. 2566.
Bestandskatalog Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Gemälde des 20. Jahrhunderts, hrsg. von Friedegund Weidemann, Berlin 1976, S. 63 (m. SW-Abb.).
Horst Jähner, Künstlergruppe Brücke. Geschichte einer Gemeinschaft und das Lebenswerk ihrer Repräsentanten, Berlin 1984 (m. SW-Abb. 390, S. 312).
Das Schicksal einer Sammlung. Die Neue Abteilung der Nationalgalerie im ehemaligen Kronprinzen-Palais. Zu einer Dokumentation anlässlich der Ausstellung "Expressionisten - Die Avantgarde in Deutschland 1905-1920", hrsg. von Andreas Hüneke u. a., Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Berlin 1986, S. 37, 48 (m. Abb. S. 36).
Das Schicksal einer Sammlung. Aufbau und Zerstörung der Neuen Abteilung der Nationalgalerie im ehemaligen Kronprinzen-Palais Unter den Linden. 1918-1945, Ausst.-Kat. Staatliche Museen zu Berlin/DDR, Nationalgalerie, Berlin 1988; S. 68, 86 (m. SW-Abb. S. 70).
Die Brücke und die Moderne 1904-1914, 21.10.-15.1.2006, Ausst.-Kat. Bucerius Kunst Forum, Hamburg, München 2004, S. 168 (m. Abb.).
Maike Steinkamp, Das unerwünschte Erbe. Die Rezeption "entarteter" Kunst in Kunstkritik, Ausstellungen und Museen der SBZ und der frühen DDR, Berlin 2008, S. 75 (m. SW-Abb.).
Lynn Rother, Kunst durch Kredit. Die Berliner Museen und ihre Erwerbungen von der Dresdner Bank 1935, Berlin 2017, S. 13-51 (zum Erwerb durch die Berliner Museen) und S. 432 (zum vorliegenden Werk).

ARCHIVALIEN:
Sammlungs-Liste Littmann, Nr. 265 (Abschrift Mrs. Littman, Wharton; Kopie in Archiv Pechstein, Hamburg).
Liste 40 (Bankengagement Schwedenberg, Filiale Breslau), o. D. [15.8.1935], in: GStA-PK, I. HA Rep. 151, HB, Nr. 1234.
Liste 40 (Bankengagement Schwedenberg, Filiale Breslau), Handexemplar Schlossmuseum, 30.7.1935, in: SMB-ZA, I/KGM 2.
Liste 40 (Bankengagement Schwedenberg, Filiale Breslau), Handexemplar Gemäldegalerie, o. D. [30.7.1935], Bl. 1-134, in: SMB-ZA, I/GG 341.
Liste 40 (Bankengagement Schwedenberg, Filiale Breslau), Handexemplar S. v. Carolsfeld, o. D. [August 1935], in: KGM-Archiv.


„Jetzt hatte ich das große Glück, ständig einen Menschen in voller Natürlichkeit um mich zu haben, dessen Bewegungen ich aufsaugen konnte. So setzte ich mein Trachten fort, Mensch und Natur zu erfassen, stärker und innerlicher als 1910 in Moritzburg. Und ganz anders, weil mir mit dem Menschen, den ich nun gestaltete [..] in Fleisch und Blut schaffende Kunst in einem zusammenfloss. Dieser Sommer 1911 berauschte mich von Anfang bis Ende.“
Max Pechstein, Erinnerungen, hrsg. von Leopold Reidemeister, Wiesbaden 1960, S. 50.

Faszination Lotte - Das "schöne, wilde Weib"
Die Geschichte vieler bedeutender Werke männlicher Künstler ist auch die ihrer Modelle und der Frauen, die als Muse für kreative Inspiration sorgen. Für Max Pechstein ist Charlotte Kaprolat, genannt Lotte (1893-1965), nach seiner Übersiedelung nach Berlin diejenige, die ihn beflügelt und ihn zu malerischen Ausnahmewerken anspornt. Nach seinen Reisen nach Italien und dem Aufenthalt in der Kunstmetropole Paris 1907/08 entschließt er sich, Dresden den Rücken zu kehren und sich in Berlin niederzulassen. Der Kontakt zum Architekten Bruno Schneidereit verhilft ihm zu dekorativen Auftragsarbeiten für dessen Bauprojekte, die ihm anfangs zur Existenzsicherung dienen. Auf der Suche nach einem seinen Vorstellungen entsprechenden Aktmodell trifft er im Atelier des Bildhauerkollegen Georg Kolbe auf Charlotte. Die Tochter eines Oberkellners und der Betreiberin einer "Plättstube" unterstützt mit dem Modell-Stehen die schmalen Familieneinkünfte. Und so wird sie auch zum Modell für Pechsteins ersten, große Aufmerksamkeit erregenden Auftritt in der Berliner Secession Ende April 1909: Das Werk "Das Gelbe Tuch" (verschollen) sorgt aufgrund seiner "sinnlichen Ungeniertheit" und der "wilden Fleischlichkeit" für Furore. Im November desselben Jahres beziehen Pechstein und Lotte, er 27 und sie gerade 16 Jahre alt, eine kleine Atelierwohnung in der Durlacher Straße 14 in Berlin-Friedenau. In dem als "Biberbau" bezeichneten Gebäude waren Wohnungen, Ateliers und eine Künstlergaststätte untergebracht.
Mit ihrem ausdrucksstarken Gesicht und ihrer freien Körperlichkeit entspricht Lotte den Vorstellungen Pechsteins, der in seiner Kunst auf der Suche nach Wildheit und Ursprünglichkeit ist. Lottes Faszination geht von ihrer kraftvollen Präsenz aus, die Pechstein die Projektion von primitiver Natürlichkeit erlaubt. Nicht zuletzt unter dem Einfluss außereuropäischer Kunst und der Gemälde Gauguins möchte Pechstein, diese Natürlichkeit zum Zentrum seines Schaffens machen. Als im Folgejahr seine Bilder nicht zur Ausstellung der Berliner Secession zugelassen werden, zählt er mit den ebenfalls ausjurierten Künstlern der Brücke zu den Gründungsmitgliedern der Neuen Secession. Für das Plakat der ersten Ausstellung der Refusierten in der Galerie Macht wählt er Lotte als wilde, mit Pfeil und Bogen bewaffnete Amazone, um den Bruch mit der vorherigen fest etablierten Institution kampfeslustig anzukündigen. Gegen alle Konventionen weiblicher Schönheit und Verhaltensregeln verstoßend, sorgt auch dieses Plakat für Empörung: "Das Plakat der Ausstellung zeigt ein plumpes, nacktes Indianerweib, brutal hingefetzt, mit dem Bogen im Anschlag. Hier ist das Programm: der Aufstand der primitiven rohen Kunstinstinkte wider die Zivilisation, die Kultur und den Geschmack in der Kunst." (Erich Vogeler, in: Der Kunstwart, Jg. 23, 1909/1910, S. 314). Die Dichterin Else Lasker-Schüler erkennt jedoch die Ähnlichkeit mit Lotte, fasziniert schreibt sie an ihren Mann Herwarth Walden: "Denk mal, Herwarth, das Plakat der Neuen Secession war im Café. Das ist ja Pechsteins Frau. Eine Indianerin ist sie wirklich, des roten Aasgeiers wunderschöne Tochter; sie ist malerisch wildböse, sie trug ein lila Gewand mit gelben Fransen." Mit ihren dunklen schwarzen Haaren und ihrer exotisch anmutenden Physiognomie wird Lotte zu Symbol und Verkörperung von Pechsteins künstlerischen Ambitionen und dem Ideal eines freigeistigen, außerhalb der Konventionen stattfindenden Lebens.

1911 - Ein neuer Abschnitt in Kunst und Leben
Am 25. März 1911 heiratet das junge Paar in Berlin. Für Pechstein beginnt ein äußerst produktives und dynamisches Jahr. Die Hochzeitsreise führt im März/April nach Italien mit dem Ziel Rom. Anschließend verbringt Pechstein, nun erstmals zusammen mit seiner Frau, den Sommer von Juni bis September in Nidden auf der Kuhrischen Nehrung, wo er bereits seit 1909 vor allem Freilicht- und Aktmalerei ungestört betreiben konnte. Die Dünenlandschaft ist für Pechstein das Äquivalent zu den archaischen, unberührten Südseeparadiesen der von ihm so bewunderten Gemälde Gauguins. In Nidden wohnt das Paar in der Fischerhütte Martin Sakuths am Hafen, und, sofern das Wetter es erlaubt, am Strand auf engstem Raum in einem kleinen roten Zelt. Lotte steht für zahlreiche Aktbilder in den Dünen Modell, sommerlich, befreit, vital und mit der Aura einer Südseeschönheit. Als das Wetter sich zu verschlechtern beginnt, steht die Rückreise nach Berlin an.
Die Ruhende ist ein Motiv, das von der neugewonnenen und nach der Eheschließung neu erlebten Intimität des jungen Liebespaares zeugt. Wenige Bilder der Zeit erlauben es, der Person Lotte so nahe zu kommen. Im Schlaf porträtiert, erhaschen wir einen unverfälschten Blick auf den Menschen, mit dem Pechstein lebt und dessen Präsenz, Bewegung und Anwesenheit er aufsaugt. Er malt und zeichnet Lotte beim Aufstehen, Ankleiden und Waschen und zeigt so, wie alles an Lotte, der Alltag mit der geliebten Frau, für ihn zur Kunst wird und ihm bildwürdig erscheint. Zärtliche Farben wie Rosa und Hellblau, anders als das grelle Rot und Gelb der Bilder in den Dünen, sowie dunkles Blau, Grün und Rotbraun des Innenraums umhüllen ihre Figur, die Geliebte in ihrem Schlaf nicht zu stören. Pechsteins Linienführung in den akzentuierten Konturen der Decken, Kissen und Vorhänge wird weicher und verliert ihre Schroffheit. Auch der Bildausschnitt erzählt von zärtlicher Nähe eines unbeobachteten, spontanen Moments, in dem die Schlafende malerisch festgehalten wird. Die herabhängende rechte Hand, zur Faust geschlossen, erscheint wie eine Geste der Reminiszenz an die "Tänzerin" Georg Kolbes, für die Lotte Modell gestanden hatte und in dessen Atelier die beiden sich erstmals kennenlernten. Vermutlich ist es gerade der Moment der kindlichen Selbstvergessenheit und befreiten Ursprünglichkeit, der Pechstein ebenso in den Bann zieht. Die Hand der Ruhenden liegt auf ihrem Bauch - bei einer möglichen Entstehung des Bildes im Herbst nach der Rückkehr nach Berlin mag dies schon ein Hinweis auf Lottes erste Schwangerschaft zu deuten sein. Im Juni 1912 kommt der erste Sohn zur Welt, der allerdings wenige Tage nach der Geburt verstirbt.

Eigene Wege - Neue Inspirationen
Das großformatige Gemälde seiner Ehefrau präsentiert Pechstein auf Einladung Paul Cassirers im April 1912 bei der XXIV. Ausstellung der Berliner Secession, neben dem "Akt mit Fächer" und dem "Kranken Mädchen". Versammelt sind dort außerdem so bedeutende und bereits arrivierte Kollegen wie Max Beckmann, Lovis Corinth und Max Liebermann, Kolbe stellt seine "Tänzerin" aus, außerdem vertreten ist van Gogh mit dem Werk "Arlésienne" und Picasso mit einigen Gemälden. Ein solches Umfeld lässt auch das Interesse der Sammler an Pechstein wachsen und resultiert in zahlreichen weiteren Ausstellungseinladungen, u. a. in München zusammen mit dem "Blauen Reiter" und in Herwarth Waldens "Der Sturm". Unter den "Brücke"-Künstlern ist Pechstein der einzige mit akademischer Ausbildung und auch der am internationalen Kunstgeschehen angebundene und interessierte Maler.
Die wilde Malweise der "Fauves" hatte er selbst direkt in Paris erleben wollen, besonders faszinierten ihn dort die Gemälde Gauguins mit seinen Südsee-Motiven. Für die "Brücke"-Zeit Pechsteins ist zudem der Einfluss Edvard Munchs prägend. Bereits seit 1902 handelt der Dresdner Kunstsalon Emil Richter, später erste Adresse der Brücke-Künstler, mit Munchs Grafik. Und im Februar 1906 wird dem norwegischen Künstler mit 20 Bildern eine Ausstellung im Sächsischen Kunstverein in Dresden eingerichtet, die von Pechstein und den Mitgliedern der Brücke mit Sicherheit wahrgenommen wird. Abgesehen davon will man den norwegischen Künstler als aktives Mitglied gewinnen. Vergeblich! Munchs nachhaltige Wirkung auf Pechstein lässt sich wohl auch damit erklären, dass dessen Werk als ein Bindeglied zwischen der Kunst des 19. Jahrhunderts, gerade auch in ihrem symbolistisch-expressiven Aspekt, und der Moderne zu verstehen ist.
Gerade für Pechstein war Munch damals eine Quelle der Inspiration, im Kontrast zur Malerei seines Lehrers Otto Gussmann, dessen Meisterschüler er bis 1906 war. Das Skandalmotiv "Der Tag danach" sorgte bereits 1892 bei seiner ersten Ausstellung in Berlin für aufgebrachte Kritiken in Bezug auf die malerische Ausführung und den als solchen angesehenen "moralischen Verfall" in der Kunst. Gerade die Abkehr vom Naturalismus und von der als oberflächlich-materialistisch verstandenen Malerei des Impressionismus scheint jedoch in der psychisch-emotionalen Farbwirkung und der freien, bewegt-linearen Strichführung im Schaffen Munchs neue Wege zu weisen. Im visuellen Gedächtnis, dem imaginären Museum Pechsteins klingt beim Motiv der Ruhenden zudem ein Werk des von ihm verehrten Gauguin an: "Die Geburt - Te tamari no atua" von 1896, ausgestellt 1906 in der Berliner Secession sowie 1907 in der Mannheimer Kunsthalle. 1910 erfolgt zudem eine Sonderausstellung Gauguins in der Dresdner Galerie Ernst Arnold.
Nach den malerischen Höhepunkten der "Brücke"-Künstler während der Sommer 1909-1911 an den Moritzburger Teichen kommt es im Folgejahr zu ersten Spannungen zwischen der Gruppe und Pechstein. Die Gründe dafür sind, wie er selbst schreibt, die wachsende Individualität der Mitglieder und der zunehmende Konkurrenzdruck, nachdem alle Mitglieder Ende 1911 nach Berlin übergesiedelt waren und nach Aufmerksamkeit auf dem Kunstmarkt streben. Im Oktober 1911 war Kirchner ins Nachbaratelier in der Durlacher Straße eingezogen, bereits im Frühjahr 1912 ziehen Pechstein und Lotte einige Straßen weiter. Pechsteins Teilnahme an der als akademisch angesehenen Secessionsausstellung führt, von Ada Nolde als "Treulosigkeit ohne Gleichen" bezeichnet, schließlich zum Bruch mit der "Brücke" und Pechsteins Ausschluss am 15. Mai 1912. Sein Erfolg hält jedoch weiterhin an. Kurz zuvor eröffnet seine Einzelausstellung in Mannheim, bei der Sonderbundausstellung in Köln ist er ebenfalls vertreten, Kontakte zur Galerie Gurlitt festigen sich, seine erste Einzelschau dort eröffnet im Februar 1913 mit 42 Gemälden und zahlreichen weiteren Arbeiten. Nach der Geburt des Sohnes Frank 1913 erfüllt sich im Folgejahr ein weiterer Traum: Gemeinsam mit Lotte reist er über Hongkong auf die deutsche Südsee-Kolonie der Palau-Inseln. [KT/MvL]

Dr. Ismar Littmann
Der Breslauer Rechtsanwalt und Notar Dr. Ismar Littmann gehört zu den aktivsten und bedeutendsten Sammlern der Kunst des deutschen Expressionismus. Als Kaufmannssohn am 2. Juli 1878 im oberschlesischen Groß Strehlitz geboren, lässt er sich 1906 als promovierter Rechtswissenschaftler in Breslau nieder, wo er wenig später Käthe Fränkel zur Frau nimmt. Als Rechtsanwalt wird Ismar Littmann beim Landgericht zugelassen. Er führt schon bald seine eigene Kanzlei, später gemeinsam mit seinem Kompagnon Max Loewe, und wird 1921 zum Notar erhoben.Der wohlhabende Jurist Dr. Ismar Littmann ist ein großzügiger Mäzen und Förderer der modernen, progressiven Kunst. Sein großes Engagement gilt insbesondere zeitgenössischen Künstlern aus dem Umfeld der Akademie der Bildenden Künste in Breslau, wie etwa dem "Brücke"-Maler und Akademieprofessor Otto Mueller. Sprichwörtlich ist heute die "Breslauer Künstlerbohème", die Ismar Littmann als Sammler und Mäzen prägt, fördert und begleitet. Ab den späten 1910er Jahren beginnt Dr. Ismar Littmann, seine bald berühmt gewordene Kunstsammlung aufzubauen. Die Sammlung Littmann umfasst Werke namhafter deutscher Künstler des Impressionismus und Expressionismus, neben Max Pechstein auch Otto Mueller, Käthe Kollwitz, Emil Nolde, Alexander Kanoldt und Lovis Corinth. Zu einigen der Genannten hat Littmann auch eine enge persönliche Verbindung. Gerade mit dem Ankauf von Werken des "Brücke"-Künstlers Max Pechstein zeigt sich Littmanns Gespür für die Kunst seiner Zeit. Wegweisend für die folgenden Jahre erwirbt er schon früh Gemälde des Künstlers, als dieser von nur wenigen Privatsammlern geschätzt und erworben wird. Erst mit Beginn der zwanziger Jahre ändert sich dies und Max Pechstein wird von Galeristen wie Wolfgang Gurlitt unterstützt - zu diesem Zeitpunkt hatte er längst Einzug gehalten in die Sammlung Dr. Ismar Littmann.
Die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten bringt jedoch den jähen Wandel. Früh und mit ganzer Härte setzt die Verfolgung des jüdischen Rechtsanwaltes Dr. Ismar Littmann ein. Seine Berufsgruppe zählt zu den ersten, die die Nationalsozialisten wirtschaftlich und gesellschaftlich vernichten wollen. Bereits ab dem Frühjahr 1933 ist es weder Dr. Ismar Littmann selbst noch seinen Kindern mehr möglich, ihren Berufen nachzugehen. Seiner Lebensgrundlage und Lebensfreude beraubt, steht Ismar Littmann vor den Trümmern einer glanzvollen Existenz. In tiefer Verzeweiflung wählt er am 23. September 1934 den Freitod. Ismar Littmann lässt seine Witwe Käthe sowie vier gemeinsame Kinder zurück. Mit Glück können die Überlebenden später aus der nationalsozialistischen Diktatur fliehen. Um die Flucht finanzieren und den Lebensunterhalt bestreiten zu können, muss die Familie Littmann Teile der bedeutenden Kunstsammlung verkaufen. Im Berliner Auktionshaus Max Perl werden am 26. und 27. Februar 1935 rund 200 Werke der Sammlung Littmann innerhalb einer Sammelauktion angeboten. Darunter befinden sich auch Sicherungsübereignungen der Familie Littmann an verschiedene Breslauer Banken, so auch "Die Ruhende". Denn im Zuge der Weltwirtschaftskrise ist Dr. Ismar Littmann gezwungen, Teile seiner Sammlung Breslauer Banken als Sicherheit für Kredite zu überlassen. Bis Mai 1933 gelingt es Littmann nach und nach, Gemälde aus diesen Sicherheiten auszulösen, seine Geschäfte hatten sich von der Krise erholt. Mit dem Berufsverbot 1933 ist ihm dies nicht mehr möglich und die noch nicht ausgelösten Gemälde verbleiben bei den Banken. So gelangt "Die Ruhende" über die Dresdner Bank in die Sammelversteigerung bei Max Perl. Das im Katalog auf 150 Reichsmark geschätzte Werk wird trotz dieses Schleuderpreises nicht verkauft. Es geht zurück an die Dresdner Bank und wird wie die anderen nicht ausgelösten Werke aus der Sicherungsverwahrung Littmann unter dem Bankengagement "Schwedenberg, Filiale Breslau" geführt. Als Teil dieses Bankengagements ereilt das Gemälde ein Schicksal, das ein Kaufvertrag vom 15. August 1935 besiegelt. Es wird Teil eines beispiellosen Kunstdeals. Das Land Preußen erwirbt en bloc von der Dresdener Bank mindestens 4.101 Objekte für insgesamt knapp 7,5 Millionen Reichsmark. Diese Kunstwerke stammen u. a. aus mit "Bankengagement" bezeichneten Vorgängen der Dresdner Bank. Diesen Bankengagements liegen meist Kredite zugrunde, deren Kreditnehmer zum Teil aufgrund ihrer jüdischen Religionszugehörigkeit den antisemitischen Verfolgungsmaßnahmen ab 1933 ausgesetzt sind und so keine Möglichkeit finden, die Kreditraten zu bedienen, um die Werke wieder auszulösen. So auch Dr. Ismar Littmann (Lynn Rother, Kunst durch Kredit, S. 2ff).
Über dieses Geschäft jedenfalls gelangt das Gemälde als Glanzstück der Sammlung zunächst in die Nationalgalerie/Kronprinzenpalais (Ost-Berlin) und mit der Wiedervereinigung in die Neue Nationalgalerie. 2022 wird es in gegenseitigem Einvernehmen an die Erben nach Dr. Ismar Littmann restituiert. Wieder sendet ein deutsches Museum ein kraftvolles Signal für den verantwortungsbewussten Umgang mit Kunstwerken aus jüdischem Eigentum. [SvdL]



16
Hermann Max Pechstein
Die Ruhende, 1911.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 1.200.000
Ergebnis:
€ 2.226.000

(inklusive Aufgeld)