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Alexej von Jawlensky
Mädchen mit Zopf, 1910.
Öl auf dünnem Malkarton, auf Hartfaser
Schätzung:
€ 3.500.000 Ergebnis:
€ 6.383.000 (inklusive Aufgeld)
Mädchen mit Zopf. 1910.
Öl auf dünnem Malkarton, auf Hartfaser.
Weiler 49. Jawlensky/Pieroni-Jawlensky 257. Links unten signiert sowie rechts unten datiert. 69,5 x 49,5 cm (27,3 x 19,4 in).
• „Mädchen mit Zopf“– ein expressionistisches Meisterwerk.
• Unvergleichlich und wegweisend: In Farbigkeit und Komposition ein faszinierender Solitär in Jawlenskys Œuvre und zugleich in entscheidender Weise wegweisend für sein Schaffen.
• Schlüsselwerk des Expressionismus: „Mädchen mit Zopf“ steht am Beginn von Jawlenskys expressionistischer Schaffensphase.
• Der menschliche Bildnis-Kopf ist Jawlenskys wichtigstes Thema; mit ihm entwickelt er vor dem Ersten Weltkrieg seinen neuartigen, expressiven Stil.
• Von musealer Qualität – Arbeiten vergleichbarer Qualität sind auf dem internationalen Auktionsmarkt von größter Seltenheit.
• Aus der Sammlung des Jawlensky-Kenners und ersten Werkverzeichnisautors Clemens Weiler, Wiesbaden.
• 1964 auf der legendären Jawlensky-Ausstellung anlässlich des 100. Geburtstags des Künstlers im Museum Wiesbaden und im Lenbachhaus, München, ausgestellt.
PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers (bis 1957).
Sammlung Dr. Clemens und Ilse Weiler, Wiesbaden (1957 direkt vom Vorgenannten erworben, bis 1968, Roman Norbert Ketterer, Campione).
Privatsammlung Köln (wohl 1968 vom Vorgenannten erworben - wohl bis 2007, Christie's, New York, 6.11.2007, Los 62).
Privatsammlung Schweiz (2007 vom Vorgenannten erworben).
AUSSTELLUNG: Alexej Jawlensky, Galerie Würthle, Wien 1922 (ohne Kat.).
Ölbilder von Alexej von Jawlensky, Galerie Alex Vömel, Düsseldorf, 1.10.-15.11.1956, Kat.-Nr. 3.
Alexej von Jawlensky, Kunsthalle Bern und Saarlandmuseum Saarbrücken, 11.5.-16.6.1957, Kat.-Nr. 15.
Alexej von Jawlensky, Kunstverein in Hamburg, Oktober bis November 1957, Kunsthalle Bremen, 12.12.1957-19.1.1958, Kat.-Nr. 12.
Alexej von Jawlensky, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, und Städtische Kunsthalle, Mannheim, 2.2.-16.3.1958, Kat.-Nr. 17.
Alexej von Jawlensky, Städtisches Museum, Wiesbaden, 22.3.-31.5.1964, Kat.-Nr. 8.
Alexej von Jawlensky, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 17.7.-13.9.1964, Kat.-Nr. 45.
Alexej von Jawlensky, Frankfurter Kunstverein, Frankfurt a. Main, 16.9.-22.10.1967, S. 46f. Kat.-Nr. 12 (m. SW-Abb., Tafel 12).
Alexej von Jawlensky. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafik, Städtische Museen Jena, 2.9.-25.11.2012, Kat.-Nr. 1/18, S. 218 (m. ganzs. Farbabb., S. 88).
Alexej von Jawlensky. El paisaje del rostro, Fundación Mapfre, Madrid, 9.2.-9.5.2021, Kat.-Nr. 21, S. 125 u. 290 (m. ganzs. Farbabb., S. 124).
LITERATUR: Franz Ottman, Kunstausstellungen in Wien. Winter 1921 bis Frühling 1922, in: Wiener Jahrbuch für bildende Kunst, V. Jahrgang, Wien 1922, Anm. S. 13.
Clemens Weiler, Alexej Jawlensky, Köln 1959, Kat.-Nr. 49, S. 229 (m. SW-Abb.).
Roman Norbert Ketterer, Campione/Schweiz, Moderne Kunst V, 1968, Kat.-Nr. 54 (m. Farbabb., S. 66).
Maria Jawlensky/Lucia Pieroni-Jawlensky/Angelica Jawlensky, Alexej von Jawlensky. Catalogue Raisonné of the Oil Paintings, London 1991, Bd. I, S. 215, Kat.-Nr. 257 (m. SW-Abb.).
Christie's, New York, Impressionist and Modern Art Evenig Sale, 6.11.2007, Los 62 (m. Farbabb.).
Alexej von Jawlensky-Archiv (Hrsg.), Reihe Bild und Wissenschaft. Forschungsbeiträge zu Leben und Werk Alexej von Jawlenskys, Bd. 3, Ascona 2009, Kat.-Nr. 257, S. 60.
„Das temperamentvoll ausgeführte Gemälde „Mädchen mit Zopf“ […] ist in der entscheidenden Werkphase Jawlenskys entstanden, als dieser gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Marianne von Werefkin sowie dem Künstlerpaar Gabriele Münter und Wassily Kandinsky in Murnau zwischen 1908 und 1910 den deutschen Expressionismus erfand.“
Dr. Roman Zieglgänsberger, Mai 2023, Museum Wiesbaden.
„[…] Dies war eine Wendung in meiner Kunst. Und bis 1914, gerade vor dem Krieg, habe ich in diesen Jahren meine stärksten Arbeiten, die unter dem Namen ,Vorkriegsarbeiten‘ bekannt sind, gemalt.“
Alexej von Jawlensky, Lebenserinnerungen, zit. nach: Clemens Weiler. Alexej Jawlensky. Köpfe – Gesichte – Meditationen, Hanau 1970, S. 112.
Öl auf dünnem Malkarton, auf Hartfaser.
Weiler 49. Jawlensky/Pieroni-Jawlensky 257. Links unten signiert sowie rechts unten datiert. 69,5 x 49,5 cm (27,3 x 19,4 in).
• „Mädchen mit Zopf“– ein expressionistisches Meisterwerk.
• Unvergleichlich und wegweisend: In Farbigkeit und Komposition ein faszinierender Solitär in Jawlenskys Œuvre und zugleich in entscheidender Weise wegweisend für sein Schaffen.
• Schlüsselwerk des Expressionismus: „Mädchen mit Zopf“ steht am Beginn von Jawlenskys expressionistischer Schaffensphase.
• Der menschliche Bildnis-Kopf ist Jawlenskys wichtigstes Thema; mit ihm entwickelt er vor dem Ersten Weltkrieg seinen neuartigen, expressiven Stil.
• Von musealer Qualität – Arbeiten vergleichbarer Qualität sind auf dem internationalen Auktionsmarkt von größter Seltenheit.
• Aus der Sammlung des Jawlensky-Kenners und ersten Werkverzeichnisautors Clemens Weiler, Wiesbaden.
• 1964 auf der legendären Jawlensky-Ausstellung anlässlich des 100. Geburtstags des Künstlers im Museum Wiesbaden und im Lenbachhaus, München, ausgestellt.
PROVENIENZ: Nachlass des Künstlers (bis 1957).
Sammlung Dr. Clemens und Ilse Weiler, Wiesbaden (1957 direkt vom Vorgenannten erworben, bis 1968, Roman Norbert Ketterer, Campione).
Privatsammlung Köln (wohl 1968 vom Vorgenannten erworben - wohl bis 2007, Christie's, New York, 6.11.2007, Los 62).
Privatsammlung Schweiz (2007 vom Vorgenannten erworben).
AUSSTELLUNG: Alexej Jawlensky, Galerie Würthle, Wien 1922 (ohne Kat.).
Ölbilder von Alexej von Jawlensky, Galerie Alex Vömel, Düsseldorf, 1.10.-15.11.1956, Kat.-Nr. 3.
Alexej von Jawlensky, Kunsthalle Bern und Saarlandmuseum Saarbrücken, 11.5.-16.6.1957, Kat.-Nr. 15.
Alexej von Jawlensky, Kunstverein in Hamburg, Oktober bis November 1957, Kunsthalle Bremen, 12.12.1957-19.1.1958, Kat.-Nr. 12.
Alexej von Jawlensky, Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, und Städtische Kunsthalle, Mannheim, 2.2.-16.3.1958, Kat.-Nr. 17.
Alexej von Jawlensky, Städtisches Museum, Wiesbaden, 22.3.-31.5.1964, Kat.-Nr. 8.
Alexej von Jawlensky, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 17.7.-13.9.1964, Kat.-Nr. 45.
Alexej von Jawlensky, Frankfurter Kunstverein, Frankfurt a. Main, 16.9.-22.10.1967, S. 46f. Kat.-Nr. 12 (m. SW-Abb., Tafel 12).
Alexej von Jawlensky. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafik, Städtische Museen Jena, 2.9.-25.11.2012, Kat.-Nr. 1/18, S. 218 (m. ganzs. Farbabb., S. 88).
Alexej von Jawlensky. El paisaje del rostro, Fundación Mapfre, Madrid, 9.2.-9.5.2021, Kat.-Nr. 21, S. 125 u. 290 (m. ganzs. Farbabb., S. 124).
LITERATUR: Franz Ottman, Kunstausstellungen in Wien. Winter 1921 bis Frühling 1922, in: Wiener Jahrbuch für bildende Kunst, V. Jahrgang, Wien 1922, Anm. S. 13.
Clemens Weiler, Alexej Jawlensky, Köln 1959, Kat.-Nr. 49, S. 229 (m. SW-Abb.).
Roman Norbert Ketterer, Campione/Schweiz, Moderne Kunst V, 1968, Kat.-Nr. 54 (m. Farbabb., S. 66).
Maria Jawlensky/Lucia Pieroni-Jawlensky/Angelica Jawlensky, Alexej von Jawlensky. Catalogue Raisonné of the Oil Paintings, London 1991, Bd. I, S. 215, Kat.-Nr. 257 (m. SW-Abb.).
Christie's, New York, Impressionist and Modern Art Evenig Sale, 6.11.2007, Los 62 (m. Farbabb.).
Alexej von Jawlensky-Archiv (Hrsg.), Reihe Bild und Wissenschaft. Forschungsbeiträge zu Leben und Werk Alexej von Jawlenskys, Bd. 3, Ascona 2009, Kat.-Nr. 257, S. 60.
„Das temperamentvoll ausgeführte Gemälde „Mädchen mit Zopf“ […] ist in der entscheidenden Werkphase Jawlenskys entstanden, als dieser gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Marianne von Werefkin sowie dem Künstlerpaar Gabriele Münter und Wassily Kandinsky in Murnau zwischen 1908 und 1910 den deutschen Expressionismus erfand.“
Dr. Roman Zieglgänsberger, Mai 2023, Museum Wiesbaden.
„[…] Dies war eine Wendung in meiner Kunst. Und bis 1914, gerade vor dem Krieg, habe ich in diesen Jahren meine stärksten Arbeiten, die unter dem Namen ,Vorkriegsarbeiten‘ bekannt sind, gemalt.“
Alexej von Jawlensky, Lebenserinnerungen, zit. nach: Clemens Weiler. Alexej Jawlensky. Köpfe – Gesichte – Meditationen, Hanau 1970, S. 112.
"Mädchen mit Zopf"- Ein rauschhaft entfesseltes, expressionistisches Meisterwerk
1910 malt Alexej von Jawlensky mit diesem Gemälde eine Ikone der Moderne. "Mädchen mit Zopf" ist in seiner Anlage so ungewöhnlich wie herausragend: Rauschhafte Spontanität des Farbauftrages und das freie Spiel aus Form und Farbe verbindet der Künstler zu einem Meisterwerk des Expressionismus und schafft hier ein singuläres Schlüsselwerk! Mit der geheimnisvoll wirkenden Stilisierung des weiblichen Kopfes und dem vielfarbig angelegten und sich von jeglichem Naturvorbild emanzipierenden Gesicht schafft Jawlensky hier ein großartiges Porträt, das den Weg eröffnet zu jenen "starken und gewaltigen Köpfen" (Clemens Weiler), die er im Jahr 1912 malt. Jawlensky ist auf dem Höhepunkt seines Schaffens und geht in diesen entscheidenden Jahren zwischen 1908 und 1910 den sowohl für die Kunst der Moderne als auch für sein eigenes Œuvre wegweisenden Schritt.
Jawlensky lässt seine Wahrnehmung, seine Begeisterung für das Neue in einer überaus freien, kreativen und einzigartigen Übersetzung in dieses Bildnis fließen: "Mädchen mit Zopf" ist in seiner Anlage so ungewöhnlich wie herausragend. Es ist ein einzigartiges Werk, das den stilistischen Aufbruch in Richtung der "bunten Köpfe" um 1911/12 markiert. In dem Gemälde "Mädchen mit Zopf" verschränken sich Natureindruck und Kunsterfahrung. Das Bildnis erscheint wie eine Synthese aus unmittelbarer Gegenwärtigkeit des Modells und formalem Exerzitium, das sich aus Erfahrungen mit Werken anderer Künstler speist und Erinnerungen an eigene Werke einschließt. Jawlenskys Malerei reflektiert so die Kunst seiner Zeit auf ihrem jeweils neuesten Stand und es fließt auch das ein, was gerade gesellschaftlich en vogue ist, um daraus etwas ganz Eigenes, ganz Besonderes entstehen zu lassen: ein tiefgründiges Meisterwerk.
Leuchtend grün ist die Haut des exotischen "Mädchens mit Zopf", mit starken blauen, dunkelgrünen, türkisen sowie rosa-orangenen Akzenten. In bewegten Hieben ist die Farbe auf den ungrundierten, teils mutig stehen gelassenen Malgrund gesetzt. Neben dem Gesicht mit den großen, mandelförmigen Augen hat Jawlensky auch die länglichen Flächen der aufgestützten Unterarme bis in die Hände hinein souverän für sein von den farblichen Vorgaben der Natur gänzlich befreites Farbspiel genutzt. Umrahmt wird dieses expressive Spektakel vom tiefen Schwarz der Haare und dem vibrierenden Dunkelbau des Kleides vor dem mit ebenso bewegtem Strich auf den Malgrund gesetzten Fond in einem satten, tief lodernden Purpur. Und wie ein hell leuchtender Halbkreis umschließt der weiß-blau akzentuierte Spitzenkragen das in ausdrucksstarken Farbkontrasten leuchtende Gesicht nach unten und bildet damit einen starken farblichen Kontrapunkt zum exotisch anmutenden, tiefen Schwarz der Haare. Diese koloristische wie kompositionelle Meisterschaft und Spontanität in Kombination mit der spannungsvollen Perspektive und dem zoomartig fokussierten Bildausschnitt zeichnet "Mädchen mit Zopf" in besonderer Weise aus.
Während Wassily Kandinsky in der Landschaft die maximale Befreiung der Farbe sucht, der junge Franz Marc sich einer entrückten Tierwelt zuwendet und schließlich 1911 seine ersten blauen Pferde malt, fokussiert sich Jawlenskys Malerei hingegen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ganz auf das Motiv des Porträts. Entstehen anfänglich, vor allem in Jawlenskys impressionistischem Frühwerk, noch Landschaften, Stillleben und Porträts gleichwertig nebeneinander, so kommt es in dieser entscheidenden Werkphase zu einer radikalen motivischen Konzentration. Es ist das Porträt, das Jawlensky schließlich von 1909 bis 1912 zu den äußerst farbgewaltigen, weitestgehend entindividualisierten und gleichermaßen sinnlich entrückten "Köpfen" weiterentwickelt.
Roman Zieglgänsberger über Jawlenskys "Mädchen mit Zopf:
"Das temperamentvoll ausgeführte Gemälde "Mädchen mit Zopf" ist in der entscheidenden Werkphase Jawlenskys entstanden, als dieser gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Marianne von Werefkin sowie dem Künstlerpaar Gabriele Münter und Wassily Kandinsky in Murnau zwischen 1908 und 1910 den deutschen Expressionismus erfand. Im Nachhinein äußerten sich sowohl Kandinsky als auch Münter, dass Jawlensky in jenem Moment kurz vor der Gründung des "Blauen Reiters" von eminenter Bedeutung für ihre Kunst gewesen sei. Es können nur seltene Werke wie das "Mädchen mit Zopf" gewesen sein, die eine derartige Wirkung entfalten und andere mitreißen konnten, Werke, die Jawlensky nicht nur auf dem Höhepunkt seiner malerischen Impulsivität zeigen, sondern darüber hinaus sein intuitives Gespür für delikate Farbzusammenstellungen. Es ist immer wieder verblüffend, wie es der Künstler schaffte, bewusst gesetzte Dissonanzen, wie hier das changierende Hellblau des Kragens zum dunklen Rot des Hintergrunds, beispielsweise durch die angrenzenden grünen Gesichtstöne und das fast geschlossene und dennoch sehr belebte Schwarz der Haare zu beruhigen, so dass die Wirkung, die bei den Betrachtenden am Ende ankommt, am besten als eine "extrovertierte" Harmonie zu beschreiben ist. Dadurch kann das Gemälde nie langweilig werden - immer, wenn man es wieder aufs Neue ansieht, ist man unmittelbar involviert, wird man sofort selbst Teil des Bildes. Dabei wird oft übersehen, dass Jawlensky nicht nur durch Farbe und Pinselduktus Emotionalität zu wecken vermag, sondern seine Bilder auch inhaltlich ungemein spannend sind. So bissig und harmonisch zugleich der Künstler in seiner Farbgestaltung ist, so widersprüchlich ist er bei genauem Hinsehen auch in seiner thematischen Motivgestaltung: Das Mädchen, das seinen Kopf selbstvergessen auf den zusammengeführten Händen aufstützt, wirkt mit den schmalen Augen und dem abschweifenden Blick ruhig und in sich gekehrt. Damit ist klar angedeutet, dass sie gedanklich weit entfernt ist von ihrer äußeren Umgebung. Zugleich ahnen wir aber durch das tief-herzfarbene, fast pulsierende Rot, das sie zur Gänze einfasst, dem pointiert gesetzten Wangenrot und der offensiven Farbigkeit insgesamt, dass es in ihrem Inneren "brodelt". Unterstützt wird dieser Eindruck durch ihre verhaltene, hin und her wogende Haltung, denn während die Arme nach links neigen, wenden sich der Kopf und der Blick nach rechts. Damit kommen in diesem kraftvoll-emotionalen und zugleich ausnehmend feinsinnigen Gemälde Form und Inhalt auf nachgerade ideale Weise, wie es selten und nur den größten Künstlerinnen und Künstlern der Klassischen Moderne glückt, zusammen."
Roman Zieglgänsberger
Kustos für Klassische Moderne, Museum Wiesbaden
Vom Impressionismus und Fauvismus zum Expressionismus - "Mädchen mit Zopf": Ein Schlüsselwerk aus Jawlenskys bester Schaffenszeit
Jawlensky geht in diesen entscheidenden Jahren den für die Kunst der Moderne und für sein eigenes Œuvre wegweisenden Schritt hin zu einer von den Vorgaben der Natur gänzlich befreiten Ausdrucksfarbe, die er innerhalb des reduzierten formalen Rahmens einer entrückten Stilisierung und Entindividualisierung des menschlichen Antlitzes inszeniert. Jene bedeutenden Schöpfungen umgibt eine Aura, die uns bis heute rätselhaft und faszinierend erscheint. In dieser Zeit entstehen auch seine bedeutendsten, fauvistisch inspirierten Porträts, wie etwa das berühmte "Bildnis des Tänzers Alexander Saccharoff" (1909, Lenbachhaus München), "Helene mit buntem Turban" (1910, Guggenheim Museum, New York), "Nikita" (1910, Museum Wiesbaden) oder auch "Schokko mit rotem Hut" (1909, Columbus Museum of Modern Art, Ohio), welche jedoch alle hinsichtlich der Farbgebung des Inkarnats noch deutlich verhaltener und damit noch wirklichkeitsnäher aufgefasst sind. In ihnen ist es nicht das Gesicht, sondern vielmehr vorrangig die Kleidung, Kopfbedeckung und der farbige Hintergrund, in denen Jawlensky die ungeheure farbige Wucht seiner Malerei dieser Jahre auslebt. Als seine kunsthistorisch bedeutendsten Arbeiten aber gelten seine geheimnisvoll wirkenden, teils exotischen Stilisierungen des weiblichen Kopfes, in denen Jawlensky gerade in den vielfarbig angelegten und sich von jeglichem Naturvorbild emanzipierenden Gesichtern eine unvergleichliche expressionistische Farbwucht erreicht. "Barbarenfürstin" (um 1912, Karl Ernst Osthaus Museum, Hagen), "Federhut" (um 1912, Norton Simon Museum, The Galka Scheyer Collection, Pasadena) oder auch "Spanierin" (1913, Lenbachhaus München) heißen unter anderem diese Arbeiten, bei denen es Jawlensky nicht mehr um die Abbildhaftigkeit, sondern vielmehr ganz im Sinne der Kunsttheorie des "Blauen Reiters" und seines institutionellen Vorläufers, der 1909 gegründeten "Neuen Künstlervereinigung München" um den farb- und formbasierten Ausdruck eines geistig-emotionalen Empfindens geht. Jawlensky zählt neben Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Marianne von Werefkin zu den Gründungsmitgliedern der "Neuen Künstlervereinigung", die im Frühjahr 1909 in ihrem von Kandinsky verfassten Gründungszirkular formuliert: "Wir erlauben uns, Ihre Aufmerksamkeit auf eine Künstlervereinigung zu lenken, die im Januar 1909 ins Leben getreten ist [...] Wir gehen aus von dem Gedanken, dass der Künstler ausser den Eindrücken, die er von der äusseren Welt, der Natur, erhält, fortwährend in einer inneren Welt Erlebnisse sammelt; und das suchen nach künstlerischen Formen, welche die gegenseitige Durchdringung dieser sämtlichen Erlebnisse zum Ausdruck bringen sollen - nach Formen, die von allem Nebensächlichen befreit sein müssen, um nur das Notwendige stark zum Ausdruck zu bringen, - kurz, das Streben nach künstlerischer Synthese [...]" (zit. nach: Annegret Hoberg / Helmut Friedel, Der Blaue Reiter und das Neue Bild, München/London/New York 1999, S. 30).
Unser 1910 in exzentrisch befreiter Farbigkeit entstandenes, geheimnisvoll sinnendes "Mädchen mit Zopf" ist geradezu programmatisch für diesen bedeutenden Schritt hin zu einer formalen Vereinfachung, einem expressiven Einfühlen und malerischen Überwinden des gegenständlichen Motives. Mit dem freien Spiel des leuchtend grünen Inkarnats, das teils durch das Zufügen von Gelb in seiner exzentrischen Wirkung gesteigert oder aber um die geheimnisvollen Augen herum in ein ruhiger wirkendes Dunkelgrün moduliert wird, und den mutig orangenen, blauen und violetten Akzenten entfernt sich Jawlensky vom Vorbild der Natur und lässt uns teilhaben an seiner inneren Welt, seinem emotionalen Empfinden. Jawlensky, der in jeder Hinsicht ein Lebemann war und bereits seit einigen Jahren in einer verhängnisvollen Ménage-à-trois mit Marianne von Werefkin und deren junger Hausdame Helene Nesnakomoff lebt, die bereits 1902 mit erst 16 Jahren den gemeinsamen Sohn Andreas zur Welt bringt, hat das Gemälde "Mädchen mit Zopf" zu einer ikonenhaften Stilisierung weiblicher Schönheit und erotischer Attraktivität gesteigert.
"Mädchen mit Zopf" = Helene? - Eine sinnlich entfesselte Inszenierung weiblicher Schönheit
"Mädchen mit Zopf" ist tief durchdrungen von der emotionalen Aufgewühltheit eines Malers, der den - wenn auch wie hier hochgeschlossen zur Schau gestellten - weiblichen Reizen nie abgeneigt war. Der uneheliche Sohn Andreas verbringt den Sommer 1909 gemeinsam mit seinen Eltern und Marianne von Werefkin in Murnau, wo Jawlensky und Werefkin im Frühjahr und Sommer gemeinsam mit Kandinsky und Münter malen und in regem künstlerischen Austausch stehen. Bereits auf seiner Frankreichreise 1906 lernt Jawlensky die Malerei von Henri Matisse und Paul Gauguin kennen. Es sind dies die französischen Vorbilder, die durch Jawlensky den gemeinsamen Stil der künstlerischen Weggefährten in Murnau in dieser Zeit maßgeblich hin zu einer stärkeren farbigen Autonomie und summarisch aufgefassten Farbflächengestaltung beeinflussen. In Murnau kommt es zu einer Befreiung der Farbe, die für den deutschen Expressionismus und schließlich auch die Kunst des "Blauen Reiters" wegweisend ist. Ungemein befruchtend ist der enge künstlerische Austausch dieser Jahre, zu dem in besonderer Weise auch Werefkins berühmter Salon in der Giselastraße in Schwabing beigetragen hat, der ein hochfrequentierter Treffpunkt fortschrittlich gesinnter Künstler und Bohemiens war.
Während die etwas ältere, hochgebildete und einflussreiche Künstlerin Marianne von Werefkin, mit der Jawlensky seit seiner Übersiedlung nach München 1896 zusammenlebt, vorrangig seine intellektuelle Partnerin ist, bietet seine junge Geliebte Helene, die er schließlich 1922 nach der endgültigen Trennung von Werefkin heiraten wird, den emotionalen Stimulus dieser Jahre. Bereits 1901/2 hat er die blutjunge Helene noch impressionistisch als "Helene im spanischen Kostüm" in südländisch-exotischem Kostüm gemalt. Fortan ist sie sein bevorzugtes Modell, in dessen Darstellung er sich bis zur "Barbarenfürstin" (um 1912, Karl Ernst Osthaus Museum Hagen) immer mehr von der reinen Porträthaftigkeit entfernt und zunehmend zum Schöpfer stilisierter, farbbasierter Stimmungsköpfe wird. Nach Tayfun Belgin ist es die verräterisch hochgezogene linke Augenbraue, mit der sich Helene als Ausgangspunkt für mehrere bedeutende weibliche Köpfe in Jawlenskys Œuvre zu erkennen gibt (vgl. T. Belgin, Jawlenskys Modelle. Zur Person: Helene Nesnakomoff, in: Reihe Bild und Wissenschaft. Forschungsbeiträge zu Leben und Werk Alexej von Jawlenskys, Locarno 2005, Bd. 2, S.72f.).
Ist es also möglicherweise auch in unserem "Mädchen mit Zopf" Helene, die - damals Mitte zwanzig - den deutlich älteren Maler zu unserem emotional aufgeladenen, völlig entfesselten Farbrausch inspiriert hat? Werden wir hier möglicherweise zu Beobachtern jenes erotisch aufgeladenen Empfindens, das Jawlensky im kunsthistorisch wegweisenden Jahr 1909 mit seiner jungen Geliebten Helene verband? Was der Ausgangspunkt, die künstlerische Inspiration für dieses in Jawlenskys Schaffen absolut singuläre Meisterwerk war, können wir nur vermuten, da Jawlensky in der vorliegenden Arbeit die Porträthaftigkeit der vorangegangenen Jahre schlagartig überwindet und eine maximale geistig-emotionale Durchdringung des Dargestellten erreicht. Faszinierend ist auch die spannungsvolle Dissonanz, die sich zwischen dem mädchenhaft brav wirkenden Spitzenkragen und der sinnlich-entfesselten Darstellung des Kopfes ergibt. Aber es ist gerade diese rätselhaft-entrückte Aura, die Jawlenskys Meisterwerk "Mädchen mit Zopf" so unverwechselbar macht.
Aufbruch in die Moderne
Im Dezember 1909 findet schließlich die berühmte erste Ausstellung der "Neuen Künstlervereinigung München" in der Galerie Thannhauser statt, die aufgrund der vom Naturvorbild auf unerhörte Weise abweichenden Farbgewaltigkeit der ausgestellten Werke u. a. von Jawlensky, Kandinsky, Werefkin und Münter von der Presse in negativen Kritiken geradezu verrissen wird. Fritz von Ostini etwa schreibt in den "Münchener Neuesten Nachrichten" vom 9. Dezember 1909: "[...] Wie das Gründungszirkular der "Neuen Künstlervereinigung" erklärt, offenbart sich in den koloristischen Orgien, in dieser Loslösung von der Natur, der Wahrhaftigkeit und allem soliden Können "das Streben nach künstlerischer Synthese". Heiliger Bimbam [...]" (zit. nach: Annegret Hoberg / Helmut Friedel, Der Blaue Reiter und das Neue Bild, München/London/New York 1999, S. 33).
Die Presse kämpfte mit aller Wut gegen diese neue, im wahrsten Sinne wildgewordene Malerei an, das Publikum schimpfte, drohte und spuckte auf die Bilder. Für den damaligen Geschmack und das ästhetische Empfinden der Zeitgenossen war die Kunst Jawlenskys und seiner künstlerischen Weggefährten im Jahr 1909 also bei weitem zu viel. Heute hingegen gelten die von allen Konventionen losgelösten, progressiven künstlerischen Wege die damals mutig und gegen alle äußeren Widerstände beschritten wurden, als eines der bedeutendsten Kapitel, das die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. [JS/MvL]
1910 malt Alexej von Jawlensky mit diesem Gemälde eine Ikone der Moderne. "Mädchen mit Zopf" ist in seiner Anlage so ungewöhnlich wie herausragend: Rauschhafte Spontanität des Farbauftrages und das freie Spiel aus Form und Farbe verbindet der Künstler zu einem Meisterwerk des Expressionismus und schafft hier ein singuläres Schlüsselwerk! Mit der geheimnisvoll wirkenden Stilisierung des weiblichen Kopfes und dem vielfarbig angelegten und sich von jeglichem Naturvorbild emanzipierenden Gesicht schafft Jawlensky hier ein großartiges Porträt, das den Weg eröffnet zu jenen "starken und gewaltigen Köpfen" (Clemens Weiler), die er im Jahr 1912 malt. Jawlensky ist auf dem Höhepunkt seines Schaffens und geht in diesen entscheidenden Jahren zwischen 1908 und 1910 den sowohl für die Kunst der Moderne als auch für sein eigenes Œuvre wegweisenden Schritt.
Jawlensky lässt seine Wahrnehmung, seine Begeisterung für das Neue in einer überaus freien, kreativen und einzigartigen Übersetzung in dieses Bildnis fließen: "Mädchen mit Zopf" ist in seiner Anlage so ungewöhnlich wie herausragend. Es ist ein einzigartiges Werk, das den stilistischen Aufbruch in Richtung der "bunten Köpfe" um 1911/12 markiert. In dem Gemälde "Mädchen mit Zopf" verschränken sich Natureindruck und Kunsterfahrung. Das Bildnis erscheint wie eine Synthese aus unmittelbarer Gegenwärtigkeit des Modells und formalem Exerzitium, das sich aus Erfahrungen mit Werken anderer Künstler speist und Erinnerungen an eigene Werke einschließt. Jawlenskys Malerei reflektiert so die Kunst seiner Zeit auf ihrem jeweils neuesten Stand und es fließt auch das ein, was gerade gesellschaftlich en vogue ist, um daraus etwas ganz Eigenes, ganz Besonderes entstehen zu lassen: ein tiefgründiges Meisterwerk.
Leuchtend grün ist die Haut des exotischen "Mädchens mit Zopf", mit starken blauen, dunkelgrünen, türkisen sowie rosa-orangenen Akzenten. In bewegten Hieben ist die Farbe auf den ungrundierten, teils mutig stehen gelassenen Malgrund gesetzt. Neben dem Gesicht mit den großen, mandelförmigen Augen hat Jawlensky auch die länglichen Flächen der aufgestützten Unterarme bis in die Hände hinein souverän für sein von den farblichen Vorgaben der Natur gänzlich befreites Farbspiel genutzt. Umrahmt wird dieses expressive Spektakel vom tiefen Schwarz der Haare und dem vibrierenden Dunkelbau des Kleides vor dem mit ebenso bewegtem Strich auf den Malgrund gesetzten Fond in einem satten, tief lodernden Purpur. Und wie ein hell leuchtender Halbkreis umschließt der weiß-blau akzentuierte Spitzenkragen das in ausdrucksstarken Farbkontrasten leuchtende Gesicht nach unten und bildet damit einen starken farblichen Kontrapunkt zum exotisch anmutenden, tiefen Schwarz der Haare. Diese koloristische wie kompositionelle Meisterschaft und Spontanität in Kombination mit der spannungsvollen Perspektive und dem zoomartig fokussierten Bildausschnitt zeichnet "Mädchen mit Zopf" in besonderer Weise aus.
Während Wassily Kandinsky in der Landschaft die maximale Befreiung der Farbe sucht, der junge Franz Marc sich einer entrückten Tierwelt zuwendet und schließlich 1911 seine ersten blauen Pferde malt, fokussiert sich Jawlenskys Malerei hingegen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ganz auf das Motiv des Porträts. Entstehen anfänglich, vor allem in Jawlenskys impressionistischem Frühwerk, noch Landschaften, Stillleben und Porträts gleichwertig nebeneinander, so kommt es in dieser entscheidenden Werkphase zu einer radikalen motivischen Konzentration. Es ist das Porträt, das Jawlensky schließlich von 1909 bis 1912 zu den äußerst farbgewaltigen, weitestgehend entindividualisierten und gleichermaßen sinnlich entrückten "Köpfen" weiterentwickelt.
Roman Zieglgänsberger über Jawlenskys "Mädchen mit Zopf:
"Das temperamentvoll ausgeführte Gemälde "Mädchen mit Zopf" ist in der entscheidenden Werkphase Jawlenskys entstanden, als dieser gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Marianne von Werefkin sowie dem Künstlerpaar Gabriele Münter und Wassily Kandinsky in Murnau zwischen 1908 und 1910 den deutschen Expressionismus erfand. Im Nachhinein äußerten sich sowohl Kandinsky als auch Münter, dass Jawlensky in jenem Moment kurz vor der Gründung des "Blauen Reiters" von eminenter Bedeutung für ihre Kunst gewesen sei. Es können nur seltene Werke wie das "Mädchen mit Zopf" gewesen sein, die eine derartige Wirkung entfalten und andere mitreißen konnten, Werke, die Jawlensky nicht nur auf dem Höhepunkt seiner malerischen Impulsivität zeigen, sondern darüber hinaus sein intuitives Gespür für delikate Farbzusammenstellungen. Es ist immer wieder verblüffend, wie es der Künstler schaffte, bewusst gesetzte Dissonanzen, wie hier das changierende Hellblau des Kragens zum dunklen Rot des Hintergrunds, beispielsweise durch die angrenzenden grünen Gesichtstöne und das fast geschlossene und dennoch sehr belebte Schwarz der Haare zu beruhigen, so dass die Wirkung, die bei den Betrachtenden am Ende ankommt, am besten als eine "extrovertierte" Harmonie zu beschreiben ist. Dadurch kann das Gemälde nie langweilig werden - immer, wenn man es wieder aufs Neue ansieht, ist man unmittelbar involviert, wird man sofort selbst Teil des Bildes. Dabei wird oft übersehen, dass Jawlensky nicht nur durch Farbe und Pinselduktus Emotionalität zu wecken vermag, sondern seine Bilder auch inhaltlich ungemein spannend sind. So bissig und harmonisch zugleich der Künstler in seiner Farbgestaltung ist, so widersprüchlich ist er bei genauem Hinsehen auch in seiner thematischen Motivgestaltung: Das Mädchen, das seinen Kopf selbstvergessen auf den zusammengeführten Händen aufstützt, wirkt mit den schmalen Augen und dem abschweifenden Blick ruhig und in sich gekehrt. Damit ist klar angedeutet, dass sie gedanklich weit entfernt ist von ihrer äußeren Umgebung. Zugleich ahnen wir aber durch das tief-herzfarbene, fast pulsierende Rot, das sie zur Gänze einfasst, dem pointiert gesetzten Wangenrot und der offensiven Farbigkeit insgesamt, dass es in ihrem Inneren "brodelt". Unterstützt wird dieser Eindruck durch ihre verhaltene, hin und her wogende Haltung, denn während die Arme nach links neigen, wenden sich der Kopf und der Blick nach rechts. Damit kommen in diesem kraftvoll-emotionalen und zugleich ausnehmend feinsinnigen Gemälde Form und Inhalt auf nachgerade ideale Weise, wie es selten und nur den größten Künstlerinnen und Künstlern der Klassischen Moderne glückt, zusammen."
Roman Zieglgänsberger
Kustos für Klassische Moderne, Museum Wiesbaden
Vom Impressionismus und Fauvismus zum Expressionismus - "Mädchen mit Zopf": Ein Schlüsselwerk aus Jawlenskys bester Schaffenszeit
Jawlensky geht in diesen entscheidenden Jahren den für die Kunst der Moderne und für sein eigenes Œuvre wegweisenden Schritt hin zu einer von den Vorgaben der Natur gänzlich befreiten Ausdrucksfarbe, die er innerhalb des reduzierten formalen Rahmens einer entrückten Stilisierung und Entindividualisierung des menschlichen Antlitzes inszeniert. Jene bedeutenden Schöpfungen umgibt eine Aura, die uns bis heute rätselhaft und faszinierend erscheint. In dieser Zeit entstehen auch seine bedeutendsten, fauvistisch inspirierten Porträts, wie etwa das berühmte "Bildnis des Tänzers Alexander Saccharoff" (1909, Lenbachhaus München), "Helene mit buntem Turban" (1910, Guggenheim Museum, New York), "Nikita" (1910, Museum Wiesbaden) oder auch "Schokko mit rotem Hut" (1909, Columbus Museum of Modern Art, Ohio), welche jedoch alle hinsichtlich der Farbgebung des Inkarnats noch deutlich verhaltener und damit noch wirklichkeitsnäher aufgefasst sind. In ihnen ist es nicht das Gesicht, sondern vielmehr vorrangig die Kleidung, Kopfbedeckung und der farbige Hintergrund, in denen Jawlensky die ungeheure farbige Wucht seiner Malerei dieser Jahre auslebt. Als seine kunsthistorisch bedeutendsten Arbeiten aber gelten seine geheimnisvoll wirkenden, teils exotischen Stilisierungen des weiblichen Kopfes, in denen Jawlensky gerade in den vielfarbig angelegten und sich von jeglichem Naturvorbild emanzipierenden Gesichtern eine unvergleichliche expressionistische Farbwucht erreicht. "Barbarenfürstin" (um 1912, Karl Ernst Osthaus Museum, Hagen), "Federhut" (um 1912, Norton Simon Museum, The Galka Scheyer Collection, Pasadena) oder auch "Spanierin" (1913, Lenbachhaus München) heißen unter anderem diese Arbeiten, bei denen es Jawlensky nicht mehr um die Abbildhaftigkeit, sondern vielmehr ganz im Sinne der Kunsttheorie des "Blauen Reiters" und seines institutionellen Vorläufers, der 1909 gegründeten "Neuen Künstlervereinigung München" um den farb- und formbasierten Ausdruck eines geistig-emotionalen Empfindens geht. Jawlensky zählt neben Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Marianne von Werefkin zu den Gründungsmitgliedern der "Neuen Künstlervereinigung", die im Frühjahr 1909 in ihrem von Kandinsky verfassten Gründungszirkular formuliert: "Wir erlauben uns, Ihre Aufmerksamkeit auf eine Künstlervereinigung zu lenken, die im Januar 1909 ins Leben getreten ist [...] Wir gehen aus von dem Gedanken, dass der Künstler ausser den Eindrücken, die er von der äusseren Welt, der Natur, erhält, fortwährend in einer inneren Welt Erlebnisse sammelt; und das suchen nach künstlerischen Formen, welche die gegenseitige Durchdringung dieser sämtlichen Erlebnisse zum Ausdruck bringen sollen - nach Formen, die von allem Nebensächlichen befreit sein müssen, um nur das Notwendige stark zum Ausdruck zu bringen, - kurz, das Streben nach künstlerischer Synthese [...]" (zit. nach: Annegret Hoberg / Helmut Friedel, Der Blaue Reiter und das Neue Bild, München/London/New York 1999, S. 30).
Unser 1910 in exzentrisch befreiter Farbigkeit entstandenes, geheimnisvoll sinnendes "Mädchen mit Zopf" ist geradezu programmatisch für diesen bedeutenden Schritt hin zu einer formalen Vereinfachung, einem expressiven Einfühlen und malerischen Überwinden des gegenständlichen Motives. Mit dem freien Spiel des leuchtend grünen Inkarnats, das teils durch das Zufügen von Gelb in seiner exzentrischen Wirkung gesteigert oder aber um die geheimnisvollen Augen herum in ein ruhiger wirkendes Dunkelgrün moduliert wird, und den mutig orangenen, blauen und violetten Akzenten entfernt sich Jawlensky vom Vorbild der Natur und lässt uns teilhaben an seiner inneren Welt, seinem emotionalen Empfinden. Jawlensky, der in jeder Hinsicht ein Lebemann war und bereits seit einigen Jahren in einer verhängnisvollen Ménage-à-trois mit Marianne von Werefkin und deren junger Hausdame Helene Nesnakomoff lebt, die bereits 1902 mit erst 16 Jahren den gemeinsamen Sohn Andreas zur Welt bringt, hat das Gemälde "Mädchen mit Zopf" zu einer ikonenhaften Stilisierung weiblicher Schönheit und erotischer Attraktivität gesteigert.
"Mädchen mit Zopf" = Helene? - Eine sinnlich entfesselte Inszenierung weiblicher Schönheit
"Mädchen mit Zopf" ist tief durchdrungen von der emotionalen Aufgewühltheit eines Malers, der den - wenn auch wie hier hochgeschlossen zur Schau gestellten - weiblichen Reizen nie abgeneigt war. Der uneheliche Sohn Andreas verbringt den Sommer 1909 gemeinsam mit seinen Eltern und Marianne von Werefkin in Murnau, wo Jawlensky und Werefkin im Frühjahr und Sommer gemeinsam mit Kandinsky und Münter malen und in regem künstlerischen Austausch stehen. Bereits auf seiner Frankreichreise 1906 lernt Jawlensky die Malerei von Henri Matisse und Paul Gauguin kennen. Es sind dies die französischen Vorbilder, die durch Jawlensky den gemeinsamen Stil der künstlerischen Weggefährten in Murnau in dieser Zeit maßgeblich hin zu einer stärkeren farbigen Autonomie und summarisch aufgefassten Farbflächengestaltung beeinflussen. In Murnau kommt es zu einer Befreiung der Farbe, die für den deutschen Expressionismus und schließlich auch die Kunst des "Blauen Reiters" wegweisend ist. Ungemein befruchtend ist der enge künstlerische Austausch dieser Jahre, zu dem in besonderer Weise auch Werefkins berühmter Salon in der Giselastraße in Schwabing beigetragen hat, der ein hochfrequentierter Treffpunkt fortschrittlich gesinnter Künstler und Bohemiens war.
Während die etwas ältere, hochgebildete und einflussreiche Künstlerin Marianne von Werefkin, mit der Jawlensky seit seiner Übersiedlung nach München 1896 zusammenlebt, vorrangig seine intellektuelle Partnerin ist, bietet seine junge Geliebte Helene, die er schließlich 1922 nach der endgültigen Trennung von Werefkin heiraten wird, den emotionalen Stimulus dieser Jahre. Bereits 1901/2 hat er die blutjunge Helene noch impressionistisch als "Helene im spanischen Kostüm" in südländisch-exotischem Kostüm gemalt. Fortan ist sie sein bevorzugtes Modell, in dessen Darstellung er sich bis zur "Barbarenfürstin" (um 1912, Karl Ernst Osthaus Museum Hagen) immer mehr von der reinen Porträthaftigkeit entfernt und zunehmend zum Schöpfer stilisierter, farbbasierter Stimmungsköpfe wird. Nach Tayfun Belgin ist es die verräterisch hochgezogene linke Augenbraue, mit der sich Helene als Ausgangspunkt für mehrere bedeutende weibliche Köpfe in Jawlenskys Œuvre zu erkennen gibt (vgl. T. Belgin, Jawlenskys Modelle. Zur Person: Helene Nesnakomoff, in: Reihe Bild und Wissenschaft. Forschungsbeiträge zu Leben und Werk Alexej von Jawlenskys, Locarno 2005, Bd. 2, S.72f.).
Ist es also möglicherweise auch in unserem "Mädchen mit Zopf" Helene, die - damals Mitte zwanzig - den deutlich älteren Maler zu unserem emotional aufgeladenen, völlig entfesselten Farbrausch inspiriert hat? Werden wir hier möglicherweise zu Beobachtern jenes erotisch aufgeladenen Empfindens, das Jawlensky im kunsthistorisch wegweisenden Jahr 1909 mit seiner jungen Geliebten Helene verband? Was der Ausgangspunkt, die künstlerische Inspiration für dieses in Jawlenskys Schaffen absolut singuläre Meisterwerk war, können wir nur vermuten, da Jawlensky in der vorliegenden Arbeit die Porträthaftigkeit der vorangegangenen Jahre schlagartig überwindet und eine maximale geistig-emotionale Durchdringung des Dargestellten erreicht. Faszinierend ist auch die spannungsvolle Dissonanz, die sich zwischen dem mädchenhaft brav wirkenden Spitzenkragen und der sinnlich-entfesselten Darstellung des Kopfes ergibt. Aber es ist gerade diese rätselhaft-entrückte Aura, die Jawlenskys Meisterwerk "Mädchen mit Zopf" so unverwechselbar macht.
Aufbruch in die Moderne
Im Dezember 1909 findet schließlich die berühmte erste Ausstellung der "Neuen Künstlervereinigung München" in der Galerie Thannhauser statt, die aufgrund der vom Naturvorbild auf unerhörte Weise abweichenden Farbgewaltigkeit der ausgestellten Werke u. a. von Jawlensky, Kandinsky, Werefkin und Münter von der Presse in negativen Kritiken geradezu verrissen wird. Fritz von Ostini etwa schreibt in den "Münchener Neuesten Nachrichten" vom 9. Dezember 1909: "[...] Wie das Gründungszirkular der "Neuen Künstlervereinigung" erklärt, offenbart sich in den koloristischen Orgien, in dieser Loslösung von der Natur, der Wahrhaftigkeit und allem soliden Können "das Streben nach künstlerischer Synthese". Heiliger Bimbam [...]" (zit. nach: Annegret Hoberg / Helmut Friedel, Der Blaue Reiter und das Neue Bild, München/London/New York 1999, S. 33).
Die Presse kämpfte mit aller Wut gegen diese neue, im wahrsten Sinne wildgewordene Malerei an, das Publikum schimpfte, drohte und spuckte auf die Bilder. Für den damaligen Geschmack und das ästhetische Empfinden der Zeitgenossen war die Kunst Jawlenskys und seiner künstlerischen Weggefährten im Jahr 1909 also bei weitem zu viel. Heute hingegen gelten die von allen Konventionen losgelösten, progressiven künstlerischen Wege die damals mutig und gegen alle äußeren Widerstände beschritten wurden, als eines der bedeutendsten Kapitel, das die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. [JS/MvL]
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Alexej von Jawlensky
Mädchen mit Zopf, 1910.
Öl auf dünnem Malkarton, auf Hartfaser
Schätzung:
€ 3.500.000 Ergebnis:
€ 6.383.000 (inklusive Aufgeld)
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