Auktion: 539 / Modern Art Day Sale am 10.06.2023 in München Lot 320

 

320
Paul Kleinschmidt
Schloss Burgau bei Wasserburg am Inn, 1909.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 12.000
Ergebnis:
€ 15.240

(inklusive Aufgeld)
Schloss Burgau bei Wasserburg am Inn. 1909.
Öl auf Leinwand.
Lipps-Kant 8 (hier fälschlich mit vertauschten Maßangaben als Hochformat gelistet). Links unten signiert. Auf dem Keilrahmen betitelt. 60 x 80 cm (23,6 x 31,4 in). [JS].

• Frühes, wegweisendes Gemälde: bereits im faszinierenden, Elemente des Realismus, Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit vereinenden Kleinschmidt-Stil.
• Ehemals Teil der bedeutenden Sammlung Dr. Ismar Littmann, Breslau, mit Malerei der "Brücke", u. a. auch Pechsteins "Die Ruhende" (Evening Sale) und weiteren avantgardistischen Positionen der Zeit.
• Anschließend Teil der New Yorker Moderne-Sammlung des Kleinschmidt-Förderers Erich Cohn
.

PROVENIENZ: Sammlung Dr. Ismar Littmann, Breslau (seit spätestens 1930, bis 23.9.1934, auf dem Keilrahmen mit dem Etikett).
Nachlass von Dr. Ismar Littmann, Breslau (am 23.9.1934 durch Erbschaft von Dr. Ismar Littmann, bis 26./27.2.1935: Auktion Max Perl, Berlin).
Sammlung Erich Cohn, New York (frühestens seit 1935).
Sammlung Richard A. Cohn, New York (vom Vorgenannten übernommen).
Estate of Roberta K. Cohn & Richard A. Cohn, Ltd., New York.
Gütliche Einigung des Vorgenannten mit den Erben von Dr. Ismar Littmann (2023).

Das Werk ist frei von Restitutionsansprüchen.

LITERATUR: Sammlung Dr. Ismar Littmann, Breslau, Inventar, 1930, Nr. 163.
Max Perl, Bücher des 15.-20. Jahrhundert (..), Gemälde, Aquarelle, Handzeichnungen, Graphik, Kunstgewerbe, Plastik, Versteigerung 26.-28.2.1935 (Katalog Nr. 188), Los 2502 "Landhaus mit Springbrunnen", 57 x 78 cm.
Barbara Lipps-Kant, Paul Kleinschmidt 1883-1949, Bd. I, Tübingen 1977, S. 8f., Bd. II, Nr. 7 (m. SW-Abb. Taf. 1c).

"Paul Kleinschmidt ist ein Fall für sich. Er war Einzelgänger und blieb Außenseiter. Innerhalb der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts – das heißt zwischen Expressionismus, Realismus und Neuer Sachlichkeit – nimmt er jedoch eine unverwechselbare Position ein. [..] Öffentliche Beachtung wurde Kleinschmidt zuteil, als er 1925 beziehungsweise 1928 in der renommierten Berliner Galerie Gurlitt und Flechtheim ausstellte. [..] Der Weg zu internationaler Anerkennung begann 1931 mit der Beteiligung an der Ausstellung 'Germain Paintings and Sculptures' im Museum of Modern Art in New York. 1933 richtete das Art Institute of Chicago Kleinschmidt anläßlich seines 50. Geburtstages eine umfangreiche Retrospektive aus, die anschließend vom Philadelphia Museum of Art übernommen wurde."
Götz Adriani, in: Paul Kleinschmidt, Ausst.-Kat. Kunsthalle Tübingen, Von der Heydt Museum, Wuppertal u.a., Ostfildern 1997, S. 7.

Nicht weniger als drei Kunstwerke aus der hochbedeutenden Sammlung von Ismar Littmann können in diesem Katalog angeboten werden. Ebenso wie ein weiteres Gemälde, Pechsteins Meisterwerk "Die Ruhende", das als Museumsrestitution im Evening Sale präsentiert wird (Los XX), sind auch die Werke von Lovis Corinth, Paul Kleinschmidt und Wilhelm Schmid beredte Zeugnisse dieser einst strahlenden Sammlung.
Zusammengetragen hat sie der 1878 im oberschlesischen Groß Strehlitz geborene Kaufmannssohn Ismar Littmann, der als erfolgreicher Jurist mit seiner Ehefrau Käthe in Breslau lebt. Er führt ein offenes Haus, hier geht die legendäre "Breslauer Künstlerbohème" ein und aus, und nicht wenige Maler sind mit dem Sammler persönlich bekannt. Leidenschaftlich engagiert sich Ismar Littmann für die moderne Kunst seiner Zeitgenossen. Mit scharfem Blick für das Besondere wählt er ab den späten 1910er Jahren die Werke für seine Kunstsammlung aus.
Das tragische Ende der Sammlung Littmann kündigt sich jedoch schon bald an. Wie viele andere durch die Weltwirtschaftskrise ab den späten 1920er Jahren unter Druck geraten, liefert Ismar Littmann zunächst im März 1932 ein größeres Grafik-Konvolut aus seiner auf fast 6.000 Kunstwerke angewachsenen Kollektion beim Auktionshaus Paul Graupe in Berlin ein. Vier ausgesuchte Kunstwerke von Lovis Corinth jedoch werden parallel zu dieser Auktion in einem kleinen, ausgesuchten Kooperationskatalog von Graupe mit dem Antiquar Ball präsentiert. Darunter befindet sich auch das hier angebotene "Selbstbildnis" von Corinth (Los XX). Die Zeichen für Kunstverkäufe stehen in diesen Jahren allerdings mehr als schlecht und das Werk kommt unverkauft in die Sammlung Littmann zurück.
Dort befindet es sich wohl auch noch, als die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten im Jahr 1933 alles verändert. Als jüdischer Rechtsanwalt wird Dr. Ismar Littmann massiv verfolgt, bereits im Frühjahr 1933 sieht er sich seiner Existenzgrundlage beraubt. Im Herbst 1934 begeht Littmann tief verzweifelt Suizid. Zurück bleiben die Witwe und vier Kinder. Die Familie muss die verbliebene Kunstsammlung im Februar 1935 über das Auktionshaus Max Perl versteigern lassen. Auf diesem Weg gehen auch das Selbstbildnis von Wilhelm Schmid (Los XX) und das Gemälde von Paul Kleinschmidt (Los XX) der Familie Littmann verloren.
Im Jahr 2023 kommen nun alle drei Werke frei von Restitutionsansprüchen zum Aufruf. Gemeinsam mit Pechsteins "Ruhender" ergibt sich so die Chance, gleich vier Kunstwerke aus einer der bedeutendsten Sammlungen der Moderne wiedervereint zu sehen – eine seltene Gelegenheit für Kunstfreunde und Sammler unserer Tage.

"Schloss Burgau bei Wasserburg am Inn" ist eines der ersten Gemälde Paul Kleinschmidts, das Barbara Lipps-Kant nach mehreren Versionen eines Porträts seiner Mutter als Nummer 8 in ihrem Werkkatalog verzeichnet. Diese wunderbare Landschaft ist aber nicht nur früh, sondern bereits in besonderer Weise exemplarisch für Kleinschmidts unverwechselbaren, zwischen Realismus, Expressionismus und Neuer Sachlichkeit anzusiedelnden Malstil. Sie offenbart ihre enorme künstlerische Progressivität, ihr herausragendes avantgardistisches Potenzial, wenn man sich bewusst macht, dass im Entstehungsjahr der Arbeit der "Brücke"-Stil und damit der deutsche Expressionismus in Dresden erst in seinen Anfängen war und die klar-reduzierte, objektivierende Darstellungsweise der Neuen Sachlichkeit, die erst im Anschluss an den Ersten Weltkrieg einsetzt, noch in weiter Ferne lag.
So verwundert es also nicht, dass Kleinschmidts mit expressivem Strich und zugleich mit kühlem, gradlinigem Blick auf die Leinwand gesetzter Schlosshof bereits früh Teil der bedeutenden Sammlung des Rechtsanwalts und Moderne-Kenners Dr. Ismar Littmann in Breslau war. Werke von Paul Kleinschmidt, einem der "geistigen Schüler" Lovis Corinths, finden sich zahlreich in der Kollektion. Allein 42 Gemälde des Künstlers sind 1930 in Littmanns Sammlungsinventar verzeichnet, darunter mit der Nummer 163 auch diese Arbeit. Klare, treffende Worte beschreiben hier das Gemälde: "Energisch gefuehrter Pinselstrich, der in seiner Bewegung (..) auch das Stoffliche mit sicherem Instinkt erfasst. Eine ganz im naturhaften (sic) wurzelnde Weltverlorenheit kommt bezwingend zum Ausdruck."
Später gelangt das Werk zu Littmanns ebenfalls aus Breslau stammendem, aber nach Amerika ausgewanderten Freund Erich Cohn, auch dieser ein echter Kleinschmidt-Kenner und der wichtigste Förderer des Künstlers. Andreas Hüneke schreibt dazu in seinem Aufsatz "Kunstbolschewismus? Kleinschmidts Werke als 'entartete' Kunst": "Die moderne Kunst wurde deshalb mit Vorliebe als 'jüdisch-bolschewistisch' bezeichnet, weil sie – wie behauptet wurde – lediglich von Juden 'gemacht' worden war, das heißt von jüdischen Kunsthändlern und Kritikern auf dem Markt durchgesetzt wurde. Wie gut Kleinschmidt in dieses Bild paßte, wurde nicht einmal registriert. Er wurde von Julius Meier-Graefe gefördert, und seine beiden wichtigsten Sammler – der Breslauer Rechtsanwalt Ismar Littmann und der New Yorker Fabrikant Erich Cohn – waren Juden." (zit. nach: Paul Kleinschmidt, Ausst.-Kat. Kunsthalle Tübingen u. a. 1997/98, S. 34.).
Erich Cohn könnte das Gemälde auf der Max-Perl-Auktion erworben haben, wo es 1935 unter der Losnummer 2502 angeboten wird. Die ganze Tragik dieses Verkaufs verbirgt sich hinter einem schlichten Kürzel, der Einlieferernummer 36: "Nachlass L., in B."
Im Erbgang bleibt das Gemälde in der Familie Cohn und kann heute auf Grundlage einer "gerechten und fairen Lösung" der Erben nach Erich Cohn und der Erben nach Ismar Littmann frei von Restitutionsansprüchen angeboten werden. [JS / AT]



320
Paul Kleinschmidt
Schloss Burgau bei Wasserburg am Inn, 1909.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 12.000
Ergebnis:
€ 15.240

(inklusive Aufgeld)