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Louis Soutter
Par l’éclatement du feu les corps réssucitent / Tête de face (2-seitig), 1930–194.
Mischtechnik, Fingermalerei mit Tusche, Kohle, ...
Schätzung:
€ 80.000 Ergebnis:
€ 250.000 (inklusive Aufgeld)
Par l’éclatement du feu les corps réssucitent / Tête de face (2-seitig). 1930–1942.
Mischtechnik, Fingermalerei mit Tusche, Kohle, Lack und Gouache.
Thévoz 2812 v und 2812 r. Unten mittig monogrammiert. Unten rechts auf collagiertem Papieretikett betitelt. Auf leicht strukturiertem Velin. 34 x 50,8 cm (13,3 x 20 in), blattgroß.
Doppelseitige Komposition. Verso mit der früheren und bei Thévoz als Vorderseite verzeichneten Gouache "Tête de face".
• Zu Lebzeiten verkannt, gilt Soutters fesselndes malerisches Werk, das er in der geschlossenen Abteilung der Heimanstalt Ballaigues geschaffen hat, heute als spektakuläre Neuentdeckung.
• Soutters in Fingermalerei ausgeführten, schwarzen Schattenfiguren seiner letzten Werkphase gelten international als die gefragtesten Arbeiten des Künstlers.
• Malerisch ausgeführte, doppelseitige Komposition.
• Seit mehr als 30 Jahren Teil einer deutschen Privatsammlung.
• Vergleichbare Arbeiten befinden sich in bedeutenden internationalen Sammlungen, darunter das Museum of Modern Art, New York, das Kunstmuseum Basel, und die Fondation Le Corbusier, Paris.
Wir danken Herrn Michael Haas, Berlin, für die freundliche Bestätigung der Provenienz.
PROVENIENZ: Sammlung Dr. Y. Champod, Yverdon (Schweiz) (um 1976).
Galerie Michael Haas, Berlin (mit dem abgelösten Etikett, 1989/90).
Privatsammlung Deutschland (1990 vom Vorgenannten erworben).
AUSSTELLUNG: Louis Soutter 1871-1942. Adolf Wölfli 1864-1930, Galerie Michael Haas, Oktober/November 1989, Kat.-Nr. 4 m. Abb. o. S. (mit dem abgelösten Etikett).
"Ich bin entschlossen zu malen und zu leiden!!"
Louis Soutter, 1937 an seinen Malerkollegen Marcel Poncet.
"Du kannst zeichnen und das gibt Dir eine wunderbare Gelegenheit darzustellen, was Dich im Innersten bewegt. [..] In Paris und Amerika bist Du von Freunden und Bewunderern umgeben. [..] Oft spreche ich von Dir mit Bewunderung. [..] Zeichne Louis, das ist das Glück. Und glaube an mich, Deinen Freund Le Corbusier."
Le Corbusier an Soutter, September 1936.
Mischtechnik, Fingermalerei mit Tusche, Kohle, Lack und Gouache.
Thévoz 2812 v und 2812 r. Unten mittig monogrammiert. Unten rechts auf collagiertem Papieretikett betitelt. Auf leicht strukturiertem Velin. 34 x 50,8 cm (13,3 x 20 in), blattgroß.
Doppelseitige Komposition. Verso mit der früheren und bei Thévoz als Vorderseite verzeichneten Gouache "Tête de face".
• Zu Lebzeiten verkannt, gilt Soutters fesselndes malerisches Werk, das er in der geschlossenen Abteilung der Heimanstalt Ballaigues geschaffen hat, heute als spektakuläre Neuentdeckung.
• Soutters in Fingermalerei ausgeführten, schwarzen Schattenfiguren seiner letzten Werkphase gelten international als die gefragtesten Arbeiten des Künstlers.
• Malerisch ausgeführte, doppelseitige Komposition.
• Seit mehr als 30 Jahren Teil einer deutschen Privatsammlung.
• Vergleichbare Arbeiten befinden sich in bedeutenden internationalen Sammlungen, darunter das Museum of Modern Art, New York, das Kunstmuseum Basel, und die Fondation Le Corbusier, Paris.
Wir danken Herrn Michael Haas, Berlin, für die freundliche Bestätigung der Provenienz.
PROVENIENZ: Sammlung Dr. Y. Champod, Yverdon (Schweiz) (um 1976).
Galerie Michael Haas, Berlin (mit dem abgelösten Etikett, 1989/90).
Privatsammlung Deutschland (1990 vom Vorgenannten erworben).
AUSSTELLUNG: Louis Soutter 1871-1942. Adolf Wölfli 1864-1930, Galerie Michael Haas, Oktober/November 1989, Kat.-Nr. 4 m. Abb. o. S. (mit dem abgelösten Etikett).
"Ich bin entschlossen zu malen und zu leiden!!"
Louis Soutter, 1937 an seinen Malerkollegen Marcel Poncet.
"Du kannst zeichnen und das gibt Dir eine wunderbare Gelegenheit darzustellen, was Dich im Innersten bewegt. [..] In Paris und Amerika bist Du von Freunden und Bewunderern umgeben. [..] Oft spreche ich von Dir mit Bewunderung. [..] Zeichne Louis, das ist das Glück. Und glaube an mich, Deinen Freund Le Corbusier."
Le Corbusier an Soutter, September 1936.
Louis Soutter – Kunsthistorische Neuentdeckung eines spektakulären Oeuvres
Verkannt, vereinsamt und vergessen: Soutters tragischer Lebensweg ist ein fesselndes und verstörendes Zeugnis des Scheiterns. Der als zweites Kind einer großbürgerlichen schweizerischen Apothekerfamilie geborene Künstler gilt nach vielversprechenden Anfängen bald als Sonderling, der den Ansprüchen an eine bildungsbürgerliche Existenz nicht zu entsprechen vermag. Unkonventionell in jeder Hinsicht ist auch Soutters malerisches Œuvre, das er, von seiner Familie entmündigt, bis zu seinem Tod in der totalen Abgeschiedenheit seines Zimmers in der Heimanstalt für Senioren und Pflegebedürftige in Ballaigues geschaffen hat. Heute werden seine revolutionären, alle Traditionen verneinenden Werke der frühen Art But zugerechnet und sind auf dem internationalen Auktionsmarkt heiß umkämpft. Zuvor ist sein Schaffen lange Zeit in Vergessenheit geraten, bis es im Zuge der großen Einzelausstellungen im Lenbachhaus München (1985) und schließlich im Kunstmuseum Basel (2002) von der Kunstgeschichte nach und nach wiederentdeckt und gefeiert wird. Seine energiegeladenen psychogrammatischen Bildfindungen faszinieren und fesseln, sie verneinen jegliche kunsthistorische Tradition und überfordern noch heute unsere Sehgewohnheiten.
Verkannt, vereinsamt und vergessen – Soutters Lebensweg als Protokoll des Scheiterns
Als Sohn eines Apothekers und einer Musikerin wächst Soutter in Morges in der Schweiz als Kind einer wohlhabenden, gebildeten Familie auf. Soutters Mutter ist die Großtante des berühmten Architekten Charles Edouard Jeanneret, bekannt als Le Corbusier. Der Wohlstand eröffnete Raum zum Experimentieren: Soutter nimmt zunächst ein Studium als Ingenieur auf, wechselt dann zur Architektur und bricht auch dieses ab, um sich fortan der Violine zu widmen. Mit 21 Jahren wird er Schüler von Eugène Ysaÿe, Professor am Königlichen Konservatorium in Brüssel, Geigenvirtuose und Komponist. Ysaÿe ist eine wichtige, positive Figur in Soutters Leben, der sein außergewöhnliches musisch-künstlerisches Talent fördert. Er ermutigt seinen Schüler, fortan auch seiner zweiten Liebe, der Malerei, nachzugehen. Soutter bricht daraufhin auch bald sein Musikstudium ab und kehrt in die Schweiz zurück, um zunächst in Lausanne und später dann in Paris verschiedene Kunst- und Malereiklassen zu besuchen. 1897 wandert Soutter schließlich mit der reichen und reizenden amerikanischen Violinistin Magde Fursman, die er in Brüssel kennenlernt und die bald seine Frau werden sollte, nach Colorado Springs aus. Dort wird er Leiter des neu gegründeten Art Department am Colorado College. Nur kurz aber währt dieser vermeintlich gefestigte Moment in Soutters Leben, denn auch dieser Schritt endet schnell im Bruch und verfestigt privat und beruflich eine Geschichte des Scheiterns: 1903 kommt es zur Scheidung und zum Rücktritt von der College-Leitung. Soutter kehrt als gebrochener Mann in die Schweiz zurück. Zunächst hat er dort ab 1908 noch eine Anstellung als Violinist im Symphonieorchester Lausanne und anschließend in Genf inne, doch der exzentrische Dandy hält sich in den Folgejahren nur noch mit Gelegenheitsjobs über Wasser, lebt zunehmend auf Kosten seiner Familie und sein Lebensweg wird zu einer Geschichte des Niederganges. Körperlich ausgezehrt und seelisch zerrüttet, lebt der eigensinnige Einzelgänger deutlich über seine Verhältnisse, wird schließlich von seiner Familie unter Vormundschaft gestellt und in ein schweizerisches Alten- und Pflegeheim eingewiesen. 19 Jahre verbringt Soutter bis zu seinem Tod vollkommen abgeschnitten von der Außenwelt in der geschlossenen Abteilung der autoritär geführten Heimanstalt in Ballaigues, wo er, dem man sogar seine Violine genommen hat, in der Abgeschiedenheit seiner Kammer fortan seine ganz eigene künstlerische Fantasiewelt zum Leben erweckt.
Flucht in die Fantasie – Soutters psychogrammatische Bildwelt
In einer ersten Werkphase entstehen dort in absoluter Einsamkeit über und über mit Zeichnungen angefüllte Schulhefte, mit denen sich Soutter seine seelischen Qualen geradezu in manischer Besessenheit von der Seele zu schreiben scheint. Erst über seinen Cousins Le Corbusier, der ihn im Jahr 1927 erstmals in Ballaigues aufsucht und von seinen Zeichnungen fasziniert ist, erhält Soutter fortan Zugang zu geeigneten Malmaterialen, wie großformatiges Papier, Kohle, Tusche und Gouache. Dennoch dominiert auch fortan das Schwarz seine Werke, und so könnte wohl keine andere Arbeit charakteristischer für Soutters Schaffen sein als unsere zweiseitige Komposition "Par l’éclatement du feu les corps réssucitent / Tête de face", die auf der einen Seite seine geheimnisvoll schemenhafte schwarze Figurenwelt ausbreitet, während uns auf der anderen Seite ein fratzenhaft überzeichneter Kopf mit leeren Augenhöhlen und verzweifelt aufgerissenem Mund aus der unendlichen Tiefe des Schwarz gegenübertritt. Soutters Werk, das sich nach seinem Tod 1942 nahezu geschlossen in seinem kleinen Heimzimmer auftürmt, das für die letzten 19 Jahre seines Lebens seine ganze Welt war, zeigt nicht nur eine motivisch progressive künstlerische Parallelwelt, sondern dokumentiert darüber hinaus einen technisch ebenso bedeutenden Schritt: Ab 1937 beginnt Soutter mit den Fingern zu malen und nimmt damit eine technische Errungenschaft der späteren Aktionskunst für sein künstlerisches Schaffen bereits vorweg. Nicht nur Kohle, sondern auch Tusche und Gouache vermalt er fortan wie in "Par l’éclatement du feu les corps réssucitent" mit den Händen und Fingernägeln, was seinen Werken einen vollkommen ungehinderten, energischen Ausdruck verleiht.
Soutters "Schattenfiguren" – Revolutionäre Bildwelt eines Gefangenen
Macht man sich bewusst, wie revolutionär und verstörend diese Bildfindungen auf die zeitgenössischen Betrachter:innen gewirkt haben müssen, für die die späteren Schöpfungen Nitschs, Pollocks, Pencks oder Dubuffets (Abb.) noch in ungeahnter Ferne lagen, so hat man das Gefühl, das man hier den psychogrammatischen Bildwelten eines verkannten Genies gegenübersteht. Vor allem Soutters schwarze Figuren, die er schemenhaft mit überlängten Gliedmaßen und rätselhaften Bewegungen über den flächig-abstrakt angelegten Bildgrund wandern lässt, wirken wie die bildgewordenen Schattengestalten aus Platons Höhlengleichnis, die auf der Wand vor den in der Höhle gefesselten Unwissenden vorüberziehen und von diesen zwangsläufig für die Wahrheit gehalten werden. Anders als Platons Unwissende, die bisher kein anderes Dasein kennen, ist Soutter jedoch ein Wissender, einer, der das Leben außerhalb der Höhle kennt, jedoch zum Höhlendasein verdammt, dazu übergegangen ist, sich in der totalen Abgeschiedenheit seine ganz eigene Wirklichkeit mithilfe seiner künstlerischen Fantasie zu erschaffen. Körperlich unfrei erreicht Soutter mithilfe der Kunst eine geistige Entgrenzung und Entrücktheit, eine Möglichkeit seine körperlichen und seelischen Leiden der Gefangenheit und Isolation zu verarbeiten. Führt man sich das vor Augen, so erscheint gerade die vorliegende Komposition mit dem Titel "Par l’éclatement du feu les corps réssucitent (Durch den Ausbruch des Feuers werden die Körper wiedergeboren)" als eine Art Schlüsselwerk in Soutters faszinierendem Schaffen.
Der Schriftsteller Lukas Hartmann hat dem beeindruckenden Leben Louis Soutters 2021 unter dem Titel "Schattentanz. Die Wege des Louis Soutter" einen eindrucksvollen biografischen Roman gewidmet, der die Faszination für diesen verkannten Künstler und sein lange Zeit vollkommen unbekanntes Werk erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Er ist Teil einer kunsthistorischen Neuentdeckung, die 2002 mit der Soutter-Retrospektive im Kunstmuseum Basel ihren Anfang genommen hat. Zu Soutters Lebzeiten maß lediglich sein berühmter Cousin, der Architekt Le Corbusier, dem eigenwilligen Schaffen seines entmündigten Cousins herausragende künstlerische Bedeutung bei.
Heute gelten Soutters nur äußerst selten auf dem internationalen Kunstmarkt angebotenen Papiergemälde mit den in Fingermalerei aufgetragenen, archaisch anmutenden schwarzen Schattenfiguren als seine gefragtesten Schöpfungen. Umso mehr freuen wir uns mit "Par l’éclatement du feu les corps réssucitent" darüber hinaus eine der doppelseitig ausgeführten Arbeiten dieses visionären Künstlers erstmals auf dem internationalen Auktionsmarkt präsentieren zu können, die nunmehr seit mehr als 30 Jahren Teil einer deutschen Privatsammlung ist.
Louis Soutter – Verkanntes Genie
Soutters Lebensweg ist die Geschichte eines eigensinnigen Einzelgängers, der den Ansprüchen einer bildungsbürgerlichen Existenz nicht zu genügen vermag und aufgrund seiner Unangepasstheit letztlich an den Anforderungen der bürgerlichen Gesellschaft scheitern musste. Der schweizerische Dirigent Heinz Holliger erwähnt, Soutter sei wegen schlechten Betragens aus dem Symphonieorchester geschmissen worden, da er häufig Widerspruch geleistet habe. In Holligers Augen war Soutter jedoch das größte Genie, das je in diesem Orchester saß, und man hätte die Vorschläge dieses "großen Visionär[s]" lieber ernst nehmen sollen (zit. nach: https://ultraschallberlin.de/das-groesste-genie-das-je-in-diesem-orchester-sass-heinz-holliger-ueber-louis-soutter/
ger-ueber-louis-soutter/). Auch betont Holliger, Soutter sei "nie als geisteskrank bezeichnet worden, von keinem Arzt." Er habe lediglich "plötzlich zwanzig Seidenkrawatten bestellt und die Rechnung seinem Bruder geschickt." Eine amüsante Anekdote, wie sie auch von späteren, die Gesellschaft mit ihrer Person und Kunst heraus- und überfordernden Künstlerpersönlichkeiten wie Martin Kippenberger, Jonathan Meese oder Andy Warhol überliefert sein könnte. Und so ist Soutters tragische Lebensgeschichte letztlich auch gleichermaßen die Geschichte des Scheiterns der bürgerlichen Gesellschaft an einer nicht zu klassifizierenden Künstlerpersönlichkeit und Kunst, an einem unkonventionellen und visionären Geist, der sich und seine Kunst jedem Anpassungswillen entzogen hat und dafür seiner Freiheit beraubt wurde. Und trotz aller Tragik ist es vermutlich auch gerade diese schmerzliche Erfahrung der Lebensuntüchtigkeit, des Gefangen- und Ausgeschlossenseins, die Soutters in der Heimanstalt von Ballaigues entstandenen Werken ihre bis heute unnachahmliche Aura verleiht. [JS]
Verkannt, vereinsamt und vergessen: Soutters tragischer Lebensweg ist ein fesselndes und verstörendes Zeugnis des Scheiterns. Der als zweites Kind einer großbürgerlichen schweizerischen Apothekerfamilie geborene Künstler gilt nach vielversprechenden Anfängen bald als Sonderling, der den Ansprüchen an eine bildungsbürgerliche Existenz nicht zu entsprechen vermag. Unkonventionell in jeder Hinsicht ist auch Soutters malerisches Œuvre, das er, von seiner Familie entmündigt, bis zu seinem Tod in der totalen Abgeschiedenheit seines Zimmers in der Heimanstalt für Senioren und Pflegebedürftige in Ballaigues geschaffen hat. Heute werden seine revolutionären, alle Traditionen verneinenden Werke der frühen Art But zugerechnet und sind auf dem internationalen Auktionsmarkt heiß umkämpft. Zuvor ist sein Schaffen lange Zeit in Vergessenheit geraten, bis es im Zuge der großen Einzelausstellungen im Lenbachhaus München (1985) und schließlich im Kunstmuseum Basel (2002) von der Kunstgeschichte nach und nach wiederentdeckt und gefeiert wird. Seine energiegeladenen psychogrammatischen Bildfindungen faszinieren und fesseln, sie verneinen jegliche kunsthistorische Tradition und überfordern noch heute unsere Sehgewohnheiten.
Verkannt, vereinsamt und vergessen – Soutters Lebensweg als Protokoll des Scheiterns
Als Sohn eines Apothekers und einer Musikerin wächst Soutter in Morges in der Schweiz als Kind einer wohlhabenden, gebildeten Familie auf. Soutters Mutter ist die Großtante des berühmten Architekten Charles Edouard Jeanneret, bekannt als Le Corbusier. Der Wohlstand eröffnete Raum zum Experimentieren: Soutter nimmt zunächst ein Studium als Ingenieur auf, wechselt dann zur Architektur und bricht auch dieses ab, um sich fortan der Violine zu widmen. Mit 21 Jahren wird er Schüler von Eugène Ysaÿe, Professor am Königlichen Konservatorium in Brüssel, Geigenvirtuose und Komponist. Ysaÿe ist eine wichtige, positive Figur in Soutters Leben, der sein außergewöhnliches musisch-künstlerisches Talent fördert. Er ermutigt seinen Schüler, fortan auch seiner zweiten Liebe, der Malerei, nachzugehen. Soutter bricht daraufhin auch bald sein Musikstudium ab und kehrt in die Schweiz zurück, um zunächst in Lausanne und später dann in Paris verschiedene Kunst- und Malereiklassen zu besuchen. 1897 wandert Soutter schließlich mit der reichen und reizenden amerikanischen Violinistin Magde Fursman, die er in Brüssel kennenlernt und die bald seine Frau werden sollte, nach Colorado Springs aus. Dort wird er Leiter des neu gegründeten Art Department am Colorado College. Nur kurz aber währt dieser vermeintlich gefestigte Moment in Soutters Leben, denn auch dieser Schritt endet schnell im Bruch und verfestigt privat und beruflich eine Geschichte des Scheiterns: 1903 kommt es zur Scheidung und zum Rücktritt von der College-Leitung. Soutter kehrt als gebrochener Mann in die Schweiz zurück. Zunächst hat er dort ab 1908 noch eine Anstellung als Violinist im Symphonieorchester Lausanne und anschließend in Genf inne, doch der exzentrische Dandy hält sich in den Folgejahren nur noch mit Gelegenheitsjobs über Wasser, lebt zunehmend auf Kosten seiner Familie und sein Lebensweg wird zu einer Geschichte des Niederganges. Körperlich ausgezehrt und seelisch zerrüttet, lebt der eigensinnige Einzelgänger deutlich über seine Verhältnisse, wird schließlich von seiner Familie unter Vormundschaft gestellt und in ein schweizerisches Alten- und Pflegeheim eingewiesen. 19 Jahre verbringt Soutter bis zu seinem Tod vollkommen abgeschnitten von der Außenwelt in der geschlossenen Abteilung der autoritär geführten Heimanstalt in Ballaigues, wo er, dem man sogar seine Violine genommen hat, in der Abgeschiedenheit seiner Kammer fortan seine ganz eigene künstlerische Fantasiewelt zum Leben erweckt.
Flucht in die Fantasie – Soutters psychogrammatische Bildwelt
In einer ersten Werkphase entstehen dort in absoluter Einsamkeit über und über mit Zeichnungen angefüllte Schulhefte, mit denen sich Soutter seine seelischen Qualen geradezu in manischer Besessenheit von der Seele zu schreiben scheint. Erst über seinen Cousins Le Corbusier, der ihn im Jahr 1927 erstmals in Ballaigues aufsucht und von seinen Zeichnungen fasziniert ist, erhält Soutter fortan Zugang zu geeigneten Malmaterialen, wie großformatiges Papier, Kohle, Tusche und Gouache. Dennoch dominiert auch fortan das Schwarz seine Werke, und so könnte wohl keine andere Arbeit charakteristischer für Soutters Schaffen sein als unsere zweiseitige Komposition "Par l’éclatement du feu les corps réssucitent / Tête de face", die auf der einen Seite seine geheimnisvoll schemenhafte schwarze Figurenwelt ausbreitet, während uns auf der anderen Seite ein fratzenhaft überzeichneter Kopf mit leeren Augenhöhlen und verzweifelt aufgerissenem Mund aus der unendlichen Tiefe des Schwarz gegenübertritt. Soutters Werk, das sich nach seinem Tod 1942 nahezu geschlossen in seinem kleinen Heimzimmer auftürmt, das für die letzten 19 Jahre seines Lebens seine ganze Welt war, zeigt nicht nur eine motivisch progressive künstlerische Parallelwelt, sondern dokumentiert darüber hinaus einen technisch ebenso bedeutenden Schritt: Ab 1937 beginnt Soutter mit den Fingern zu malen und nimmt damit eine technische Errungenschaft der späteren Aktionskunst für sein künstlerisches Schaffen bereits vorweg. Nicht nur Kohle, sondern auch Tusche und Gouache vermalt er fortan wie in "Par l’éclatement du feu les corps réssucitent" mit den Händen und Fingernägeln, was seinen Werken einen vollkommen ungehinderten, energischen Ausdruck verleiht.
Soutters "Schattenfiguren" – Revolutionäre Bildwelt eines Gefangenen
Macht man sich bewusst, wie revolutionär und verstörend diese Bildfindungen auf die zeitgenössischen Betrachter:innen gewirkt haben müssen, für die die späteren Schöpfungen Nitschs, Pollocks, Pencks oder Dubuffets (Abb.) noch in ungeahnter Ferne lagen, so hat man das Gefühl, das man hier den psychogrammatischen Bildwelten eines verkannten Genies gegenübersteht. Vor allem Soutters schwarze Figuren, die er schemenhaft mit überlängten Gliedmaßen und rätselhaften Bewegungen über den flächig-abstrakt angelegten Bildgrund wandern lässt, wirken wie die bildgewordenen Schattengestalten aus Platons Höhlengleichnis, die auf der Wand vor den in der Höhle gefesselten Unwissenden vorüberziehen und von diesen zwangsläufig für die Wahrheit gehalten werden. Anders als Platons Unwissende, die bisher kein anderes Dasein kennen, ist Soutter jedoch ein Wissender, einer, der das Leben außerhalb der Höhle kennt, jedoch zum Höhlendasein verdammt, dazu übergegangen ist, sich in der totalen Abgeschiedenheit seine ganz eigene Wirklichkeit mithilfe seiner künstlerischen Fantasie zu erschaffen. Körperlich unfrei erreicht Soutter mithilfe der Kunst eine geistige Entgrenzung und Entrücktheit, eine Möglichkeit seine körperlichen und seelischen Leiden der Gefangenheit und Isolation zu verarbeiten. Führt man sich das vor Augen, so erscheint gerade die vorliegende Komposition mit dem Titel "Par l’éclatement du feu les corps réssucitent (Durch den Ausbruch des Feuers werden die Körper wiedergeboren)" als eine Art Schlüsselwerk in Soutters faszinierendem Schaffen.
Der Schriftsteller Lukas Hartmann hat dem beeindruckenden Leben Louis Soutters 2021 unter dem Titel "Schattentanz. Die Wege des Louis Soutter" einen eindrucksvollen biografischen Roman gewidmet, der die Faszination für diesen verkannten Künstler und sein lange Zeit vollkommen unbekanntes Werk erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Er ist Teil einer kunsthistorischen Neuentdeckung, die 2002 mit der Soutter-Retrospektive im Kunstmuseum Basel ihren Anfang genommen hat. Zu Soutters Lebzeiten maß lediglich sein berühmter Cousin, der Architekt Le Corbusier, dem eigenwilligen Schaffen seines entmündigten Cousins herausragende künstlerische Bedeutung bei.
Heute gelten Soutters nur äußerst selten auf dem internationalen Kunstmarkt angebotenen Papiergemälde mit den in Fingermalerei aufgetragenen, archaisch anmutenden schwarzen Schattenfiguren als seine gefragtesten Schöpfungen. Umso mehr freuen wir uns mit "Par l’éclatement du feu les corps réssucitent" darüber hinaus eine der doppelseitig ausgeführten Arbeiten dieses visionären Künstlers erstmals auf dem internationalen Auktionsmarkt präsentieren zu können, die nunmehr seit mehr als 30 Jahren Teil einer deutschen Privatsammlung ist.
Louis Soutter – Verkanntes Genie
Soutters Lebensweg ist die Geschichte eines eigensinnigen Einzelgängers, der den Ansprüchen einer bildungsbürgerlichen Existenz nicht zu genügen vermag und aufgrund seiner Unangepasstheit letztlich an den Anforderungen der bürgerlichen Gesellschaft scheitern musste. Der schweizerische Dirigent Heinz Holliger erwähnt, Soutter sei wegen schlechten Betragens aus dem Symphonieorchester geschmissen worden, da er häufig Widerspruch geleistet habe. In Holligers Augen war Soutter jedoch das größte Genie, das je in diesem Orchester saß, und man hätte die Vorschläge dieses "großen Visionär[s]" lieber ernst nehmen sollen (zit. nach: https://ultraschallberlin.de/das-groesste-genie-das-je-in-diesem-orchester-sass-heinz-holliger-ueber-louis-soutter/
ger-ueber-louis-soutter/). Auch betont Holliger, Soutter sei "nie als geisteskrank bezeichnet worden, von keinem Arzt." Er habe lediglich "plötzlich zwanzig Seidenkrawatten bestellt und die Rechnung seinem Bruder geschickt." Eine amüsante Anekdote, wie sie auch von späteren, die Gesellschaft mit ihrer Person und Kunst heraus- und überfordernden Künstlerpersönlichkeiten wie Martin Kippenberger, Jonathan Meese oder Andy Warhol überliefert sein könnte. Und so ist Soutters tragische Lebensgeschichte letztlich auch gleichermaßen die Geschichte des Scheiterns der bürgerlichen Gesellschaft an einer nicht zu klassifizierenden Künstlerpersönlichkeit und Kunst, an einem unkonventionellen und visionären Geist, der sich und seine Kunst jedem Anpassungswillen entzogen hat und dafür seiner Freiheit beraubt wurde. Und trotz aller Tragik ist es vermutlich auch gerade diese schmerzliche Erfahrung der Lebensuntüchtigkeit, des Gefangen- und Ausgeschlossenseins, die Soutters in der Heimanstalt von Ballaigues entstandenen Werken ihre bis heute unnachahmliche Aura verleiht. [JS]
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