Auktion: 535 / Evening Sale mit Sammlung Hermann Gerlinger am 09.12.2022 in München Lot 49

 

49
Gabriele Münter
Blick über den Staffelsee, Um 1932.
Öl auf Malpappe, kaschiert auf Pappe
Schätzung:
€ 140.000
Ergebnis:
€ 325.000

(inklusive Aufgeld)
Blick über den Staffelsee. Um 1932.
Öl auf Malpappe, kaschiert auf Pappe.
Links unten signiert. 33 x 44,7 cm (12,9 x 17,5 in).
[KT].
• Münter gilt als mutige Pionierin und bedeutendste weibliche Vertreterin des Expressionismus.
• Die weitgereiste Künstlerin (USA, Tunesien, Italien, Frankreich, Skandinavien) entscheidet sich 1931 für die Rückkehr an den für sie emotional bedeutenden Ort Murnau.
• Der Staffelsee als biografisch wie künstlerisch zentrales Motiv tritt erneut in ihr Werk.
• Weitere Ansichten des Staffelsees sowie Landschaften aus Murnau befinden sich in den wichtigsten internationalen Sammlungen wie dem Art Institute, Chicago, dem Museum of Modern Art, New York, sowie der National Gallery of Art, Washington
.

Mit einer schriftlichen Bestätigung der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung vom 1. Dezember 2021. Das Gemälde wird in das Werkverzeichnis der Gemälde von Gabriele Münter aufgenommen.

PROVENIENZ: Privatsammlung München (wohl direkt von der Künstlerin an einen Rahmenmacher).
Privatsammlung Süddeutschland (vom Vorgenannten spätestens Ende der 1950er Jahre erhalten).
Privatsammlung Süddeutschland (durch Erbschaft vom Vorgenannten).

"1908 fand ich hier am Staffelsee in kurzer Spätsommerzeit bei höchstem Arbeitsschwung zu der mir gemäßen Weise von Malerei."
Gabriele Münter, 1948. Erinnerungen an den Beginn der Murnauer Zeit mit Wassily Kandinsky sowie den Freunden Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky. Zit. nach: Das Kunstwerk, Baden-Baden, 1948, Jg. 2, H. 7, S. 25.

Am 1. April 1931 kehrt Gabriele Münter in ihr Murnauer Haus zurück, das sie im Herbst 1914 verlassen hat. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges verliert ihr russischer Lebensgefährte Kandinsky die Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland und emigriert in die Schweiz. Gabriele Münter begleitet ihn und als er sich noch im selben Jahr von Zürich nach Moskau aufmacht, reist sie im Juli 1915 nach Stockholm, um ihn im neutralen Schweden zu treffen. Es wird die Enttäuschung ihres Lebens. "Von 1915 bis 1920 lebte ich in Skandinavien, hatte dort für mich allein große künstlerische Erfolge, verlor aber die Fühlung mit dem Kunstleben in Deutschland. Als ich zurückkehrte, blieb ich fremd und rührte mich kaum, wieder zur Geltung zu kommen. Auf meinem Wanderleben in Pensionszimmern – u. a. in Köln und Berlin wurde [es] nicht viel mit dem Malen, dafür pflegte ich in dem Jahrzehnt von 20-30 in aller Stille die Zeichnung in meinem Skizzenbuch", schreibt Gabriele Münter zurückblickend nach ihrer Rückkehr nach Deutschland Ende der 1920er Jahre (zit. nach: Annegret Hoberg, Gabriele Münter, München 2016, S. 48).

1927 lernt Gabriele Münter den Kunsthistoriker und Privatgelehrten Johannes Eichner kennen. Die Begegnung mit ihm führt zu einer erneuten entscheidenden Wende, ihr künstlerisches Schaffen erhält ihre alte Qualität zurück. Während eines mehrmonatigen Aufenthalts 1930 in Paris und Südfrankreich entstehen erstmals wieder Ölbilder mit anspruchsvollen Kompositionen und starken Farben. Mit der endgültigen Rückkehr nach Murnau im April 1931, wo Münter nun für den Rest ihres Lebens bleiben wird, beginnt für sie erneut eine Periode großer Produktivität. Ihre Bilder knüpfen dabei an die Malerei der Vorkriegszeit und die expressionistische Tradition des "Blauen Reiters" an. Die Themen ähneln jetzt wieder denen aus der Zeit des "Blauen Reiters": Stillleben, Porträts, Ansichten des Marktflecken Murnau und wie hier des Staffelsees. Mit homogenem, kühnem Farbeinsatz und den kompakten Flächen malt Münter das von der alten Kraft beseelte Motiv. Sie malt es von einem erhöhten Standpunkt auf dem Dünaberg oberhalb der Kohlgruber Straße aus gesehen, den die Künstlerin über einen kurzen Weg hinter ihrem Haus erreicht. Von dort breitet sich die Landschaft in Richtung Nordwesten aus, den Abhang mit grünen Wiesen mit grasenden Kühen hinunter, und trifft zwischen mächtigen Baumkronen und kräftig roten Hausdächern auf den Staffelsee. Ihm zu eigen ist von hier der Blick auf die Inseln Kleine und Große Birke sowie die von rechts in das Bild hereinragende bewohnte Insel Wörth. Die atmosphärischen Farben der Bäume im Herbst spiegeln sich im Blau des Wassers. Im Hintergrund erhebt sich sanft die hügelige Landschaft hinter dem See unweit der Gemeinde Uffing.

Die Künstlerin erobert erneut den Blick auf den Staffelsee. Es ist dies nicht nur eines ihrer beliebtesten Motive, der Staffelsee bedeutet für Gabriele Münter Heimat, in die sie nach so vielen Jahren gefühlter Unsicherheit zurückkehrt. Mit wenigen Konturen erarbeitet sie sich eine räumliche Distanz aus den Flächen heraus, mit sparsamen Mitteln gelingt ihr erneut eine beeindruckende Leistung in der Landschaftsmalerei. Wie sehr sie selbst diese Landschaft schätzt, ist auch der Tatsache zu entnehmen, dass sie motivgleiche Sichtweisen wie in der hier angebotenen Arbeit mit nur geringen Veränderungen wieder aufgreift. Münter lässt sich von der eigenen Harmonie dieser faszinierenden Landschaft gefangen nehmen und gestaltet sie mit künstlerischer Attitüde aus jener mit Distanz und Nähe geformten Vertrautheit. [MvL]



49
Gabriele Münter
Blick über den Staffelsee, Um 1932.
Öl auf Malpappe, kaschiert auf Pappe
Schätzung:
€ 140.000
Ergebnis:
€ 325.000

(inklusive Aufgeld)