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217
Ernst Ludwig Kirchner
Im Bordell, 1913/1920.
Öl auf Malpappe
Schätzung:
€ 400.000 Ergebnis:
€ 985.000 (inklusive Aufgeld)
Im Bordell. 1913/1920-25.
Öl auf Malpappe.
Gordon 287. Rechts oben signiert und vordatiert "05". 50,1 x 34 cm (19,7 x 13,3 in). [CH].
• Seit über 60 Jahren in deutschem Familienbesitz.
• Erotische und dynamisch-momenthafte Szene aus dem Berliner Nachtleben.
• Berliner Großstadt-Szenen sind auf dem Auktionsmarkt von allergrößter Seltenheit.
• Nach 1920 beruhigt Kirchner den hektischen Malstrich um eine konsequente Stilentwicklung zu dokumentieren.
• Durch seine Vordatierung auf 1905 manipuliert Kirchner die Chronologie seines Schaffens.
PROVENIENZ: Sammlung Walter Kern (1889-1966), St. Gallen (bis 1955; der Sammler war mit dem Künstler befreundet).
Gutekunst & Klipstein, Bern (1955 vom Vorgenannten erworben).
Privatsammlung Düsseldorf (1956 vom Vorgenannten erworben).
Seitdem in Familienbesitz.
AUSSTELLUNG: E. L. Kirchner. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Plastik, Manuskripte, Gutekunst & Klipstein, Bern, 15.12.1954-22.1.1955, Kat.-Nr. 1 (mit dem Titel "Im Freudenhaus", mit Abb.).
Art in Revolt. Germany 1905-1925, Marlborough Fine Art, London, Oktober bis November 1959, Kat.-Nr. 6 (verso mit dem Galerieetikett).
Kirchner 1880-1938. Oils, Watercolors, Drawings and Graphics, Marlborough Fine Art, London, Juni bis Juli 1969, Kat.-Nr. 7 (mit Abb., S. 31).
Ernst Ludwig Kirchner aus Privatbesitz. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Kunsthalle Bielefeld, Richard-Kaselowsky-Haus, 14.9.-26.10.1969, Kat.-Nr. 2.
LITERATUR: Ernst Ludwig Kirchner, Photoalbum I.
Thomas Röske, Ernst Ludwig Kirchner. Tanz zwischen den Frauen, Frankfurt am Main 1993, S. 64 (Fußnote 80).
Hyang-Sook Kim, Die Frauendarstellungen im Werk von Ernst Ludwig Kirchner. Verborgene Selbstbekenntnisse des Malers, Marburg 2002, S. 117f. (mit Abb., Nr. 75).
Öl auf Malpappe.
Gordon 287. Rechts oben signiert und vordatiert "05". 50,1 x 34 cm (19,7 x 13,3 in). [CH].
• Seit über 60 Jahren in deutschem Familienbesitz.
• Erotische und dynamisch-momenthafte Szene aus dem Berliner Nachtleben.
• Berliner Großstadt-Szenen sind auf dem Auktionsmarkt von allergrößter Seltenheit.
• Nach 1920 beruhigt Kirchner den hektischen Malstrich um eine konsequente Stilentwicklung zu dokumentieren.
• Durch seine Vordatierung auf 1905 manipuliert Kirchner die Chronologie seines Schaffens.
PROVENIENZ: Sammlung Walter Kern (1889-1966), St. Gallen (bis 1955; der Sammler war mit dem Künstler befreundet).
Gutekunst & Klipstein, Bern (1955 vom Vorgenannten erworben).
Privatsammlung Düsseldorf (1956 vom Vorgenannten erworben).
Seitdem in Familienbesitz.
AUSSTELLUNG: E. L. Kirchner. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Plastik, Manuskripte, Gutekunst & Klipstein, Bern, 15.12.1954-22.1.1955, Kat.-Nr. 1 (mit dem Titel "Im Freudenhaus", mit Abb.).
Art in Revolt. Germany 1905-1925, Marlborough Fine Art, London, Oktober bis November 1959, Kat.-Nr. 6 (verso mit dem Galerieetikett).
Kirchner 1880-1938. Oils, Watercolors, Drawings and Graphics, Marlborough Fine Art, London, Juni bis Juli 1969, Kat.-Nr. 7 (mit Abb., S. 31).
Ernst Ludwig Kirchner aus Privatbesitz. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Graphik, Kunsthalle Bielefeld, Richard-Kaselowsky-Haus, 14.9.-26.10.1969, Kat.-Nr. 2.
LITERATUR: Ernst Ludwig Kirchner, Photoalbum I.
Thomas Röske, Ernst Ludwig Kirchner. Tanz zwischen den Frauen, Frankfurt am Main 1993, S. 64 (Fußnote 80).
Hyang-Sook Kim, Die Frauendarstellungen im Werk von Ernst Ludwig Kirchner. Verborgene Selbstbekenntnisse des Malers, Marburg 2002, S. 117f. (mit Abb., Nr. 75).
Großes Gedränge herrscht in dem von Kirchner festgehaltenen Etablissement. Zwei Männer, der eine rauchend, schwarz gekleidet mit hohen Hüten an einem Tisch mit Getränken, sitzen rücklings zu einem Durchbruch mit Rundbogen in einen weiteren Raum. Ihnen gegenüber prostituieren sich zwei Frauen mit rot beziehungsweise schwarz gefärbten Haaren, mehr oder weniger luftig gekleidet, zeigen offen ihre Vorzüge und schwärmen um die Gunst der Freier. Eine grell bunte Szene aus dem Vergnügungsleben, die von Freiern und Prostituierten erzählt, wo auch Tänzerinnen arbeiten, um ihre Einkünfte aufzubessern. Die Übergänge zwischen der Welt des Vergnügens und der Prostitution sind fließend. Die Auseinandersetzung mit diesen erotischen Bildthemen spiegelt Kirchners bohèmehaftes Leben. Schon in der Dresdener Zeit zeichnet Kirchner Begegnungen im Atelier mit gesteigerter Erotik, entsprechende Bilder resultieren in Berlin aus Kirchners Umfeld, aus seinen Kontakten und seiner Lebensführung. Nicht nur der nächtliche Amüsierbetrieb der Großstadt konfrontiert Kirchner mit Bars, Tanzaufführungen und Prostitution; mit den sogenannten Kokotten, wie die Berliner Prostituierten genannt werden, begegnet er diesem Thema auch in Dichterkreisen, in denen er verkehrt. Ende 1913 illustriert Kirchner Alfred Döblins Drama "Comtesse Mizzi", die Sittengeschichte einer Dirne. Aber nicht nur für die Dichter waren die Kokotten typische Repräsentanten des Großstadtdaseins, auch speziell für Kirchner bedeuten sie in der Inszenierung in den "Straßenszenen" die eigentliche künstlerische Entdeckung der Metropole. Die "Straßenszenen" sind für den Künstler Ausdruck und Bestandteil einer Gesellschaft der modernen Großstadt und hierzu zählt Kirchner auch wie selbstverständlich aufgeladene Begegnungen im Bordell. Die Kokotten auf der Straße wie hier im Bordell sind für Kirchner kein Motiv sozialer Anklage, sondern ein alltäglicher Aspekt der Großstadtgesellschaft. Kirchner abstrahiert das Geschehen und verwandelt das sich Anbieten der Prostituierten zu einem sinnlichen Erlebnis, verwandelt die Szene in eine vibrierende Sprache von eigener Schönheit.
Donald Gordon datiert das Werk "Im Bordell" im Werkverzeichnis von 1968 auf Ende 1912; dabei ignoriert er zu Recht die von Kirchner vorgenommene Vordatierung für das Jahr "05". Zu Recht fügt Gordon eine zweite Datierung hinzu, die er ab 1920 annimmt. Der Grund hierfür ist bei Kirchners Vorgehen zu Beginn seiner Davoser Zeit zu suchen. Denn als die Entscheidung für Kirchner gefallen ist, sich erstmal im Haus in den Lerchen für Dauer einzurichten, bittet er Erna Schilling, die noch in Berlin weilt, das Atelier aufzulösen und die Arbeiten peu à peu nach Frauenkirch zu schicken. Ein Tagebuch, welches er ab Juli 1919 beginnt, gibt über sein Tun beredete Auskunft: Gedanken zur Kunsttheorie, Entwürfe zu eigenen Aufsätzen, Urteile über persönliche Begegnungen sind darin enthalten wie Notizen über die vielschichtigen Arbeitstage des Künstlers: "27. Aug. Ich warte sehr mächtig auf Medizin durch Frau Doktor [Helene Spengler]. Mein Leben ist ein ewiges Warten und Trauern, es gibt keine ruhige Zeit mehr darin. 5 Bilder muß ich machen […] Einige Bilder überarbeitet." Einen Monat später folgender kurze Eintrag: "27. [Sept.] Katalog und Restaurieren des Ernaaktes"; zwei Tage darauf: "29. [Sept.] Ein wenig an alten Bildern gemalt und viele Blätter geordnet. An Schames Graphik gesandt"; und in der Woche darauf der Eintrag für den 6. Oktober: "Grosses Strassenbild wieder vorgenommen, gründlich restauriert, bin ganz befriedigt." (Lothar Grisebach, E. L. Kirchners Davoser Tagebuch, Köln 1968, S. 59, 64ff.)
Im Herbst 1919 ist Kirchner also unter anderem damit beschäftigt, einen Katalog seiner Gemälde anzulegen, vor allem auch von den bisher verkauften, weiterhin die Grafik für das Werkverzeichnis zu ordnen, sich über neue Bildthemen Gedanken zu machen. Und so 'restauriert' Kirchner auch diese Bordellszene, in dem er den expressiven, mitunter hektisch gestrichelten Malstil der Berliner Jahre mit feiner Flächenberuhigung vorsichtig verändert, nicht zuletzt dienen die Übermalungen Kirchner auch und vornehmlich dazu, stilkritische Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg als ein Kontinuum aus dem Frühwerk zu belegen, damit eine konsequente Stilentwicklung zu dokumentieren. Aufgefallen wäre dies unter Umständen nur wenigen, wenn nicht Kirchner selbst von seinen Unternehmungen im Tagebuch berichtet beziehungsweise er nicht anhand von Fotos die jeweiligen Zustände dokumentiert hätte und keine der fotografierten Erstfassungen für das Buch über Kirchners Werk von Will Grohmann holografiert worden wäre, somit ein Vorher und Nachher sich nachweisen ließe. Mit dem Vorgang der konservatorischen Übermalung erweist sich Kirchner als sein radikalster Kritiker, der nicht nur sein frühes Werk aktualisiert, sondern zugleich auch den expressiven, unruhigen Ausdruck des Zufälligen in seinen frühen Arbeiten zu klassischen, dem zeitgeschichtlichen Augenblick enthobenen Kompositionen verändert. Dieses Vorgehen ist nun als ein zentrales Moment in Kirchners Biografie sichtbar, sein immer gewärtiges Verständnis als führende und stets innovative Künstlerpersönlichkeit, als beständiger Erneuerer der Kunst.
Gordons Datierung für das Jahr 1912 ist trotz der offensichtlichen Veränderung des ersten Zustandes durch die Hand Kirchners nach 1920 in Frage zu stellen. Denn eine Feder- und Tuschpinselzeichnung „Bordell“ aus dem Jahr 1913 gibt die Szene des Gemäldes nahezu identisch wieder. (Siehe Abb.) Zudem, diese Zeichnung scheint Kirchner außerordentlich wichtig gewesen zu sein, so dass er sie in dem von Will Grohmann 1925 publizierten Band zu Zeichnungen Kirchners abbilden lässt. Auch die für Kirchners Malerei charakteristischen Hüte tragen Kirchners Protagonisten vermehrt Ende 1913 und vor allem die sich zwischen den Kokotten bewegenden Männer, die 1914 die "Berliner Straßenszenen" bevölkern. [MvL]
Donald Gordon datiert das Werk "Im Bordell" im Werkverzeichnis von 1968 auf Ende 1912; dabei ignoriert er zu Recht die von Kirchner vorgenommene Vordatierung für das Jahr "05". Zu Recht fügt Gordon eine zweite Datierung hinzu, die er ab 1920 annimmt. Der Grund hierfür ist bei Kirchners Vorgehen zu Beginn seiner Davoser Zeit zu suchen. Denn als die Entscheidung für Kirchner gefallen ist, sich erstmal im Haus in den Lerchen für Dauer einzurichten, bittet er Erna Schilling, die noch in Berlin weilt, das Atelier aufzulösen und die Arbeiten peu à peu nach Frauenkirch zu schicken. Ein Tagebuch, welches er ab Juli 1919 beginnt, gibt über sein Tun beredete Auskunft: Gedanken zur Kunsttheorie, Entwürfe zu eigenen Aufsätzen, Urteile über persönliche Begegnungen sind darin enthalten wie Notizen über die vielschichtigen Arbeitstage des Künstlers: "27. Aug. Ich warte sehr mächtig auf Medizin durch Frau Doktor [Helene Spengler]. Mein Leben ist ein ewiges Warten und Trauern, es gibt keine ruhige Zeit mehr darin. 5 Bilder muß ich machen […] Einige Bilder überarbeitet." Einen Monat später folgender kurze Eintrag: "27. [Sept.] Katalog und Restaurieren des Ernaaktes"; zwei Tage darauf: "29. [Sept.] Ein wenig an alten Bildern gemalt und viele Blätter geordnet. An Schames Graphik gesandt"; und in der Woche darauf der Eintrag für den 6. Oktober: "Grosses Strassenbild wieder vorgenommen, gründlich restauriert, bin ganz befriedigt." (Lothar Grisebach, E. L. Kirchners Davoser Tagebuch, Köln 1968, S. 59, 64ff.)
Im Herbst 1919 ist Kirchner also unter anderem damit beschäftigt, einen Katalog seiner Gemälde anzulegen, vor allem auch von den bisher verkauften, weiterhin die Grafik für das Werkverzeichnis zu ordnen, sich über neue Bildthemen Gedanken zu machen. Und so 'restauriert' Kirchner auch diese Bordellszene, in dem er den expressiven, mitunter hektisch gestrichelten Malstil der Berliner Jahre mit feiner Flächenberuhigung vorsichtig verändert, nicht zuletzt dienen die Übermalungen Kirchner auch und vornehmlich dazu, stilkritische Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg als ein Kontinuum aus dem Frühwerk zu belegen, damit eine konsequente Stilentwicklung zu dokumentieren. Aufgefallen wäre dies unter Umständen nur wenigen, wenn nicht Kirchner selbst von seinen Unternehmungen im Tagebuch berichtet beziehungsweise er nicht anhand von Fotos die jeweiligen Zustände dokumentiert hätte und keine der fotografierten Erstfassungen für das Buch über Kirchners Werk von Will Grohmann holografiert worden wäre, somit ein Vorher und Nachher sich nachweisen ließe. Mit dem Vorgang der konservatorischen Übermalung erweist sich Kirchner als sein radikalster Kritiker, der nicht nur sein frühes Werk aktualisiert, sondern zugleich auch den expressiven, unruhigen Ausdruck des Zufälligen in seinen frühen Arbeiten zu klassischen, dem zeitgeschichtlichen Augenblick enthobenen Kompositionen verändert. Dieses Vorgehen ist nun als ein zentrales Moment in Kirchners Biografie sichtbar, sein immer gewärtiges Verständnis als führende und stets innovative Künstlerpersönlichkeit, als beständiger Erneuerer der Kunst.
Gordons Datierung für das Jahr 1912 ist trotz der offensichtlichen Veränderung des ersten Zustandes durch die Hand Kirchners nach 1920 in Frage zu stellen. Denn eine Feder- und Tuschpinselzeichnung „Bordell“ aus dem Jahr 1913 gibt die Szene des Gemäldes nahezu identisch wieder. (Siehe Abb.) Zudem, diese Zeichnung scheint Kirchner außerordentlich wichtig gewesen zu sein, so dass er sie in dem von Will Grohmann 1925 publizierten Band zu Zeichnungen Kirchners abbilden lässt. Auch die für Kirchners Malerei charakteristischen Hüte tragen Kirchners Protagonisten vermehrt Ende 1913 und vor allem die sich zwischen den Kokotten bewegenden Männer, die 1914 die "Berliner Straßenszenen" bevölkern. [MvL]
217
Ernst Ludwig Kirchner
Im Bordell, 1913/1920.
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