Auktion: 525 / Evening Sale am 10.12.2021 in München Lot 207

 

207
Sean Scully
Blue Yellow Figure, 2004.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 600.000
Ergebnis:
€ 1.345.000

(inklusive Aufgeld)
Blue Yellow Figure. 2004.
Öl auf Leinwand.
Verso auf dem Keilrahmen handschriftlich mit den Maßangaben und einem Richtungspfeil bezeichnet. 200 x 185 cm (78,7 x 72,8 in).

• "Insets", in die Leinwand eingesetzte kleinere Leinwand-Fenster, verwendet der Künstler seit den 1970er Jahren, sie gelten als eines der bedeutendsten Stilmittel seines gesamten Œuvres.
• Durch die matt-glänzende Materialität der Oberfläche, den malerischen Pinselduktus, die warmtonige Farbigkeit und die Lebendigkeit der Farbflächen entsteht ein Gemälde von sinnlicher, nahezu skulpturaler Wirkung.
• Weitere 'Inset'-Gemälde des Künstlers befinden sich in den renommiertesten internationalen Sammlungen, u. a. im Museum of Modern Art, in der Londoner Tate Gallery, im Museo Reina Sofía in Madrid und in der Albertina in Wien
.

Mit einer schriftlichen Bestätigung des Studio Sean Scully. Das Werk ist unter der Archivnummer "SSp04 137" registriert.

PROVENIENZ: Walter Storms Galerie, München.
Privatsammlung Süddeutschland (2005 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Sean Scully. Paintings and Works on Paper, Abbot Hall Art Gallery at Lakeland Artists Trust, Kendal/Vereinigtes Königreich, 21.3.-25.6.2005, Kat.-Nr. 20 (mit Abb.).
Konstantinopel oder 'Die versteckte Sinnlichkeit'. Die Bilderwelt von Sean Scully, Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg, 19.2.-3.5.2009, Kat.-Nr. 35 (mit ganzseit. Abb.).
Think Big. It's All About Space, Walter Storms Galerie, München, 10.9.-23.10.2021.

Sean Scully, zit. nach: Sean Scully. Painting, Sean Scully Studio, 2014, Youtube: www.youtube.com/watch?v=LWMqrNIdBRk.


Der Künstler auf Reisen. Schlüsselmoment und Inspiration

Seit den Anfängen seiner Malerei bestehen Scullys Werke aus verschiedenfarbigen, vertikal und horizontal verlaufenden, unterschiedlich breiten und langen Streifenkompositionen sowie rechteckigen Farbflächen, mit denen Scully die wiederum in Rechtecke aufgeteilte Bildfläche füllt. Als Schlüsselmoment bezeichnet der Künstler die starken visuellen Eindrücke auf einer Reise nach Marokko im Jahr 1969. "Then I saw the striped fabrics that the Moroccans dye and make them into galabeyas – their robes. I saw those stripes everywhere in Morocco and when I got back to work I was making grids from stripes of color." (Sean Scully, zit. nach: www.seanscullystudio.com) Die in den Maghreb-Staaten verbreiteten Kleidungsstücke und auch die dort vorherrschenden intensiven, satten Farben entzünden in Scully eine große Faszination, die seine Kunst bis heute prägt und die der Künstler schließlich in eine ganz eigene, unverwechselbare Ästhetik überführt. Obwohl Scully während seiner Studienzeit in London und nach seiner Übersiedlung nach New York 1975 sicherlich auch von den Arbeiten seiner künstlerischen Vorfahren wie Mark Rothko oder Barnett Newman und den geometrischen Gliederungen Piet Mondrians inspiriert wird, findet er bereits in seinen frühen Schaffensjahren zu einer ganz individuellen Bildsprache. Während die früheren Arbeiten noch in einem gewissen Minimalismus, einer Regelmäßigkeit und Gleichmäßigkeit mit deutlicher voneinander abgegrenzten Farbflächen und viel schmaleren Farbstreifen verhaftet sind, findet Scully in den folgenden Jahren zu einer emotionaleren Form der abstrakten Malerei, in der nun Licht, Materialität der Farben und Haptik der Oberflächenbeschaffenheit eine größere Rolle spielen. Die Geometrie und Formensprache wird nun weicher, die Zwischenräume der Farbbalken und -streifen unvollkommener.

Quer, längs, breit, schmal. Scullys Obsession für die gegliederte Bildfläche

Die Arbeit an seinen Werken beginnt zunächst mit einer Gliederung, der genauen Aufteilung der zu bemalenden Fläche, denn das wesentliche Prinzip seiner Werke liegt in der Ordnung und Anordnung der Farbfelder. Scully wählt aus einem schier unendlichen Reichtum kompositorischer Möglichkeiten und unterteilt die rechteckige Form der Bildfläche zunächst in mehrere kleinere rechteckige Elemente oder Streifen. Die einzelnen abgegrenzten Flächen werden anschließend mit breitem Pinsel mit mehreren Farbschichten gefüllt. Die Rigidität der anfänglich streng orthogonalen oder auch parallelen Gliederung wird durch den darauffolgenden, in mehreren Schichten auf die Leinwand gebrachten Farbauftrag zunichte gemacht. Die über die anfänglich gezogenen Linien überbordende Farbe, die in den Zwischenräumen hier und da hervorblitzenden darunterliegenden Farbschichten erzeugen durch ihre eigene Unvollkommenheit eine seltsam vibrierende Lebendigkeit. Diese Vielzahl an satten, kräftigen und gleichzeitig fein nuancierten Farbschichten im Zusammenspiel mit ihrer besonderen Materialität der teilweise subtil glänzenden Farboberfläche und dem besonders malerischen, nahezu pastosen Pinselduktus, der in breiten, klar hervortretenden Spuren die manuelle Arbeit, das Handwerk des Künstlers sichtbar macht, verleiht auch unserem Gemälde eine opulente, fast intime Sinnlichkeit.

Sean Scullys Stilmittel der "Insets"
In nahezu obsessiver Beschäftigung mit geometrischen Gliederungen und Anordnungen rechteckiger Formen sammelt der Künstler auch in seinem alltäglichen Umfeld noch immer neue Anregungen und inspirierende visuelle Eindrücke, die er in seinen Werken verarbeiten kann: bspw. die orthogonalen Straßenzüge Manhattans, die Horizontlinie zwischen Himmel, Meer und Erde, die jahrtausendealten geschichteten Steinmauern auf den irischen Aran Islands oder die verschachtelten Tür- und Fensterkonstruktionen an Holzhäusern und Fassaden, die der Künstler in eindrucksvollen fotografischen Arbeiten wie bspw. in seinen beeindruckenden Reisefotografien aus Santo Domingo verewigt. Die von Türen und Fenstern durchbrochenen, aus zahlreichen länglichen Holzbalken und -leisten zusammengesetzten Fassaden der dortigen Häuser müssen Scully damals nicht nur als Tourist, sondern insbesondere als Künstler fasziniert haben, denn sie verkörpern in einem alltäglicheren, architektonischen Sinn genau das, was auch in seiner Kunst allgegenwärtig ist: die Gliederung einer planen Fläche, die Zusammensetzung einzelner geometrischer Formen zu einem harmonischen Ganzen.
Doch nicht nur optisch finden sich Parallelen zum Œuvre des Künstlers, sondern auch im tatsächlichen, handwerklichen Aufbau seiner oftmals – wie auch im Fall des hier angebotenen Gemäldes – großformatigen Arbeiten. Bereits seit den 1970er Jahren finden sich in seinem Schaffen nicht nur aus einzelnen Bildträgern zusammengesetzte Werke, sondern immer wieder auch sogenannte Insets: in die eigentliche Leinwand eingesetzte kleinere, bemalte Leinwände, mit denen der Künstler durch die plötzliche, ungewohnte Geradlinigkeit eine reizvolle Unterbrechung des Gegebenen, eine Irritation und einen Verlust der zuvor so unaufgeregten bildlichen Balance schafft. Scully schneidet dafür einen Teil aus der Leinwand heraus und füllt das entstandene 'Fenster' mit einer farblich wie strukturell divergierenden Leinwand, einem "Inset". "Mit solchen Manipulationen [..] zeigt uns [der Künstler], dass wir die Bilder nicht nur visuell auffassen, sondern auch taktil. Es ist der gesamte Körper, der als Subjekt der Wahrnehmung fungiert […]." (Armin Zweite, 1993).
So handelt es sich bei den "Insets" um die wohl bedeutendste Entwicklung in seinem gesamten, bisher fünf Jahrzehnte überdauernden Schaffen, die sich bereits seit den 1970er Jahren wie ein roter Faden durch Scullys beeindruckendes Œuvre zieht und auch in seinen neuesten Arbeiten mit erstmals schwarzen "Insets" wie der fünfteiligen Werkfolge "Dark Windows" (2020) prominent zur Entfaltung kommt.
Mit dem hier angebotenen "Inset"-Painting in seiner warmtonigen, aus der Natur inspirierten Farbigkeit – Glutrot, feuerfarbenes Orange, Steingrau, Rabenschwarz und den Titelfarben Senfgelb und Nachtblau im Zentrum – schafft Scully ein monumentales Werk von sinnlicher Opulenz, lebendiger Ausdrucksstärke, räumlicher Präsenz und spürbarer emotionaler Qualität, das auch aufgrund der hier genannten, höchst charakteristischen malerischen Eigenschaften als besonders gelungenes Werk im Œuvre des Künstlers bezeichnet werden kann.
Der Künstler gilt heute als einer der weltweit bedeutendsten abstrakten Maler unserer Zeit. Seine Arbeiten umfassen sowohl Gemälde, Pastelle, Aquarelle und Zeichnungen als auch Druckgrafiken, Fotografien und Skulpturen. Sie befinden sich in den renommiertesten internationalen Sammlungen, u. a. im Museum of Modern Art, im Metropolitan Museum of Art und im Solomon R. Guggenheim Museum in New York, in der National Gallery of Art, Washington, D.C., in der Londoner Tate Gallery, in der Albertina in Wien und im Guangdong Museum of Art, Guangzhou. Insbesondere die Erfolge der letzten Jahre zeigen, dass sich Scullys Schaffen bereits einen festen Platz in der europäischen Kunstgeschichte des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts erobert hat und die Entwicklungen der zeitgenössischen Abstraktion auch weiterhin nachhaltig beeinflusst. 2013 wird er Mitglied der Royal Academy of Arts, 2014/15 wird Scully als erster westlicher Künstler überhaupt mit einer umfassenden, retrospektiven Überblicksschau in China geehrt, die sowohl in Schanghai als auch in Peking gezeigt wird. Allein 2020 und 2021 sind Scullys Arbeiten weltweit in zahlreichen Einzelausstellungen in insgesamt neun verschiedenen Ländern zu sehen. Die fünfteilige Folge "Dark Windows" aus seiner neuesten Schaffensphase ist erst im September dieses Jahres auf der Art Basel Unlimited zu sehen gewesen und für das kommende Jahr plant das Philadelphia Museum of Art bereits die groß angelegte Werkschau "Sean Scully. The Shape of Ideas" mit einem Überblick über die vergangenen 50 Schaffensjahre des Künstlers. [CH]



207
Sean Scully
Blue Yellow Figure, 2004.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 600.000
Ergebnis:
€ 1.345.000

(inklusive Aufgeld)