Auktion: 523 / Kunst des 19. Jahrhunderts am 11.12.2021 in München Lot 305

 

305
Caspar David Friedrich
Hofmusikanten in Greifswald / Landschaft mit Steinbrücke und zerfallenem Torbogen, 1801.
Feder in Braun, laviert
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 125.000

(inklusive Aufgeld)
Hofmusikanten in Greifswald / Landschaft mit Steinbrücke und zerfallenem Torbogen. 1801.
Feder in Braun, laviert.
Grummt 257. Links unten datiert "den 17t May 1801". Am unteren Rand von fremder Hand bezeichnet "In dem Hofe Onkel Heinrichs in Greifswald i.P.v. C.D.Friedrich fec.". Auf Velin. 9,8 x 11,7 cm (3,8 x 4,6 in), blattgroß.

Wir danken Dr. Imke Gielen, Berlin, für die freundliche Unterstützung und gute Zusammenarbeit.

PROVENIENZ: Aus dem Nachlass des Künstlers.
Prof. Harald Friedrich (Enkel von Caspar David Friedrich), Hannover (1906).
Kunsthalle Mannheim (1916).
Sammlung Julius Freund, Berlin/London (1928-1941).
Nachlass Freund (1941 durch Erbschaft vom Vorgenannten, bis 1942: Galerie Fischer, 21.3.1942).
Sammlung Dr. Robert Ammann, Aarau (bis 1962: J. A. Stargard, 27.11.1962).
Privatsammlung Baden-Württemberg (1962 vom Vorgenannten erworben, seither in Familienbesitz).
Gütliche Einigung mit den Erben nach Julius und Clara Freund (2021).

Das Werk ist frei von Restitutionsansprüchen. Das Angebot erfolgt in freundlichem Einvernehmen mit den Erben nach Julius und Clara Freund auf Grundlage einer fairen und gerechten Lösung.

AUSSTELLUNG: Caspar David Friedrich der Graphiker. Handzeichnungen und Radierungen, Kunstausstellung Heinrich Kühl, Dresden, 1928, Nr. 54.

LITERATUR: Kurt Karl Eberling, Caspar David Friedrich, der Landschaftsmaler, Leipzig 1940, Abb. 16.
Galerie Fischer, Luzern, Sammlung Julius Freund, Auktion 21.3.1942, Nr. 94.
J. A. Stargard, Marburg, Auktion 559, Autographensammlung Dr. Robert Ammann, Aarau, III. Teil, 27.11.1962, Nr. 644.
Sigrid Hinz, Caspar David Friedrich als Zeichner, Diss. Typoskript, Greifswald 1966, Nr. 263.
Helmut Börsch-Supan/Karl Wilhelm Jähnig, Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen, München 1973, S. 20, 47: Anm. 57, S. 253: Nr. 48 (mit Abb.).
Marianne Bernhard (Hrsg.), Caspar David Friedrich. Das gesamte graphische Werk, München 1974, S. 256 (mit Abb.).
Hans Dickel, Caspar David Friedrich in seiner Zeit. Zeichnungen der Romantik und des Biedermeier, Weinheim 1991, S. 27.
Helmut Börsch-Supan, Caspar David Friedrich - Gefühl als Gesetz, München/Berlin 2008, S. 128, Abb. 41.

Jenseits der großen Landschaftsgemälde offenbart vor allem das zeichnerische Frühwerk Caspar David Friedrichs faszinierende Einblicke in seinen künstlerischen Werdegang, der über solche zeichnerischen Notizen nachvollzogen werden kann. In einer ungewöhnlichen und seltenen vielfigurigen Szene zeigt er den Hof seines Bruders Heinrich, in dem sich eine Gruppe Kinder zum Musizieren zusammengefunden hat. Friedrich vereint in der Zeichnung natürliche Spontaneität und Lebendigkeit mit genauer Beobachtung: Die Kniebundhosen und das Schuhwerk weisen die beiden Jungen in der Mitte als bürgerliche Sprösslinge aus, mit Häubchen und Schultertuch fein gekleidet ist auch das kleine Mädchen. Der Flötist am linken Rand dagegen, mit zerrissenen Hosenbeinen und in Pantoffeln, scheint einer anderen Schicht zu entstammen. Die Gesten und Blicke der Kinder verleihen der Szene einen erzählerischen und zugleich intimen Charakter. Nicht nur Friedrich selbst fügt der Zeichnung eine auf den Tag genaue Datierung hinzu; die Friedrich-Forschung (Börsch-Supan; Dickel) vermutet die Bezeichnung am unteren Rand von der Hand eines der Kinder, für die das Blatt einen gewissen Erinnerungswert besessen haben mag.
Charakteristisch für die frühe Ausdrucksweise ist vor allem die Technik der lavierten Federzeichnung, die Friedrich meisterhaft beherrscht. Ersten Zeichenunterricht erhält er um 1790 in seiner Heimatstadt Greifswald bei dem Universitätsbaumeister und Zeichenlehrer Johann Gottfried Quistorp (1755-1835), bevor er 1794 ein Studium an der renommierten Kopenhagener Kunstakademie aufnimmt. Dort durchläuft er ein typisches akademisches Curriculum, dessen Grundlage des Zeichenunterrichts über die Gipsklasse zum lebenden Modell führt, um schließlich die Eignung für die Historienmalerei zu liefern, mit der sich Friedrich in der Klasse Nicolai A. Abilgaards konfrontiert sieht. Nach Abschluss seines Studiums begibt sich Friedrich auf den Rat von Quistorp in die Kunststadt Dresden, wo er sich zunächst vor allem der populär gewordenen malerischen Sepiazeichnung zuwendet. Zur Dresdner Akademieausstellung im März 1801 reicht er mehrere Blätter dieser Technik ein, darunter Landschaften, aber auch eine mehrfigurige, literarisch-erzählende Szene aus Schillers "Die Räuber". In dieser frühen Zeit ringt der 26-Jährige mit der menschlichen Figur und gesteht seinem Bruder zu einem viel späteren Zeitpunkt, dass das Figurenzeichnen „so eigendlich meine Sache nicht ist“ (zit. nach: Christina Grummt, Caspar David Friedrich: Die Zeichnungen, Bd. I, München 2011, S. 24). So verwundert es nicht, dass die Figur in den späteren Ölgemälden nach und nach hinter der Wirkung der reinen Landschaft zurücktritt, indem sie kleiner wird oder dem Betrachter den Rücken zuwendet. In den Skizzen um 1800-1802 ist sie allerdings noch sehr präsent und zeigt das Bemühen des jungen Künstlers, sich auch den Menschen zeichnerisch anzueignen.
Anfang April 1801 begibt sich Friedrich von Dresden aus auf eine Reise in die pommersche Heimat, wo seine Brüder Johann Samuel und Johann Christian Adolf im Laufe des Jahres heiraten werden. Die Reise versteht sich auch als zeichnerische Wanderung, auf der Friedrich zahlreiche Eindrücke sammelt. Seine Skizzenbücher geben dabei genauen Aufschluss über seine Bewegungen und lassen ein Nachvollziehen seines Blickes zu, der alles, was er für künstlerisch interessant befindet, festhält. Die Hofmusikanten befinden sich eigentlich verso auf der Seite, die recto eine Flusslandschaft mit Torbogenruine zeigt, ein Motiv, das sich bei den frühromantischen Landschaftsmalern großer Beliebtheit erfreut und den musizierenden Kindern vorausgeht. Am 5. Mai, kurz vor unserem Blatt, entsteht außerdem die früheste datierte Darstellung der für sein Werk so bedeutsamen Klosterruine Eldena bei Greifswald, im Juli begibt er sich nach Rügen. Gerade diese frühen Skizzenbücher dienen Friedrich als essenzielles Motivrepertoire, auf das er Zeit seines Lebens im Rahmen der Komposition der Gemälde zurückgreift.
Unser Blatt entstammt dem sogenannten „Kleinen Mannheimer Skizzenbuch“, das seinen Namen der ehemaligen Zugehörigkeit zum Bestand der Mannheimer Kunsthalle verdankt. Einzelne Blätter des 1916 aufgelösten Buches befinden sich in prestigeträchtigen Grafik-Sammlungen in Dresden, Mannheim, Köln, Berlin und München. Das kleine Hochformat mit den abgerundeten Ecken beinhaltete auf etwa 40 Blättern Zeichnungen aus der Zeit vom 7. September 1800 bis zum 8. März 1802. Anders als das Berliner Skizzenbuch von 1799/1800 finden sich in dem Mannheimer neben Ruinen und Landschaften vor allem figürliche Darstellungen aus Greifswald und dem familiären Umfeld, womit es im Schaffen Friedrichs die intensivste Phase der Beschäftigung mit dem Menschen darstellt. Das Frühwerk ist dabei wesentlich von der zeichnerischen Annäherung an Umwelt und Natur geprägt. Bis 1806 füllt er immerhin die Hälfte der insgesamt 20 bekannten Skizzenbücher. Basierend auf diesem immensen einfühlsam, wahrheitsliebend und klar eingefangenen Motivrepertoire, beginnt Friedrich schließlich um 1807/08 sich der Ölmalerei zuzuwenden, wobei eines seiner ersten Gemälde, das „Kreuz im Gebirge“ (Galerie Neue Meister im Albertinum, Dresden), sogleich eine handfeste Polemik entfacht. Umso faszinierender mutet daher unser kleines Blatt an, das eine so intime und ungewohnte, nicht weniger bedeutende Facette aus dem Werk eines der bekanntesten Maler der deutschen Romantik zeigt. [KT]
Die lavierte Federzeichnung stammt aus der berühmten Sammlung des Berliner Textilfabrikanten Julius Freund (1869-1941). Die über Jahrzehnte mit sicherem Gespür für Qualität zusammengetragene Kollektion umfasst überwiegend deutsche Malerei, Zeichnungen und Druckgrafik des 19. und 20. Jahrhunderts. Julius Freund und seine Frau Clara, geb. Dressel, sowie die beiden Kinder Hans und Gisela, die unter dem Namen Gisèle Freund als Fotografin und Fotohistorikerin bekannt ist, leiden auf Grund ihrer jüdischen Herkunft ab 1933 zunehmend unter Repressionen. Während sich Gisèle Freund schon 1933 entscheidet, dauerhaft in Paris zu leben und nach der Besetzung Frankreichs nach Buenos Aires flieht, gelingt Hans Freund die Flucht nach England.Im Jahr 1939 fliehen auch die Eltern nach London. Die wertvolle Kunstsammlung der Familie Freund befindet sich bereits seit 1933 als Leihgabe im Kunstmuseum Winterthur, in der sicheren Obhut des guten Freundes und nicht minder bekannten Sammlers Oskar Reinhart.
Nach den Jahren der Repressalien und der Flucht trifft der Tod Julius Freunds im Jahr 1941 Clara Freund schwer. Wirtschaftlich durch die vergangenen Jahre in die Enge getrieben, sind die Erben 1942 gezwungen, die über Jahrzehnte mit dem Blick des Kunstkenners und -liebhabers zusammengetragene Sammlung in der Galerie Fischer in Luzern versteigern zu lassen. Im von Gisèle Freund verfassten Geleitwort zur Auktion heißt es:
„Mein Vater, Julius Freund, hat Jahrzehnte gesammelt und immer nur aus dem Gesichtspunkt des künstlerischen Wertes, nie in dem Gedanken der geldlichen Verwertung. […] So war seine Sammlung eine ständige Quelle des Glückes für ihn. […] Nun wird die Sammlung in alle Winde zerstreut werden, und ich wünsche von Herzen, dass sie den neuen Besitzern ebensoviel Freude bereiten möge, und daß mancher von ihnen vielleicht hin und wieder des frühern Eigentümers Julius Freund gedenken zu mögen.“
Die insgesamt 300 Gemälde, Zeichnungen und Aquarelle aus der Auktion gelangen in Museen nach Köln, Speyer, Münster oder Heidelberg und in private Sammler- und Liebhaberhände. Und so verhandelt die Beratende Kommission in ihrem ersten Fall über die Restitution von drei Gemälden von Carl Blechen sowie einem Aquarell von Anselm Feuerbach, die sämtlich aus der Sammlung Julius Freund über die Auktion in der Galerie Fischer für Hitlers „Sonderauftrag Linz“erworben worden waren. Diese Leihgaben des Bundes in deutschen Museen werden 2005 an die Erben nach Julius und Clara Freund restitutiert. Die Federzeichnung aus der Hand des Romantikers Caspar David Friedrich gelangt in private Sammlerhände. Umso schöner, dass sie nun durch eine „faire und gerechte Lösung" im Sinne der Washingtoner Prinzipien frei von Restitutionsansprüchen wieder auf dem Auktionsmarkt sichtbar wird und hier stellvertretend für die große Sammlung an Julius Freund und seine Liebe zur Kunst erinnert. [SvdL]



305
Caspar David Friedrich
Hofmusikanten in Greifswald / Landschaft mit Steinbrücke und zerfallenem Torbogen, 1801.
Feder in Braun, laviert
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 125.000

(inklusive Aufgeld)