Auktion: 522 / Klassische Moderne Teil II am 11.12.2021 in München Lot 406

 

406
Alfred Kubin
Der Wüstentod, 1911.
Aquarell mit Buntstift- und Tintenfederzeichnung
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 42.500

(inklusive Aufgeld)
Der Wüstentod. 1911.
Aquarell mit Buntstift- und Tintenfederzeichnung.
Rechts unten zweifach signiert sowie links unten betitelt. Auf chamoisfarbenem Katasterpapier. 39,2 x 30 cm (15,4 x 11,8 in), Blattgröße. [CH].

• Besonders detailliert und fein ausgearbeitetes Blatt.
• Aus der bedeutenden Sammlung von Felix Grafe, einem engen Freund des Künstlers.
• Charakteristische, sehr lebendige Visualisierung eines Albtraums: der Anblick des aus der Dunkelheit sich nähernden Todes.
• Im Entstehungsjahr tritt Kubin gemeinsam mit Gabriele Münter, Wassily Kandinsky und Franz Marc aus der "Neuen Künstlervereinigung München" aus und schließt sich der neu gegründeten Gruppe "Der Blaue Reiter" an
.

PROVENIENZ: Sammlung Felix Grafe, Wien (vor 1918 direkt vom Künstler - ca. 1925/26).
Dr. Martin Litmann, Paris (Mitte der 1930er Jahre - mindestens 1964).
Galerie Welz, Salzburg (1977).
Privatsammlung (vom Vorgenannten erworben, bis 2000, Christie's, London, 17.10.2000, Los 61).
Privatsammlung (2000-2010).
Privatsammlung Europa (2010 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Alfred Kubin - Zeichnungen und Aquarelle, Wanderausstellung in der Galerie Fritz Gurlitt, Berlin, der Neuen Galerie Otto Nirenstein, Wien, ferner Stationen in Dresden und Leipzig, 1924-1925, Abb. S. 7.
Alfred Kubin, Kestner-Gesellschaft, Hannover, 17.11.-6.12.1964, Kat.-Nr. 144.

LITERATUR: Marianne Grafe an Alfred Kubin, Manuskript, 3.7.1918 (Kubin-Archiv, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München).
Paul Raabe, Alfred Kubin. Leben - Werk - Wirkung, Hamburg 1957, S. 121, Nr. 274.
Ausst.-Kat. Alfred Kubin (1877-1959). Das zeichnerische Frühwerk bis 1904. Bilder und Schriften zu Leben und Werk (zum 100. Geburtstag), Graphische Sammlung Albertina, Wien, 11.10.-11.12.1977, S. 80 (mit Farbabb., Tafel 65).
Christie's, London, 6352. Auktion, German and Austrian Art, 17.10.2000, Los 61.

"Der richtige Betrachter, wie ich ihn mir wünsche, würde sich meine Blätter nicht nur genießend oder kritisch ansehen, sondern, wie durch geheime Berührung angeregt, müsste sich seine Aufmerksamkeit auch der bilderreichen Dunkelkammer des eigenen träumerischen Bewusstseins zuwenden."
Alfred Kubin, Zur Eröffnung einer Kubin-Ausstellung, 1927, zit. nach: Ulrich Riemerschmidt, Alfred Kubin. Aus meiner Werkstatt, München 1973, S. 26.

Im Entstehungsjahr unserer Arbeit beginnt Kubin einen sehr fruchtbaren künstlerischen Austausch mit Paul Klee, der in seinem Œuvre wie er selbst einen Hang zum Mystischen, Träumerischen und Surrealen auslebt. Bereits in den Zeichnungen seiner früheren Schaffensperiode bis 1908 zeigen sich zahlreiche fantastische, häufig groteske Tierdarstellungen, und auch hier ist das Kamel seiner Lebendigkeit fast beraubt. Womöglich spielt der Künstler mit dieser detailliert ausgearbeiteten, für die europäische Kunsttradition eigentümlichen Darstellung auf einen alten, jedoch weit verbreiteten arabischen Aberglauben an, welcher allen, die von einem auf einem Kamel durch die Wüste reitenden Mann träumen, einen baldigen Tod vorhersagt. Ein arabisches Sprichwort besagt zudem: "Der Tod reitet auf einem schnellen Kamel". Angst und Melancholie spielen im Leben und somit auch im künstlerischen Werk Alfred Kubins eine überaus große Rolle, eine Gefühlsregung, die auch unserem stimmungsreichen Blatt spürbar innewohnt. Selbst kurz vor seinem Tod soll er zu seinem behandelnden Arzt gesagt haben: "Nehmen Sie mir meine Angst nicht, sie ist mein einziges Kapital." (zit. nach: Alfred Kubin, Salzburg 1977, S. 200).

Dass Alfred Kubin im Laufe seiner künstlerischen Karriere nicht nur als Maler und Grafiker, sondern auch als Schriftsteller und insbesondere als Zeichner und Illustrator tätig ist, weiß das hier angebotene, äußerst charakteristische Werk mit seiner zugleich geheimnisvollen, fantastischen und auch beunruhigenden, gar bedrohlichen erzählerischen Ebene eindrucksvoll zu verdeutlichen. [CH]

Die Provenienz


"Lieber Alfred, […] von hier ist allerlei zu erzählen: F[elix] hat viel zu tun, ist Teils vergnügt, Teils nervös - Vorläufig verkauft er seine Luxusdrucke in Bausch und Bogen & mir bricht bei vielen Sachen das Herz (aber er leimt es wieder zusammen). Als guten Entgelt hat er die ganzen Wohnungswände neu behaengt und zwar: […] bei der Türwand in zwei Reihen oben: Wüstentod, Dame in Spitzenhöschen, Scharfrichter […]". So schreibt im Jahr 1918 Marianne, die Ehefrau von Felix Grafe, dem Künstler. Sie legt sogar eine Skizze der Wohnräume bei. Das Dokument beweist, was die Aufschrift auf der Rückseite von "Der Wüstentod" bereits vermuten ließ: Das Blatt stammt aus der bedeutenden Sammlung von Felix Grafe, dem engen Freund und wichtigsten Sammler des Künstlers. Grafe, der expressionistische Lyriker, Übersetzer und Kunsthistoriker, verdient seinen Lebensunterhalt nolens volens als Bankangestellter. Wie viel schillernder ist da doch sein Privatleben: Frank Wedekind und Heinrich Mann gehören zu seinem Freundeskreis, Karl Kraus gilt gar als sein "Entdecker". Geldsorgen plagen Grafe jedoch zeitlebens. Schon ab 1922 muss er sich von seiner binnen zehn Jahren auf 500 Werke angewachsenen Kubin-Sammlung trennen. Besonders dringend ist den erhaltenen Briefen zufolge um das Jahr 1925 herum sein Wunsch, ein großes Konvolut auf einmal abzustoßen. Grafe gelingt der Verkauf „en bloc“ mindestens bei einem rund 200 Blatt großen Bestand, in dem auch der "Der Wüstentod" enthalten ist. Dieser Sammlungsteil gelangt Mitte der 1930er Jahre in das Eigentum des nach dem Krieg in Paris lebenden Zahnarztes Dr. Martin Litman. Es handelt sich dabei weitestgehend um die 1924/25 aus der Sammlung Grafe bei den Kunsthändlern Otto Nirenstein und Fritz Gurlitt ausgestellten Blätter, so dass die Vermutung naheliegt, dass diese Auswahl nicht mehr an Grafe zurückgeschickt wird. Kubin reagiert verschnupft auf die Auflösung seiner liebsten Sammlung, die alte Freundschaft leidet. Zutiefst erschüttert zeigt sich der Künstler aber, als er Anfang 1943 von Grafes Schicksal erfährt. Ein anti-nationalsozialistisches Gedicht ist zu dessen Verhängnis geworden. Ende 1942 wird Grafe von den Nationalsozialisten in Wien hingerichtet. Am 15. Januar 1943 schreibt Kubin an Hans Fronius: "Mir ward das Geschick, daß mein stärkster Sammler mit dem mich v. 1911-1922 intime Freundschaft auch verband [..] durch widrige Verhältnisse kam [..]. [Er war] ein Hasadeur und Schiebernatur in Geldschwierigkeiten, und gab dann die Sammlung fort - was mich begreiflicherweise recht abkühlte, so daß ich ihn 20 Jahre nicht mehr sah - nun erfahre ich daß der arme 54 jähr. Mensch [..] in Wien wegen Hochverrat hingerichtet wurde [.] Solches wie alles andere Schauerliche unserer Zeit drückt schwer auf mein Gemüt […]" (zit. nach: Alfred Kubin - Hans Fronius. Eine Künstlerfreundschaft, Weitra 2003, S. 323). Kubin verarbeitet den Verlust zeichnend. "In memoriam Felix Grafe" betitelt er 1943 eine Federzeichnung, die den abgeschlagenen Kopf Grafes im Maul einer Schlange zeigt. Er schenkt das Blatt der Familie Grafe. [AT/SvdL]



406
Alfred Kubin
Der Wüstentod, 1911.
Aquarell mit Buntstift- und Tintenfederzeichnung
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 42.500

(inklusive Aufgeld)