Auktion: 520 / Evening Sale am 18.06.2021 in München Lot 325

 

325
Asger Jorn
Ohne Titel (Didaska), 1946.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 200.000
Ergebnis:
€ 250.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Ohne Titel (Didaska). 1946.
Öl auf Leinwand.
Atkins 435. Links oben signiert und datiert. 74 x 99 cm (29,1 x 38,9 in).
Das weitere Gemälde verso:
Asger Jorn.
Animaux animé(s) , 1944/45/46.
Atkins 453. Unten mittig betitelt "Animaux animé". 74 x 99 cm (29,1 x 38,9 in).
• Ausgestellt in der ersten Retrospektive 1953 - alle Werke wurden eigenhändig vom Künstler dafür ausgewählt.
• Das Munch-Museum in Oslo widmete der Gegenüberstellung der Werke von Edvard Munch und Asger Jorn 2016 eine großartige Ausstellung.
• Um Asger Jorns herausragende Stellung in der europäischen Kunst zwischen 1940 und 1970 zu untersuchen, wird das Centre Pompidou in Paris 2023 eine große Ausstellung organisieren.
• Seit vielen Jahren war kein vergleichbares Schlüsselbild der Vor-CoBrA-Jahre mehr auf dem internationalen Kunstmarkt angeboten
.

PROVENIENZ: Arne Bruun Rasmussen, Auktion 59, Kopenhagen 1955, Los 46.
F. C. Boldsen, Kopenhagen/Dänemark.
Erik Emmertsen, Kopenhagen/Dänemark.
Privatsammlung.

AUSSTELLUNG: „Tre unge malere“, Ausstellung mit Frede Christoffersen, Asger Jorn und Knud Nielsen, Kunstforeningen, Kopenhagen 1953, Abb. Kat. Nr. 66.
„The Open Hide“, Petzel, New York 2016.
„Mondjäger – Nathalie Djurberg & Hans Berg im Dialog mit Asger Jorn“, Kunstmuseum Ravensburg 2019.

LITERATUR: Guy Atkins, „Jorn in Scandinavia 1930-1953“, Nr. 453, (Abb. S. 364).
Oda Wildhagen Gjessing (Hrsg.), „Jorn + Munch“, Munch Museum, Oslo 2016.
Axel Heil und Roberto Ohrt, „The Open Hide“, Petzel, New York 2016, S. 22-25, (Farbabb. S. 23 und 24).
Axel Heil, „Animaux Animé(s) - I Am Saving This Egg for Later. Ideen der Metamorphose bei Asger Jorn und Djurberg & Berg“, in: Ute Stuffer und Axel Heil (Hrsg.), „Mondjäger - Nathalie Djurberg & Hans Berg im Dialog mit Asger Jorn“, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Ravensburg, Berlin 2019, S. 21-33 (Farbabb. S. 82/83).

„We are sparks
That must glow
As brightly
As possible“
- Asger Jorn, 1950 -

„Wir sollen uns selbst als Tier
beschreiben, das ist unser Weg.“
- Asger Jorn

„Wir müssen eine imaginäre Masse sein, damit wir uns als autonome Begründer unseres eigenen Werdens fühlen.“
- Ager Jorn, „Intime Banalitäten“ in: Heringe in Acryl, Hamburg 1987, S. 17


Animaux Animé


„Animaux animé(s)“ ist in vielfacher Hinsicht ein besonderes Kunstwerk, ein gewachsenes Programmbild. Nicht nur, dass wir auf beiden Seiten der Leinwand ein vollständig ausformuliertes Gemälde finden; es kann auch als Scharnier der „Spontan-Abstrakten Malerei” in Dänemark gelesen werden, jenes Gruppenprozesses, der im Umfeld der Zeitschrift "Helhesten" möglich wurde und für alle beteiligten Künstler so fruchtbar war. Seit einem Aufenthalt in Sebbersund 1941 fasziniert Asger Jorn (der damals noch Asger Jørgensen hieß) das Motiv der „Pferdeherde“. Nun, im Herbst 1945, beschwört er - mit den Buchstaben direkt auf der Leinwand - seinen Bildraum und zieht über die Tiere als Bewegung der Wolken die „Hexen“ von Shakespeare. Sie hatten schon seine „Green market“-Bilder bevölkert, im gleichen Format und ebenfalls mit überlagerndem Farbauftrag. Hier sind die deutlich stilisierten Figuren mit blauen Umrandungslinien der Landschaft abgepresst; die Spuren der Pinselbewegung gehören - wie bei Van Gogh - zu ihrer inhaltlichen Bestimmung. Zu dem ungewöhnlichen Doppelbild führen verschiedene Wege.

Schon 1941 hatte Jorn unter dem Stichwort „Intime Banalitäten“ eine Erweiterung des Bilderkanons vorgeschlagen und eine pointierte Beschäftigung mit „allen“ Bildern gefordert. Hollywoodfilme wie „King Kong und die weiße Frau“ oder Comic-Heldinnen wie Betty Boop erschienen ihm nicht weniger bedeutsam als Kafkas Odradek, „ein Tier wie eine Spindel“. Für Jorn stand außer Zweifel, dass die tradierte Unterscheidung zwischen „High and Low“ ein Widerspruch zur Forderung des Bildes als Raum der Imagination ist. Gerade der sogenannte schlechte Geschmack kann als Sprungbrett für die künstlerische Verwandlung genutzt werden. Theorie verwandelt sich in Erzählung, Gedanken spiegeln die Atemlosigkeit im Bild. Die Malerinnen und Maler sind frei, ihre Figuren bezeichnen nur, was die Formen als lebendige Bedeutung schon mit sich führen. Die Figur wird erkannt, wird möglich – das ist das Gegenteil von Expressionismus.

Am 4. Mai 1945 beginnt Asger Jorn auf einem Duplikator, einer kleinen Druckmaschine, ein Flugblatt zur Feier des Endes der Naziherrschaft zu drucken. Als Teil des dänischen Widerstands hatte er in seiner kleinen Wohnung in der Rådmandsgade die verbotene Zeitung „Land og Volk“ produziert. Sechs Jahre hatte er Dänemark nicht verlassen können. Auch als er im Spätsommer 1945 die Fähre nach Schweden nimmt, weiß keiner seiner Freunde, was das eigentliche Ziel seiner Reise ist. Jorn hat keine gültigen Papiere, will aber unbedingt nach Oslo. Dort war im Juli mit großem Aufwand eine Edvard-Munch-Ausstellung eröffnet worden, 300 Bilder, das fulminante Spätwerk - so viel war noch nie gezeigt worden. Jorn will das unbedingt gleich sehen und tatsächlich bekommt er hier einen entscheidenden Impuls für die Methode, die er bald „neuen Realismus“ nennen wird. Diese Methode - und das ist nur scheinbar ein Widerspruch - beruht auf einer radikal freien Bildsprache, auf einer „Malerei direkt aus der Materie“. Die Farbe dient nicht mehr der Zeichnung, füllt keine vorgewusste Form. „Servant“ wird „Master“. Es dauert noch einige Zeit, bis Jorn diese Erkenntnisse auch in seinen malerischen Formulierungen so restlos umsetzen kann, dass er zufrieden ist.

Im Herbst, zurück in Dänemark, will Jorn schnell handeln, das Gesehene und Erkannte unmittelbar prüfen und umsetzen. Er greift zurück auf seine älteren Bilder, überarbeitet, aktualisiert und modifiziert sie. Material ist knapp, Farbe ist teuer und so ist es kein Wunder, dass Jorn sich die „grüne Seite“ noch einmal vornimmt, die noch vor seinem Programmbild „Guganaga“ im Frühsommer 1945 entstanden war und eng mit der „Pferdeherde“ verbunden ist. Der Himmel wird jetzt violett aufgeladen. Das ist Munchs „wandernde Linie“. Es kommt Bewegung in die Szenerie und zu guter Letzt schreibt er ANIMAUX ANIMÉ in Großbuchstaben ins Bild. Die Farbe der Wahl: Chromoxidgrün feurig. „Beseelte Tiere“ - „Tiere in Bewegung“, schon das Wortspiel ein Rätsel. Eine Beschwörungsformel, ein Programm - sogar in eine andere Sprache gewendet, Übersetzungsfreiheit inklusive. Denn das Denken, der Blick kann gar nicht anders als international sein. Dass die „Tiere“ als Stellvertreter der Menschen seine Bildwelten bewohnen, hatte Jorn seit seiner ersten Pariser Zeit, die abrupt 1939 durch den drohenden Kriegsbeginn beendet wurde, durchgespielt. Jetzt sollen sie nicht nur Träger der Handlung sein, sondern selbst „bewegte Beweger“ werden. Wie wichtig dieses bald beidseitig bemalte Kunstwerk - ohne Wertung einer Vorder- und einer Rückseite - im Schaffen von Jorn wird, zeigt sich erst in der Rückschau. Es folgt Bild auf Bild, wirkt fast wie ein Film, treibt sich selbst voran. 1948 gründet Jorn bekanntermaßen mit Constant, Appel und Dotremont die „Internationale der Experimentellen Künstler“ in Paris. Als Gruppe "CoBrA" wird sie in die Kunstgeschichte eingehen und maßgeblich gegen die Pariser Künstler - die Hasardeure der Innendekoration - der späten 1940er Jahre Opposition beziehen.

"Joy of Life" - Das zweite Bild

Im Herbst 1945 kommt alles in Bewegung: Die strikte Parzellierung der Flächen wird aufgebrochen. Es gibt kaum noch Konturen. Die Figuren lösen sich aus ihrer erzählerischen Konstellation, finden im „geordneten Chaos“ der Farbe ihre Form. Sie stehen unmittelbar auf der Bildkante und gehen in ihrem Umraum auf, der inhaltlich unbestimmt bleibt, zum reinen Bildraum wird, ein weicher Fond, wie Fleisch aus süßem Rosa. Die „Landschaft“ ist jetzt das Viereck, und so formuliert Jorn die These „Animaux Animé” auf der „Rückseite“ der „umgedrehten Leinwand“ ganz neu. Das Bild ist eng verwandt mit „Joy of Life“, auch 1946 entstanden, als Anspielung auf Matisse’ berühmtes Gemälde in der Barnes Foundation, von dem damals ausdrücklich nur Schwarz-Weiß-Abbildungen genehmigt waren. Die „neue Vorderseite“ ist eines der ersten Bilder, auf denen Jorn die Erfahrungen der letzten Jahre ganz unmittelbar zum offenen Spiel weitertreibt. Von dort wird er zu den berühmten Pauszeichnungen kommen - heute in der Sammlung Troels Jorn - und zu den Saxnäs-Bildern. Die Farbigkeit ist jetzt klar, eine ungewöhnliche rosa-grün-ultramarinblaue Tonigkeit bestimmt den Auftritt der „neuen“ Figurationen, der rote Pinselstrich bezeichnet unmittelbar die roten Haare. Die kleine Vogelfigur schaut erwartungsvoll nach oben. Die zweite Seite wird ein „Didaska“-Bild in Öl, feiert das neu gewonnene Leben, die im Prozess gefundene Formel. Zum Schluss wird es signiert - eine kleine „’46“ hält den Moment fest.

Das „human animal“ war ohne Umschweife am Rand der surrealistischen Selbstgespräche aufgetaucht. Picasso revitalisierte den Minotaurus. Masson spielte die Metamorphose der verfolgten Daphne durch. Max Ernst erfand Loplop als „alter ego“ ebenso wie komplette Tier-Mensch-Verwandtschaftsverhältnisse. Schließlich wählen die Künstler der „Internationale des artistes expérimentaux” im Herbst 1948 für ihre Zeitschrift die Cobra als Totem-Tier. Für die Künstler der "CoBrA" wurden Tiere, oft Vögel, Katzen, Hunde und auch einige Mischwesen, zur Chiffre für eine „andere Kunst“, eine „art autre“.
Jorns „Animaux animé(s)“ ist als Doppelbild der weite Wurf in die Zukunft, der sogar auf der zweiten Seite noch einen weiteren Sprung schafft. Der Künstler nimmt die „peinture detournée“ vorweg, was sich aus heutiger Sicht durch einen Vergleich mit Mirós surrealistischem Programm vom Hund, der den Mond anbellt, oder mit Philip Gustons periodischer Überwindung des Motivs zugunsten der Farbe anschaulich machen lässt. „Man kann nur zur Wahrheit kommen, indem man seine Fantasie für die unglaubwürdigsten Bilder wie die von Bosch und Breughel einsetzt, aber dann in einer bildnerischen Sprache wie bei den alten Indianern, Wikingern, Primitiven und nicht in einer surrealistisch-naturalistischen Sprache. Wir sollen keine Beschreibung des Menschen als Tier geben. Aber sollen uns selbst als Tier beschreiben. Das ist unser Weg.“ (Asger Jorn in einem Brief an Constant, 1950, zit. nach: „CoBrA 1948-51“, Ausst.-Kat. Kunstverein Hamburg 1982, S. 138.)

Axel Heil



325
Asger Jorn
Ohne Titel (Didaska), 1946.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 200.000
Ergebnis:
€ 250.000

(inkl. Käuferaufgeld)