Auktion: 517 / Moderne Kunst II am 18.06.2021 in München Lot 172

 

172
Otto Gleichmann
Frauenbildnis, 1926.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 22.500

(inkl. Käuferaufgeld)
Frauenbildnis. 1926.
Öl auf Leinwand.
Links unten signiert und datiert. Verso nochmals signiert und datiert. 76 x 40 cm (29,9 x 15,7 in).

• Otto Gleichmann ist Hauptfigur der Hannoverschen Sezession und stellt u.a. bei Flechtheim und Nierendorf aus, seit 1937 gelten seine Werke als entartet
• Romantisch zarte und dennoch expressive Züge lassen sich wahrnehmen, etwas Mädchenhaftes, das an Bildnisse von Marie Laurencin erinnert
.

Die vorliegende Arbeit wird von Frau Petra Wenzel in das in Vorbereitung befindliche Werkverzeichnis aufgenommen.

PROVENIENZ: Sammlung Ilse und Hermann Bode, Hannover/Steinhude.
Privatsammlung Deutschland (durch Erbfolge).

AUSSTELLUNG: Otto Gleichmann. Gemälde, Gouachen, Zeichnungen 1907-1932, Kestner-Gesellschaft, Hannover, 121. Ausstellung, 2. Juni-26. Juni 1932, Kat.-Nr. 13.
Otto Gleichmann. Ölbilder, Aquarelle und Handzeichnungen 1908-1955, Kunstverein Braunschweig, 21. August-18. September 1955, Kat.-Nr. 15.
Otto Gleichmann. Ölbilder, Aquarelle, Zeichnungen, Kunstverein Hannover, 25. August-22. September 1957, Kat.-Nr. 79.
Die Zwanziger Jahre in Hannover, Kestner Gesellschaft, Hannover, 1962, Kat.-Nr. 14 mit Abb.
Die Pelikan Kunstsammlung, Kestner Gesellschaft, Hannover, 1963, Kat.-Nr. 41 mit S/W-Abb. S. 83.
Otto Gleichmann. Gemälde 1908-1963, Galerie im Rathaus Tempelhof, Berlin, 29. Januar-26. März 1970, Berlin 1970, Kat.-Nr. 22.
Hannover. Kunst der Avantgarde in Hannover 1912-1933, Sprengel Museum Hannover, 23.9.2017-7.1.2018, Ausst.-Kat. S. 115
Sprengel Museum, Hannover (Dauerleihgabe bis Anfang 2021).

LITERATUR: Elger, Dietmar und Krempel, Ulrich (Hrsg.). Malerei und Plastik. Band 1: Text. Band 2: Bestandsverzeichnis (Sprengel Museum, Hannover), Hannover 2003.
„Als Künstler war er ein poetischer Träumer und wilder Phantast. Seine Phantasie war vielleicht nordisch, seine Farbe und sein Pinselstrich eher französisch, eine sehr persönliche, oft ganz raffinierte Handschrift.“ (Kate Steinitz)

Die Begegnung mit diesem Frauenbildnis von Otto Gleichmann erweckt Staunen. Ein Erstaunen über den besonderen Charakter der Malerei Mitte der 1920er Jahre, der sich nicht an der Neuen Sachlichkeit orientiert, sondern bei aller Klarheit romantisch zarte und dennoch expressive Züge wahrnehmen lässt, etwas Mädchenhaftes, das an Bildnisse von Marie Laurencin erinnert, etwas Theatralisches, das an frühe Düsseldorfer Malerei von Gerd Wollheim denken lässt. Gleichmann malt das Bildnis einer in sich gekehrten, schüchtern anmutenden Frau mit gesenktem Blick, gerahmt von offen getragenem, weich auf das schulterbreite Dekolletee fallendem Haar. Es ist ein besonderes Bildnis, das im bis dato in Ausstellungen veröffentlichten Werk nicht zu sehen ist, etwa 1916 im Kestner-Museum, Hannover, im darauffolgenden Jahr im Kunstverein Jena, im Museum der Stadt Erfurt oder 1919 in Gleichmanns erster umfangreicher Ausstellung in der Galerie von Alfred Flechtheim in Düsseldorf mit Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen seit 1911. Die Besucher und Besucherinnen entdecken einen an den Kunstakademien in Düsseldorf, Breslau und Weimar unterrichteten Künstler, der sich unter dem Eindruck der Kriegserlebnisse zu einem ungezügelten, überexpressiv malenden Einzelgänger wandelt. 1915 heiratet er die Malerin Lotte Giese. Nach den Kriegsjahren, an der Front in Russland und Frankreich, lässt sich Gleichmann dauerhaft in Hannover nieder. „Er trägt den Titel Studienrat und gibt Zeichenunterricht im Georgs-Gymnasium“, weiß die Künstlerin und Kunstkritikerin Kate Steinitz zu berichten. „Jedoch als Künstler war er ein poetischer Träumer und wilder Phantast. Seine Phantasie war vielleicht nordisch, seine Farbe und sein Pinselstrich eher französisch, eine sehr persönliche, oft ganz raffinierte Handschrift. Seine Blumen kamen aus einer Traumlandschaft, seine Tiere aus Angstträumen; seine Frauen und Männer waren Geister aus einem erotischen, oft morbiden Zwischenland zwischen Himmel und Hölle“ (Kate Steinitz, in: 50 Jahre Kestner-Gesellschaft, hrsg. von Wieland Schmied, Hannover 1966, S. 37f.). 1918 treten er und seine Frau der Hannoverschen Sezession bei. Und so wird Gleichmann auch Zeuge der Konstruktivisten, die sich 1921/22 um Kurt Schwitters, Hans Arp, Theo van Doesburg, Raoul Hausmann, El Lissitzky, László Moholy-Nagy, Hans Richter, Tristan Tzara und andere bilden. Er wird Zeuge des wohl 1923 begonnenen „Merzbaus“, dem vielleicht skurrilsten Werk Schwitters, ein fantastisch, verwirrend komponierter Raum mit vielfältig verbauten plastischen Formen, Fundstücken, Spolien und Reliquien aus anderen Zusammenhängen, ein Kunstraum, der eine geistige Entsprechung in den Proun-Räumen von El Lissitzky erfährt mit dessen streng experimentell gehaltenen Konstrukten, eine Weiterführung des Suprematismus in die dritte Dimension. Und Otto Gleichmann? Er nimmt teil an dem Aufbruch, ohne ihn selbst künstlerisch zu leben, lebt in einer Stadt, die mit der Kestner Gesellschaft seit 1916 am Puls der Zeit die Avantgarde ausstellt und 1932 auch ihm eine umfangreiche Retrospektive ausrichtet. Unter den Nationalsozialisten wird seine Kunst geächtet, sodass er sich aus der Öffentlichkeit zurückzieht. 1936 erhält er schließlich Ausstellungsverbot. Zudem sind einige seiner Bilder, die aus Museen beschlagnahmt werden, 1937 in der Münchner Ausstellung "Entartete Kunst" zu sehen. Während des Zweiten Weltkriegs wird sein Atelier in Hannover ausgebombt. Trotz des Verlustes unzähliger Werke beginnt er kurz nach dem Krieg wieder Ausstellungen im In- und Ausland zu bedienen. 1987 würdigt ihn das Sprengel Museum in Hannover posthum mit einer großen Retrospektive. [MvL]



172
Otto Gleichmann
Frauenbildnis, 1926.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 20.000
Ergebnis:
€ 22.500

(inkl. Käuferaufgeld)