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446
Anita Rée
Verkündigung, 1916/1919.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 15.000 Ergebnis:
€ 75.000 (inkl. Käuferaufgeld)
Verkündigung. 1916/1919.
Öl auf Leinwand.
Bruhns G 38. Rechts unten signiert. Verso auf dem Keilrahmen bezeichnet "d. h. s. M." und "Reh". 60,3 x 75 cm (23,7 x 29,5 in).
• Eines der ersten Werke, in denen sich die Künstlerin angesichts der Schrecken des Ersten Weltkriegs religiösen Themen zuwendet.
• Die Darstellung zeigt die Altstadt und die Nonnenkirche Blankenhains in Thüringen, wo sich Rée im Sommer 1916 in "Bassa Selims Haus", einer Künstlererholungsstätte, aufhält.
• Das Werk ist Teil der Sammlungen der Hamburger Bankiers Carl Melchior (1871-1933) und Fritz Warburg (1879-1964), letzterer der Bruder des epochalen Kunsthistorikers Aby Warburg.
Wir danken Dr. Ute Haug, Kunsthalle Hamburg, und Dorothea Hauser, Stiftung Warburg Archiv, Hamburg, für die freundliche wissenschaftliche Beratung.
PROVENIENZ: Sammlung Carl Melchior (1871-1933), Hamburg.
Sammlung Dr. Fritz Warburg, Hamburg (1934 aus vorgenanntem Nachlass als Geschenk erhalten).
Privatsammlung Norddeutschland.
Kunsthandel Wolniewicz, Hamburg.
Privatsammlung Norddeutschland.
Privatsammlung (2009 vom Vorgenannten erworben).
Gütliche Einigung mit den Erben nach Dr. Fritz Warburg (2020).
Das Werk ist frei von Restitutionsansprüchen. Das Angebot erfolgt in freundlichem Einvernehmen mit den Erben nach Dr. Fritz Warburg auf Grundlage einer fairen und gerechten Lösung.
AUSSTELLUNG: Anita Rée, Overbeck-Gesellschaft, Schabbelhaus, Lübeck, wohl 1920.
Leih-Ausstellung aus hamburgischem Privatbesitz in der Kunsthalle, Mai 1925, Hamburger Kunsthalle, Kat.-Nr. 270.
LITERATUR: Moderne deutsche Malerei, in: Erste Beilage zur Deutschen Übersee-Zeitung, Nr. 30, 24.10.1920, S. 5.
Victor Dirksen, Eine Hamburgische Malerin, in: Der Kreis. Zeitschrift für künstlerische Kultur, 3. Jg., Nr. 8, 1926, S. 326.
Gustav Pauli, Anita Rée, in: Das Kunstblatt, 10. Jg., 1926, S. 361 (mit Abb., S. 356).
Doktor Ernst Hauswedell Buch- und Kunstantiquariat, Wertvolle Bücher, Handzeichnungen und Graphik: Freitag, den 29. und Sonnabend, den 30. November 1946, Lot 1507 (verso mit der Nummer).
Claudia Heuer, Anita Reé. Hamburg 1885-1933. Ein vorläufiges Werkverzeichnis, Regensburg 1982, S. 98, S. 134 u.136.
Auktionshaus Schlüter, Hamburg 1984, 2653. Auktion, Lot 694.
Maike Bruhns, Anita Rée. Leben und Werk einer Hamburger Malerin 1885-1933, Hamburg 1986, Kat.-Nr. G46, S. 260 (mit Abb.).
Ketterer Kunst, München, 357. Auktion, 23.10.2009, Lot 238.
Thomas Auwärter, Kein Heimatrecht im Reich der Kunst? Anita Rée, eine christliche Künstlerin jüdischer Herkunft, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte, Bd. 126, Heft 2-3, 2015, S. 282 u. S. 286f.
Maike Bruhns, Anita Rée. Das Werk, München 2018, Kat.-Nr. G 38 (mit Farbabb., Abb.-Nr. 20, S. 27).
Öl auf Leinwand.
Bruhns G 38. Rechts unten signiert. Verso auf dem Keilrahmen bezeichnet "d. h. s. M." und "Reh". 60,3 x 75 cm (23,7 x 29,5 in).
• Eines der ersten Werke, in denen sich die Künstlerin angesichts der Schrecken des Ersten Weltkriegs religiösen Themen zuwendet.
• Die Darstellung zeigt die Altstadt und die Nonnenkirche Blankenhains in Thüringen, wo sich Rée im Sommer 1916 in "Bassa Selims Haus", einer Künstlererholungsstätte, aufhält.
• Das Werk ist Teil der Sammlungen der Hamburger Bankiers Carl Melchior (1871-1933) und Fritz Warburg (1879-1964), letzterer der Bruder des epochalen Kunsthistorikers Aby Warburg.
Wir danken Dr. Ute Haug, Kunsthalle Hamburg, und Dorothea Hauser, Stiftung Warburg Archiv, Hamburg, für die freundliche wissenschaftliche Beratung.
PROVENIENZ: Sammlung Carl Melchior (1871-1933), Hamburg.
Sammlung Dr. Fritz Warburg, Hamburg (1934 aus vorgenanntem Nachlass als Geschenk erhalten).
Privatsammlung Norddeutschland.
Kunsthandel Wolniewicz, Hamburg.
Privatsammlung Norddeutschland.
Privatsammlung (2009 vom Vorgenannten erworben).
Gütliche Einigung mit den Erben nach Dr. Fritz Warburg (2020).
Das Werk ist frei von Restitutionsansprüchen. Das Angebot erfolgt in freundlichem Einvernehmen mit den Erben nach Dr. Fritz Warburg auf Grundlage einer fairen und gerechten Lösung.
AUSSTELLUNG: Anita Rée, Overbeck-Gesellschaft, Schabbelhaus, Lübeck, wohl 1920.
Leih-Ausstellung aus hamburgischem Privatbesitz in der Kunsthalle, Mai 1925, Hamburger Kunsthalle, Kat.-Nr. 270.
LITERATUR: Moderne deutsche Malerei, in: Erste Beilage zur Deutschen Übersee-Zeitung, Nr. 30, 24.10.1920, S. 5.
Victor Dirksen, Eine Hamburgische Malerin, in: Der Kreis. Zeitschrift für künstlerische Kultur, 3. Jg., Nr. 8, 1926, S. 326.
Gustav Pauli, Anita Rée, in: Das Kunstblatt, 10. Jg., 1926, S. 361 (mit Abb., S. 356).
Doktor Ernst Hauswedell Buch- und Kunstantiquariat, Wertvolle Bücher, Handzeichnungen und Graphik: Freitag, den 29. und Sonnabend, den 30. November 1946, Lot 1507 (verso mit der Nummer).
Claudia Heuer, Anita Reé. Hamburg 1885-1933. Ein vorläufiges Werkverzeichnis, Regensburg 1982, S. 98, S. 134 u.136.
Auktionshaus Schlüter, Hamburg 1984, 2653. Auktion, Lot 694.
Maike Bruhns, Anita Rée. Leben und Werk einer Hamburger Malerin 1885-1933, Hamburg 1986, Kat.-Nr. G46, S. 260 (mit Abb.).
Ketterer Kunst, München, 357. Auktion, 23.10.2009, Lot 238.
Thomas Auwärter, Kein Heimatrecht im Reich der Kunst? Anita Rée, eine christliche Künstlerin jüdischer Herkunft, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte, Bd. 126, Heft 2-3, 2015, S. 282 u. S. 286f.
Maike Bruhns, Anita Rée. Das Werk, München 2018, Kat.-Nr. G 38 (mit Farbabb., Abb.-Nr. 20, S. 27).
Wiederentdeckung und Neubewertung
"Anita Rée, Jeanne Mammen und Hanna Nagel stehen stellvertrend für lange übersehene, vergessene und unterschätzte Künstlerinnen der Moderne", erläutert der Katalog der soeben gezeigten Ausstellung "Umbruch" in der Kunsthalle Mannheim. Diese ist nur eine von zahlreichen Ausstellungen, mit denen das Werk der Hamburger Ausnahme-Künstlerin Anita Rée im Zuge der umfassenden Neubewertung des Beitrags weiblicher Künstlerinnen in den Fokus der Museen, Institutionen und des Kunsthandels gerückt wird und endlich die verdiente, wenngleich späte Würdigung erfährt. 2013 erscheint die Publikation "Anita Rée. Der Zeit voraus - eine Hamburger Künstlerin der 20er Jahre" von Annegret Erhard. 2017/18 widmet ihr die Hamburger Kunsthalle eine umfassende Retrospektive. Auf dem ersten Werkverzeichnis von 1986 aufbauend, erscheint noch im selben Jahr die überarbeitete Neuauflage des Werkverzeichnisses mit zahlreichen neuen Forschungsergebnissen von Maike Bruhns. 2019 sind einige ihrer Werke dann in der Ausstellung "Vergessene Moderne. Kunst in Deutschland zwischen den Weltkriegen" im Kunstforum Ingelheim zu sehen. Heute gilt Anita Rée als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der Neuen Sachlichkeit.
Die Hinwendung zu religiösen Motiven
Ab 1904 erhält sie zunächst Malunterricht bei Arthur Siebelist in Hamburg, ab 1913 weilt sie zur weiterführenden künstlerischen Ausbildung in Paris. Den Sommer 1916 verbringt sie dann in Blankenhain in Thüringen, in der Künstlererholungsstätte "Bassa Selims Haus", das kurz zuvor von Carl Georg Heise, dem späteren Museumsdirektor des St. Annen-Museums in Lübeck, und dem Verleger Hans "Giovanni" Mardersteig als kostenfreier, stimulierender Rückzugsort für Künstler und Wissenschaftler ins Leben gerufen wurde. Anita Rée zeigt sich zunächst wenig begeistert von der thüringischen Provinz, selbst Weimar habe nichts an moderner und guter alter Kunst aufzuweisen, erklärt sie in einem Brief an eine befreundete Malerin. Doch in genau dieser abgeschiedenen Umgebung findet Rée in diesem Sommer zu einer inspirierten Schaffenskraft und zu einer ganz neuen Thematik und Motivik: Erstmals widmet sie sich neben Straßenszenen, historischen Bauten und regionalen Landschaftsdarstellungen auch religiösen Themen, die sich fortan bis zum Ende ihres kurzen Lebens häufig in ihrem Œuvre wiederfinden.
"Der farbige Klang dieses Bildes ist fabelhaft schwer zu lösen."
Womöglich wendet sich die Künstlerin auch aufgrund der Schrecken des Krieges in ebendiesen Zeiten religiösen Themen zu. In Blankenhain beobachtet sie die im dortigen Sanatorium beherbergten, schwer traumatisierten Soldaten, die sie in einigen Zeichnungen und Aquarellen porträtiert. "Der Ort, an dem ich jetzt meine Tage verbringe [..] ist dazu angetan, die schwierigsten und quälendsten Conflikte in der Seele eines Malers [..] hervorzurufen", schreibt Rée in diesen Sommermonaten in einem Brief an eine Freundin (zit. nach: Maike Bruhns, Anita. Rée. Das Werk, München 2018, S. 26). Am 31. August 1916 schreibt Anita Rée an ihren Bekannten Richard Hertz über das hier angebotene Bild: "Die Verkündigung vor der Nonnenkirche ist äußerst schwierig u. immer noch im Werden begriffen [..]. Die hölzerne Steifheit der Verkündigung, die Sie erwähnten, ist vollbewusste Absicht. Der farbige Klang dieses Bildes ist fabelhaft schwer zu lösen" (Anita Rée, 1916, zit. nach: Anita Rée. Das Werk, München 2018, S. 27). Der Brief bleibt die bis heute einzige bekannte dokumentierte Äußerung Anita Rées zu ihrer Malweise.
Das spätere Œuvre. Monumentale Auftragsarbeiten
Die in dem Brief erwähnte Komposition des hier angebotenen Bildes beschäftigt die Künstlerin so sehr, dass sie die Szenerie in weiteren Versionen wiederholt (Bruhns G 39/40). Weitere Verkündigungsszenen formuliert Rée auch als reine Figurenstudien mit ausladenden Engelsflügeln (G 67 verso und G 39). Auch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs beschäftigt sich Anita Rée in ihrer Malerei weiterhin mit religiöser bzw. christlicher Thematik und findet dann insbesondere während ihres dreijährigen Aufenthalts in Positano, Italien, zu einer tiefen Religiosität, die sie nach ihrer Rückkehr in die Hamburger Heimat in zahlreichen Werken verbildlicht und verarbeitet. Unter anderem schafft Rée in Anlehung an das biblische Gleichnis 1929 das Wandgemälde "Die klugen und die törichten Jungfrauen" für die Staatliche Gewerbe- und Hauswirtschaftsschule an der Uferstraße in Hamburg (Bruhns G 139). 1931 entsteht ein Triptychon für den Altarraum der St. Ansgar Kirche in Hamburg-Langenhorn (Bruhns G 160), das sich motivisch der Abendmahlsszene, Jesu Einzug nach Jerusalem und dem Verrat des Judas widmet. Zudem gibt es zahlreiche Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde, wie bspw. "Betender" (um 1917), "Madonna" (vor 1920) und "Beweinung, Schmerz" (um 1930).
Gelungene Symbiose: Eine Verkündigungsszene in modernem Gewand
Ihr Interesse an christlicher Motivik, an biblischen Schriften und Legenden zeigt sich in der hier angebotenen Darstellung - eine ihrer ersten religiös geprägten Darstellungen - ganz deutlich: Mit kräftiger, reicher Farbigkeit setzt die Künstlerin eine klassische Verkündigungsszene mit Heiligenscheinen, Segensgestus, Kniefall, üppigen Gewändern und Engelsflügeln in die formal stark vereinfachte, zeitgenössische Stadtansicht der thüringischen Kleinstadt-Szenerie - nämlich mitten auf den Blankenhainer Marktplatz mit der charakteristischen Nonnenkirche St. Anna im Hintergrund. Anita Rée hegt Zeit ihres Lebens eine große Verehrung für die italienischen Alten Meister, welche sich hier womöglich in der Haltung der Figuren widerspiegelt, die große Ähnlichkeit mit der Haltung der Figuren in Giotto di Bondones "Verkündigung" aufweisen (1304-1306, Fresko, Arenakapelle, Padua). Mit dem aus dem Johannesevangelium bekannten Lamm Gottes visualisiert sie wie zuvor schon Jan van Eyck und Albrecht Dürer den Bezug zu Jesus, während die auf die Figuren gerichteten Lichtstrahlen aus dem Himmel deren göttliche Nähe verdeutlichen. Maria und den Engel Gabriel verortet sie überlebensgroß und fast skulptural vor einem schlichten Hauseingang.
Mit dieser Darstellung schafft Anita Rée eine moderne Verkündigungsszene, die von der Künstlerin mit fulminanten malerischen Kniffen als außergewöhnliche Symbiose von altmeisterlicher Ikonografie und ganz unmittelbar von ihr selbst Erlebtem, Gesehenem und Empfundenem in die Gegenwart verlegt wird. Mit dieser eindrücklichen Darstellung, der Verwendung starker Farbkontraste und reduzierter, nahezu geometrischer Formen in Verbindung mit einer tradierten kunsthistorischen Ikonografie, einer ausgefeilten, sogartigen Tiefenwirkung, mutigen, selbstbewusst gesetzten Konturen sowie mit der außergewöhnlichen Beziehung von Figur und Raum erweist sich die Künstlerin als herausragende Avantgardistin des frühen 20. Jahrhunderts. [CH]
Provenienz
Dieses beeindruckende Kunstwerk stammt aus der Sammlung des bedeutenden Fritz Warburg, einem Bruder des Kunsthistorikers Aby Warburg. Es wird mit dem ausdrücklichem Einverständnis der Erben und der Familie von Dr. Fritz Warburg angeboten, der wir für den freundlichen Austausch herzlich danken.
"Der deutsche Bankier Fritz Warburg wurde 1879 in Hamburg geboren. Im Jahr 1908 heiratete er Anna Beata Warburg, geboren 1881 in Stockholm. Sie hatten drei gemeinsame Töchter: Ingrid, Eva und Charlotte Esther, genannt Noni.
Gemeinsam mit Anna erlebte Fritz Warburg die dramatischen Veränderungen Europas, die nach dem Ersten Weltkrieg einsetzten. Er blieb bis November 1938 in Deutschland, wo er schließlich gemeinsam mit 1000 Hamburger Juden verhaftet wurde. Nach seiner Freilassung emigrierte Fritz Warburg nach Schweden, später übersiedelte er mit seiner Frau Anna zu den Töchtern Eva und Noni nach Israel.
Seine Enkelkinder, die ihn in Israel und Stockholm besuchten oder gemeinsame Ferien mit ihm im deutschen Schwarzwald verlebten, erinnern sich an ihn als einen zärtlichen und liebenswürdigen Großvater, der gerne mit ihnen spielte. Fritz und Anna blieben bis ins hohe Alter im Leben ihrer Enkel präsent, ohne jemals zu erwähnen, was sie persönlich und Europa als Gesamtheit im Zuge der 'ethnischen Säuberungen' zwischen den beiden Weltkriegen durchgemacht hatten."
(verfasst von Oliviero Spinelli, Enkelsohn von Fritz Warburg, im November 2020)
"Anita Rée, Jeanne Mammen und Hanna Nagel stehen stellvertrend für lange übersehene, vergessene und unterschätzte Künstlerinnen der Moderne", erläutert der Katalog der soeben gezeigten Ausstellung "Umbruch" in der Kunsthalle Mannheim. Diese ist nur eine von zahlreichen Ausstellungen, mit denen das Werk der Hamburger Ausnahme-Künstlerin Anita Rée im Zuge der umfassenden Neubewertung des Beitrags weiblicher Künstlerinnen in den Fokus der Museen, Institutionen und des Kunsthandels gerückt wird und endlich die verdiente, wenngleich späte Würdigung erfährt. 2013 erscheint die Publikation "Anita Rée. Der Zeit voraus - eine Hamburger Künstlerin der 20er Jahre" von Annegret Erhard. 2017/18 widmet ihr die Hamburger Kunsthalle eine umfassende Retrospektive. Auf dem ersten Werkverzeichnis von 1986 aufbauend, erscheint noch im selben Jahr die überarbeitete Neuauflage des Werkverzeichnisses mit zahlreichen neuen Forschungsergebnissen von Maike Bruhns. 2019 sind einige ihrer Werke dann in der Ausstellung "Vergessene Moderne. Kunst in Deutschland zwischen den Weltkriegen" im Kunstforum Ingelheim zu sehen. Heute gilt Anita Rée als eine der bedeutendsten Vertreterinnen der Neuen Sachlichkeit.
Die Hinwendung zu religiösen Motiven
Ab 1904 erhält sie zunächst Malunterricht bei Arthur Siebelist in Hamburg, ab 1913 weilt sie zur weiterführenden künstlerischen Ausbildung in Paris. Den Sommer 1916 verbringt sie dann in Blankenhain in Thüringen, in der Künstlererholungsstätte "Bassa Selims Haus", das kurz zuvor von Carl Georg Heise, dem späteren Museumsdirektor des St. Annen-Museums in Lübeck, und dem Verleger Hans "Giovanni" Mardersteig als kostenfreier, stimulierender Rückzugsort für Künstler und Wissenschaftler ins Leben gerufen wurde. Anita Rée zeigt sich zunächst wenig begeistert von der thüringischen Provinz, selbst Weimar habe nichts an moderner und guter alter Kunst aufzuweisen, erklärt sie in einem Brief an eine befreundete Malerin. Doch in genau dieser abgeschiedenen Umgebung findet Rée in diesem Sommer zu einer inspirierten Schaffenskraft und zu einer ganz neuen Thematik und Motivik: Erstmals widmet sie sich neben Straßenszenen, historischen Bauten und regionalen Landschaftsdarstellungen auch religiösen Themen, die sich fortan bis zum Ende ihres kurzen Lebens häufig in ihrem Œuvre wiederfinden.
"Der farbige Klang dieses Bildes ist fabelhaft schwer zu lösen."
Womöglich wendet sich die Künstlerin auch aufgrund der Schrecken des Krieges in ebendiesen Zeiten religiösen Themen zu. In Blankenhain beobachtet sie die im dortigen Sanatorium beherbergten, schwer traumatisierten Soldaten, die sie in einigen Zeichnungen und Aquarellen porträtiert. "Der Ort, an dem ich jetzt meine Tage verbringe [..] ist dazu angetan, die schwierigsten und quälendsten Conflikte in der Seele eines Malers [..] hervorzurufen", schreibt Rée in diesen Sommermonaten in einem Brief an eine Freundin (zit. nach: Maike Bruhns, Anita. Rée. Das Werk, München 2018, S. 26). Am 31. August 1916 schreibt Anita Rée an ihren Bekannten Richard Hertz über das hier angebotene Bild: "Die Verkündigung vor der Nonnenkirche ist äußerst schwierig u. immer noch im Werden begriffen [..]. Die hölzerne Steifheit der Verkündigung, die Sie erwähnten, ist vollbewusste Absicht. Der farbige Klang dieses Bildes ist fabelhaft schwer zu lösen" (Anita Rée, 1916, zit. nach: Anita Rée. Das Werk, München 2018, S. 27). Der Brief bleibt die bis heute einzige bekannte dokumentierte Äußerung Anita Rées zu ihrer Malweise.
Das spätere Œuvre. Monumentale Auftragsarbeiten
Die in dem Brief erwähnte Komposition des hier angebotenen Bildes beschäftigt die Künstlerin so sehr, dass sie die Szenerie in weiteren Versionen wiederholt (Bruhns G 39/40). Weitere Verkündigungsszenen formuliert Rée auch als reine Figurenstudien mit ausladenden Engelsflügeln (G 67 verso und G 39). Auch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs beschäftigt sich Anita Rée in ihrer Malerei weiterhin mit religiöser bzw. christlicher Thematik und findet dann insbesondere während ihres dreijährigen Aufenthalts in Positano, Italien, zu einer tiefen Religiosität, die sie nach ihrer Rückkehr in die Hamburger Heimat in zahlreichen Werken verbildlicht und verarbeitet. Unter anderem schafft Rée in Anlehung an das biblische Gleichnis 1929 das Wandgemälde "Die klugen und die törichten Jungfrauen" für die Staatliche Gewerbe- und Hauswirtschaftsschule an der Uferstraße in Hamburg (Bruhns G 139). 1931 entsteht ein Triptychon für den Altarraum der St. Ansgar Kirche in Hamburg-Langenhorn (Bruhns G 160), das sich motivisch der Abendmahlsszene, Jesu Einzug nach Jerusalem und dem Verrat des Judas widmet. Zudem gibt es zahlreiche Zeichnungen, Aquarelle und Gemälde, wie bspw. "Betender" (um 1917), "Madonna" (vor 1920) und "Beweinung, Schmerz" (um 1930).
Gelungene Symbiose: Eine Verkündigungsszene in modernem Gewand
Ihr Interesse an christlicher Motivik, an biblischen Schriften und Legenden zeigt sich in der hier angebotenen Darstellung - eine ihrer ersten religiös geprägten Darstellungen - ganz deutlich: Mit kräftiger, reicher Farbigkeit setzt die Künstlerin eine klassische Verkündigungsszene mit Heiligenscheinen, Segensgestus, Kniefall, üppigen Gewändern und Engelsflügeln in die formal stark vereinfachte, zeitgenössische Stadtansicht der thüringischen Kleinstadt-Szenerie - nämlich mitten auf den Blankenhainer Marktplatz mit der charakteristischen Nonnenkirche St. Anna im Hintergrund. Anita Rée hegt Zeit ihres Lebens eine große Verehrung für die italienischen Alten Meister, welche sich hier womöglich in der Haltung der Figuren widerspiegelt, die große Ähnlichkeit mit der Haltung der Figuren in Giotto di Bondones "Verkündigung" aufweisen (1304-1306, Fresko, Arenakapelle, Padua). Mit dem aus dem Johannesevangelium bekannten Lamm Gottes visualisiert sie wie zuvor schon Jan van Eyck und Albrecht Dürer den Bezug zu Jesus, während die auf die Figuren gerichteten Lichtstrahlen aus dem Himmel deren göttliche Nähe verdeutlichen. Maria und den Engel Gabriel verortet sie überlebensgroß und fast skulptural vor einem schlichten Hauseingang.
Mit dieser Darstellung schafft Anita Rée eine moderne Verkündigungsszene, die von der Künstlerin mit fulminanten malerischen Kniffen als außergewöhnliche Symbiose von altmeisterlicher Ikonografie und ganz unmittelbar von ihr selbst Erlebtem, Gesehenem und Empfundenem in die Gegenwart verlegt wird. Mit dieser eindrücklichen Darstellung, der Verwendung starker Farbkontraste und reduzierter, nahezu geometrischer Formen in Verbindung mit einer tradierten kunsthistorischen Ikonografie, einer ausgefeilten, sogartigen Tiefenwirkung, mutigen, selbstbewusst gesetzten Konturen sowie mit der außergewöhnlichen Beziehung von Figur und Raum erweist sich die Künstlerin als herausragende Avantgardistin des frühen 20. Jahrhunderts. [CH]
Provenienz
Dieses beeindruckende Kunstwerk stammt aus der Sammlung des bedeutenden Fritz Warburg, einem Bruder des Kunsthistorikers Aby Warburg. Es wird mit dem ausdrücklichem Einverständnis der Erben und der Familie von Dr. Fritz Warburg angeboten, der wir für den freundlichen Austausch herzlich danken.
"Der deutsche Bankier Fritz Warburg wurde 1879 in Hamburg geboren. Im Jahr 1908 heiratete er Anna Beata Warburg, geboren 1881 in Stockholm. Sie hatten drei gemeinsame Töchter: Ingrid, Eva und Charlotte Esther, genannt Noni.
Gemeinsam mit Anna erlebte Fritz Warburg die dramatischen Veränderungen Europas, die nach dem Ersten Weltkrieg einsetzten. Er blieb bis November 1938 in Deutschland, wo er schließlich gemeinsam mit 1000 Hamburger Juden verhaftet wurde. Nach seiner Freilassung emigrierte Fritz Warburg nach Schweden, später übersiedelte er mit seiner Frau Anna zu den Töchtern Eva und Noni nach Israel.
Seine Enkelkinder, die ihn in Israel und Stockholm besuchten oder gemeinsame Ferien mit ihm im deutschen Schwarzwald verlebten, erinnern sich an ihn als einen zärtlichen und liebenswürdigen Großvater, der gerne mit ihnen spielte. Fritz und Anna blieben bis ins hohe Alter im Leben ihrer Enkel präsent, ohne jemals zu erwähnen, was sie persönlich und Europa als Gesamtheit im Zuge der 'ethnischen Säuberungen' zwischen den beiden Weltkriegen durchgemacht hatten."
(verfasst von Oliviero Spinelli, Enkelsohn von Fritz Warburg, im November 2020)
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