Auktion: 500 / Evening Sale am 17.07.2020 in München Lot 202

 

202
Karl Hartung
Zeichen, Um 1949.
Bronze mit dunkelgrau, stellenweise dunkelbraun...
Schätzung:
€ 40.000
Ergebnis:
€ 55.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Zeichen. Um 1949.
Bronze mit dunkelgrau, stellenweise dunkelbraun aufgehellter Patina auf originalem Holzsockel.
Krause 426. Aus einer Auflage von 6 + 1 AP Exemplaren. Höhe: 53 cm (20,8 in). Sockel: 4 x 19,5 x 19 cm (1.5 x 7.6 x 7.4 in).
Lebzeitguss. [EH].

• Erstmals auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten.
• Künstlerische Position zwischen Figuration und Abstraktion.
• Lebzeitguss.
• Gezeigt auf der Biennale V. São Paulo (1959), auf der Karl Hartung mit über 40 Werken vertreten war.
• Im Kunsthaus des Nachlasses durchgehend ausgestellt
.

PROVENIENZ: Nachlass Karl Hartung.

AUSSTELLUNG: Karl Hartung, Haus am Waldsee Berlin 1952, Nr. 82.
Deutscher Künstlerbund, 6. Ausstellung, Düsseldorf, 1956, Nr. 482.
Tysk Nutidskonst veranstaltet vom Deutscher Kunstrat, Stockholm 1956, Nr. 26.
Abstrakte Kunst - Ausstellung deutscher Maler und Bildhauer, Kulturhaus Ludwigshafen, 1957, Nr. 141 m. Abb.
Biennale São Paulo, Museu de Arte Moderna, 1959 (auf dem Sockel mit dem Etikett).

Was zeichnet dieses phantastisch anmutende Gebilde aus? Es ist nicht rein abstrakt im eigentlichen, nicht kubistisch im engeren und nicht informell im ursprünglichen Sinne, nicht expressiv, nicht völlig surreal, doch was ist es dann?
Ab 1947 sind einige Skulpturen aus Holz mit dem Titel "Organische Form" in Hartungs Œuvre entstanden. Diese Bronzeplastik trägt zwar den sprechenden Titel "Zeichen" , dieser steht jedoch nicht für ein einzelnes, direkt übersetzbares, konkretes Symbol, sondern verweist eher auf seinen zeichenhaften Charakter. Dieses Werk stellt ebenfalls eine organisch gewachsene Form dar, geht aber noch über das „rein Organische“ hinaus.
Es lässt sich wohl – wenn überhaupt – am ehesten unter den Leitbegriffen "Organisches Ganzes", "Metamorphose" und "Urform" im Sinne der ästhetischen Leitbegriffe aus der Goethezeit 'kategorisieren' (hier Christa Lichtenstern folgend). Hartung ist es in seinem ganzen Schaffen nie darum gegangen, die Natur möglichst mimetisch nachzuahmen, gleichwohl er sich natürlich von ihr hat inspirieren lassen: In seinem Atelier waren stets organische Fundstücke aus der Natur wie Äste, Wurzeln, Muscheln, Knochen, Skelette, Steine und Korallen zu finden. Doch es ging ihm vielmehr darum, ‚universal gültige Formen‘ zu schaffen, Formen, die, egal, in welcher Umgebung sie sich befinden, nie ihre Aktualität und ihren Reiz verlieren und die – das war seine oberste Maxime – den Formen der Natur in ihrer Art und Gestaltung nahezu ebenbürtig sein sollten. Er transzendiert in dieser Figur die bloße organische Form: Die Figur sollte eine Wirkung entwickeln, als sei ihr noch etwas Höheres inne. Sie soll einer Urform der Natur nahekommen und doch völlig eigene Elemente in der Formensprache aufzeigen und vereinen.
Er kombiniert fast S-förmig geschwungene und ovale, ausgehöhlte Formen in unterschiedlicher Größe mit etwas schärferen, eckigen Kanten, Carl Linfert nannte diese "Widerspruchsformen" und das sind sie: Das Auge des Betrachters wird gelenkt und bleibt kurz hängen, er wird automatisch zum Nachdenken angeregt, man kann die Form nicht sofort eindeutig zuordnen, eine Kette von Assoziationen wird ausgelöst, an Zellorganismen, Pantoffeltierchen, Algen, Pflanzen, zelluläre Urformen, Ursprünge der Vegetation beispielsweise… Die Plastik ‚lebt‘ von ihrem Spiel mit den Kontrasten: 'rund' vs. 'kantig', 'rau' vs. 'glatt' und 'innen' vs. 'außen'. Trotzdem entfaltet sie letztendlich eine sehr harmonische und ausgewogene Wirkung in ihrer Formgebung auf den Betrachter und bleibt monumental. Monumentalität ist ein häufiger Wesenszug im Werk Hartungs, der auch hier zutage tritt, jedoch versprüht sie durch ihre geschwungene Form und die Hohlräume trotzdem gleichzeitig auch eine gewisse Form der Leichtigkeit.
Die bei näherer Betrachtung auffällige, außergewöhnliche Struktur der Oberfläche ergibt sich auf der technischen, bildhauerischen Ebene bei dieser Plastik aus der Arbeit am Gipsmodell durch den Gebrauch einer speziellen Gipsraspel aus Metall, mit der die Oberfläche verändert, bearbeitet und in diesem Fall quasi schraffiert worden ist. An den Seitenflächen ist die Oberfläche der Plastik vollkommen glatt, die ausgehöhlten Löcher sind in den Innenflächen eben, die Vorder- und Rückseite ist rau-schraffiert.
Hartung beginnt hier so langsam, sich von den glatten, gespannten Oberflächen abzuwenden und entwickelt sich über die Schraffur der Oberflächen hin zu einer Gestaltung mit ganz aufgerissenen, aufgebrochenen Oberflächenstrukturen. Es markiert daher auch einen wichtigen Sprung in den Entwicklungsstufen des Künstlers.
Dieses Werk nimmt einen wichtigen Stellenwert im Schaffen Karl Hartungs ein, denn der Einteilung von Walter Hess folgend, "abstrahiert es nicht (im Sinne von gesehenen Erscheinungsbildern das Zufällige abziehen, um das verallgemeinernde Abbild übrig zu behalten), es deformiert auch nicht, um sich stark auszudrücken, sondern es bildet eher überhaupt nicht ab und bringt ein völlig autonomes Gebilde hervor." (Walter Hess: Karl Hartung. Sonderdruck der Zeitschrift „Das Kunstwerk“, o.D., S. 1). Er folgt hier einer organisch-ungegenständlichen Strömung und beschäftigt sich mit anthropomorphen Formen. [AHa]



202
Karl Hartung
Zeichen, Um 1949.
Bronze mit dunkelgrau, stellenweise dunkelbraun...
Schätzung:
€ 40.000
Ergebnis:
€ 55.000

(inkl. Käuferaufgeld)