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Paula Modersohn-Becker
Kopf der Schwester Herma mit Marienblümchenkranz auf dem Hut, Um 1901.
Öl auf Leinwand, auf Malpappe aufgelegt
Schätzung:
€ 140.000 Ergebnis:
€ 175.000 (inkl. Käuferaufgeld)
Kopf der Schwester Herma mit Marienblümchenkranz auf dem Hut. Um 1901.
Öl auf Leinwand, auf Malpappe aufgelegt.
Busch/Werner 156. 46,5 x 38,5 cm (18,3 x 15,1 in).
• Charakteristisches, frontalansichtiges Porträt der Schwester Herma, eines ihrer wichtigsten Modelle.
• Noch nie wurde ein Porträt einer ihrer Schwestern auf dem Auktionsmarkt angeboten (Quelle: artprice).
• Entstehung im Worpsweder Frühling um 1901 nach ihrer Rückkehr aus Paris.
• 1920 Teil der Gedächtnis-Ausstellung zum Œuvre Paula Modersohn-Beckers in der Bremer Kunsthalle.
• Ausführliche, in die 1920er Jahre zurückreichende Provenienz.
PROVENIENZ: Graphisches Kabinett, Bremen (in den 1920er Jahren).
Sammlung Delius, Bremen.
Sammlung Ludwig Roselius, Bremen (um 1934).
Lühmann, Bremen.
Sammlung Theodor Kiefer, Kaiserslautern (1951).
Privatsammlung Freiburg (seit 1990).
AUSSTELLUNG: Gedächtnis-Ausstellung Paula Modersohn-Becker, Bremer Kunsthalle, Bremen, April bis Mai 1920, Kat.-Nr. 658 (Journal).
Freundschaftsspiel. Sammlung Haas, Museum für neue Kunst, Freiburg, 28.9.2013-26.1.2014, S. 12 (mit ganzseitiger Farbabb.).
30 + 30 retro/perspektiv, Museum für neue Kunst, Freiburg, 14.3.-7.6.2015, ohne Kat.-Nr. (mit einem Text von Andreas Stichmann).
LITERATUR: Gustav Pauli, Werkverzeichnis der Arbeiten Paula Modersohn-Beckers (dritte erweiterte Auflage), Berlin 1934, Kat.-Nr. 96b (mit dem Titel "Brustbild eines jungen Mädchens").
Gabriele Werner, Die Bildnisse der Schwester Herma, in: Ausst.-Kat. Paula Modersohn-Becker. Von Dresden her, Galerie Neue Meister/Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen, Dresden 2003/2004, S. 60f. (mit sw-Abb., S. 58).
"Überhaupt bei intimster Beobachtung die große Einfachheit anstreben, das gibt Größe."
Paula Modersohn-Becker, zit. nach: Günter Busch und Wolfgang Werner (Hrsg.), Paula Modersohn-Becker. Werkverzeichnis der Gemälde, Bd. I, München 1998, S. 30.
Öl auf Leinwand, auf Malpappe aufgelegt.
Busch/Werner 156. 46,5 x 38,5 cm (18,3 x 15,1 in).
• Charakteristisches, frontalansichtiges Porträt der Schwester Herma, eines ihrer wichtigsten Modelle.
• Noch nie wurde ein Porträt einer ihrer Schwestern auf dem Auktionsmarkt angeboten (Quelle: artprice).
• Entstehung im Worpsweder Frühling um 1901 nach ihrer Rückkehr aus Paris.
• 1920 Teil der Gedächtnis-Ausstellung zum Œuvre Paula Modersohn-Beckers in der Bremer Kunsthalle.
• Ausführliche, in die 1920er Jahre zurückreichende Provenienz.
PROVENIENZ: Graphisches Kabinett, Bremen (in den 1920er Jahren).
Sammlung Delius, Bremen.
Sammlung Ludwig Roselius, Bremen (um 1934).
Lühmann, Bremen.
Sammlung Theodor Kiefer, Kaiserslautern (1951).
Privatsammlung Freiburg (seit 1990).
AUSSTELLUNG: Gedächtnis-Ausstellung Paula Modersohn-Becker, Bremer Kunsthalle, Bremen, April bis Mai 1920, Kat.-Nr. 658 (Journal).
Freundschaftsspiel. Sammlung Haas, Museum für neue Kunst, Freiburg, 28.9.2013-26.1.2014, S. 12 (mit ganzseitiger Farbabb.).
30 + 30 retro/perspektiv, Museum für neue Kunst, Freiburg, 14.3.-7.6.2015, ohne Kat.-Nr. (mit einem Text von Andreas Stichmann).
LITERATUR: Gustav Pauli, Werkverzeichnis der Arbeiten Paula Modersohn-Beckers (dritte erweiterte Auflage), Berlin 1934, Kat.-Nr. 96b (mit dem Titel "Brustbild eines jungen Mädchens").
Gabriele Werner, Die Bildnisse der Schwester Herma, in: Ausst.-Kat. Paula Modersohn-Becker. Von Dresden her, Galerie Neue Meister/Albertinum, Staatliche Kunstsammlungen, Dresden 2003/2004, S. 60f. (mit sw-Abb., S. 58).
"Überhaupt bei intimster Beobachtung die große Einfachheit anstreben, das gibt Größe."
Paula Modersohn-Becker, zit. nach: Günter Busch und Wolfgang Werner (Hrsg.), Paula Modersohn-Becker. Werkverzeichnis der Gemälde, Bd. I, München 1998, S. 30.
Paula und Herma Becker. Die Künstlerin und ihr Modell
Die Kunst Paula Modersohn-Beckers ist eng mit Worpswede verbunden. Die Natur, die dort lebenden Menschen und das künstlerische Milieu um u. a. Heinrich Vogeler, Rainer Maria Rilke, Fritz Overbeck, Otto Modersohn und Fritz Mackensen, bei dem sie ab 1898 Zeichen- und Malunterricht nimmt, haben während ihres kurzen Lebens einen immensen Einfluss auf sie und nicht zuletzt auf ihr künstlerisches Schaffen. Bereits 1897 lernt Paula Becker bei einem ersten, kürzeren Besuch die Künstlerkolonie nahe Bremen kennen und entschließt sich wenige Monate später, ganz nach Worpswede überzusiedeln. Um Heinrich Vogelers "Barkenhoff" bildet sich schon bald ein enger Freundeskreis, die sogenannte Familie. Dazu gehören neben Heinrich Vogeler und dessen späterer Ehefrau Martha Schröder auch Paula Becker, ihr späterer Ehemann Otto Modersohn, Rainer Maria Rilke und dessen spätere Ehefrau Clara Westhoff, der Schriftsteller Carl Hauptmann, die Malerin Marie Bock sowie auch Paula Beckers Schwestern Milly und Herma Becker (verh. Weinberg, 1885-1963). Zwischen Paula und ihrer jüngeren Schwester Herma besteht ein besonders enges Verhältnis. Sie steht der Künstlerin häufig und über deren gesamte, wenngleich begrenzte Schaffenszeit Modell. Bereits für die ersten Malversuche in den zum Atelier auserkorenen Räumlichkeiten im Obergeschoss der geräumigen Bremer Dienstwohnung des Vaters wird Herma von der jungen Paula als Modell eingesetzt. In "Erinnerungen der Schwester" schreibt Herma Weinberg später: "Ich begriff, dass ich als Mittel zu einem hohen Zweck gebraucht wurde, dass es irgendwie gar nicht auf mich und eine wohlwollende Darstellung meiner Person ankam, und ich hätte mich nie ihrem Wunsche entziehen mögen. Da war etwas so durchaus Zwingendes in der Leidenschaft ihres Arbeitens, in der Sicherheit ihres Berufenseins bei stets erneutem Tasten nach dem richtigen Wege, in den paar hingeworfenen persönlichen Worten, die sich ihrer aufs äußerste im Sachlichen verklammerten Aufmerksamkeit entrangen, in der vertieften Innerlichkeit des Blickes der großen braunen Augen, das mich die Langeweile und Anstrengung des Stillsitzens überwinden ließ. Denn lesen durfte ich nicht, da sie stets die Frontansicht bevorzugte, und alles Plaudern verstummte bald angesichts des ehernen Felsens ihrer Aufmerksamkeit, des Abgrundes ihrer Versunkenheit.“ (zit. nach: Günter Busch und Wolfgang Werner (Hrsg.), Paula Modersohn-Becker. Werkverzeichnis der Gemälde, Bd. I, München 1998, S. 44). Herma und ihre Geschwister verbringen viel Zeit bei der älteren Schwester in Worpswede, insbesondere die Sonntage werden häufig gemeinsam im "Modersohnhäuschen" verbracht.
Eine ereignisreiche Zeit
Die hier angebotene Arbeit entsteht um 1901, zu einer im Leben der Künstlerin sehr ereignisreichen Zeit. Zwischen Januar und Juni 1900 weilt sie erstmals, ebenso wie ihre enge Freundin Clara Westhoff, einige Monate in der von ihr so geschätzten Stadt Paris und besucht die private Académie Colarossi. Erst im Juli kehrt sie nach Worpswede zurück, im September folgt die Verlobung mit Otto Modersohn, den sie im Mai des darauffolgenden Jahres 1901 heiratet. Zuvor verbringt sie zunächst einige Wochen in Berlin, bevor sie im März nach Worpswede zurückkehrt. In diesem Sommer entstehen einige Figurenbildnisse, in denen Modersohn-Becker die Dargestellten vor der Worpsweder Landschaft in Szene setzt (vgl. "Brustbild eines Mädchens mit gelbem Kranz im Haar vor Landschaft", um 1901) und wohl auch das hier angebotene Porträt der Schwester - geben doch die Gänseblümchen auf dem Hut und das Rapsfeld im Hintergrund einen Hinweis auf die frühlingshaft-sommerliche Jahreszeit. Modersohn-Becker rückt die Dargestellte sehr nah an den Betrachter heran, zeigt sie mit leicht geneigter Kopfhaltung und nach rechts blickenden mandelförmigen Augen. Die Figur behält zwar ihren stillen, individuellen Charakter, wird aber aus dem Alltäglichen herausgehoben - ein typisches Merkmal auch für die später entstehenden Figurenbildnisse der Künstlerin.
Der Weg in die Moderne
Die damalige Zeit ist für sie generell sehr fruchtbar und erfolgversprechend. In einem Brief an Clara Westhoff schreibt Modersohn-Becker im besagten Frühjahr 1901: "In allerletzter Zeit denke ich wieder ganz intensif [sic!] an meine Kunst und ich glaube es geht vorwärts in mir." (zit. nach: Werkverzeichnis der Gemälde, Bd. I, S. 62). Ihre selbstbewusste Äußerung ist nachvollziehbar, denn schon mit ihren Bildern aus jenen Schaffensjahren, wie auch dem hier gezeigten Werk schafft Paula Modersohn-Becker viel mehr als nur stille, einfühlsame Figurenbilder. So kann unsere Arbeit exemplarisch zeigen, was insbesondere ihren Bildnissen, ihren Selbstbildnissen und Figurenkompositionen so wunderbar gelingt: aus dem "Intimen der Beobachtung [..] über das Personale der Individualität weit hinaus bis zum Exemplarischen des Sinnbilds vorzudringen." Eine Errungenschaft, die Günter Busch, Herausgeber des Werkverzeichnisses, als Modersohn-Beckers "Lebenswerk" bezeichnet (ebd., S. 30). Insbesondere mit dieser gewissen Stilisierung der Gesichtszüge in ihren Porträts und Figurenbildern entwickelt sie nicht nur ihre eigene Bildsprache, sondern ebnet auch ihren unbeirrbaren Weg in die Moderne.
Wiederentdeckung und wachsende Wertschätzung - "Eine der bedeutendsten Erscheinungen des deutschen Expressionismus"
Insbesondere in den letzten zehn Jahren wird das künstlerische Schaffen Paula Modersohn-Beckers wiederentdeckt und erfährt nicht nur wachsende Wertschätzung, sondern auch eine umfassende Neubewertung. Der Ausstellung "Paula Modersohn-Becker und die Kunst in Paris um 1900" in der Bremer Kunsthalle (2007/2008) folgten eindrückliche Einzelausstellungen im Louisiana Museum in Humlebaek, Dänemark (2014), im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris (2016) und im Bucerius Kunstforum in Hamburg (2017) sowie die gerade beendete Ausstellung "Paula Modersohn-Becker. Aufbruch in die Moderne" im Buchheim Museum in Bernried (2019/2020). 2016 erschien zudem der Kinofilm "Paula" (Regie: Christian Schwochow). Im Zuge der Neubewertung des Schaffens von Paula Modersohn-Becker und ihrer Rolle innerhalb der Kunst der Moderne wird deutlich, dass sie nicht nur einen substanziellen, bedeutenden Beitrag zur Kunstgeschichte leistete. Manche möchten ihr gar eine Vorreiterrolle gegenüber den deutschen Expressionisten attestieren. So schreibt Lothar-Günther Buchheim: "Paula Modersohn-Becker gehört ohne Frage zu den bedeutendsten Erscheinungen des Deutschen Expressionismus [..]. [Sie] hat sich wohl als erste dem neuen Geist unterworfen und ihre von der Natur gesteigerten Empfindungen ohne Einschränkung durch schulmäßige Regeln ins Bild gebracht" (zit. nach: Ausst.-Kat. PMB. Aufbruch in die Moderne, Bernried 2019, S. 8). Während Max Liebermann, Lovis Corinth u. a. noch spätimpressionistisch arbeiten, gründen Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluf 1905 die "Brücke". Der "Blaue Reiter" um Kandinsky, Marc, Münter u. a. findet sich 1911 zusammen. Aber auch Modersohn-Becker ist zu dieser Zeit schon mit großer Leidenschaft und Entschiedenheit auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen und kämpft um die Ausbildung ihrer ganz eigenen modernen Bildsprache. Ihre hier dargestellte Schwester Herma erläutert: "Ihr ganzes Streben, ihr Wille und ihre Leidenschaft zielten hin auf die Vereinfachung in Kunst, Leben und Wesen, und ich glaube, nur wenn man diesen Willen begriffen und in sich aufgenommen hat, kann man ihr nahe kommen." (zit. nach: Werkverzeichnis, Bd. I, S. 44). Über ihre zeitgenössischen Malerkollegen urteilt die Malerin 1905: "Sie alle stecken noch viel zu sehr im Konventionellen. Unsere ganze deutsche Kunst." (zit. nach: Ausst.-Kat. PMB. Der Weg in die Moderne, Hamburg 2017, S. 13). Wertvolle Impulse findet Modersohn-Becker daher eher in der Auseinandersetzung mit der französischen Avantgarde, beispielsweise in den Werken der "Nabis" oder denen von Cézanne, Picasso, van Gogh, Gauguin u. a., die sie während ihrer mehrmonatigen Aufenthalte in Paris für sich entdeckt. Die Herangehensweise der "Nabis" oder der "Fauves" ähnelt ihren eigenen Auffassungen und Überzeugungen. Für sie alle gilt, die Leinwände nicht gemäß der vorgegebenen, realen Welt und Natur zu füllen, sondern auf der Basis persönlicher Empfindungen eine farblich und formal ganz eigene Komposition zu entwickeln. Der oftmals provinzielle Unterton in der früheren Rezeption der Kunst Modersohn-Beckers erscheint heute nicht mehr zeitgemäß und kann durch die eingehende Betrachtung ihres Œuvres im Kontext ihrer Zeitgenossen leicht widerlegt werden. Ihre unangepasste künstlerische Haltung, ihr radikales Verfolgen der von ihr gesetzten formalen wie stilistischen Ziele und ihre ganz eigene, unverwechselbare Formensprache beweisen ihre erstaunlich moderne Position innerhalb der Kunstgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts, was an dem hier angebotenen, recht frühen Werk eindrucksvoll unter Beweis gestellt werden kann. [CH]
Die Kunst Paula Modersohn-Beckers ist eng mit Worpswede verbunden. Die Natur, die dort lebenden Menschen und das künstlerische Milieu um u. a. Heinrich Vogeler, Rainer Maria Rilke, Fritz Overbeck, Otto Modersohn und Fritz Mackensen, bei dem sie ab 1898 Zeichen- und Malunterricht nimmt, haben während ihres kurzen Lebens einen immensen Einfluss auf sie und nicht zuletzt auf ihr künstlerisches Schaffen. Bereits 1897 lernt Paula Becker bei einem ersten, kürzeren Besuch die Künstlerkolonie nahe Bremen kennen und entschließt sich wenige Monate später, ganz nach Worpswede überzusiedeln. Um Heinrich Vogelers "Barkenhoff" bildet sich schon bald ein enger Freundeskreis, die sogenannte Familie. Dazu gehören neben Heinrich Vogeler und dessen späterer Ehefrau Martha Schröder auch Paula Becker, ihr späterer Ehemann Otto Modersohn, Rainer Maria Rilke und dessen spätere Ehefrau Clara Westhoff, der Schriftsteller Carl Hauptmann, die Malerin Marie Bock sowie auch Paula Beckers Schwestern Milly und Herma Becker (verh. Weinberg, 1885-1963). Zwischen Paula und ihrer jüngeren Schwester Herma besteht ein besonders enges Verhältnis. Sie steht der Künstlerin häufig und über deren gesamte, wenngleich begrenzte Schaffenszeit Modell. Bereits für die ersten Malversuche in den zum Atelier auserkorenen Räumlichkeiten im Obergeschoss der geräumigen Bremer Dienstwohnung des Vaters wird Herma von der jungen Paula als Modell eingesetzt. In "Erinnerungen der Schwester" schreibt Herma Weinberg später: "Ich begriff, dass ich als Mittel zu einem hohen Zweck gebraucht wurde, dass es irgendwie gar nicht auf mich und eine wohlwollende Darstellung meiner Person ankam, und ich hätte mich nie ihrem Wunsche entziehen mögen. Da war etwas so durchaus Zwingendes in der Leidenschaft ihres Arbeitens, in der Sicherheit ihres Berufenseins bei stets erneutem Tasten nach dem richtigen Wege, in den paar hingeworfenen persönlichen Worten, die sich ihrer aufs äußerste im Sachlichen verklammerten Aufmerksamkeit entrangen, in der vertieften Innerlichkeit des Blickes der großen braunen Augen, das mich die Langeweile und Anstrengung des Stillsitzens überwinden ließ. Denn lesen durfte ich nicht, da sie stets die Frontansicht bevorzugte, und alles Plaudern verstummte bald angesichts des ehernen Felsens ihrer Aufmerksamkeit, des Abgrundes ihrer Versunkenheit.“ (zit. nach: Günter Busch und Wolfgang Werner (Hrsg.), Paula Modersohn-Becker. Werkverzeichnis der Gemälde, Bd. I, München 1998, S. 44). Herma und ihre Geschwister verbringen viel Zeit bei der älteren Schwester in Worpswede, insbesondere die Sonntage werden häufig gemeinsam im "Modersohnhäuschen" verbracht.
Eine ereignisreiche Zeit
Die hier angebotene Arbeit entsteht um 1901, zu einer im Leben der Künstlerin sehr ereignisreichen Zeit. Zwischen Januar und Juni 1900 weilt sie erstmals, ebenso wie ihre enge Freundin Clara Westhoff, einige Monate in der von ihr so geschätzten Stadt Paris und besucht die private Académie Colarossi. Erst im Juli kehrt sie nach Worpswede zurück, im September folgt die Verlobung mit Otto Modersohn, den sie im Mai des darauffolgenden Jahres 1901 heiratet. Zuvor verbringt sie zunächst einige Wochen in Berlin, bevor sie im März nach Worpswede zurückkehrt. In diesem Sommer entstehen einige Figurenbildnisse, in denen Modersohn-Becker die Dargestellten vor der Worpsweder Landschaft in Szene setzt (vgl. "Brustbild eines Mädchens mit gelbem Kranz im Haar vor Landschaft", um 1901) und wohl auch das hier angebotene Porträt der Schwester - geben doch die Gänseblümchen auf dem Hut und das Rapsfeld im Hintergrund einen Hinweis auf die frühlingshaft-sommerliche Jahreszeit. Modersohn-Becker rückt die Dargestellte sehr nah an den Betrachter heran, zeigt sie mit leicht geneigter Kopfhaltung und nach rechts blickenden mandelförmigen Augen. Die Figur behält zwar ihren stillen, individuellen Charakter, wird aber aus dem Alltäglichen herausgehoben - ein typisches Merkmal auch für die später entstehenden Figurenbildnisse der Künstlerin.
Der Weg in die Moderne
Die damalige Zeit ist für sie generell sehr fruchtbar und erfolgversprechend. In einem Brief an Clara Westhoff schreibt Modersohn-Becker im besagten Frühjahr 1901: "In allerletzter Zeit denke ich wieder ganz intensif [sic!] an meine Kunst und ich glaube es geht vorwärts in mir." (zit. nach: Werkverzeichnis der Gemälde, Bd. I, S. 62). Ihre selbstbewusste Äußerung ist nachvollziehbar, denn schon mit ihren Bildern aus jenen Schaffensjahren, wie auch dem hier gezeigten Werk schafft Paula Modersohn-Becker viel mehr als nur stille, einfühlsame Figurenbilder. So kann unsere Arbeit exemplarisch zeigen, was insbesondere ihren Bildnissen, ihren Selbstbildnissen und Figurenkompositionen so wunderbar gelingt: aus dem "Intimen der Beobachtung [..] über das Personale der Individualität weit hinaus bis zum Exemplarischen des Sinnbilds vorzudringen." Eine Errungenschaft, die Günter Busch, Herausgeber des Werkverzeichnisses, als Modersohn-Beckers "Lebenswerk" bezeichnet (ebd., S. 30). Insbesondere mit dieser gewissen Stilisierung der Gesichtszüge in ihren Porträts und Figurenbildern entwickelt sie nicht nur ihre eigene Bildsprache, sondern ebnet auch ihren unbeirrbaren Weg in die Moderne.
Wiederentdeckung und wachsende Wertschätzung - "Eine der bedeutendsten Erscheinungen des deutschen Expressionismus"
Insbesondere in den letzten zehn Jahren wird das künstlerische Schaffen Paula Modersohn-Beckers wiederentdeckt und erfährt nicht nur wachsende Wertschätzung, sondern auch eine umfassende Neubewertung. Der Ausstellung "Paula Modersohn-Becker und die Kunst in Paris um 1900" in der Bremer Kunsthalle (2007/2008) folgten eindrückliche Einzelausstellungen im Louisiana Museum in Humlebaek, Dänemark (2014), im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris (2016) und im Bucerius Kunstforum in Hamburg (2017) sowie die gerade beendete Ausstellung "Paula Modersohn-Becker. Aufbruch in die Moderne" im Buchheim Museum in Bernried (2019/2020). 2016 erschien zudem der Kinofilm "Paula" (Regie: Christian Schwochow). Im Zuge der Neubewertung des Schaffens von Paula Modersohn-Becker und ihrer Rolle innerhalb der Kunst der Moderne wird deutlich, dass sie nicht nur einen substanziellen, bedeutenden Beitrag zur Kunstgeschichte leistete. Manche möchten ihr gar eine Vorreiterrolle gegenüber den deutschen Expressionisten attestieren. So schreibt Lothar-Günther Buchheim: "Paula Modersohn-Becker gehört ohne Frage zu den bedeutendsten Erscheinungen des Deutschen Expressionismus [..]. [Sie] hat sich wohl als erste dem neuen Geist unterworfen und ihre von der Natur gesteigerten Empfindungen ohne Einschränkung durch schulmäßige Regeln ins Bild gebracht" (zit. nach: Ausst.-Kat. PMB. Aufbruch in die Moderne, Bernried 2019, S. 8). Während Max Liebermann, Lovis Corinth u. a. noch spätimpressionistisch arbeiten, gründen Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluf 1905 die "Brücke". Der "Blaue Reiter" um Kandinsky, Marc, Münter u. a. findet sich 1911 zusammen. Aber auch Modersohn-Becker ist zu dieser Zeit schon mit großer Leidenschaft und Entschiedenheit auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen und kämpft um die Ausbildung ihrer ganz eigenen modernen Bildsprache. Ihre hier dargestellte Schwester Herma erläutert: "Ihr ganzes Streben, ihr Wille und ihre Leidenschaft zielten hin auf die Vereinfachung in Kunst, Leben und Wesen, und ich glaube, nur wenn man diesen Willen begriffen und in sich aufgenommen hat, kann man ihr nahe kommen." (zit. nach: Werkverzeichnis, Bd. I, S. 44). Über ihre zeitgenössischen Malerkollegen urteilt die Malerin 1905: "Sie alle stecken noch viel zu sehr im Konventionellen. Unsere ganze deutsche Kunst." (zit. nach: Ausst.-Kat. PMB. Der Weg in die Moderne, Hamburg 2017, S. 13). Wertvolle Impulse findet Modersohn-Becker daher eher in der Auseinandersetzung mit der französischen Avantgarde, beispielsweise in den Werken der "Nabis" oder denen von Cézanne, Picasso, van Gogh, Gauguin u. a., die sie während ihrer mehrmonatigen Aufenthalte in Paris für sich entdeckt. Die Herangehensweise der "Nabis" oder der "Fauves" ähnelt ihren eigenen Auffassungen und Überzeugungen. Für sie alle gilt, die Leinwände nicht gemäß der vorgegebenen, realen Welt und Natur zu füllen, sondern auf der Basis persönlicher Empfindungen eine farblich und formal ganz eigene Komposition zu entwickeln. Der oftmals provinzielle Unterton in der früheren Rezeption der Kunst Modersohn-Beckers erscheint heute nicht mehr zeitgemäß und kann durch die eingehende Betrachtung ihres Œuvres im Kontext ihrer Zeitgenossen leicht widerlegt werden. Ihre unangepasste künstlerische Haltung, ihr radikales Verfolgen der von ihr gesetzten formalen wie stilistischen Ziele und ihre ganz eigene, unverwechselbare Formensprache beweisen ihre erstaunlich moderne Position innerhalb der Kunstgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts, was an dem hier angebotenen, recht frühen Werk eindrucksvoll unter Beweis gestellt werden kann. [CH]
220
Paula Modersohn-Becker
Kopf der Schwester Herma mit Marienblümchenkranz auf dem Hut, Um 1901.
Öl auf Leinwand, auf Malpappe aufgelegt
Schätzung:
€ 140.000 Ergebnis:
€ 175.000 (inkl. Käuferaufgeld)
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