Rückseite
269
Jean Dubuffet
Promeneur au regard pâle, 1957.
Assemblage mit Monotypie und Gouache auf Papier
Schätzung:
€ 180.000 Ergebnis:
€ 175.000 (inkl. Käuferaufgeld)
Promeneur au regard pâle. 1957.
Assemblage mit Monotypie und Gouache auf Papier.
Loreau XII 123. Links oben signiert und datiert sowie verso signiert, datiert "janvier 1957", betitelt und mit den Maßangaben bezeichnet. Auf chamoisfarbenem Velin. 80,8 x 65,3 cm (31,8 x 25,7 in), blattgroß. [CH].
• Einzige großformatige Papierarbeit aus Dubuffet Werkserie der "Assemblages d'empreintes.
• Technische Freiheiten in der Methode durchbrechen ästhetische Konventionen.
• Seit über 30 Jahren Teil derselben süddeutsche Privatsammlung.
• Weitere Arbeiten aus dieser Werkserie befinden sich u. a. in der Londoner Tate Modern, im Museum of Modern Art in New York, im Centre Pompidou in Paris und im Armand Hammer Museum of Art in Los Angeles.
Wir danken der Fondation Dubuffet, Paris, für die freundliche wissenschaftliche Beratung.
PROVENIENZ: Sammlung Jean Larcade / Galerie Rive Droite, Paris.
Sammlung Jacques Ulmann, Paris.
Jokubas Kazinikas Art Gallery, Mannheim (1980).
Galerie Michael Haas, Berlin (1987 vom Vorgenannten erworben, auf der Rahmenrückpappe mit dem typografisch bezeichneten Galerieetikett).
Privatsammlung Süddeutschland (1988 vom Vorgenannten erworben).
AUSSTELLUNG: Jean Dubuffet. Tableaux d'assemblages, Galerie Rive Droite, Paris, 30.4.-23.5.1957, Kat.-Nr. 3 D.
Jean Dubuffet 1901-1985, Galerie Haas, Berlin, 18.9.-7.11.1987, Kat.-Nr. 10.
Augen-Blicke. Das Auge in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Kölnisches Stadtmuseum, 13.4.-12.6.1988, Villa Stuck, München, 6.7.-4.9.1988 (u. a.), S. 12 und Kat.-Nr. 37 (mit ganzseitiger Abb., S. 89).
"Man wird nie aufhören, Dubuffet zu entdecken. Er hat die Autorität eines großen Meisters, und er hat den seit Picasso größten Einfluss auf die Moderne Kunst gehabt."
John Kennedy, New York Times, 1962
Assemblage mit Monotypie und Gouache auf Papier.
Loreau XII 123. Links oben signiert und datiert sowie verso signiert, datiert "janvier 1957", betitelt und mit den Maßangaben bezeichnet. Auf chamoisfarbenem Velin. 80,8 x 65,3 cm (31,8 x 25,7 in), blattgroß. [CH].
• Einzige großformatige Papierarbeit aus Dubuffet Werkserie der "Assemblages d'empreintes.
• Technische Freiheiten in der Methode durchbrechen ästhetische Konventionen.
• Seit über 30 Jahren Teil derselben süddeutsche Privatsammlung.
• Weitere Arbeiten aus dieser Werkserie befinden sich u. a. in der Londoner Tate Modern, im Museum of Modern Art in New York, im Centre Pompidou in Paris und im Armand Hammer Museum of Art in Los Angeles.
Wir danken der Fondation Dubuffet, Paris, für die freundliche wissenschaftliche Beratung.
PROVENIENZ: Sammlung Jean Larcade / Galerie Rive Droite, Paris.
Sammlung Jacques Ulmann, Paris.
Jokubas Kazinikas Art Gallery, Mannheim (1980).
Galerie Michael Haas, Berlin (1987 vom Vorgenannten erworben, auf der Rahmenrückpappe mit dem typografisch bezeichneten Galerieetikett).
Privatsammlung Süddeutschland (1988 vom Vorgenannten erworben).
AUSSTELLUNG: Jean Dubuffet. Tableaux d'assemblages, Galerie Rive Droite, Paris, 30.4.-23.5.1957, Kat.-Nr. 3 D.
Jean Dubuffet 1901-1985, Galerie Haas, Berlin, 18.9.-7.11.1987, Kat.-Nr. 10.
Augen-Blicke. Das Auge in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Kölnisches Stadtmuseum, 13.4.-12.6.1988, Villa Stuck, München, 6.7.-4.9.1988 (u. a.), S. 12 und Kat.-Nr. 37 (mit ganzseitiger Abb., S. 89).
"Man wird nie aufhören, Dubuffet zu entdecken. Er hat die Autorität eines großen Meisters, und er hat den seit Picasso größten Einfluss auf die Moderne Kunst gehabt."
John Kennedy, New York Times, 1962
Zusammen mit Lucio Fontana und Asger Jorn bildet Jean Dubuffet das europäische Dreigestirn, das sich gegen Ende der 1940er Jahre daranmacht, Kunstwerke zu entwickeln, in denen die Vitalität, die Energie, die in der Materie steckt, zum Ausgangspunkt der Bildfindung wird. Die "Kunst", im Besonderen die Malerei hatte 400 Jahre ihr Material, die Farbe, stets als Mittel zum Zweck gesehen, um die gewünschte Farbigkeit, also Tonwerte zu erzielen. Die Entdeckung der plastischen Möglichkeiten der Farbe jenseits eines Illusionismus und ihr Einsatz als "matière première" ermöglichen zugleich die Verwendung von bis dahin "kunstfremden" Materialien. Als unversiegbare Quelle, aus der immer wieder überraschend neue "Malmittel“ zu schöpfen sind, entdecken sie Natur- und Alltagsmaterialien und verwenden Ton, Glas, Draht, Schlacke oder sogar Schmetterlingsflügel, um die Existenz des Menschen als "Teil" einer belebten Welt anschaulich zu machen. Dem spielerischen Moment wird ebenso wie dem "Zufälligen" eine wichtige Rolle im Prozess des "Machens" zugeschrieben. Dubuffet leistete dazu einen entscheidenden Beitrag, indem er das Spektrum der Möglichkeiten erweiterte. Hatte schon die „Entdeckung“ der Bildwelten der "Arts premiers" - der sogenannten "primitiven" Kunst - die europäische Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts revolutioniert, so weitet Dubuffets außerordentliche Sammlung von bildhaften Äußerungen von Außenseitern, Einzelgängern und als "Geisteskranke" verfemten Künstlern, deren Werke er als "Art brut" bezeichnet, zusätzlich den Horizont. Wahrheit und vor allem Authentizität werden zu zentralen Begriffen, mit denen Wertschätzung ausgedrückt wird. Dubuffet gründet die "Compagnie de l’art brut" als Institution, um die "lebendigen Erzeugnisse" öffentlich sichtbar zu machen und in einem zweiten Schritt einen ebenbürtigen Platz in der Rezeptionsgeschichte der Kunst für sie zu fordern. Die Beschäftigung mit diesen Kunstwerken verändert auch seine Kunst radikal und bestimmt sein konzeptuell stringent aufgebautes Werk der folgenden vier Jahrzehnte. "L’Art brut" wird schnell zum "kunstgeschichtlichen Terminus", und selbst noch im 21. Jahrhundert stellt Massimiliano Gioni, gefeierter New Yorker Kurator, mit seiner Präsentation im "Enzyklopädischen Palast" auf der Biennale in Venedig 2013 die hervorragende Qualität und Bedeutung dieser Künstlerinnen und Künstler für die Entwicklung der Kunst heute unter Beweis.
Dubuffets Weg als Künstler war ungewöhnlich. Erst nach mehreren Anläufen beschließt der erfolgreiche Weinhändler, sich ganz "der Lebensform des praktizierenden Philosophen" zuzuwenden. Sein radikales Herangehen zu Beginn der 1950er Jahre macht ihn zunächst vor allem auch für die amerikanischen Künstler der Generation der Abstrakten Expressionisten zu einem wichtigen Orientierungspunkt. Sie erkennen in ihm einen Geistesverwandten, der durch seine Methode das Feld für ein rastloses Unterbewusstsein ohne krampfhaft professionellen Stilwillen und jenseits einer akademischen Tradition - etwa der "abstraction lyrique" - öffnet. Sowohl den "Ideen" der hohen Kunst als auch der ideologisch verbrämten Sprache der Kritiker setzt Dubuffet in seiner typisch lapidaren Diktion schon 1949 entgegen: "Die Kunst legt sich nicht in die Betten, die man für sie gemacht hat; Sie entflieht sofort, wenn man ihren Namen ausspricht: was sie liebt ist das Inkognito. Sie hat ihre besten Momente, wenn sie vergißt, wie sie heißt." (Jean Dubuffet, Vorwort zum Katalog der Ausstellung der Galerie René Drouin, Paris 1949).
Dubuffet lässt seine Figur "aus" der Materie selbst entstehen - sie setzt sich aus Papierschnitzeln zusammen. Er klebt sie in einen Bildraum, der tektonisch geschichtet ist und den ein Horizont knapp unterhalb der Mitte teilt. Der Raum des Bildes ist ein Illusionsraum: "der Himmel" gewischte, lavierte Farbe, "die Erde und ihre Bewohner" zusammengesetzt aus Papierstücken, die ihr Erscheinungsbild dem Verfahren der Décalcomanie verdanken. Die Figur dominiert das Blatt. Aus zahlreichen unregelmäßig beschnittenen Teilen zusammengesetzt, ist ihre Konturlinie ebenso wie die der Landschaft durch eine Tuschelinie verstärkt, die zugleich als Absprungschatten wirkt. Der Blick des "Promeneur", fast ein verlorenes Profil, ist in die Landschaft, die Welt gerichtet. Samuel Becketts "einsamer" Baum auf der Bühne in "Warten auf Godot" kommt in den Sinn: Der Mensch in einer Welt ohne Illusion. Der „Wanderer mit bleichem Blick“ weckt Assoziationen an den "pale rider" in den endlosen Weiten ebenso wie an die unwirtlichen Städte, den unbesungenen Hinterhof oder die Brachflächen zwischen den Ruinen - "après" oder "avant la guerre" sei 1957 dahingestellt.
Auch Jackson Pollock war fast gleichzeitig zu einer vergleichbar paradigmatischen Lösung gekommen. Aus der "planen" Fläche eines "klassischen" Drippings aus dem Jahre 1948 gewinnt er 1956 in einem einzigen Schnitt mit dem Stanleymesser eine Konturlinie. Das "Innere" der so entstandenen Figur bildet die marginal "befleckte", weiße Leinwand, die als Trägermaterial dient. Figuration und Abstraktion entfalten sich sowohl in der Arbeit von Dubuffet als auch von Pollock in dauernder "Abfrage" von Polaritäten: Chaos und Ordnung, Orte des Geschehens und Non-Lieux, Ähnliches und Unähnliches, Grenze und „Befreiung“. Pollocks Figur ist "leer", nur durch ihren Kontext bestimmt, die Energie des ungezügelten Liniengeflechts eines Drippings. Bei Dubuffet dagegen ist es gerade die Kleinteiligkeit der Elemente, aus denen die Figur besteht, die sie als Agglomeration von malerischen Einzelinteressen ausweist und als "anthropomorphes" Wesen erst konstituiert. Das wechselseitige Springen des Auges, die ständige Adaption auf das Vor und Zurück erzeugt die besondere Spannung, durch die Dubuffets Papierarbeit eine nachhaltige Faszination ausübt. Sich vom Gegenständlichen zu entfernen, bedeutet für Dubuffet gerade nicht die Realität des Bildes als Traumlandschaft "künstlich" zu inszenieren. Im Gegenteil, die ungreifbaren Aspekte des "Natürlichen" - Farbe, Helligkeiten, unendlicher Raum - konnten neu geschaffen werden und werden im Prozess der Bildentstehung als "natürliche Wachstumsprozesse" mitgedacht. Eine wichtige Werkgruppe, in dem dieses für Dubuffet paradigmatische Verfahren eindrücklich zur Geltung kommt, sind die "Assemblage d‘empreintes". Bilder, die aus Einzelteilen bestehen, collagierte Assemblagen, in denen durch Aufschichten und Nebeneinandersetzen gezielt Räume aufgebaut werden, die nicht malerisch die Natur imitieren, sondern tatsächlich Abdrücke von Stofflichkeiten sind und in einem aleatorischen Arbeitsstil geschaffen werden. Mehr als 400 Papiere unterschiedlichster Dichte und Oberflächen wurden zuerst mit Tusche so bearbeitet, dass "natürliche" Strukturen zu entstehen schienen. Die Resultate wurden gezielt gesichtet und die Blätter als Rohmaterial wieder zerschnitten - teils mit konkreter, formaler Vorstellung aufgeklebt, teils als Einzelelemente, den Blättern einer Pflanze oder den Extremitäten eines Hampelmanns gleich, zu "neuen" Figuren zusammengestellt. 1951 hatte Dubuffet in Chicago seine fulminante Rede, "Anticultural Positions" gehalten, die - als Text publiziert - von vielen Künstlern in Europa und Amerika rezipiert wird und in ihrer Wirkung auf die Kunst der nachfolgenden Generationen kaum zu überschätzen ist. Dort heißt es: "Unsere Kultur ist ein Kleidungsstück, das nicht sitzt – oder jedenfalls eines, das uns nicht mehr passt. Sie ist wie eine tote Sprache, die nichts mehr mit dem Sprechen auf der Straße gemein hat. Sie wird unserem wirklichen Leben immer fremder. Sie ist auf eine sterile Clique beschränkt, wie die Kultur der Mandarine. Sie hat keine lebendigen Wurzeln mehr. Ich strebe nach Kunst, die direkt mit unserem täglichen Leben verbunden ist und aus ihm hervorgeht, die die unmittelbare Ausstrahlung unseres wirklichen Lebens und unserer wahren Empfindungen ist."
Claes Oldenburg, ein Hauptvertreter der Pop-Art, hatte für seine frühen Arbeiten grundlegende Anregungen aus Dubuffets Werken gezogen. Nicht nur seine Objekte aus Pappmaché und die Ensembles "The Street" oder "The Store" atmen die Wirkmächtigkeit von Dubuffets Vorbild. Seine Papierarbeit "Selfportrait" von 1960 spiegelt den Geist von Dubuffets "Vision", die stets den radikalen Bezug auf die Gegenwart der Menschen fordert und in stupender "Einfachheit" sichtbar feiert. Die besondere Qualität des Franzosen für die Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fasst er 1969 so zusammen: "Jean Dubuffet beeinflusst mich nachzufragen, weswegen Kunst gemacht wird und aus was der Kunstprozess besteht..". Jean Dubuffets hier angebotene große Papierarbeit macht diese entscheidenden Fragen exemplarisch sichtbar. Das Werk von Jean Dubuffet erfreut sich breiter Anerkennung in der Kunstwelt und bietet gleichermaßen, wie schon zu Lebzeiten, Anregung und einflussreiche Orientierung für aktuelle Künstlerinnen und Künstler. Die Dichotomie der "Art brut", ihre direkte Formsprache und die daraus erwachsenden Möglichkeiten als konzeptionelle Grundierung für wahrhaftige Erfindungen auf dem Bild, produziert eine endlose Spannung, aus der sich auch die vielfältige Rezeption der Kunstwerke speist. [AH]
Dubuffets Weg als Künstler war ungewöhnlich. Erst nach mehreren Anläufen beschließt der erfolgreiche Weinhändler, sich ganz "der Lebensform des praktizierenden Philosophen" zuzuwenden. Sein radikales Herangehen zu Beginn der 1950er Jahre macht ihn zunächst vor allem auch für die amerikanischen Künstler der Generation der Abstrakten Expressionisten zu einem wichtigen Orientierungspunkt. Sie erkennen in ihm einen Geistesverwandten, der durch seine Methode das Feld für ein rastloses Unterbewusstsein ohne krampfhaft professionellen Stilwillen und jenseits einer akademischen Tradition - etwa der "abstraction lyrique" - öffnet. Sowohl den "Ideen" der hohen Kunst als auch der ideologisch verbrämten Sprache der Kritiker setzt Dubuffet in seiner typisch lapidaren Diktion schon 1949 entgegen: "Die Kunst legt sich nicht in die Betten, die man für sie gemacht hat; Sie entflieht sofort, wenn man ihren Namen ausspricht: was sie liebt ist das Inkognito. Sie hat ihre besten Momente, wenn sie vergißt, wie sie heißt." (Jean Dubuffet, Vorwort zum Katalog der Ausstellung der Galerie René Drouin, Paris 1949).
Dubuffet lässt seine Figur "aus" der Materie selbst entstehen - sie setzt sich aus Papierschnitzeln zusammen. Er klebt sie in einen Bildraum, der tektonisch geschichtet ist und den ein Horizont knapp unterhalb der Mitte teilt. Der Raum des Bildes ist ein Illusionsraum: "der Himmel" gewischte, lavierte Farbe, "die Erde und ihre Bewohner" zusammengesetzt aus Papierstücken, die ihr Erscheinungsbild dem Verfahren der Décalcomanie verdanken. Die Figur dominiert das Blatt. Aus zahlreichen unregelmäßig beschnittenen Teilen zusammengesetzt, ist ihre Konturlinie ebenso wie die der Landschaft durch eine Tuschelinie verstärkt, die zugleich als Absprungschatten wirkt. Der Blick des "Promeneur", fast ein verlorenes Profil, ist in die Landschaft, die Welt gerichtet. Samuel Becketts "einsamer" Baum auf der Bühne in "Warten auf Godot" kommt in den Sinn: Der Mensch in einer Welt ohne Illusion. Der „Wanderer mit bleichem Blick“ weckt Assoziationen an den "pale rider" in den endlosen Weiten ebenso wie an die unwirtlichen Städte, den unbesungenen Hinterhof oder die Brachflächen zwischen den Ruinen - "après" oder "avant la guerre" sei 1957 dahingestellt.
Auch Jackson Pollock war fast gleichzeitig zu einer vergleichbar paradigmatischen Lösung gekommen. Aus der "planen" Fläche eines "klassischen" Drippings aus dem Jahre 1948 gewinnt er 1956 in einem einzigen Schnitt mit dem Stanleymesser eine Konturlinie. Das "Innere" der so entstandenen Figur bildet die marginal "befleckte", weiße Leinwand, die als Trägermaterial dient. Figuration und Abstraktion entfalten sich sowohl in der Arbeit von Dubuffet als auch von Pollock in dauernder "Abfrage" von Polaritäten: Chaos und Ordnung, Orte des Geschehens und Non-Lieux, Ähnliches und Unähnliches, Grenze und „Befreiung“. Pollocks Figur ist "leer", nur durch ihren Kontext bestimmt, die Energie des ungezügelten Liniengeflechts eines Drippings. Bei Dubuffet dagegen ist es gerade die Kleinteiligkeit der Elemente, aus denen die Figur besteht, die sie als Agglomeration von malerischen Einzelinteressen ausweist und als "anthropomorphes" Wesen erst konstituiert. Das wechselseitige Springen des Auges, die ständige Adaption auf das Vor und Zurück erzeugt die besondere Spannung, durch die Dubuffets Papierarbeit eine nachhaltige Faszination ausübt. Sich vom Gegenständlichen zu entfernen, bedeutet für Dubuffet gerade nicht die Realität des Bildes als Traumlandschaft "künstlich" zu inszenieren. Im Gegenteil, die ungreifbaren Aspekte des "Natürlichen" - Farbe, Helligkeiten, unendlicher Raum - konnten neu geschaffen werden und werden im Prozess der Bildentstehung als "natürliche Wachstumsprozesse" mitgedacht. Eine wichtige Werkgruppe, in dem dieses für Dubuffet paradigmatische Verfahren eindrücklich zur Geltung kommt, sind die "Assemblage d‘empreintes". Bilder, die aus Einzelteilen bestehen, collagierte Assemblagen, in denen durch Aufschichten und Nebeneinandersetzen gezielt Räume aufgebaut werden, die nicht malerisch die Natur imitieren, sondern tatsächlich Abdrücke von Stofflichkeiten sind und in einem aleatorischen Arbeitsstil geschaffen werden. Mehr als 400 Papiere unterschiedlichster Dichte und Oberflächen wurden zuerst mit Tusche so bearbeitet, dass "natürliche" Strukturen zu entstehen schienen. Die Resultate wurden gezielt gesichtet und die Blätter als Rohmaterial wieder zerschnitten - teils mit konkreter, formaler Vorstellung aufgeklebt, teils als Einzelelemente, den Blättern einer Pflanze oder den Extremitäten eines Hampelmanns gleich, zu "neuen" Figuren zusammengestellt. 1951 hatte Dubuffet in Chicago seine fulminante Rede, "Anticultural Positions" gehalten, die - als Text publiziert - von vielen Künstlern in Europa und Amerika rezipiert wird und in ihrer Wirkung auf die Kunst der nachfolgenden Generationen kaum zu überschätzen ist. Dort heißt es: "Unsere Kultur ist ein Kleidungsstück, das nicht sitzt – oder jedenfalls eines, das uns nicht mehr passt. Sie ist wie eine tote Sprache, die nichts mehr mit dem Sprechen auf der Straße gemein hat. Sie wird unserem wirklichen Leben immer fremder. Sie ist auf eine sterile Clique beschränkt, wie die Kultur der Mandarine. Sie hat keine lebendigen Wurzeln mehr. Ich strebe nach Kunst, die direkt mit unserem täglichen Leben verbunden ist und aus ihm hervorgeht, die die unmittelbare Ausstrahlung unseres wirklichen Lebens und unserer wahren Empfindungen ist."
Claes Oldenburg, ein Hauptvertreter der Pop-Art, hatte für seine frühen Arbeiten grundlegende Anregungen aus Dubuffets Werken gezogen. Nicht nur seine Objekte aus Pappmaché und die Ensembles "The Street" oder "The Store" atmen die Wirkmächtigkeit von Dubuffets Vorbild. Seine Papierarbeit "Selfportrait" von 1960 spiegelt den Geist von Dubuffets "Vision", die stets den radikalen Bezug auf die Gegenwart der Menschen fordert und in stupender "Einfachheit" sichtbar feiert. Die besondere Qualität des Franzosen für die Kunst der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fasst er 1969 so zusammen: "Jean Dubuffet beeinflusst mich nachzufragen, weswegen Kunst gemacht wird und aus was der Kunstprozess besteht..". Jean Dubuffets hier angebotene große Papierarbeit macht diese entscheidenden Fragen exemplarisch sichtbar. Das Werk von Jean Dubuffet erfreut sich breiter Anerkennung in der Kunstwelt und bietet gleichermaßen, wie schon zu Lebzeiten, Anregung und einflussreiche Orientierung für aktuelle Künstlerinnen und Künstler. Die Dichotomie der "Art brut", ihre direkte Formsprache und die daraus erwachsenden Möglichkeiten als konzeptionelle Grundierung für wahrhaftige Erfindungen auf dem Bild, produziert eine endlose Spannung, aus der sich auch die vielfältige Rezeption der Kunstwerke speist. [AH]
269
Jean Dubuffet
Promeneur au regard pâle, 1957.
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