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119
Pablo Picasso
Les Déjeuners, 1961.
Farbige Kreidezeichnung
Schätzung:
€ 300.000 Ergebnis:
€ 312.500 (inkl. Käuferaufgeld)
Les Déjeuners. 1961.
Farbige Kreidezeichnung.
Zervos XX 107, Abb. S. 54. Rechts unten signiert, datiert "26.7.61" und bezeichnet "VI". Auf Zeichenpapier, Oberkante mit der Perforierung. 27 x 42 cm (10,6 x 16,5 in), blattgroß.
Aus einer Folge von 8 Farbkreidezeichnungen zum "Déjeuner"-Zyklus, die Picasso am 27. Juli 1961 geschaffen hat.
• "Les Déjeuners" ist Picassos umfangreichste und vielfältigste Auseinandersetzung mit den Heroen der Kunstgeschichte.
• Einziges Blatt der Serie, in dem alle vier Protagonisten des "Déjeuner sur l'herbe" so liebevoll ausgearbeitet sind.
• Exemplarisches Beispiel für die gesamte Auseinanderstzung Picassos mit diesem Thema.
• Ein Großteil des berühmten "Déjeuner"-Zyklus befindet sich heute in bedeutenden internationalen Museen und Privatsammlungen.
PROVENIENZ: Privatbesitz USA (bis 1976).
Privatsammlung Niedersachsen (seit 1976).
LITERATUR: Douglas Cooper, Pablo Picasso. Les déjeuners, Mailand 1962, Kat.-Nr. 129, mit Farbabb. im Anhang (hier noch ohne Picassos nachträgliche Signatur, die auf der Abb. bei Zervos 1968 zu sehen ist).
Galerie Wolfgang Ketterer, München, 15. Auktion, 19. und 20. Jahrhundert, 2.12.1975, Los 1392, mit Farbtafel.
Vgl. Douglas Cooper, Picasso, Le déjeuner sur l’herbe, 1960-1961,
Paris 1962.
Vgl. Barbara Zelinsky, Pablo Picassos Paraphrasen auf Edouard Manets "Frühstück im Grünen". Tableau eines künstlerischen Prozesses, Ilmtal-Weinstraße 2019.
"Als ich ein Kind war, sagte meine Mutter zu mir: 'Wirst du Soldat, so wirst du General werden. Wirst Du Mönch, so wirst du Papst werden.' Ich wollte Maler werden und ich bin Picasso geworden."
Pablo Picasso, zit. nach H. Berggruen, Die Kunst und das Leben, Berlin 2008, S. 15.
"What was at stake was not only his own power as a painter but his power as a demiurge: the power to metamorphose certain objects in the world of reality which are also, and equally, paintings in a museum. Manet had freed him [Picasso] from the past and given him a new creative impulse. This was the last of Picasso’s sets of variations: it was also the richest and most fruitful."
M.-L. Bernadac, Picasso 1953-1972: Painting as Model, Late Picasso: Paintings, Sculpture, Drawings, Prints 1953-1972, Ausst.-Kat. London/Paris 1988, S. 72.
Farbige Kreidezeichnung.
Zervos XX 107, Abb. S. 54. Rechts unten signiert, datiert "26.7.61" und bezeichnet "VI". Auf Zeichenpapier, Oberkante mit der Perforierung. 27 x 42 cm (10,6 x 16,5 in), blattgroß.
Aus einer Folge von 8 Farbkreidezeichnungen zum "Déjeuner"-Zyklus, die Picasso am 27. Juli 1961 geschaffen hat.
• "Les Déjeuners" ist Picassos umfangreichste und vielfältigste Auseinandersetzung mit den Heroen der Kunstgeschichte.
• Einziges Blatt der Serie, in dem alle vier Protagonisten des "Déjeuner sur l'herbe" so liebevoll ausgearbeitet sind.
• Exemplarisches Beispiel für die gesamte Auseinanderstzung Picassos mit diesem Thema.
• Ein Großteil des berühmten "Déjeuner"-Zyklus befindet sich heute in bedeutenden internationalen Museen und Privatsammlungen.
PROVENIENZ: Privatbesitz USA (bis 1976).
Privatsammlung Niedersachsen (seit 1976).
LITERATUR: Douglas Cooper, Pablo Picasso. Les déjeuners, Mailand 1962, Kat.-Nr. 129, mit Farbabb. im Anhang (hier noch ohne Picassos nachträgliche Signatur, die auf der Abb. bei Zervos 1968 zu sehen ist).
Galerie Wolfgang Ketterer, München, 15. Auktion, 19. und 20. Jahrhundert, 2.12.1975, Los 1392, mit Farbtafel.
Vgl. Douglas Cooper, Picasso, Le déjeuner sur l’herbe, 1960-1961,
Paris 1962.
Vgl. Barbara Zelinsky, Pablo Picassos Paraphrasen auf Edouard Manets "Frühstück im Grünen". Tableau eines künstlerischen Prozesses, Ilmtal-Weinstraße 2019.
"Als ich ein Kind war, sagte meine Mutter zu mir: 'Wirst du Soldat, so wirst du General werden. Wirst Du Mönch, so wirst du Papst werden.' Ich wollte Maler werden und ich bin Picasso geworden."
Pablo Picasso, zit. nach H. Berggruen, Die Kunst und das Leben, Berlin 2008, S. 15.
"What was at stake was not only his own power as a painter but his power as a demiurge: the power to metamorphose certain objects in the world of reality which are also, and equally, paintings in a museum. Manet had freed him [Picasso] from the past and given him a new creative impulse. This was the last of Picasso’s sets of variations: it was also the richest and most fruitful."
M.-L. Bernadac, Picasso 1953-1972: Painting as Model, Late Picasso: Paintings, Sculpture, Drawings, Prints 1953-1972, Ausst.-Kat. London/Paris 1988, S. 72.
Im Herbst 1962 erschien im renommierten Pariser Verlag Cercle d’Art ein voluminöser Prachtband mit hervorragenden Abbildungen. Er war Picasso gewidmet, aber nicht wie viele erfolgreiche Bücher davor dem „Jahrhundertgenie“, dem Maler der "Demoiselles d’Avignon" und von "Guernica" oder dem gigantischen Oeuvre in all seinen Erscheinungsformen. Das neue Buch war nur einer einzigen Serie vorbehalten, den sogenannten "Déjeuners", mehr als 150 Zeichnungen und Gemälden zu einem Thema, einer Komposition, die Picasso so fasziniert hatte, dass er sie über Jahre und in dutzenden von Wiederaufnahmen der Idee immer aufs Neue auszudeuten bereit war. Hinter dem banalen Titel "Les Déjeuners" verbirgt sich die Geschichte einer der spannendsten Abenteuer von Variation und Wiederholung in Picassos Werk.
1954 war Henri Matisse gestorben, der Meister der Odalisken, der Freund und Gegenpol, dem Picasso wie keinem anderen lebenden Künstler über die Jahrzehnte in Rivalität und gegenseitigem Ansporn verbunden war. 1955 beginnt Picasso eine erste große Serie von Variationen zu den "Femmes d’Alger", dem berühmten Bild von Eugène Delacroix, 1834 gemalt und stets im Louvre ausgestellt. Es ist für ihn der perfekte Ausgangspukt für eine gleich dreifache Hommage: an Delacroix, den „wilden Maler“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts, der den Orient als Projektionsfläche so meisterlich zu inszenieren wusste, an Matisse, den verehrten Kollegen, und an Jacqueline Roque, seine neue Gefährtin, deren lebendige Ähnlichkeit mit einer der Figuren in Delacroix’ Gemälde Picassos Fantasie zusätzlich befeuert. Als Picasso dann im August 1959 Édouard Manets legendäres Bild "Le Déjeuner sur l’herbe" (Das Frühstück im Grünen) zum Ausgangspunkt seiner künstlerischen Auseinandersetzung macht, beginnt dieses zeichnerisch zu untersuchen, hatte er seine Methode, Werke der „Alten Meister“ neu zu interpretieren, bereits vielfach erprobt. Die "Déjeuners" wie die schnell wachsende Serie im Jargon der großen Entourage Picassos an der Côte d’Azur bald genannt wurde, sollte die umfangreichste und vielfältigste all seiner Auseinandersetzungen mit den Heroen der Kunstgeschichte werden. Dass gerade dieses Bild zum Anlass werden konnte, liegt neben der bis heute unglaublichen Präsenz von Manets Malerei auch in der Geschichte des Bildes selbst und der des Sujets begründet, die noch viel weiter zurückreicht.
Manets Bild war der „Succès de scandale“ des Pariser Salon von 1863, weil die Jury die als obszön empfundene Darstellung nicht zur Ausstellung zugelassen hatte: Eine spärlich bekleidete Frau im Wasser stehend, zwei bekleidete Männer und im Vordergrund eine nackte Frau, die zu aller Überraschung auch noch den Betrachtern des Bildes fest ins Auge blickt – so viel ausgedachte Realität war den Hütern von Tradition und Moral, für die eine nackte Frau am Waldrand immer noch eine Venus oder eine Waldnymphe sein musste, schlicht zu viel. Als das imposante Bild – durchaus im Hinblick auf maximale Empörung inszeniert – dann im „Salon des Refusés“, der Ausstellung der „Zurückgewiesenen“ zu sehen war, war ihm nicht nur große Aufmerksamkeit sicher, sondern es galt fortan geradezu als der Beginn einer Entwicklung der Malerei, die wir heute im Blick zurück nicht nur Impressionismus, sondern im Verlauf des Geschehens „Klassische Moderne“ nennen. Der Begriff „Klassik“ hat in dieser Wortschöpfung durchaus seine Berechtigung, verweist er doch auf noch ältere Quellen und diese hatte Manet reichlich zu Rate gezogen.
Eine wichtige Anregung für die Darstellung war ein schon während der Ausstellung von Manet selbst ins Gespräch gebrachtes, bedeutendes Bild im Louvre: "Das ländliche Konzert" – damals Giorgione, heute Tizian zugeschrieben – eine idyllische Szene, in der zwei Musikanten mit ihren Musen in einer Landschaft dargestellt sind. Als Rückenakt gegeben hat die eine sich zu den jungen Männern gesellt, während die zweite Wasser aus einem Brunnen schöpft. Damals noch kaum bekannt war allerdings eine viel unmittelbarere Quelle des Bildsujets, eine Gruppe von „lagernden Flussgöttern“ aus dem berühmten Kupferstich "Das Urteil des Paris" von Marcantonio Raimondi nach einem verlorenen Gemälde von Raffael. Auf dem Stich nur ein Geschehen am Rande, rückt Manet die Figurengruppe nun in den Mittelpunkt und versetzt die mythologische Szene – durch die Kleidung der Männer – in die Gegenwart. Und genau diese Unmittelbarkeit, diese Vorstellbarkeit, dieser eingefrorene Moment aus der Wirklichkeit ist es, dem Manets Bild bis heute seine herausragende Bedeutung für die Kunst des 20. Jahrhunderts verdankt, weil sie eine „Zeitlosigkeit“ verspricht, die die Betrachter selbst einlösen müssen.
Was war das Moment, das Picasso in verräterische Komplizenschaft mit der Idee brachte, eine Geschichte ohne Geschichte, in einem Wald ohne Topographie, mit Menschen ohne Individualität in seiner eigenen künstlerischen Sprache in Szene zu setzen? Die Methode war für Picasso so selbstverständlich wie erprobt.
In den 1950er Jahren von den dem Zeitgeist verpflichteten Kritikern zunächst als Einfallslosigkeit verurteilt, sollte in der alsbald heraufziehenden „Postmoderne“, die Wiederaneignung von Vorläufern, das Pastiche von Bildideen zur maßgeblichen Strategie werden. Dass Picassos Auseinandersetzung mit den alten Meistern eine der tragenden Säulen der Erfindungen des „Late Picasso“ wurde, ist heute unbestritten und zuletzt in Ausstellungen in London, Wien und Paris gefeiert worden. Die Auseinandersetzung mit Manet und die daraus resultierenden "Déjeuners" stellen in diesem Universum aber gleichwohl einen Sonderfall dar, nicht nur durch die lange Zeitspanne, in der sich Picasso mit dem Motiv beschäftigt, sondern auch durch die Vielzahl der Werke. Schon 1954 war eine Zeichnung als Vorahnung aufgetaucht, und noch 1970 ist in einer Radierung „als Bild im Bild“ eine Anspielung auf die "Déjeuners" – hier in Verbindung mit dem Maler im Atelier – zu finden. Dazwischen gibt es dutzende Ölbilder, ein besonders schönes und das erste durchformulierte ist heute in der Nahmad Collection zu finden.
Die Zeichnung, um die es hier geht, die Nr. VI in einer Reihe von VIII, steht relativ am Ende von Picassos Auseinandersetzung und ist der vielleicht „dritten Welle“ im Frühsommer 1961 zuzuordnen. Beginnend am 20. Juni hatte er sich schon durch drei Skizzenbücher vorgearbeitet und bereits mehr als 60 Zeichnungen zu der Serie gemacht, bevor am 26.07.1961 die acht römisch nummerierten Blätter in Folge einen vorläufigen Höhepunkt markieren, der in einer Gruppe von Ölbildern an den darauffolgenden Tagen kulminiert. Diese farbigen Kreidezeichnungen sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. In Notre Dame de Vie geschaffen sind sie schnell wie zumeist, aber farblich differenziert wie selten ausgearbeitet, wodurch die Lesbarkeit erhöht wird. Die Anlage der Haltung und farbliche Charakterisierung der Figuren ähneln sich in allen Blättern: die weibliche Figur links in blauen Umrisslinien, die zweite in gebückter Haltung „im Wasser“ stehend, den Blick nach unten gerichtet in Rot. Ihre Abstraktion ist bereits so weit getrieben, dass sie auf der folgenden Variante, dem Blatt VII, nur noch als rotes Strichbündel erscheint. Die Figur rechts, der von Douglas Cooper als „Erzähler“ bezeichnete Mann, ist durch grüne Kreidestriche bestimmt und durch den Stock als „Raconteur“, als die Figur, die in die Szene einführt, zu lesen. Die vierte Figur, der zweite Mann ist für Picasso die erlässliche. Er taucht nur in 3 Blättern der Serie auf und wird in der Folge der Ölbilder bald ganz verschwinden. Im hier vorliegenden Blatt Nr. VI ist er als grüne Umrisszeichnung gegeben und liegt wie schlafend, bäuchlings und den Kopf auf den Händen, hinter der blauen Frauenfigur.
Auch das zeichnet das Blatt aus, in keinem anderen der Serie sind alle Protagonisten so deutlich und liebevoll ausgearbeitet. Die blaue Frauenfigur mit deutlich markierten Brustwarzen und langen schwarzen Haaren ist ein typische „Picasso Frau“, eine Odaliske, deren Anatomie, die seit den 30er Jahren bekannten freien Umgangsformen zeigt. Bei der roten Frau, die zentral im Mittelgrund des Bildes in einem Weiher steht, der mit drei violetten Farbflächen zügig in die Tiefe gespannt ist, markieren kurze schwarze Striche Haare, Augen, Finger und Scham. Von ihrer Auffassung her am geheimnisvollsten ist die männliche Gestalt mit Bart rechts im Bild. Sie trägt eine karminrote Mütze, hat eine Hand in einer Zeigegeste erhoben, während die zweite in einer Art gelb gefasstem Negativraum den Stock hält, dessen drei perfekt gesetzte Striche die Räumlichkeit unterstreichen. Ein Baumstamm am rechten Rand wird mit einigen Schlangenlinien in Schwarz auf Grau in wenigen Strichen angedeutet und schließt das Bild über der für Picasso wichtigen genauen Datierung ab.
In seiner bildlichen Geschlossenheit kann das Blatt VI vom 26.7.61 als exemplarisches Beispiel für die gesamte Auseinandersetzung Picassos mit den "Déjeuners" gelten. Nicht nur die erotischen Anspielungen sind besonders deutlich herausgearbeitet, sondern alle Merkwürdigkeiten, die ein „Frühstück im Wald“ bereithalten mag, sind in kürzest möglichen Zeichen gefasst. Bis zuletzt weisen die Variationen von Picasso immer wieder auf Manet, auf Tizian, Raimondi und Raffael zurück. Picasso führt die eigenartige Dekadenz, die in Manets Frühstück aufsteigt, zurück in den als unschuldig und rein gedachten antiken Hain, und holt gleichzeitig das nur scheinbar verlässliche Idyll aus dem Wald in Fontainebleau oder Vauvenargues in die Gegenwart. Dass die Malerei der Zukunft sich aus den Ideen der Vergangenheit speist macht Picasso damit in eindrücklichster Weise ein weiteres Mal deutlich. [AH]
1954 war Henri Matisse gestorben, der Meister der Odalisken, der Freund und Gegenpol, dem Picasso wie keinem anderen lebenden Künstler über die Jahrzehnte in Rivalität und gegenseitigem Ansporn verbunden war. 1955 beginnt Picasso eine erste große Serie von Variationen zu den "Femmes d’Alger", dem berühmten Bild von Eugène Delacroix, 1834 gemalt und stets im Louvre ausgestellt. Es ist für ihn der perfekte Ausgangspukt für eine gleich dreifache Hommage: an Delacroix, den „wilden Maler“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts, der den Orient als Projektionsfläche so meisterlich zu inszenieren wusste, an Matisse, den verehrten Kollegen, und an Jacqueline Roque, seine neue Gefährtin, deren lebendige Ähnlichkeit mit einer der Figuren in Delacroix’ Gemälde Picassos Fantasie zusätzlich befeuert. Als Picasso dann im August 1959 Édouard Manets legendäres Bild "Le Déjeuner sur l’herbe" (Das Frühstück im Grünen) zum Ausgangspunkt seiner künstlerischen Auseinandersetzung macht, beginnt dieses zeichnerisch zu untersuchen, hatte er seine Methode, Werke der „Alten Meister“ neu zu interpretieren, bereits vielfach erprobt. Die "Déjeuners" wie die schnell wachsende Serie im Jargon der großen Entourage Picassos an der Côte d’Azur bald genannt wurde, sollte die umfangreichste und vielfältigste all seiner Auseinandersetzungen mit den Heroen der Kunstgeschichte werden. Dass gerade dieses Bild zum Anlass werden konnte, liegt neben der bis heute unglaublichen Präsenz von Manets Malerei auch in der Geschichte des Bildes selbst und der des Sujets begründet, die noch viel weiter zurückreicht.
Manets Bild war der „Succès de scandale“ des Pariser Salon von 1863, weil die Jury die als obszön empfundene Darstellung nicht zur Ausstellung zugelassen hatte: Eine spärlich bekleidete Frau im Wasser stehend, zwei bekleidete Männer und im Vordergrund eine nackte Frau, die zu aller Überraschung auch noch den Betrachtern des Bildes fest ins Auge blickt – so viel ausgedachte Realität war den Hütern von Tradition und Moral, für die eine nackte Frau am Waldrand immer noch eine Venus oder eine Waldnymphe sein musste, schlicht zu viel. Als das imposante Bild – durchaus im Hinblick auf maximale Empörung inszeniert – dann im „Salon des Refusés“, der Ausstellung der „Zurückgewiesenen“ zu sehen war, war ihm nicht nur große Aufmerksamkeit sicher, sondern es galt fortan geradezu als der Beginn einer Entwicklung der Malerei, die wir heute im Blick zurück nicht nur Impressionismus, sondern im Verlauf des Geschehens „Klassische Moderne“ nennen. Der Begriff „Klassik“ hat in dieser Wortschöpfung durchaus seine Berechtigung, verweist er doch auf noch ältere Quellen und diese hatte Manet reichlich zu Rate gezogen.
Eine wichtige Anregung für die Darstellung war ein schon während der Ausstellung von Manet selbst ins Gespräch gebrachtes, bedeutendes Bild im Louvre: "Das ländliche Konzert" – damals Giorgione, heute Tizian zugeschrieben – eine idyllische Szene, in der zwei Musikanten mit ihren Musen in einer Landschaft dargestellt sind. Als Rückenakt gegeben hat die eine sich zu den jungen Männern gesellt, während die zweite Wasser aus einem Brunnen schöpft. Damals noch kaum bekannt war allerdings eine viel unmittelbarere Quelle des Bildsujets, eine Gruppe von „lagernden Flussgöttern“ aus dem berühmten Kupferstich "Das Urteil des Paris" von Marcantonio Raimondi nach einem verlorenen Gemälde von Raffael. Auf dem Stich nur ein Geschehen am Rande, rückt Manet die Figurengruppe nun in den Mittelpunkt und versetzt die mythologische Szene – durch die Kleidung der Männer – in die Gegenwart. Und genau diese Unmittelbarkeit, diese Vorstellbarkeit, dieser eingefrorene Moment aus der Wirklichkeit ist es, dem Manets Bild bis heute seine herausragende Bedeutung für die Kunst des 20. Jahrhunderts verdankt, weil sie eine „Zeitlosigkeit“ verspricht, die die Betrachter selbst einlösen müssen.
Was war das Moment, das Picasso in verräterische Komplizenschaft mit der Idee brachte, eine Geschichte ohne Geschichte, in einem Wald ohne Topographie, mit Menschen ohne Individualität in seiner eigenen künstlerischen Sprache in Szene zu setzen? Die Methode war für Picasso so selbstverständlich wie erprobt.
In den 1950er Jahren von den dem Zeitgeist verpflichteten Kritikern zunächst als Einfallslosigkeit verurteilt, sollte in der alsbald heraufziehenden „Postmoderne“, die Wiederaneignung von Vorläufern, das Pastiche von Bildideen zur maßgeblichen Strategie werden. Dass Picassos Auseinandersetzung mit den alten Meistern eine der tragenden Säulen der Erfindungen des „Late Picasso“ wurde, ist heute unbestritten und zuletzt in Ausstellungen in London, Wien und Paris gefeiert worden. Die Auseinandersetzung mit Manet und die daraus resultierenden "Déjeuners" stellen in diesem Universum aber gleichwohl einen Sonderfall dar, nicht nur durch die lange Zeitspanne, in der sich Picasso mit dem Motiv beschäftigt, sondern auch durch die Vielzahl der Werke. Schon 1954 war eine Zeichnung als Vorahnung aufgetaucht, und noch 1970 ist in einer Radierung „als Bild im Bild“ eine Anspielung auf die "Déjeuners" – hier in Verbindung mit dem Maler im Atelier – zu finden. Dazwischen gibt es dutzende Ölbilder, ein besonders schönes und das erste durchformulierte ist heute in der Nahmad Collection zu finden.
Die Zeichnung, um die es hier geht, die Nr. VI in einer Reihe von VIII, steht relativ am Ende von Picassos Auseinandersetzung und ist der vielleicht „dritten Welle“ im Frühsommer 1961 zuzuordnen. Beginnend am 20. Juni hatte er sich schon durch drei Skizzenbücher vorgearbeitet und bereits mehr als 60 Zeichnungen zu der Serie gemacht, bevor am 26.07.1961 die acht römisch nummerierten Blätter in Folge einen vorläufigen Höhepunkt markieren, der in einer Gruppe von Ölbildern an den darauffolgenden Tagen kulminiert. Diese farbigen Kreidezeichnungen sind in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. In Notre Dame de Vie geschaffen sind sie schnell wie zumeist, aber farblich differenziert wie selten ausgearbeitet, wodurch die Lesbarkeit erhöht wird. Die Anlage der Haltung und farbliche Charakterisierung der Figuren ähneln sich in allen Blättern: die weibliche Figur links in blauen Umrisslinien, die zweite in gebückter Haltung „im Wasser“ stehend, den Blick nach unten gerichtet in Rot. Ihre Abstraktion ist bereits so weit getrieben, dass sie auf der folgenden Variante, dem Blatt VII, nur noch als rotes Strichbündel erscheint. Die Figur rechts, der von Douglas Cooper als „Erzähler“ bezeichnete Mann, ist durch grüne Kreidestriche bestimmt und durch den Stock als „Raconteur“, als die Figur, die in die Szene einführt, zu lesen. Die vierte Figur, der zweite Mann ist für Picasso die erlässliche. Er taucht nur in 3 Blättern der Serie auf und wird in der Folge der Ölbilder bald ganz verschwinden. Im hier vorliegenden Blatt Nr. VI ist er als grüne Umrisszeichnung gegeben und liegt wie schlafend, bäuchlings und den Kopf auf den Händen, hinter der blauen Frauenfigur.
Auch das zeichnet das Blatt aus, in keinem anderen der Serie sind alle Protagonisten so deutlich und liebevoll ausgearbeitet. Die blaue Frauenfigur mit deutlich markierten Brustwarzen und langen schwarzen Haaren ist ein typische „Picasso Frau“, eine Odaliske, deren Anatomie, die seit den 30er Jahren bekannten freien Umgangsformen zeigt. Bei der roten Frau, die zentral im Mittelgrund des Bildes in einem Weiher steht, der mit drei violetten Farbflächen zügig in die Tiefe gespannt ist, markieren kurze schwarze Striche Haare, Augen, Finger und Scham. Von ihrer Auffassung her am geheimnisvollsten ist die männliche Gestalt mit Bart rechts im Bild. Sie trägt eine karminrote Mütze, hat eine Hand in einer Zeigegeste erhoben, während die zweite in einer Art gelb gefasstem Negativraum den Stock hält, dessen drei perfekt gesetzte Striche die Räumlichkeit unterstreichen. Ein Baumstamm am rechten Rand wird mit einigen Schlangenlinien in Schwarz auf Grau in wenigen Strichen angedeutet und schließt das Bild über der für Picasso wichtigen genauen Datierung ab.
In seiner bildlichen Geschlossenheit kann das Blatt VI vom 26.7.61 als exemplarisches Beispiel für die gesamte Auseinandersetzung Picassos mit den "Déjeuners" gelten. Nicht nur die erotischen Anspielungen sind besonders deutlich herausgearbeitet, sondern alle Merkwürdigkeiten, die ein „Frühstück im Wald“ bereithalten mag, sind in kürzest möglichen Zeichen gefasst. Bis zuletzt weisen die Variationen von Picasso immer wieder auf Manet, auf Tizian, Raimondi und Raffael zurück. Picasso führt die eigenartige Dekadenz, die in Manets Frühstück aufsteigt, zurück in den als unschuldig und rein gedachten antiken Hain, und holt gleichzeitig das nur scheinbar verlässliche Idyll aus dem Wald in Fontainebleau oder Vauvenargues in die Gegenwart. Dass die Malerei der Zukunft sich aus den Ideen der Vergangenheit speist macht Picasso damit in eindrücklichster Weise ein weiteres Mal deutlich. [AH]
119
Pablo Picasso
Les Déjeuners, 1961.
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