Auktion: 496 / Evening Sale am 06.12.2019 in München Lot 139

 

139
Max Ernst
Manifestation Vietnam, 1966/1969.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 80.000
Ergebnis:
€ 100.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Manifestation Vietnam. 1966/1969.
Öl auf Leinwand.
Spies/Metken 4504. Unten rechts signiert. Verso auf der Leinwand signiert, datiert "66" (im Werkverzeichnis 1969) und betitelt. 73 x 60 cm (28,7 x 23,6 in).
[CE].
• In einer von Max Ernst 1942 entwickelten Technik.
• Arbeit von Max Ernst, die richtungsweisend für den Stil eines Jackson Pollock ist.
• Selten auf dem internationalen Auktionsmarkt erhältlich
.

Wir danken Herrn Dr. Jürgen Pech für die freundliche Auskunft.

PROVENIENZ: Galerie Arditti, Paris (verso mit dem Galerieetikett).
Privatsammlung Italien.
Privatsammlung Europa (vom Vorgenannten durch Erbschaft erhalten).

AUSSTELLUNG: La Coruña, Fundación Pedro Barrie de la Maza, Max Ernst y sus amigos surrealistas, Juni - September 2004, S. 128 (mit Abb. S. 77).

Die Suche und Entwicklung neuer Techniken ist dem Œuvre von Max Ernst immanent. Übermalungen, Collagen, Frottagen, Grattagen oder das Abklatschverfahren verhelfen ihm zur Verfremdung des Alltäglichen und der irritierenden Inszenierung des Unerklärlichen. Ab 1942 beginnt er im amerikanischen Exil die Technik der Oszillation zu entwickeln und schafft mittels einer unbewussten, jedoch überaus kreativen Methode kosmische Welten. "Der verwirrte Planet", sein erstes Bild in dieser Technik, befindet sich heute in Besitz des Tel Aviv Museum of Art. Im selben Jahr entsteht auch die Arbeit "Der Surrealismus und die Malerei", heute Teil der Menil Collection, Houston. Es zeigt "Loplop" - jenen mythischen Vogel, den Max Ernst Ende der 1920er Jahre als Alter Ego schafft - mit seiner Brut, wie er an einem auf der Staffelei stehenden Bild, das in Oszillationstechnik angelegt ist, malt. Mittels des Bild-im-Bild-Motives zeigt Ernst seine Arbeitsmethode auf: Hier ist es der Seelenverwandte des Künstlers, der zum Pinsel greift und seine seelisch-geistigen Vorgänge offenbart. Mit der Oszillation findet Max Ernst ein weiteres Verfahren, die Sichtbarmachung seines Unterbewusstseins anzustoßen und hervorzubringen. Zugleich überführt er die "Écriture automatique" des Surrealismus, das automatische Schreiben unter Ausschaltung des Bewusstseins, in eine neue Technik. Er erklärt selbst, es sei ein Kinderspiel: "Bindet eine leere Konservendose an eine Schnur von ein oder zwei Meter Länge, bohrt ein kleines Loch in den Boden, füllt die Dose mit flüssiger Farbe. Lasst die Dose am Ende der Schnur über eine flachliegende Leinwand hin- und herschwingen, leitet die Dose durch Bewegungen der Hände, Arme, der Schulter und des Körpers. Auf diese Weise tröpfeln überraschende Linien auf die Leinwand. Das Spiel der Gedankenverbindungen kann dann beginnen.“ (zit. nach: Ausst.-Kat. Sprengel macht Ernst. Die Sammlung Max Ernst, Sprengel Museum Hannover 2006, S. 185). "In den japanischen Kunstschulen", so fährt er fort, "lernt man zuerst mit der Hand zeichnen, dann mit Hand und Unterarm, dann mit dem ganzen Arm bis zur Schulter, und so weiter. Man muss jahrelang üben, bis man den ganzen Körper richtig einzusetzen versteht. Auf der gleichen Idee basiert mein Verfahren" (zit. nach: Werner Spies: Max Ernst. Leben und Werk, Köln 2005, S. 171f.). Dieses weitgehend unkontrollierbare und ebenfalls halbautomatische Verfahren bringt netzartige Kompositionen aus Kreisen, Linien und Punkten auf die Bildfläche. In Gestalt der Oszillation kündigte sich also eine innovative Technik an, die zunächst die künstlerischen Verfahren des Surrealismus um eine weitere Facette erweiterte, welche aber auch Jackson Pollocks Drip-Painting vorwegnimmt. Dieser, von Ernsts neuer Malerei und ihren rhythmisch aufgetragenen, sich überschneidenden Farbspuren, verknäulten Zeichen und codierten Signets fasziniert, nutzt die abstrakte Methode ab 1947 für seine eigene großformatige und gestische Malerei. Er lässt die mit Farbe gefüllte Dose nicht an einer Schnur pendeln, sondern führt sie mit der Hand oder an einen Stock gebunden in großen kreisenden Bewegungen über die Leinwand.
Die Arbeit "Manifestation Vietnam" ist kraftvoll und intensiv. Sie zeigt eine unmittelbare, dynamische Malweise, die eine bewusste Steuerung und einen geplanten Bildaufbau verhindern, so dass expressive Gesten die Charakteristik der Malerei bestimmen.
Mit dem Titel "Manifestation Vietnam" greift der Künstler eine Thematik auf, die das öffentliche Bewusstsein seiner Zeit beherrscht hat. Im August 1964 schalteten sich die USA aktiv durch Bombardierungen in den Indochinakrieg ein, worauf weltweit Protestbewegungen folgten. 1966 fanden unter dem Titel "Six heures du monde pour le Vietnam" (Sechs Stunden der Welt für Vietnam) mehrfach Aufmärsche in Frankreich statt, für deren Plakate ein anderes Dripping-Gemälde von Max Ernst verwendet wurde. [CE]



139
Max Ernst
Manifestation Vietnam, 1966/1969.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 80.000
Ergebnis:
€ 100.000

(inkl. Käuferaufgeld)