Auktion: 470 / Kunst nach 1945 I am 09.06.2018 in München Lot 919

 

919
Robert Rauschenberg
County Sweep (Galvanic Suite), 1989.
Mischtechnik
Schätzung:
€ 250.000
Ergebnis:
€ 537.500

(inkl. Käuferaufgeld)
County Sweep (Galvanic Suite). 1989.
Mischtechnik . Acryl und Lackfarbe über verzinktem Stahl.
Unten mittig signiert und datiert. Verso mit der Werknummer "89.62" bezeichnet. 123 x 305 cm (48,4 x 120 in).

Die Arbeit ist unter der Achrivnummer "89.062" im Archiv der Robert Rauschenberg Foundation, New York, registriert.

PROVENIENZ: Privatsammlung Schweden.
Galerie Wild, Frankfurt.
Privatsammlung Hessen (1995 beim Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Rauschenberg, Heland Wetterling Gallery, Stockholm 5.9.–8.10.1989 (verso mit dem Etikett).

"Die Stärke meiner Arbeiten liegt darin, wenn ich das sagen darf, daß ich mich entschieden habe, das Ordinäre zu adeln. [..] Ich glaube, wenn man sich nicht bewegt, tritt man irgend jemand anderem auf die Füße, wenn man zu lange still steht, steht man ihnen im Weg. Und deswegen macht es mir keine Angst, mich zu verändern - tatsächlich macht mir genau das Gegenteil Angst. Wenn man sich nicht entwickelt, dann verrottet man langsam."
Robert Rauschenberg, 1989, zit. nach: Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, S. 14.

Im Gegensatz zu Picasso, der trotz seiner andauernden stilistischen Progressivität Zeit seines Lebens zumindest der Gegenständlichkeit treu geblieben ist, überspielt Rauschenbergs gewaltiges Œuvre auch die traditionelle Grenze zwischen gegenständlicher und abstrakter Malerei. Seine künstlerische Konfrontationslust ist gewaltig und macht ihn bereits 1953 als gerade 27-jähriger Jungkünstler schlagartig bekannt, als er Willem de Kooning, den damaligen Star des abstrakten Expressionismus, fragt, ob er eine seiner Arbeiten ausradieren dürfe. Das Ergebnis dieses damals geradezu als Vandalismus gewerteten künstlerischen Neuanfangs "Erased de Kooning Drawing" ist heute im Museum of Modern Art in San Fancisco zu sehen, das nach den Rauschenberg-Ausstellungen im Museum of Modern Art, New York, (2017) und der Tate Modern, London, (2017) bis März 2018 unter dem Titel "Robert Rauschenberg. Erasing the Rules" gerade die letzte große Einzelausstellung des amerikanischen Ausnahmekünstlers gezeigt hat.
Rauschenberg hat den Kunstbegriff seit den 1950er Jahren in entscheidender Weise geweitet, stets Grenzen gesprengt und durch andauernde Experimentierfreude immer wieder fundamental Neues geschaffen: Neben "Erased de Kooning Drawing" gelten seine durch John Cages tonlose Stücke inspirierten monochrom weißen, schwarzen und roten Bilder sowie sein berühmtes "Combine" "Monogram", in dem er eine ausgestopfte Angoraziege mit einem Autoreifen und einem Baseball zu einem scheinbar absurden Sammelsurium kombiniert, als seine bekanntesten Schöpfungen der 1950er Jahre. Wie Rauschenbergs fortan entstehende "Combines" und "Combine-paintings", die ebenfalls objekthafte Elemente mit einbeziehen, gelten auch seine auf Abbildungen aus Printmedien zurückgreifenden Transferzeichnungen und Siebdruckgemälde anfänglich als Provokationen und bald jedoch als Ikonen eines neuen Kunstbegriffes. Dieses entgrenzte Kunstverständnis Rauschenbergs gilt heute als wegbereitend für die Pop-Art, in deren Fokus die künstlerische Präsentation von Alltagsgegenständen und -ereignissen steht.
Wie auf einer Tabula rasa breiten sich die Bilder nach Fotovorlagen des Künstlers und Produkten jener medialen Bilderflut in Rauschenbergs einzigartigen Schöpfungen vor dem Betrachter aus und erweitern Rauschenbergs Bilderrepertoire schier ins Endlose. Während er in seinen Transferzeichnungen, in denen er das Bild der gedruckten Vorlage durch das Tränken mit Lösungsmitteln auf ein darübergelegtes Blatt überträgt und manuell überarbeitet, noch an die Größe der Druckvorlage gebunden ist, setzt sich Rauschenberg in seinen ab den 1960er Jahren entstehenden Siebdruckbildern auch über diese Grenze hinweg: Rauschenberg überträgt die Motive durch Siebdruck auf den Bildträger, und ist in diesen legendären Schöpfungen somit nicht mehr an die Größe und Farbigkeit der Vorlage gebunden. Simultan treten dem Betrachter die verschiedenen gestischen und serigrafierten Bildelemente aus der Fläche entgegen.
Die panoramaartige Arbeit "County Sweep" ist ein Paradebeispiel für Rauschenbergs Siebdruck-Gemälde der 1980er Jahre, welche er nun nicht mehr wie in den 1960er Jahren auf Leinwand, sondern auf große Metallflächen überträgt. Im monumentalen Querformat von "County Sweep", Teil der berühmten, auf verzinkten Stahlplatten geschaffenen "Galvanic Suite", wächst der Bildinhalt aufgrund seiner panoramatischen Breite teils aus unserem Blickfeld heraus und bietet zugleich Raum für neue Verknüpfungen und assoziative Bezüge, die sich zwischen dem Titel und den ausgewählten Bildgegenständen Besen, Schwein und der Ansammlung weißer Südstaaten-Männer ergeben. Rauschenbergs Arbeiten der "Galvanic Suite" basieren auf unbeschnittenen Fotoaufnahmen des Künstlers und arbeiten mit dem Collage-Prinzip. Sie konservieren und transformieren Wirklichkeit, schaffen eine komplexe inhaltliche Aussage, die oftmals - wie im vorliegenden Fall - an das politisch-soziale Bewusstsein des Betrachters appelliert. "Ich möchte die Leute wachrütteln", hat Rauschenberg einmal gesagt, "ich möchte, dass die Leute das Material betrachten und darauf reagieren. Ihre individuelle Verantwortung möchte ich ihnen bewusst machen, sowohl für sich selbst wie für die übrige Menschheit. Wie einfach ist es, der Welt gegenüber selbstgefällig zu sein. Die Tatsache, dass du ein paar Groschen für eine Zeitung ausgibst, beruhigt fast schon dein Gewissen.
Darüber hinaus ist die monumentale Komposition "County Sweep" ein beeindruckendes künstlerisches Zeugnis dafür, dass in der Kunst Rauschenbergs nichts zufällig, jedoch alles möglich ist. [JS]



919
Robert Rauschenberg
County Sweep (Galvanic Suite), 1989.
Mischtechnik
Schätzung:
€ 250.000
Ergebnis:
€ 537.500

(inkl. Käuferaufgeld)