62
Franz Radziwill
Gespräch über einen Paragraphen, 1929.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 250.000 Ergebnis:
€ 344.040 (inkl. Käuferaufgeld)
Öl auf Leinwand, auf Holz aufgezogen
Firmenich/Schultze 308. Rechts unten signiert und datiert. Verso mit der eigenen Werknummer "102". 79,3 x 101 cm (31,2 x 39,7 in)
Ursprünglich unter dem Titel "Nackte Frauen" von Radziwill in seinen Listen geführt, wurde das Gemälde um 1960 von ihm mit zusätzlichen Attributen versehen: der große Hut der Sitzenden, das halbtransparente Blatt im Schoß der Liegenden, der schwebende Engel mit dem Paragraphen und die leere Flasche im Vordergrund. Im Originalrahmen.
PROVENIENZ: Galleria del Levante, Mailand/München.
Privatsammlung Italien.
AUSSTELLUNG: Der schöne Mensch in der neuen Kunst. Interessengemeinschaft fortschrittlicher Künstler Hessens/Darmstädter Sezession/Darmstädter Gruppe, Mathildenhöhe Darmstadt, 16.6.-6.10.1929, Nr. 120.
Franz Radziwill, Kaiser Friedrich Kunsthalle, Wilhelmshaven, Frühjahr 1936, o. Nr.
Franz Radziwill, Kaufhaus "Alsterhaus", Hamburg, 12.12.1946 - Januar 1947, o. Nr.
Franz Radziwill, Galerie Baukunst, Köln 11.9.-9.11.1968, Nr. 32.
Franz Radziwill, Galleria Il Fante di Spade, Rom/Galleria "La Mutina", Modena, ab 18.10.1969/ab 29.11.1969, Kat. Nr. 12, mit Abb. S. 15 (verso mit dem Galerieetikett).
Franz Radziwill, Galleria Eunomia, Mailand, ab 20.4.1971, Kat. Nr. 12.
Franz Radziwill, Nuova Galleria del Teatro, Parma, 9.6.-20.6.1971, o. Nr.
Franz Radziwill, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Staatliche Kunsthalle Berlin, 22.11.1981-3.1.1982, Kat. Nr. 51.
Nuova Oggettivita. Germania e Italia 1920-1939, Palazzo Sociale, Mailand, 11.2.-12.3.1995 (auf dem Rahmen mit dem Etikett).
LITERATUR: Radziwill-Liste 4, Nr. 120.
Ulenspiegel, Heft 4, Januar 1947, S. 7 (mit Abb.).
Emilio Bertonati, Il Realismo in Germania, Mailand 1969 (mit Farbabb. Tafel XLV).
Gerd Presler, Ein famoser Kerl, in: art, Hamburg 1980, Heft 1, S. 110.
Iko Chmielewski, Franz Radziwill - Übermalungen in seinen Werken, Mag.-Arbeit Universität Oldenburg 1989, S. 64 (nicht im Druck erschienen).
Franz Radziwill wendet sich erst nach einer Maurerlehre der Kunst zu. Bis 1915 studiert er in Bremen Architektur und belegt parallel dazu Abendkurse in figürlichem Zeichnen. Durch seinen Lehrer Karl Schwally entsteht der Kontakt zu den Künstlerkreisen in Fischerhude und Worpswede, wo er Bernhard Hoetger, Otto Modersohn und Heinrich Vogeler kennenlernt. Intensiv studiert Radziwill zudem die Werke von van Gogh, Cézanne und Chagall. Nach seiner Rückkehr aus englischer Kriegsgefangenschaft 1919 lässt Radziwill sich für einige Jahre in Berlin nieder, wo er Mitglied der "Freien Secession" und der "Novembergruppe" wird. 1923 zieht er nach Dangast an der Nordsee. Zwei Jahre später findet die erste Einzelausstellung in Oldenburg statt. Ab diesem Jahr distanziert Radziwill sich zunehmend von seinem expressionistischen Frühwerk. Durch die neu entstehende Freundschaft mit Otto Dix gerät er in die Künstlerkreise der "Neuen Sachlichkeit" und arbeitet bis 1928 im Dresdner Atelier von Dix.
Wie so oft gibt uns Radziwill mit diesem Gemälde eine verschlüsselte Botschaft, die, und das ist ungewöhnlich, ursprünglich der Komposition nicht zu eigen war. In den Zeiten einer aufkommenden Diskussion um den berühmt-berüchtigten Abtreibungsparagraphen 218 scheint sich der Maler für dessen Verteidigung stark zu machen, folgt man der den Paragraphen segnenden Hand des Engels. Doch weitere Symbole, wie der Hut in den französischen Nationalfarben, den die Sitzende selbstbewusst trägt, die leere Flasche und das Blatt auf der Scham der Liegenden, lassen der Phantasie einen großen Freiraum. Franz Radziwill hat hier in Veränderung eines an sich klassischen Themas ein Musterbeispiel ikonografischer Bezüge geschaffen, wie man sie aus der Hochzeit des Barock kennt. Durch die Hinzufügungen ist nichts mehr so, wie es war. Dies gibt dem Werk eine inhaltlich-provokante Aussage, die weit über das sonst bei Radziwill Übliche hinausgeht. Die typische, sich am Realismus des 19. Jahrhunderts orientierende Malweise trägt zu einem Dualismus von Inhalt und Form bei, der sich bei genauer Betrachtung einer einfachen Interpretation verschließt.
1933 übernimmt Radziwill den Lehrstuhl von Paul Klee an der Düsseldorfer Kunstakademie, erhält jedoch zwei Jahre später Berufsverbot durch die Nationalsozialisten. Nach erneutem Kriegsdienst von 1939 bis 1945 kehrt Radziwill nach Dangast zurück und wendet sich vor allem religiösen Themen zu. Ab Mitte der 1960er Jahre beginnt Radziwill frühere Bilder durch Übermalungen zu verändern. 1983 verstirbt der Künstler in Dangast. [KD].
Firmenich/Schultze 308. Rechts unten signiert und datiert. Verso mit der eigenen Werknummer "102". 79,3 x 101 cm (31,2 x 39,7 in)
Ursprünglich unter dem Titel "Nackte Frauen" von Radziwill in seinen Listen geführt, wurde das Gemälde um 1960 von ihm mit zusätzlichen Attributen versehen: der große Hut der Sitzenden, das halbtransparente Blatt im Schoß der Liegenden, der schwebende Engel mit dem Paragraphen und die leere Flasche im Vordergrund. Im Originalrahmen.
PROVENIENZ: Galleria del Levante, Mailand/München.
Privatsammlung Italien.
AUSSTELLUNG: Der schöne Mensch in der neuen Kunst. Interessengemeinschaft fortschrittlicher Künstler Hessens/Darmstädter Sezession/Darmstädter Gruppe, Mathildenhöhe Darmstadt, 16.6.-6.10.1929, Nr. 120.
Franz Radziwill, Kaiser Friedrich Kunsthalle, Wilhelmshaven, Frühjahr 1936, o. Nr.
Franz Radziwill, Kaufhaus "Alsterhaus", Hamburg, 12.12.1946 - Januar 1947, o. Nr.
Franz Radziwill, Galerie Baukunst, Köln 11.9.-9.11.1968, Nr. 32.
Franz Radziwill, Galleria Il Fante di Spade, Rom/Galleria "La Mutina", Modena, ab 18.10.1969/ab 29.11.1969, Kat. Nr. 12, mit Abb. S. 15 (verso mit dem Galerieetikett).
Franz Radziwill, Galleria Eunomia, Mailand, ab 20.4.1971, Kat. Nr. 12.
Franz Radziwill, Nuova Galleria del Teatro, Parma, 9.6.-20.6.1971, o. Nr.
Franz Radziwill, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Staatliche Kunsthalle Berlin, 22.11.1981-3.1.1982, Kat. Nr. 51.
Nuova Oggettivita. Germania e Italia 1920-1939, Palazzo Sociale, Mailand, 11.2.-12.3.1995 (auf dem Rahmen mit dem Etikett).
LITERATUR: Radziwill-Liste 4, Nr. 120.
Ulenspiegel, Heft 4, Januar 1947, S. 7 (mit Abb.).
Emilio Bertonati, Il Realismo in Germania, Mailand 1969 (mit Farbabb. Tafel XLV).
Gerd Presler, Ein famoser Kerl, in: art, Hamburg 1980, Heft 1, S. 110.
Iko Chmielewski, Franz Radziwill - Übermalungen in seinen Werken, Mag.-Arbeit Universität Oldenburg 1989, S. 64 (nicht im Druck erschienen).
Franz Radziwill wendet sich erst nach einer Maurerlehre der Kunst zu. Bis 1915 studiert er in Bremen Architektur und belegt parallel dazu Abendkurse in figürlichem Zeichnen. Durch seinen Lehrer Karl Schwally entsteht der Kontakt zu den Künstlerkreisen in Fischerhude und Worpswede, wo er Bernhard Hoetger, Otto Modersohn und Heinrich Vogeler kennenlernt. Intensiv studiert Radziwill zudem die Werke von van Gogh, Cézanne und Chagall. Nach seiner Rückkehr aus englischer Kriegsgefangenschaft 1919 lässt Radziwill sich für einige Jahre in Berlin nieder, wo er Mitglied der "Freien Secession" und der "Novembergruppe" wird. 1923 zieht er nach Dangast an der Nordsee. Zwei Jahre später findet die erste Einzelausstellung in Oldenburg statt. Ab diesem Jahr distanziert Radziwill sich zunehmend von seinem expressionistischen Frühwerk. Durch die neu entstehende Freundschaft mit Otto Dix gerät er in die Künstlerkreise der "Neuen Sachlichkeit" und arbeitet bis 1928 im Dresdner Atelier von Dix.
Wie so oft gibt uns Radziwill mit diesem Gemälde eine verschlüsselte Botschaft, die, und das ist ungewöhnlich, ursprünglich der Komposition nicht zu eigen war. In den Zeiten einer aufkommenden Diskussion um den berühmt-berüchtigten Abtreibungsparagraphen 218 scheint sich der Maler für dessen Verteidigung stark zu machen, folgt man der den Paragraphen segnenden Hand des Engels. Doch weitere Symbole, wie der Hut in den französischen Nationalfarben, den die Sitzende selbstbewusst trägt, die leere Flasche und das Blatt auf der Scham der Liegenden, lassen der Phantasie einen großen Freiraum. Franz Radziwill hat hier in Veränderung eines an sich klassischen Themas ein Musterbeispiel ikonografischer Bezüge geschaffen, wie man sie aus der Hochzeit des Barock kennt. Durch die Hinzufügungen ist nichts mehr so, wie es war. Dies gibt dem Werk eine inhaltlich-provokante Aussage, die weit über das sonst bei Radziwill Übliche hinausgeht. Die typische, sich am Realismus des 19. Jahrhunderts orientierende Malweise trägt zu einem Dualismus von Inhalt und Form bei, der sich bei genauer Betrachtung einer einfachen Interpretation verschließt.
1933 übernimmt Radziwill den Lehrstuhl von Paul Klee an der Düsseldorfer Kunstakademie, erhält jedoch zwei Jahre später Berufsverbot durch die Nationalsozialisten. Nach erneutem Kriegsdienst von 1939 bis 1945 kehrt Radziwill nach Dangast zurück und wendet sich vor allem religiösen Themen zu. Ab Mitte der 1960er Jahre beginnt Radziwill frühere Bilder durch Übermalungen zu verändern. 1983 verstirbt der Künstler in Dangast. [KD].
62
Franz Radziwill
Gespräch über einen Paragraphen, 1929.
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