Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 124000264


124000264
Sean Scully
Cut Ground Orange, 2009.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 800.000 - 1.200.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Cut Ground Orange. 2009.
Öl auf Leinwand.
Verso auf der Leinwand signiert, datiert und betitelt. 213 x 305 x 6 cm (83,8 x 120 x 2,3 in). [CH].


• Monumentale Arbeit aus der 2006 begonnenen Werkserie "Cut Ground".
• Mit der großen Variation architektonisch angeordneter Farbstreifen und deren matt-glänzenden Materialitäten entsteht eine besonders spannungsreiche Komposition von großer skulpturaler Wirkung.
• Scully erzeugt ein Spiel aus Asymmetrie und Gleichmäßigkeit, Harmonie und Disharmonie sowie strenger Geometrie und sinnlicher Unvollkommenheit.
• Durch die schiere Größe und räumliche Präsenz von "Cut Ground Orange" wird der Betrachter sofort von der warmtonigen, opulenten Farbigkeit und emotionalen Ausdruckskraft umhüllt.
• Arbeiten aus dieser Werkserie befinden sich in der Sammlung des Metropolitan Museum of Art in New York, im Virginia Museum of Fine Arts, Richmond, und in der Fundación Bancaja in Valencia
.

PROVENIENZ: Walter Storms Galerie, München.
Privatsammlung Rheinland (2009 vom Vorgenannten erworben).

"My paintings want to tell stories"
Auf einer Länge von drei Metern und einer Fläche von über sechs Quadratmetern erstreckt sich die nur auf den ersten Blick streng geometrische Abstraktion und sinnliche Opulenz von "Cut Ground Orange". Schon seit den Anfängen seines künstlerischen Schaffens in den 1970er Jahren verschreibt sich der in Irland geborene und 1975 in die USA emigrierte Künstler Sean Scully voll und ganz der Abstraktion. Seine Werke zeugen seit jeher von einer Faszination für geometrisch gegliederte Flächen und für sowohl vertikal als auch horizontal verlaufende, unterschiedlich breite und verschiedenfarbige Streifenkompositionen. Die in den 1970er Jahren zunächst noch sehr präzisen, streng geometrischen und minimalistischen Streifenmuster verbreitern sich im Laufe der 1980er Jahre und werden in den Übergängen freier sowie im malerischen Duktus spürbar sinnlicher. Ab den 1990er Jahren entwickelt Scully die Streifen schließlich zu gestapelten, nahezu gleichgroßen Farbblöcken weiter, die er nun auch zu formal sehr harmonischen Kompositionen zusammensetzt. In der hier angebotenen Arbeit aus der 2006 begonnenen Werkserie "Cut Ground" wagt Scully dann eine größere Variation: Im Unterschied zum oftmals gleichmäßigen Bildaufbau anderer Werkreihen enthalten die "Cut Ground"-Arbeiten auch schmalere Streifen, welche die Komposition zusätzlich dynamisieren und den Energiefluss des Bildes vorgeben. Scully interessiert die Beziehung, in der die Farben und Formen zueinander stehen, er erklärt: "My paintings talk of relationships. How bodies come together. How they touch. How they separate. How they live together, in harmony and disharmony. The character of bodies changes constantly through my work. According to color. [..]. Its edge defines its relationship to its neighbour and how it exists in context. My paintings want to tell stories that are an abstracted equivalent of how the world of human relationships is made and unmade." (Sean Scully im Gespräch mit W. Smerling, in: Ausst.-Kat. Constantinople or the Sensual Concealed. The Imagery of Sean Scully, MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst, Duisburg 2009, S. 8).

Harmonie und Disharmonie
Das wesentliche Prinzip dieser Werke liegt demnach in der Ordnung und Anordnung der Farbfelder. Scullys Arbeit beginnt zunächst mit der Gliederung der Leinwand, die der Künstler mit Ölkreide in freien, per Hand gezogenen Linien in mehrere rechteckige Elemente und Streifen unterteilt. Für "Cut Ground Orange" wählt Scully eine Aufteilung von 2 x 3 nahezu gleichgroßen Flächen, die er wiederum in unterschiedlich breite Streifenformen unterteilt: in schmale Farbstreifen (unten mittig), etwas breitere Farbbalken (oben rechts) sowie kräftige, deutlich flächigere Farbblöcke (bspw. oben mittig). Im Anschluss werden diese Flächen mit breitem Pinsel und mit gestischen, freien, gar rhythmischen Schwüngen mit zahlreichen sich überdeckenden Farbschichten ausgestaltet. Ein Prozess, welcher der vermeintlichen Rigidität und Simplizität der durchdachten Gliederung und geometrischen Strukturierung widerspricht: Farben überlagern sich, verwischen und lassen immer wieder die körperliche, manuelle Arbeit des Künstlers und damit den Entstehungsprozess des Werkes unmittelbar erfahrbar werden: "Natürlich spürt man Zeit in meinem Werk, weil es aus Schichten besteht. Es wird wiederholt übermalt, in verschiedenen Farben und mit unterschiedlichen Gewichten der Farben, immer durch mich selbst, bis irgendwie alles, […] am richtigen Platz ist und dort lebt." (Sean Scully in einem Gespräch mit Kevin Power, zit. nach: Kelly Grovier, Kirsten Voigt (Hrsg.), Inner, Berlin 2018, S. 104).

Der vermeintlich rationale, fast architektonische Bildaufbau aus geometrischen Formen, aus Horizontalen und Vertikalen entpuppt sich schnell als Meisterwerk der perfekten Inszenierung, als ausgewogenes Spektakel aus Harmonie und spannungsreichen Dissonanzen: Die Abgrenzungen der einzelnen Farbfelder sind nicht mit dem Lineal gezogen, sondern malerisch fließend, die Kanten der variierenden Farbflächen treffen nicht exakt aufeinander, sind nicht akkurat zusammengesetzt, sondern stehen für sich allein und treten mit den jeweils angrenzenden Flächen asymmetrisch in Beziehung: Jeder Farbblock ist sowohl als in sich geschlossene Einheit als auch im Gleichgewicht mit der Gesamtkomposition gestaltet. Kontrast erzeugen die dicht beieinander platzierten kühlen und warmen Farbflächen: Warmes Orange trifft auf helles Grau, kräftiges Gelb auf tiefes Schwarz. Dunklere Farbtafeln verhelfen ihren helleren, kräftig gelben Nachbarn zu ungeahnter Strahlkraft und erzeugen ein reizvolles "Patchwork".


Marokkanische Stoffe und abstrakter Expressionismus

Als Schlüsselmoment für seine Kunst bezeichnet Scully eine Reise nach Marokko im Jahr 1969. "Then I saw the striped fabrics that the Moroccans dye and make them into galabeyas – their robes. I saw those stripes everywhere in Morocco and when I got back to work I was making grids from stripes of color." (Sean Scully, zit. nach: www.seanscullystudio.com) Die in den Maghreb-Staaten verbreiteten Kleidungsstücke und auch die dort vorherrschenden intensiven, satten Farben, die sich interessanterweise auch in "Cut Ground Orange" wiederfinden, entzünden in Scully eine große Faszination, die ihm bereits in seinen frühen Schaffensjahren zu einer ganz individuellen Bildsprache verhilft. Während die frühen Arbeiten noch einem gewissen Minimalismus und einer strengen Gliederung verpflichtet sind, findet Scully in den darauffolgenden Jahren zu einer emotionaleren Form der abstrakten Malerei, in der nun Licht, Materialität und Haptik eine große Rolle spielen. Die Formensprache wird nun weicher, die Zwischenräume der Farbbalken und -streifen unvollkommener. Er selbst führt diese Entwicklung u. a. auf den Einfluss des abstrakten Expressionismus zurück, insbesondere auf die vibrierenden Farbfelder Mark Rothkos oder Barnett Newmans, mit denen sich der Künstler insbesondere nach seiner Übersiedlung nach New York 1975 intensiv auseinandersetzt. Wie Rothko ist auch Scully geradezu besessen von der Wirkung von Farben und ihren Beziehungen zueinander, durch die Emotionen und Stimmungen erzeugt und übermittelt werden können. "Ich bin überzeugt, dass die Abstraktion dazu da ist und war, tiefe Emotion zu verkörpern. Ich glaube, das ist ihre Aufgabe in der Geschichte der Kunst." (S. Scully, 2012, zit. nach: Kelly Grovier, Kirsten Voigt (Hrsg.), Inner, Berlin 2018, S. 280) Scully stülpt Rothkos atmosphärischer Verwendung von Farbschichten sozusagen eine architektonische Struktur über, verleiht Rothkos sinnlichen Farbwolken Körper und Gewicht. (Vgl. S. B. Phillips, "Becoming Sean Scully", in: Ausst.-Kat. Wall of Light, Phillips Collection, Washington 2005, S. 19)

Sinnlichkeit und Plastizität
Die Ausdruckskraft von Scullys Werken wie auch von "Cut Ground Orange" entsteht u. a. im Malprozess, baut sich sozusagen 'geologisch', wie einzelne Gesteinsschichten, langsam von der untersten Malschicht bis zur Oberfläche auf. Diese an den Übergängen der Farbfelder noch erkennbare Schichtung, die besondere Materialität der subtil glänzenden Oberfläche wie auch die darin sichtbaren breiten Pinselspuren verleihen dem Gemälde Lebendigkeit und sinnliche Opulenz, führen in Verbindung mit der schieren Monumentalität dieser Arbeit zu einer raumgreifenden skulpturalen Präsenz. Der Eindruck von Plastizität wird zusätzlich durch den deskriptiven Bildtitel (cut ground, dt. gestochene Erde) unseres Gemäldes verstärkt, der an den in Scullys Heimat Irland seit Jahrhunderten praktizierten, mühsamen Torfabbau denken lässt. Scullys Gemälde sind stets von visuellen Eindrücken seiner Vergangenheit und Gegenwart beeinflusst. Inspirationen aus Natur, Alltag und persönlichen Erfahrungen werden in einer bestimmten Form und in unterschiedlichen Farben zum Ausdruck gebracht. Mit den breiten Farbblöcken von "Cut Ground Orange" – dem warmen, fast feurigen Orange, Steingrau, rußigen Schwarz und Senfgelb – lassen sich Elemente und Aspekte aus der Natur assoziieren, während sich die Formen u. a. auf die jahrhundertealten, aus horizontal und vertikal geschichteten Steinen erbauten Mauern auf den irischen Aran Islands beziehen, die der Künstler ab 2005 in seiner fotografischen Serie "Aran" verewigt und die u. a. auch seine plastischen Arbeiten wie "Wall Dale Cubed“ (2018, Yorkshire Sculpture Park) inspirieren.

"Cut Ground Orange" fasziniert und konfrontiert uns mit fein nuancierter und doch so kräftiger Farbigkeit, und schierer Monumentalität.
Scully schafft eine Assemblage aus formaler Strenge und sinnlicher Opulenz, aus architektonischer Komposition und Asymmetrie, aus gestischer Pinselführung und wiederholter Schichtung, aus Assoziationsreichtum und intuitiver Farbigkeit, aus Licht und Schatten, aus groben Farbblöcken und malerischen Farbstreifen. Damit verkörpert das hier angebotene Werk der "Cut Ground"-Serie die Essenz von Scullys künstlerischem Schaffen. Mit dem ikonischen Korpus aus nebeneinanderliegenden und übereinandergestapelten, kalt- und warmtonigen, helleren und dunkleren Farbfeldern kulminieren die besten Charakteristiken von Scullys Kunst, seiner Hingabe und seinem unerbittlichen Einsatz für die abstrakte Malerei.

Auf dem Höhepunkt einer fünf Jahrzehnte umspannenden Karriere
Scullys künstlerisches Schaffen umfasst sowohl Gemälde, Pastelle, Aquarelle und Zeichnungen als auch Druckgrafiken, Fotografien und Skulpturen. Seine Werke befinden sich heute weltweit in den renommiertesten internationalen Sammlungen, u. a. im Museum of Modern Art, im Metropolitan Museum of Art und im Solomon R. Guggenheim Museum in New York, in der National Gallery of Art in Washington und in der Londoner Tate Gallery. Aufgrund seines mittlerweile mehr als fünf Jahrzehnte andauernden Erfolgs zählt er heute zu den bedeutendsten Künstlern seiner Generation. 2013 wird der Künstler Mitglied der Royal Academy of Arts, 2014/15 wird er als erster westlicher Künstler überhaupt mit einer umfassenden, retrospektiven Überblicksschau in China geehrt, die sowohl in Schanghai als auch in Peking gezeigt wird. Allein in den letzten fünf Jahren werden seine Arbeiten in mehr als einem Dutzend Einzelausstellungen in Europa und den Vereinigten Staaten gezeigt, u. a. im Thorvaldsen Museum in Kopenhagen (2023), in der groß angelegten Werkschau "Sean Scully. The Shape of Ideas" im Philadelphia Museum of Art (2022), in der National Gallery in London und in der Albertina in Wien (2019) sowie im Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington (2018/19). [CH]



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Sean Scully
Cut Ground Orange, 2009.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 800.000 - 1.200.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.