Auktion: 548 / Contemporary Art Day Sale am 08.12.2023 in München Lot 104


104
Fritz Wotruba
Genius, 1929.
. Bleiguss mit schwarz-brauner Patina
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 38.100

(inklusive Aufgeld)
Genius. 1929.
Bleiguss mit schwarz-brauner Patina.
Breicha 24 (mit "Verbleib unbekannt" gelistet). Nur ein Abguss im Fotoarchiv des Künstlers dokumentiert. Zudem handelt es sich laut einem Brief des Künstlers an den ehemaligen Besitzer der Skulptur um einen unikaten Abguss (Wotruba-Archiv, Wien). Höhe: 110,4 cm (43,4 in). [JS].

• Eine der stärksten Schöpfungen aus Wotrubas bildhauerischem Frühwerk.
• Außergewöhnlich sind die stark überlängten Körperformen, die neben Wotrubas Lehmbruck-Begeisterung seine Auseinandersetzung mit der bildhauerisch bedeutenden Tradition der Kreuzigung dokumentieren.
• Unikat. Lebzeitguss.
• Wotruba zählt zu den bedeutendsten europäischen Bildhauern des 20. Jahrhunderts.
• Bereits 1959 zeigt das Museum of Modern Art, New York, Wotrubas Skulpturen in der Ausstellung "New Images of Man" neben Arbeiten von Alberto Giacometti, Jean Dubuffet und Wilhelm de Kooning
.

PROVENIENZ: Sammlung Dr. Herbert und Agnes Simons, Düsseldorf/London (1931 direkt vom Künstler erworben).
Privatsammlung London (1956 durch Erbschaft von den Vorgenannten).
Privatsammlung Norddeutschland (Ende der 1970er Jahren erworben).
Seither Familienbesitz.

"Als Wotruba als Künstler begann, war der mitteleuropäische Expressionismus abgeebbt, aber auch die neue Sachlichkeit (wie alles übrige) für den jungen Wotruba keine erspriessliche künstlerische Möglichkeit. Wenn er an etwas Mass genommen hat, so an Wilhelm Lehmbruck [..], einem Ausdruckskünstler besonderer Art, also an einem, der seinerseits nirgends dazugehörte, unverwechselbar eigentümlich, wie er war, von spröder Faszination, auf die auch Wotrubas Arbeit eingestimmt ist."
Otto Breicha, Fritz Wotruba. Werkverzeichnis, St. Gallen 2002, S. 8.

In "Genius", einer der stärksten Schöpfungen aus Wotrubas bildhauerischem Frühwerk, verschmilzt der Künstler seine formale Begeisterung für die überlängten Formen Wilhelm Lehmbrucks mit der Auseinandersetzung mit der wohl bedeutendsten Motivik der christlichen Ikonografie: der Kreuzigung. Nicht nur die stark überlängten Gliedmaßen des gestreckten männlichen Aktes verweisen auf die lange ikonografische Tradition des gekreuzigten Christus, sondern zudem auch die schräg gestellten Füße auf der stark nach vorne geneigten Sockelplatte. Wotrubas "Genius" wirkt somit auf der Standfläche fixiert, während er seine frei nach oben gestreckten Arme, gefolgt von seinem flehenden, suchenden Blick, kraftvoll gen Himmel wendet. Die Kreuzigung als das Ende der christlichen Passion wird hier zum Sinnbild des geschundenen künstlerischen Genius, der sich, aus seinen irdischen Fesseln befreit, einer Entgrenzung im Metaphysischen zuwendet.
Wotruba beginnt mit 19 Jahren sein Studium in der Fachklasse für Bildhauerei an der Kunstgewerbeschule in Wien. Bis 1928 ist er Student Anton Hanaks, in dessen Klasse er seine zukünftige Frau Marian Fleck kennenlernt. Anschließend besuchen beide die Klasse Eugen Steinhofs, mit dem sich die künstlerischen Auseinandersetzungen fortsetzen, die bereits in Hanaks Klasse begonnen hatten. Im Mai 1929 eröffnet die Kunstgewerbeschule schließlich ein Disziplinarverfahren gegen den jungen Wotruba, da er sich unaufgefordert in eine Auseinandersetzung zwischen Marian und Steinhof eingemischt habe. Wotruba erhält Hausverbot, wird für den Rest des Studienjahres beurlaubt und zum Ende des Schuljahres 1929 von der Schule verwiesen. Der aufstrebende, sich scheinbar aus den Fesseln windende "Genius", den Wotruba in eben diesem Jahr geschaffen hat, ist also zugleich ein Sinnbild für Wotrubas künstlerisches Selbstverständnis, das sich dem klassischen Weg einer autoritären akademischen Ausbildung entzieht. [JS]



104
Fritz Wotruba
Genius, 1929.
. Bleiguss mit schwarz-brauner Patina
Schätzung:
€ 30.000
Ergebnis:
€ 38.100

(inklusive Aufgeld)