Auktion: 554 / Modern Art Day Sale am 08.06.2024 in München Lot 121002941


121002941
Karl Schmidt-Rottluff
Litauisches Gehöft, 1918.
Aquarell
Schätzpreis: € 30.000 - 40.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.
Litauisches Gehöft. 1918.
Aquarell.
Rechts unten signiert und datiert. Verso betitelt. Auf Aquarellpapier. 33,5 x 42,2 cm (13,1 x 16,6 in), blattgroß.


• In der Ausführung der zum Teil geometrisch abstrahierten, nebeneinanderliegenden fragmentierten Farbflächen ähnelt das Werk den in dieser Zeit entstandenen, motivisch verwandten Holzschnitten.
• Aus dem letzten Kriegsjahr 1918, in dem Schmidt-Rottluff u. a. in Litauen stationiert ist.
• Statt symbolische oder direkte Hinweise auf Krieg und Zerstörung zeigt der Künstler ein ländliches Idyll mit einer hellen, die Szene in warmes Licht tauchenden gelben Sonne
.

Die Arbeit ist im Archiv der Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung, Berlin, dokumentiert.

PROVENIENZ: Sammlung Hermann Gerlinger, Würzburg (1990 erworben, mit dem Sammlerstempel, Lugt 6032).

AUSSTELLUNG: Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, Schleswig (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 1995-2001).
Kunstmuseum Moritzburg, Halle an der Saale (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2001-2017).
Expressiv! Die Künstler der Brücke. Die Sammlung Hermann Gerlinger, Albertina Wien, 1.6.-26.8.2007, Kat.-Nr. 51, S. 96 (m. Abb., S. 97).
Buchheim Museum, Bernried (Dauerleihgabe aus der Sammlung Hermann Gerlinger, 2017-2022).

LITERATUR: Hauswedell & Nolte, Hamburg, Auktion 19.4.1990.
Heinz Spielmann (Hrsg.), Sammlung Hermann Gerlinger, Stuttgart 1995, S. 382, SHG-Nr. 659 (m. Abb.).
Hermann Gerlinger, Katja Schneider (Hrsg.), Die Maler der Brücke. Bestandskatalog Sammlung Hermann Gerlinger, Halle 2005, S. 82, SHG-Nr. 171 (m. Abb.).

Im Mai 1915 wird Karl Schmidt-Rottluff als Armierungssoldat zum Kriegsdienst einberufen. Zunächst muss er direkt an der Front in Russland Dienst tun, er baut Schützengräben und Stacheldrahtverhaue. 1916 wird der Künstler durch Vermittlung des Dichters und Schriftstellers Richard Dehmel in das Buchprüfungsamt der Presseabteilung von Hindenburgs Hauptquartier im Stab Ober-Ost in Kowno (heute Kaunas, Litauen) versetzt, in der er schließlich bis Ende des Krieges 1918 tätig ist. Hier findet er Anschluss an eine Gemeinschaft anderer Künstler und Literaten, darunter die Maler Magnus Zeller und Hermann Struck und die Schriftsteller Alfred Brust und Arnold Zweig. Künstlerisches Arbeiten ist in dieser Zeit nur eingeschränkt möglich. Schmidt-Rottluff gestaltet einzelne Aquarelle, Holzskulpturen und Holzschnitte, vermehrt mit religiösen Themen wie in der 1918 erschienenen, später sog. "Kristus-Mappe“ sowie seine einzige Folge von Buchillustrationen zu einem Drama seines Kriegskameraden Alfred Brust.

Der Erste Weltkrieg prägt den Künstler nachhaltig, doch stürzt sie ihn nicht, wie bspw. seinen einstigen Künstlerkollegen aus der "Brücke" Ernst Ludwig Kirchner, in die Depression. Der Ausdruck seiner Bilder wird nun dunkler, die Figuren oftmals etwas schwermütig. "Die ganze Qual der Kriegsjahre wirkte so sehr nach, dass ich mich noch gar nicht davon befreien konnte und mich dabei gegen die Arbeit sehr schwach fühlte. Etwas Vertrauen zur Farbe habe ich wiedergewonnen [..]", schreibt Schmidt-Rottluff im August 1919 aus Hohwacht an seinen Freund und Sammler, den Kunsthistoriker Wilhelm Niemeyer (zit. nach: Gerhard Wietek, Schmidt-Rottluff in Hamburg und Schleswig-Holstein, Neumünster 1984, S. 62).

Bereits nach seiner Übersiedlung nach Berlin im Jahr 1911 wendet sich Schmidt-Rottluff verstärkt formalen Problemen zu und entwickelt eine zunehmend reduzierte, geometrische Formensprache. Nach dem Krieg kehrt er 1918 nach Berlin zurück und knüpft an vorherige künstlerische Überlegungen an, was sich nicht nur in den grafischen Werken offenbart, die gegen Ende des Krieges entstehen, sondern auch in seinen Aquarellen. Hier zeigt er statt symbolischen oder direkten Hinweisen auf Krieg und Zerstörung ein ländliches Idyll mit einer hellen, die Szene in hoffnungsvolles, warmes Licht tauchenden Sonne. Zugleich zergliedert und reduziert er dieses farbstarke Bild eines litauischen Dorfes mit gezackten, kantigen Flächen, Streifen und geometrischen, prägnanten Formen. An den Sammlerfreund Ernst Beyersdorf schreibt er damals: "Ich habe jetzt sehr den Druck, noch möglichst Starkes zu schaffen – der Krieg hat mir richtig alles Vergangene weggefegt –, alles kommt mir matt vor, und ich sehe die Dinge plötzlich in ihrer furchtbaren Gewalt. Ich habe nie die Kunst gemocht, die ein schöner Augenreiz war und sonst nichts, und doch merke ich elementar, daß man zu noch stärkeren Formen greifen muß, so stark, daß sie der Wucht eines solchen Völkerwahnsinns standhalten." (Zit. nach: https://www.staatsgalerie.de/de/sammlung-digital/schwestern) [CH]



121002941
Karl Schmidt-Rottluff
Litauisches Gehöft, 1918.
Aquarell
Schätzpreis: € 30.000 - 40.000
Informationen zu Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung sind ab vier Wochen vor Auktion verfügbar.