Auktion: 550 / Evening Sale am 07.06.2024 in München Lot 38


38
Alexej von Jawlensky
Spanische Tänzerin, 1909.
Öl auf Malkarton
Schätzpreis: € 7.000.000 - 10.000.000
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Spanische Tänzerin. 1909.
Öl auf Malkarton.
Links oben signiert und datiert. 100 x 69,5 cm (39,3 x 27,3 in).
Verso mit der expressionistischen Murnau-Landschaft aus dem gleichen Jahr. In kleinem Format hat Jawlensky dieses stark abstrahierte Landschaftsmotiv in dem Gemälde "Murnauer Landschaft" ausgeführt, das sich heute in der Sammlung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München, befindet (Murnauer Landschaft, 1909, 50,4 x 54,5 cm, WVZ-Nr. 283). [JS].

• Jawlenskys Porträts der Jahre 1909 und 1910 gelten als Höhepunkte der europäischen Moderne.
• "Spanische Tänzerin" – ein entfesseltes, expressionistisches Meisterwerk höchster Qualität, vergleichbar mit Jawlenskys berühmtem "Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff" (1909, Lenbachhaus München).
• Gemälde aus dieser kurzen, farbgewaltigen Schaffensphase befinden sich heute nahezu ausschließlich in internationalem Museumsbesitz.
• Neben "Mädchen mit Pfingstrosen" (Von der Heydt-Museum, Wuppertal) und "Rote Lippen" (verschollen) das größte Gemälde aus dieser bedeutenden Werkphase.
• Beidseitig aus Jawlenskys bester Schaffenszeit: Die Rückseite zeigt eine leuchtende, stark abstrahierte Murnauer Landschaft aus dem Jahr 1909.
• Bereits kurz nach Entstehung Teil der bedeutenden Düsseldorfer Moderne-Sammlung Josef Gottschalk und über neun Jahrzehnte in Familienbesitz.
• Aktuell wird der "Blaue Reiter" in der Tate Modern mit einer umfangreichen Ausstellung geehrt (bis Oktober 2024)
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Eine Ausfuhr aus Deutschland ist möglich.

PROVENIENZ: Sammlung Josef Gottschalk, Düsseldorf (möglicherweise 1919 bei Flechtheim erworben, bis 1941).
Sammlung Emma Gottschalk, Düsseldorf (1941 durch Erbschaft vom Vorgenannten, bis 1954).
Privatsammlung Rheinland (1954 durch Erbschaft von der Vorgenannten, in Familienbesitz bis 2017: Galerie Thomas).
Galerie Thomas, München (2017).
Privatsammlung Europa (2017 vom Vorgenannten erworben).

AUSSTELLUNG: Möglicherweise: Auf dem Wege zur Kunst unserer Zeit. Vorkriegsbilder und Bildwerke, Galerie Alfred Flechtheim, Düsseldorf Königsallee, 27.7.-16.8.1919, Kat.-Nr. 65 (ohne Abb.).
Öffentliche Ausstellung der Sammlung Gottschalk, Glücksburger Straße 2, Düsseldorf, 1946/47 (ohne Katalog).
Alexej von Jawlensky. El paisaje del rostro, Fundación Mapfre, Madrid, 9.2.-9.5.2021, Kat.-Nr. 18, S. 290 (m. ganzs. Farbabb., S. 120).

LITERATUR: Maria Jawlensky, Lucia Pieroni-Jawlensky, Angelica Jawlensky, Alexej von Jawlensky. Catalogue Raisonné of the Oil Paintings, Bd. 1: 1890-1914, München 1991, WVZ-Nr. 239 (m. SW-Abb. der Vorder- und der Rückseite).
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Vgl. zur Landschaft der Rückseite: Alexej von Jawlensky-Archiv (Hrsg.), Reihe Bild und Wissenschaft. Forschungsbeiträge zu Leben und Werk Alexej von Jawlenskys, Bd. 3, Ascona 2009, S. 150-151 (Abb. 14, Rückseite).
ARCHIVALIEN:
Stadtarchiv Düsseldorf, Nr. 0-1-4-22016.0000, Kunstsammlung "Moderne Kunst" von Emma Gottschalk, S. 563-565 (zur Ausstellung der Sammlung Gottschalk, 1946/47).
Stadtarchiv Düsseldorf, Nr. 0-1-4-3907.0000, Gemäldesammlung Gottschalk, S. 165 (zur Ausstellung der Sammlung Gottschalk, 1946/47).

"Bilder dieser Qualität [..] gibt es nur wenige und wenn es sie gibt, befinden sie sich normalerweise seit vielen Jahrzehnten in einem Museum. [..] Die 'Spanische Tänzerin' gehört schlicht zu diesen wenigen Ausnahmebildern Jawlenskys, die heute die weltweite Bekanntheit des Künstlers ausmachen und schon damals unter den Kunstschaffenden vielfach für Furore und Inspiration sorgten."
Dr. Roman Zieglgänsberger

Aufrufzeit: 07.06.2024 - ca. 18.14 h +/- 20 Min.

Berauschende Großzügigkeit und sensibles Farbspiel
Alexej von Jawlenskys "Spanische Tänzerin" aus dem Jahr 1909


Bilder dieser Qualität des Malers Alexej von Jawlensky gibt es nur wenige und wenn es sie gibt, befinden sie sich normalerweise seit vielen Jahrzehnten in einem Museum. Dort gehören sie immer zu den Höhepunkten der jeweiligen Sammlung. Sogleich bei der ersten Begegnung mit der "Spanischen Tänzerin" wird beinahe körperlich spürbar, dass man sich auf der Höhe des "Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff" (1909, Lenbachhaus, München), des "Mädchens mit Pfingstrosen" (1909, Von der Heydt-Museum, Wuppertal), der "Helene mit buntem Turban" (1910, Solomon R. Guggenheim Museum, New York) oder der "Dame mit Fächer" (1910, Museum Wiesbaden) befindet. Die "Spanische Tänzerin" gehört schlicht zu diesen wenigen Ausnahmebildern Jawlenskys, die heute die weltweite Bekanntheit des Künstlers ausmachen und schon damals unter den Kunstschaffenden vielfach für Furore und Inspiration sorgten.

Neben dem Umstand, dass es mit seinen stattlichen 101 x 70 Zentimetern zu den größten Bildern Jawlenskys zählt, vereint es die beiden wichtigsten Motivwelten aus seiner populären Werkphase vor dem Ersten Weltkrieg: Seit dem Gemälde "Helene im spanischen Kostüm" aus dem Jahr 1901/02 spielt die Spanierin eine gewichtige Rolle im Werk des Künstlers, in der die Frau einerseits als temperamentvolles starkes, andererseits aber zugleich auch - sich gar nicht gegenseitig ausschließend - als zartes, sensibles Wesen geschildert wird.

In der "Spanischen Tänzerin" ist sogar beides vom Künstler auf sehr geschickte Weise zusammengeführt worden. Der nie abklingende malerische Reiz, die kraftvolle, sich gegenseitig steigernde Farbigkeit sowie der formale Aufbau mittels gerade verlaufenden Diagonalen, Schwüngen und Gegenschwüngen bringen die große Leidenschaftlichkeit zum Ausdruck. Der geneigte Kopf, die geschlossenen Augen, die ruhige Haltung (inklusive der geschlossenen Körpersilhouette) steht dieser "Lautheit" wohltuend entgegen und bringt den entscheidenden einen Moment der meditativen Stille ins Bild.
Der brillant ausgeführte Fächer - das zweite, Jawlensky sehr faszinierende Motiv im Bild -, den die "Spanische Tänzerin" selbstvergessen und weit geöffnet vor sich hält, ist das i-Tüpfelchen des Gemäldes. Die berauschende Großzügigkeit der kompositorischen Bildanlage gepaart mit der für Jawlensky typischen höchsten malerischen Kraft wird im Fächer gekontert durch ein vielteiliges, mosaiziert wirkendes, außerordentlich delikates Farbspiel. Der fast wie mit glänzenden Perlen besetzt wirkende Fächer, dem trotz seiner Pracht jegliche Koketterie fehlt, scheint damit von seiner Umgebung bewahrt und hervorgehoben zugleich.
Das ist es auch, was am Ende die Kunst Jawlenskys auszeichnet, dass er in jedem Moment die Grenzen des visuell Ertragbaren ausreizt und mit gegenteilig wirkenden, subtil eingewobenen beruhigenden Elementen - formale wie inhaltliche - zu herausfordernden expressiven Gratwanderungen kommt, die, gleich wie oft man diese Werke betrachtet, nie ihren Reiz verlieren. Ein Musterbeispiel hierfür ist die "Spanische Tänzerin".

Dr. Roman Zieglgänsberger
Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Alexej von Jawlensky-Archivs in Muralto/Schweiz, Kustos für Klassische Moderne, Museum Wiesbaden





Spanische Tänzerin" - Ein rauschhaft entfesseltes, expressionistisches Meisterwerk
Im Jahr 1909 ist Jawlensky auf dem absoluten Höhepunkt seines Schaffens: Farbgewaltig und in freiem Duktus hat Jawlensky seine "Spanische Tänzerin" geradezu rauschhaft in außergewöhnlich großem Format auf den Malgrund gesetzt. Es sind die beiden Jahre 1909/10, unmittelbar vor Gründung des "Blauen Reiters", in denen Jawlensky in seinen expressionistischen Porträts eine malerische Wucht und Stärke erreicht, die ihn ikonische Höhepunkte der europäischen Moderne erschaffen lassen.
Es sind die glühenden Farbkontraste, die expressiv-verführerische Pose und strenge formale Stilisierung, die Jawlenskys "Spanische Tänzerin" zu einem unverwechselbaren expressionistischen Meisterwerk machen. Hinsichtlich seiner malerischen Qualität und kunsthistorischen Bedeutung steht diese herausragende Schöpfung auf einer Ebene mit Jawlenskys bedeutendsten, heute fast ausschließlich in internationalem Museumsbesitz befindlichen Gemälden dieser kurzen Schaffensphase.
Neben der "Spanischen Tänzerin" sind es etwa die ebenfalls 1909 entstandenen Gemälde "Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff" (Lenbachhaus, München) oder "Schokko mit rotem Hut" (Columbus Museum of Art, Ohio), die sich durch eine vergleichbare Farbwucht, Expressivität und Strahlkraft auszeichnen und die deshalb heute ebenfalls als Glanzstücke des Expressionismus gelten. Diese bedeutenden Schöpfungen Alexej Jawlenskys umgibt wie auch unsere "Spanische Tänzerin" eine Aura, die uns bis heute in ihren Bann zieht.

"Ich malte [...] große figurale Arbeiten in sehr starken, glühenden Farben, absolut nicht naturalistisch und stofflich. Ich habe sehr viel Rot genommen, Blau, Orange, Kadmiumgelb, Chromoxidgrün. Die Formen waren sehr stark konturiert mit Preußischblau und gewaltig aus einer inneren Ekstase heraus.[...] Dies war eine Wendung in meiner Kunst. Und bis [...] vor dem Krieg, habe ich in diesen Jahren meine stärksten Arbeiten [...] gemalt." (Alexej von Jawlensky, Lebenserinnerungen, 1937)

Jawlensky geht in diesen entscheidenden Jahren 1909/10 den für die Kunst der Moderne und für sein eigenes Œuvre wegweisenden Schritt hin zu einer von den Vorgaben der Natur befreiten Ausdrucksfarbe, die er innerhalb des formalen Rahmens einer entrückten Stilisierung des menschlichen Antlitzes inszeniert. Während Wassily Kandinsky in den darauffolgenden Jahren in der Landschaft die maximale Befreiung der Farbe sucht, der junge Franz Marc sich einer entrückten Tierwelt zuwendet, fokussiert sich Jawlenskys Malerei hingegen ab 1909 ganz auf das Motiv des Porträts.
Das exzentrische Bewegungsmotiv seines berühmten "Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff" hat Jawlensky in seiner "Spanischen Tänzerin" geradezu auf die Spitze getrieben. Denn neben dem vibrierenden Farbkontrast des kräftigen Orangerot des Kleides vor dem stahlblauen Hintergrund, der befreiten Farbigkeit des Fächers und dem von Grün- über Gelb- und Purpurtöne reichenden Farbspiel des Inkarnates ist es vor allem die aus den kompositionsbestimmenden Diagonalen geformte Dreiecksform des Oberkörpers, welche für die einzigartige expressive Spannung von Jawlenskys "Spanischer Tänzerin" verantwortlich ist.
Inspiration für diese außergewöhnlich starke, geschlossene und zugleich in sich versunkene Pose hat Jawlensky zum einen durch seine Begeisterung für den zeitgenössischen Ausdruckstanz erhalten. Spätestens 1905 lernt der Künstler im Umfeld des Schwabinger Salons seiner Lebensgefährtin, der Malerin Marianne von Werefkin, den avantgardistischen Tänzer Alexander Sacharoff kennen. Werefkins Salon in der Giselastraße war zu dieser Zeit ein hochfrequentierter Treffpunkt avantgardistischer Künstler und Bohemiens und für den künstlerischen Austausch dieser Jahre ungemein befruchtend. Darüber hinaus aber wird sicherlich auch die europäische Spanien-Begeisterung, die von der Uraufführung von Georges Bizets Erfolgsoper "Carmen" in Paris (1875) ausging, welche 1909 auch für die Münchner Hofoper auf dem Spielplan stand, für die Motivik der "Spanischen Tänzerin" in entscheidender Weise inspirierend gewesen sein.


Helene als "Spanische Tänzerin" - Eine sinnlich aufgeladene Inszenierung weiblicher Schönheit
Exotik, Leidenschaft, Stärke und Tragik sind die aufgeladenen Gefühlswelten des spanischen Tanzes, die Jawlensky in der "Spanischen Tänzerin" für eine bis an ein Maximum gesteigerte Expressivität seiner farbgewaltigen Ausdrucksmalerei zu nutzen weiß. Er inszeniert die Tänzerin in einer exponierten, theatralischen Figur zum Ende des temperamentvollen Tanzes in voller Konzentration und elegischer Entspannung zugleich. Jawlensky, der in jeder Hinsicht ein Lebemann war und im Entstehungsjahr 1909 bereits seit einigen Jahren in einer verhängnisvollen Ménage-à-trois mit Marianne von Werefkin und deren jungem Hausmädchen Helene Nesnakomoff lebt, die 1902 den gemeinsamen Sohn Andreas zur Welt bringt, hat seine "Spanische Tänzerin" zu einer ikonenhaften Stilisierung weiblicher Schönheit und Attraktivität gesteigert. Während die etwas ältere, hochgebildete und einflussreiche Künstlerin Marianne von Werefkin, mit der Jawlensky seit seiner Übersiedlung nach München 1896 zusammenlebt, vorrangig seine intellektuelle Partnerin ist, bietet seine junge Geliebte Helene, die er erst 1922 nach seiner endgültigen Trennung von Werefkin heiraten wird, den entscheidenden emotionalen Stimulus dieser Jahre. Bereits 1901/02 hat Jawlensky die damals blutjunge Helene noch impressionistisch als "Helene im spanischen Kostüm" (Museum Wiesbaden) gemalt. Fortan ist sie nicht nur Geliebte, sondern auch Jawlenskys bevorzugtes Modell, in dessen Darstellung er sich bis zur "Barbarenfürstin (Kopf einer jungen Frau)" (1912, Osthaus Museum Hagen) immer stärker von der reinen Porträthaftigkeit entfernt und zunehmend zum Schöpfer stilisierter, farbbasierter Stimmungsköpfe wird.
Ist es also Helene, die - damals Anfang zwanzig - den deutlich älteren Maler zu unserer emotional aufgeladenen, leidenschaftlichen und starken "Spanischen Tänzerin" inspiriert hat? Werden wir vor der "Spanischen Tänzerin" zu Beobachtern jenes erotisch aufgeladenen Empfindens, das Jawlensky im kunsthistorisch wegweisenden Jahr 1909 mit seiner jungen Geliebten Helene verband?
Wirft man einen Blick auf zeitgleiche Arbeiten, die nachweislich nach dem Modell Helenes entstanden sind, so ist es neben der bereits 1901/02 für Helene verwendeten Spanienmotivik, die auffällige rote Rüschenbluse die als ein deutlicher Verweis auf Helene als Modell zu lesen ist. Auch lassen sich in den Gesichtszügen und im hochkonzentrierten Ausdruck der Dargestellten deutliche Parallelen zum Gemälde "Helene mit buntem Turban" (1910, Guggenheim Museum, New York) erkennen, das sich jedoch im Gegensatz zur "Spanischen Tänzerin" durch seinen ruhigen, stärker kontemplativen Charakter auszeichnet. Jawlenskys sinnlich aufgeladene Darstellung von Helene als "Spanische Tänzerin" hingegen ist tief durchdrungen von der emotionalen Aufgewühltheit ihres Schöpfers, sie ist eine meisterliche Inszenierung sinnlich-emanzipierter Weiblichkeit, ein progressiver malerischer Befreiungsschlag gegen die Fesseln der künstlerischen und zugleich auch gesellschaftlichen Konventionen der Zeit.


Das Jahr 1909 - Höhepunkt der Moderne und Jawlenskys Vorreiterrolle für den "Blauen Reiter"
Den Sommer des Jahres 1909, dem Entstehungsjahr unserer "Spanischen Tänzerin", verbringt Jawlensky gemeinsam mit Helene, dem gemeinsamen Sohn Andreas, der in der Öffentlichkeit als ein Neffe ausgegeben wird, und Marianne von Werefkin in Murnau. Hier malen Jawlensky und Werefkin gemeinsam mit Wassily Kandinsky und Gabriele Münter und stehen in regem künstlerischem Austausch. Jener bedeutende Sommer ist also nicht nur ein entscheidender Kulminationspunkt von Jawlenskys verhängnisvoller Dreiecksbeziehung mit Werefkin und Helene, sondern darüber hinaus eine künstlerisch in entscheidender Weise wegweisende Zeit. Es formuliert sich damals im Werk aller vier Künstler ein künstlerischer Umbruch, eine radikale Abkehr vom impressionistischen und spätimpressionistischen Malstil und eine Hinwendung zu einer synthetischen, expressiven Farbmalerei. Bereits auf seinen Frankreichreisen 1906 und 1907 hatte Jawlensky in Paris die Malerei des Fauvismus sowie der frühen Form des Kubismus gesehen, Werke von Henri Matisse, Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Paul Cézanne und Pablo Picasso kennen gelernt. Durch diese Seherfahrungen wird Jawlensky innerhalb der Murnauer Künstlergemeinschaft zu einem progressiven Ideengeber, gerade durch ihn wird auch der Malstil seiner künstlerischen Weggefährten hin zu einer stärkeren farbigen Autonomie und summarisch aufgefassten Flächengestaltung beeinflusst. In Murnau kommt es 1909 schließlich zu einer Befreiung der Farbe, die für den deutschen Expressionismus und schließlich auch die Kunst des "Blauen Reiters" in entscheidender Weise wegweisend wird.
Es ist ein unglaublicher Glücksfall, dass sich auf der Rückseite des Gemäldes "Spanische Tänzerin" eine dieser kunsthistorisch so bedeutenden, stark abstrahierten Landschaften aus der so wegweisenden Zeit in Murnau befindet. Außerordentlich malerisch und scheinbar spontan niedergeschrieben erscheint dieser faszinierende sommerliche Ausblick ins "Blaue Land". Große lilafarbene Schatten hat Jawlensky auf die in einem strahlenden Rosa ins Bild gesetzte Straße gelegt, der Himmel ist Grün und Weiß und die Farben sind - wie auch bei der "Spanischen Tänzerin" - flächig, in spitzen Formen und mutigen Kontrasten nebeneinander ins Bild gesetzt.
"Die Natur in Farbe" übersetzen, "gemäß dem Feuer in meiner Seele", ist der höchst emotionale, künstlerische Ansatz Jawlenskys (Jawlensky, Lebenserinnerungen (1937), zit. nach: Catalogue Raisonné, Bd. I, 1890-1914, S. 30), durch den sich auch Kandinsky und Münter in Murnau mitreißen lassen und sich dort mutig von den Zwängen der wahrnehmbaren Natur befreien.

Ebenso wie Jawlensky den Körper seiner "Spanischen Tänzerin" mutig aus strengen diagonalen und Dreiecksformen entwickelt hat, hat er die strahlende "Murnauer Landschaft" der Rückseite aus stark abstrahierten Formationen aufgebaut. Gerade der Vergleich mit zeitgleich entstandenen Landschaften seiner künstlerischen Weggefährten Wassily Kandinsky und Gabriele Münter zeigt noch einmal deutlich wie viel weiter Jawlensky im Jahr 1909 bereits hinsichtlich seines freien expressionistischen Farb- und Formverständnisses war. Noch im gleichen Jahr hat Jawlensky dieses maximal abstrahierte Landschaftsmotiv in kleinem Format in dem Gemälde "Murnauer Landschaft" ein weiteres Mal ausgeführt, das sich heute in der Sammlung der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München, befindet.

Jawlenskys "Spanische Tänzerin" ist somit ein kraftvoller avantgardistischer Doppelschlag: Ein herausragendes Porträt und eine faszinierende Landschaft aus der besten Schaffenszeit zeugen von Jawlenskys Meisterschaft, seinem unnachahmlichen Gespür für den freien Umgang mit Formen und Farbe und seine mutige Überzeugung, diese damals aufgrund ihrer Farbwucht als geradezu empörend progressiv angefeindete Malweise mutig voranzutreiben.
Im Dezember 1909 findet schließlich die berühmte erste Ausstellung der Neuen Künstlervereinigung München in der Galerie Thannhauser statt, die aufgrund der vom Naturvorbild auf unerhörte Weise abweichenden Farbgewaltigkeit der ausgestellten Werke von Jawlensky, Kandinsky, Werefkin und Münter von der Presse in negativen Kritiken geradezu verrissen wird. Fritz von Ostini etwa schreibt in den "Münchener Neuesten Nachrichten" vom 9. Dezember 1909: "[...] Wie das Gründungszirkular der "Neuen Künstlervereinigung" erklärt, offenbart sich in den koloristischen Orgien, in dieser Loslösung von der Natur, der Wahrhaftigkeit und allem soliden Können "das Streben nach künstlerischer Synthese". Heiliger Bimbam [...]" (zit. nach: Annegret Hoberg, Helmut Friedel, Der Blaue Reiter und das Neue Bild, München/London/New York 1999, S. 33).
Die Presse kämpfte mit aller Wut gegen diese neue, im wahrsten Sinne wildgewordene Malerei an, das Publikum schimpfte, drohte und spuckte auf die Bilder. Für den damaligen Geschmack und das ästhetische Empfinden der Zeitgenossen war die Kunst Jawlenskys und seiner künstlerischen Weggefährten im Jahr 1909 also bei Weitem zu viel, heute hingegen gelten die von allen Konventionen losgelösten, progressiven künstlerischen Wege, die damals mutig und unbeirrt gegen alle äußeren Widerstände beschritten wurden, als eines der bedeutendsten Kapitel, das die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts zu bieten hat.
Jawlenskys Gemälde "Spanische Tänzerin" mit der rückseitigen "Murnauer Landschaft" ist nicht nur einer dieser faszinierenden Höhepunkte der europäischen Moderne, sondern darüber hinaus ein herausragendes Beispiel für das komplexe emotionale Ausdrucksvermögen der Malerei. In der "Spanischen Tänzerin" zeigt sich in besonderer Weise Jawlenskys unablässiges Streben nach künstlerischer Synthese, einer perfekten Verschmelzung von optischen und emotionalen Sinneseindrücken zu einer überwältigenden Ausdrucksmalerei.
Gemälde vergleichbarer Qualität befinden sich heute fast ausschließlich in Museumsbesitz und werden nur noch äußerst selten auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten. Für fast ein Jahrhundert war die "Spanische Tänzerin" Teil einer bedeutenden rheinländischen Privatsammlung und wird nun erstmals auf dem Auktionsmarkt angeboten. [JS/MvL]




Die Sammlung Josef Gottschalk

Bei dem Industriellen Josef Gottschalk stellt sich die Frage, ob nicht die kunsthistorische Forschung einen gewichtigen Sammler von internationalem Format übersehen hat.
Wer war dieser Josef Gottschalk? 1876 in Düsseldorf geboren und in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, arbeitete sich Gottschalk, eine seltene Aufstiegskarriere im Kaiserreich und der Weimarer Republik, zügig vom Fabrikarbeiter zum Inhaber einer 1911 gegründeten Stahlgroßhandlung empor. Der Stahlbedarf der Rüstungsindustrie während des Ersten Weltkriegs trug maßgeblich dazu bei, dass Gottschalk in wenigen Jahren großes Vermögen erwirtschaften konnte.
Dies war der Ausgangspunkt für seine bemerkenswerte Kunstsammlung. Eng vernetzt mit den Größen der rheinischen Avantgarde wie Alfred Flechtheim, Johanna Ey, Karl Nierendorf, auch mit Künstlern wie Otto Dix und Walter Ophey, stand der Sammler dabei auch selbst im Zentrum der modernen Kunstszene.

Höhepunkte der Sammlung
Die Sammlung Gottschalk, entstanden zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und den späten 1920er Jahren, war ganz der Avantgarde verpflichtet: Rund 60 Werke von Künstlern wie Kandinsky, Macke, Munch, Jawlensky, Pechstein und Chagall waren Teil der Sammlung, oft in großen Formaten. Unbestreitbar zählt Jawlenskys "Spanische Tänzerin" zu den kraftvollsten Gemälden dieser Sammlung. Rund ein Jahrhundert blieb das Werk in Familienbesitz.
Auch das Gartenrestaurant von August Macke (Abb.) war Teil der Sammlung Gottschalk. Dieser erwarb es von Herwarth Walden, ehe er es 1927 an das Städtische Museum in Aachen verkaufte. Dort wurde es 1937 als "entartet" beschlagnahmt und befindet sich heute im Kunstmuseum Bern. Ebenso gehörte das 1904 entstandene Gemälde Junge Frau unter dem Apfelbaum von Edvard Munch (Abb.) zur Sammlung, heute im Carnegie Museum of Arts in Pittsburgh.


August Macke, Gartenrestaurant, 1912, Öl auf Leinwand,
Kunstmuseum Bern.


Wassily Kandinsky, Araber II, 1911, Öl auf Leinwand,
Sammlung Mr. und Mrs. J. Seward Johnson, Princeton, New Jersey


Edvard Munch, Mädchen unter einem Apfelbaum, 1904,
Öl auf Leinwand, Carnegie, Museum of Art, Pittsburgh, Pennsylvania.

Wendepunkte
Die NS-Diktatur stellte einen schwierigen Wendepunkt dar. Die Sammlung geriet schnell in den Ruf der "Entartung", und der auch unter jüdischen Familien häufige Nachname erhöhte zusätzlich den Druck auf die Familie. 1941 verstarb Josef Gottschalk, das Firmengelände wurde wenig später durch Bomben zerstört.
Die große Kunstsammlung aber, darunter auch Jawlenskys "Spanische Tänzerin", konnte über die NS-Zeit gerettet werden. 1946 traten darum die Kunstsammlungen Düsseldorf an die Witwe Emma Gottschalk heran. Nach Besichtigung des beeindruckenden Bestandes bat der Direktor, die Sammlung öffentlich zugänglich zu machen. Eine Genehmigung durch die Militärregierung wurde erwirkt, um in einem Teil ihres Hauses ein "Museum" einzurichten. In diesem Zuge beurteilte der Direktor die Sammlung Gottschalk als "besonders bedeutsam",

"da Sie Hauptwerke von Künstlern enthält, die seinerzeit während des verflossenen Regimes aus dem öffentlichen Besitz beschlagnahmt wurden. Die Kunstsammlungen der Stadt Düsseldorf bestätigen hiermit den einzigartigen künstlerischen Wert der Bestände und legen größten Wert darauf, dass die Sammlung in dem ihr eingeräumten Raum wie bisher der Öffentlichkeit zugänglich bleibt."
(StD 0-1-4-3907).




Aufgeld und Steuern zu Alexej von Jawlensky "Spanische Tänzerin"
Dieses Objekt wird differenzbesteuert, zuzüglich einer Einfuhrumsatzabgabe in Höhe von 7 % (Ersparnis von etwa 5 % im Vergleich zur Regelbesteuerung) oder regelbesteuert angeboten.

Berechnung bei Differenzbesteuerung:
Zuschlagspreis bis 800.000 Euro: hieraus Aufgeld 32 %.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 800.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 27 % berechnet und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 800.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 4.000.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 22 % erhoben und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 4.000.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Das Aufgeld enthält die Umsatzsteuer, diese wird jedoch nicht ausgewiesen.

Berechnung bei Regelbesteuerung:
Zuschlagspreis bis 800.000 Euro: hieraus Aufgeld 27 %.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 800.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 21 % erhoben und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 800.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 4.000.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 15 % erhoben und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 4.000.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Auf die Summe von Zuschlag und Aufgeld wird die gesetzliche Umsatzsteuer, derzeit 19 %, erhoben. Als Ausnahme hiervon wird bei gedruckten Büchern der ermäßigte Umsatzsteuersatz von derzeit 7 % hinzugerechnet.

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