Lexikon
Die Höri-Maler

Im Bodensee und in unmittelbarer Nähe zur Schweiz liegt die Halbinsel Höri, auf der sich zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur zahlreiche bedeutende Künstlerpersönlichkeiten versammelten. Höri war in den 1930er und frühen 1940er Jahren zu einem Hort der emigrierten Moderne geworden, doch auch schon vor dem Krieg war die reizende, bäuerliche Halbinsel ein beliebter Rückzugsort für Künstler gewesen: Hermann Hesse hatte vor dem Ersten Weltkrieg acht Jahre auf Höri gelebt und viele befreundete Dichter angezogen, darunter etwa Ludwig Finckh. Auch die Maler Max Bucherer, Otto Blümel und Ludwig Renner entdeckten in dieser ersten, doch nur wenig erforschten Phase die liebliche Landschaft auf Höri.
Die Zwischenkriegszeit läutete die zweite Generation der Höri-Maler ein, deren bekanntester Eugen Segewitz (1886-1952) war. Daneben sind Walter Waentig (1881-1962), Willi Münch-Khe (1885-1960), Hugo Boeschenstein (1900-83) oder Wilhelm Müllerzell (1894-1985) zu nennen. Bis auf Walter Waentig waren die Höri-Maler der Zwischenkriegszeit sämtlich Badener, die voneinander unabhängig wegen Landschaft und Menschen auf Höri kamen und diese Elemente in ihre Werke trugen.
Von gänzlich anderem Gepräge ist die dritte und bedeutendste Phase der Höri-Maler, die mit der Machtergreifung Hitlers beginnt: Während des NS-Regimes wurden rheinische, vorrangig Düsseldorfer Künstler aus dem Kreis um die bedeutende Kunsthändlerin Johanna Ey (Mutter Ey) auf der Höri gleichsam evakuiert.
Walter Kaesbach (1879-1961), Kunsthistoriker, in die Kreise der Düsseldorfer Moderne fest integriert und bis 1933 Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie, war die entscheidende Figur in diesem Vorgang. Walter Kaesbach wurde 1933 von Helmuth Macke, dem Vetter des berühmten August, der dort bereits ein Haus bezogen hatte, von der Übersiedelung an den Bodensee überzeugt. Bald kamen zahlreiche Künstler aus dessen Bekanntenkreis: Oskar Moll (1875-1947) besuchte Kaesbach über die Sommermonate 1934 und 1935 mit seinen Schülern und Freunden, darunter Rudolf Stuckert. Auch Heinrich Nauen, Werner Gilles und Christian Rohlfs zählen zu den Besuchern auf der Höri.
Seinen Wohnsitz verlegte als erster Otto Dix (1891-1969) nach seiner Entlassung in Dresden 1933 an den Bodensee. Dort konnte er bei seinem Schwager, dem Düsseldorfer Sammler Hans Koch, unterkommen, bis ihm Walter Kaesbach ein Grundstück vermittelt hatte. Auch der Nauen-Schüler Curth Georg Becker (1904-72) und Ferdinand Macketanz (1902-70) zogen bald an den Bodensee, ebenso Erich Heckel (1883-1970), der 1944 mit Hans Kindermann eine Notunterkunft bewohnte. Nach dem Krieg stießen Jean Paul Schmitz (1949) und Rosemarie Schnorrenberg (1954), eine Schülerin von Ferdinand Macketanz, zu ihren Düsseldorfer Künstlerkollegen. Unabhängig von Walter Kaesbach und dem Düsseldorfer Kreis zogen Max Ackermann und Walter Herzger an den Bodensee.
Von einer "Künstlerkolonie" ist in der dritten Phase der Höri-Maler schwerlich zu sprechen, und die Maler selbst, Individualisten der Moderne, wandten sich entschieden gegen diese in den 1930er Jahren schon reichlich altertümlich klingende Etikettierung. Mit den 1950er Jahren, als die einst zur Flucht Gezwungenen wieder auf wichtige Posten berufen wurden, löste sich die Zusammenkunft auf Höri sukzessive auf.