Auktion: 530 / Evening Sale / Sammlung Hermann Gerlinger am 10.06.2022 in München Lot 83


83
A. R. Penck (d.i. Ralf Winkler)
Roter Planet, 1999.
Acryl auf Leinwand
Schätzung:
€ 100.000
Ergebnis:
€ 375.000

(inklusive Aufgeld)
Roter Planet. 1999.
Acryl auf Leinwand.
Links unten signiert. Verso auf dem Keilrahmen signiert, betitelt und bezeichnet "B 99". 150 x 150 cm (59 x 59 in). [EH].

• So farbintensive und großformatige Werke der späten 1990er und 2000er Jahre tauchen auf dem internationalen Auktionsmarkt selten auf.
• Die Logik und die Systematik in A. R. Pencks Zeichensprache sind solitär in der deutschen Nachkriegskunst.
• Seine zu Beginn der 1960er Jahre entwickelte Bildsprache ist wegweisend für Künstler wie Keith Haring, der sich mit der Kunst des deutschen Kollegen, die früh in den 1980er Jahren in New York ausgestellt wird, auseindersetzt
.

PROVENIENZ:
Galerie Forsblom, Helsinki.
Privatsammlung Schweiz (vom Vorgenannten erworben).

"Auch halte ich es für völlig überflüssig, meinen Bildern noch irgendwelche Erklärungen beizugeben."
A. R. Penck, in: Kunstforum, Bd.12, Ich über mich selbst.

1961 besucht Ralf Winkler – so der Geburtsname von A. R. Penck – seinen Malerfreund Georg Baselitz in dessen Berliner Atelier. Der Besucher ist beeindruckt von der "provokanten Gegenständlichkeit der dort versammelten Bilder". Nach diesem Atelierbesuch ändert Ralf Winkler seine eigene Bildsprache und beginnt "Welt- und Systembilder zu konzipieren, deren Zeichen zu Trägern von komplexen Informationen und Gedankensignalen werden". Er entwickelt "eine bildnerische Sprachform, die sich als Bildforschung versteht" und "orientiert ihre Struktur an den Inhalten, die sie transportiert. Ohne Bindung an konkrete Ereignisse geht es um Problemsituationen und Entscheidungskonflikte in der gesellschaftlichen Realität des einzelnen Menschen" (zit. nach: Karin Thomas, in: E. Gillen (Hrsg.), Deutschlandbilder, Berlin 1997, S. 550). Vereinfachend werden sie bisweilen als "Höhlenmalerei" tituliert, was den komplexen Zeichensystemen, die sich aus den verschiedensten Kulturen bedienen, in keiner Weise gerecht wird. A. R. Penck, wie er sich ab 1966 nach dem bedeutenden Glaziologen Albrecht Penck nennt, setzt sich intensiv mit verschiedenen wissenschaftlichen Theorien auseinandersetzt, er schreibt Lyrik und ist im Free-Jazz zuhause.

Der Mars wird auch der rote Planet genannt und seit jeher übt er auf die Menscheit eine große Faszination aus. Mit ca. 228 Millionen Kilometer Entfernung ist er der Erde sehr nah, es gibt Polkappen, Eis, Jahreszeiten, Vulkane und vieles mehr, das immer wieder Überlegungen anregt, ob Leben an diesem Ort möglich sein könnte. Die Marsmenschen werden bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Geschichten und Sagen zu dem Bild für außerirdisches Leben schlechthin. Penck interessieren diese Geschichten sehr. Er liebt Science-Fiction und beginnt früh Perry-Rhodan- Hefte mit großer Begeisterung zu lesen. Die seichte Unterhaltung steht dabei nicht im Vordergrund, sondern vielmehr der Entwurf alternativer Systeme. Sind Welten denkbar, die ein grundsätzlich anderes Zusammenleben ermöglichen? Ein weiterer literarischer Bezugspunkt wird mit einiger Wahrscheinlichkeit Penck bekannt gewesen sein: „Der rote Planet“ oder „Der rote Stern“ ist der deutsche Titel eines 1907 von Alexander Bogdanow verfassten utopischen Romans, der eine sozialistische Gesellschaftsordnung auf dem Mars beschreibt. „Roter Planet“ von Penck ist genau vor diesen Hintergründen auch zu lesen. Zu sehen ist der Adler, ein häufig vom Künstler verwendetes Bild für Westdeutschland. Am unteren Bildrand zwei kämpfende Skorpione, die wie konkurrierende Systeme alles daran setzen, den Gegner mitsamt all seinen Werten und Vorstellungen zu überwinden. Im Bildzenrum eine rote Figur, die mit großem Schritt vorangeht und mit dem rechten Zeigefinger auf eine rote Form verweist. Bezwungen am Boden, so scheint es, liegt eine weitere Figur. Ist nicht ihre rechte Hand sogar in einem roten Winkel gefesselt? Penck hat immer die Vorstellung eines zu erstrebenden Gleichgewichts im Kopf. Das eine darf niemals vom anderen unterworfen werden. Dies gilt für zwischenmenschliche Problemsituationen genauso wie für die Konflikte der konkurrierenden Systeme. Pencks Bildsprache folgt einer Logik. Seine Bilder lassen sich lesen, doch niemals nur auf die eine oder andere Weise. Der Künstler will seine Bilder nicht entschlüsseln, da er sie so ihres Zaubers berauben würde.

„Eddy Devolder: Aber diese Zeichen haben einen Sinn, verweisen auf einen Code, eine Sprache [..] A.R. Penck: Natürlich, und bei mir war es so, dass ich die Spuren verwischen wollte. Es war eher eine Geheimsprache. Ich befand mich in einer so unbehaglichen Situation, dass ich einen Geheimcode brauchte, mit dem ich mit einigen Freunden kommunizieren konnte. Der stalinistische Zensor wurde daraus nicht klug, betrachtete das alles als Unsinn, dabei hatte es einen Sinn, den aber nur ganz wenige Leute kannten.“ (A.R. Penck im Gespräch mit Eddy Devolder 1990, zit. nach: Ausst. Kat., A. R. Penck. How it works“, Kunstmuseum Den Haag, 15.2.-10.05.2020)



83
A. R. Penck (d.i. Ralf Winkler)
Roter Planet, 1999.
Acryl auf Leinwand
Schätzung:
€ 100.000
Ergebnis:
€ 375.000

(inklusive Aufgeld)