Auktion: 525 / Evening Sale am 10.12.2021 in München Lot 215


215
Erich Heckel
Erzgebirgslandschaft im Winter, 1914.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 300.000
Ergebnis:
€ 375.000

(inklusive Aufgeld)
Erzgebirgslandschaft im Winter. 1914.
Öl auf Leinwand.
Hüneke 1914-35. Links unten monogrammiert und datiert. Verso schwach leserlich bezeichnet, wohl betitelt "Erzgebirgslandschaft" und datiert. 70 x 80 cm (27,5 x 31,4 in).

• Kapitales Gemälde eines der großen Expressionisten aus den frühen 1910er Jahren.
• Aus der Sammlung des Berliner Chemikers Otto Liebknecht und seit über 100 Jahren in Familienbesitz.
• Im energischen Strich und der leuchtenden Farbigkeit zeigt sich die Essenz des "Brücke"-Stils.
• Außergewöhnliche, auf leuchtende Blautöne fokussierte Farbigkeit, die auch Heckels berühmte Gemälde "Gläserner Tag" (1913) und "Kanal im Winter" (1913) auszeichnet.
• Eine von nur zwei Winterlandschaften, die von Heckels Erzgebirgsaufenthalt unmittelbar vor seinem Einsatz als Kriegssanitäter überliefert sind
.

PROVENIENZ: Dr. Otto Liebknecht, Berlin/Potsdam (wohl um 1920 direkt vom Künstler erworben).
Seither in Familienbesitz.

Wassily Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst (Erstausgabe 1911/12), Bern 2009, S. 97.




Heckels emotional aufgeladene, expressionistische Landschaftsmalerei

1905 gehört Erich Heckel gemeinsam mit Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff zu den Gründungsmitgliedern der Dresdner Künstlergruppe "Brücke" (1905–1913), die zusammen mit dem süddeutschen "Blauen Reiter" (1911–1914) als Keimzelle des Expressionismus gilt. Kurz nach Gründung des "Blauen Reiters" beschreibt Franz Marc im Januar 1912 in einem Brief an Wassily Kandinsky besonders treffend den einzigartigen Charakter von Heckels Malerei: " [..] er arbeitet auch ziemlich ungleich, [..] schwer verständlich, mit Linien, die trauernd wie schwere Zweige und müde Lasten im Bilde hängen. Der Sinn seiner Bilder scheint mir irgendwo ganz weit hinten im Bild zu liegen [..]" (zit. nach: Hüneke, Erich Heckel, München 2017, Bd. 1, S. 275). Marcs Worte gehen zwar zeitlich unserer in kühlen Blau- und Weißtönen erstrahlenden, winterlichen "Erzgebirgslandschaft" voraus und wirken doch wie eine sehr treffende Beschreibung der uns dargebotenen Landschaftsszenerie. Aufgrund ihres energisch-nervösen Strichs und ihrer außergewöhnlich luziden Farbigkeit gleicht diese darüber hinaus einer malerischen Essenz des vor allem im Zuge der zahlreichen Ostsee-Aufenthalte entwickelten, energisch-luftigen "Brücke"-Stils.

Die "Erzgebirgslandschaft im Winter" als künstlerische Zukunftsvision

Still, menschenleer und schneebedeckt präsentiert sich die winterliche Erzgebirgslandschaft mit den beiden verlassen wirkenden Häusern und dem Ausblick über den dunklen Wald auf den in leuchtendem Weiß erstrahlenden, schneebedeckten Berg. Und so scheint auch in diesem eindrucksvollen Gemälde, das wenige Monate nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges entstanden ist, der "Sinn [..] irgendwo ganz weit hinten im Bild zu liegen". Ein Heer aus blau-schwarzen Tannen mit trauernd nach unten geneigten Zweigen wird entlang des in die Tiefe geführten Weges in zwei Fronten geteilt, gibt schließlich den hoffnungsfroh stimmenden Ausblick auf einen hell erleuchteten, schneebedeckten Bergrücken frei. Dieser kann in diesem Kontext als Vision eines siegreichen Endes gedeutet werden. Heckel inszeniert eine visionäre Landschaftskomposition, deren besondere Stärke in dem kraftvollen Hell-Dunkel-Kontrast der reduzierten, auf unterschiedliche Blautonalitäten fokussierten Farbpalette liegt.

Die Vorkriegszeit – Austausch mit Franz Marc und beginnende Kriegseuphorie


Heckel meldet sich wie auch sein Freund Franz Marc in anfänglicher Kriegsbegeisterung kurz nach Kriegsausbruch im Sommer 1914 als Freiwilliger. Da er jedoch als untauglich eingestuft wird, absolviert er im Herbst 1914 eine Ausbildung zum Kriegssanitäter beim Roten Kreuz in Berlin. Vor Dienstantritt im Januar 1915 verbringt Heckel den Jahreswechsel 1914/15 im Erzgebirge. Unsere wunderbare Winterlandschaft zählt zu den ausgesprochen seltenen künstlerischen Zeugnissen Heckels aus dieser, seinem Kriegseinsatz unmittelbar vorausgehenden Schaffensphase. Aus dieser ist laut Hüneke nur ein weiteres Landschaftsgemälde überliefert, das sich heute im Virginia Museum of Fine Arts in Richmond befindet ("Erzgebirge im Schnee", Hüneke 1915-1). Heckel stand dem Krieg anfänglich noch positiv gegenüber, wie es auch in einem seiner Briefe an Gustav Schiefler vom März 1918 anklingt, wenn er schreibt: "Es war schon vor dem Krieg für viele das Sparkassenbuch ein Halbgott. Ich hoffte einmal der Krieg werde manche davon bekehren, aber jetzt wird es schlimmer denn je mit dem goldenen Kalb." (zit. nach Hüneke, Bd. II, S. 461). Heckel lebt vor dem Krieg in seinem Berliner Dachatelier, das er im Dezember 1911 gemeinsam mit Sidi bezogen hat, in äußerst ärmlichen Verhältnissen. Diese Wohnsituation ist auch in einer Beschreibung seines expressionistischen Künstlerfreundes Franz Marc überliefert, der Heckel in Berlin im Januar 1912 und vermutlich auch im September 1913 besucht.

Heckels "Erzgebirgslandschaft im Winter" – Zwischen "Brücke" und "Blauem Reiter"


Im Vorkriegsjahr 1913, in dem sich die Künstlergemeinschaft "Brücke" aufgrund von Spannungen zwischen Heckel und Kirchner und dessen propagiertem Führungsanspruch auflösen sollte, lässt sich zwischen Heckel und Marc, und damit zwischen "Brücke" und "Blauem Reiter", ein enger Austausch belegen. Es muss als wahrscheinlich gelten, dass Heckel auch über Marc mit der von Kandinsky ausgehenden emotionalisierenden Farbtheorien des "Blauen Reiters" vertraut war. In Kandinskys 1911/12 erschienener Schrift "Über das Geistige in der Kunst" ist über die Wirkung des Blau, das auch in Heckels "Erzgebirgslandschaft im Winter" die tragende Farbe ist, unter anderem zu lesen: "Blau ist die typisch himmlische Farbe. Sehr tiefgehend entwickelt das Blau das Element der Ruhe. Zum Schwarzen sinkend, bekommt es den Beiklang einer nicht menschlichen Trauer. [..] Ins Helle übergehend [..] wird es von gleichgültigerem Charakter und stellt sich zum Menschen weit und indifferent, wie der hohe hellblaue Himmel." (S. 97). Die leuchtend blau-opake Farbpalette zeichnet neben unserer "Erzgebirgslandschaft im Winter" auch Heckels berühmte Gemälde "Gläserner Tag" (1913, Pinakothek der Moderne, München) und "Kanal im Winter" (1913, Nationalgalerie Berlin) aus. Ganz ähnlich wie bei der ein Jahr zuvor entstandenen Berliner Landschaft ist es auch hier zum einen das expressive schwarze Liniengefüge und zum anderen das strahlende Weiß des Schnees, das den Blick des Betrachters in die Tiefe lenkt.

Das Kriegsende 1918 – Heckels "Frühlingslandschaft" als künstlerische Friedensvision

Anders als Marc, der 1916 bei Verdun fällt, überlebt Heckel die Schrecken des Ersten Weltkrieges und kehrt im November 1918 nach Berlin zurück. Noch im selben Jahr kauft Ludwig Justi für die Neue Abteilung der Nationalgalerie Berlin, die erste und bedeutendste Museumssammlung des Expressionismus, zwei Gemälde Heckels, darunter die "Frühlingslandschaft" von 1918 (Nationalgalerie Berlin), die noch in den letzten Kriegsmonaten in Ostende entstanden ist und ebenfalls als landschaftliche Zukunftsvision gilt. Das Frühlingsbild mit der aus den Wolken hervorbrechenden Sonne ist Ausdruck von Heckels Friedenssehnsucht nach den langen Kriegsjahren und kann damit als eine Art Pendant zu unserer visionären winterlichen Vorkriegslandschaft gelesen werden. Justi, dessen Engagement für den deutschen Expressionismus bis heute legendär ist, interpretierte die von ihm erworbene "Frühlingslandschaft" als prominentes Beispiel für das "eigene Bildgesetz", welches nur die hervorragendsten Künstler der Zeit umsetzen konnten.

Die Sammlung Otto Liebknecht – Begeisterung für den Expressionismus und das tiefe Blau

Während das zweite im Zuge von Heckels Erzgebirgsaufenhalt 1914/15 entstandene Ölgemälde "Erzgebirge im Schnee" zunächst Teil der bedeutenden Expressionisten-Sammlung von Ludwig und Rosy Fischer wurde, die sich heute zum Großteil im Virginia Museum of Fine Arts, Richmond, befindet, veräußert Heckel unsere, aus einer lebendigen Modulation aus Blautönen entwickelte Landschaft in den Nachkriegsjahren in die Berliner Kunstsammlung Otto Liebknechts (1876-1949). Liebknecht war ein erfolgreicher Chemiker, der bis 1925 für die Degussa arbeitete und über 50 Patente auf chemische Verfahren hielt, u. a. zur Herstellung eines selbsttätigen Bleichmittels, weshalb er bis heute als der Persil-Erfinder gilt. Zudem entwickelt er ein Verfahren zur Darstellung und Reinigung von Indigo, einem blau-kristallinen organischen Pigment von hoher Farbintensität. Aus diesem Kontext heraus verwundert es also nicht, dass sich gerade Otto Liebknecht für diese stimmungsvolle Landschaftsvision begeistert hat, die ihre entrückte Stimmung aus ihrer tiefblau-opaken Farbpalette gewinnt. Trotz der Ehe mit einer jüdischen Frau und seiner sozialistischen Herkunftsfamilie blieb Otto Liebknecht aufgrund seiner offenbar unverzichtbaren Leistungen als Chemiker von größeren Repressalien durch die Nationalsozialisten verschont. Ihr Haus am Griebnitzsee musste die Familie erst nach dem Zweiten Weltkrieg unter sowjetischer Besatzung verlassen. Das Heckel-Gemälde konnte Liebknecht trotz der Beschlagnahmung seiner Villa durch die Sowjets als Teil seiner Kunstsammlung behalten, er selbst erlag jedoch kurze Zeit später einem Krebsleiden. Unsere wunderbare "Erzgebirgslandschaft im Winter" verblieb auch fortan in Familienbesitz und wird nun, nach mehr als einhundert Jahren, erstmals auf dem internationalen Auktionsmarkt angeboten. [JS]



215
Erich Heckel
Erzgebirgslandschaft im Winter, 1914.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 300.000
Ergebnis:
€ 375.000

(inklusive Aufgeld)