nach 1945 / Contemporary Art

Auktion: 496 / Evening Sale am 06.12.2019 in München Lot 138


138
Gerhard Richter
Abstraktes Bild, 1986.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 600.000
Ergebnis:
€ 1.009.000

(inkl. Käuferaufgeld)
Abstraktes Bild. 1986.
Öl auf Leinwand.
Elger 605-2. Verso auf der Leinwand signiert, datiert und mit der Werknummer bezeichnet. 62 x 72 cm (24,4 x 28,3 in). [CH].

• Richter im Spannungsfeld zwischen Informel und abstraktem Expressionismus.
• Trägt in der gestischen Bewegung die persönliche Handschrift des Künstlers.
• 2018 Teil der gefeierten Ausstellung "Gerhard Richter. Abstraktion" im Museum Barberini in Potsdam
.

Wir danken Herrn Dr. Dietmar Elger für die freundliche wissenschaftliche Beratung.

PROVENIENZ: Galerie Liliane & Michel Durand-Dessert, Paris.
Sammlung Naila Kunigk/Galerie Tanit, Köln.
Privatsammlung Paris (in den späten 1980er Jahren vom Vorgenannten erworben).
Galerie Thomas, München.
Privatsammlung Schweiz.
Privatsammlung Berlin.

AUSSTELLUNG: Tony Cragg, Gerhard Richter, Andjé, Rudolf Budja Galerie, Salzburg, 19.3.-19.5.2016 (ohne Kat.).
Gerhard Richter. Abstraktion, Museum Barberini, Potsdam, 30.6.-21.10.2018, Kat.-Nr. 40 (mit Farbabb.).

"Paradox ist, dass ich stets mit der Absicht beginne, ein geschlossenes Bild zu erhalten, mit einem richtigen, komponierten Motiv, und dass ich mit relativ viel Aufwand diese Absicht Stück für Stück zerstöre, fast gegen meinen Willen, bis das Bild fertig ist, es also nichts mehr davon hat, außer Offenheit.“
D. Elger und U. Olbrist (Hrsg.), Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007, Köln 2007, S. 185.

Bereits Richters Œuvre der 1960er Jahre enthält einige wenige abstrakte Arbeiten, doch insbesondere die 1970er und 1980er Jahre sind geprägt von Richters "romantischem Willen zur Abstraktion", der seinem Schaffen stets kraftvollen Antrieb verleiht (Jürgen Harten, Gerhard Richter, Köln 1986, S. 9). Als Künstler erfindet er sich im Laufe seines Lebens immer wieder neu, seine Werke beeindrucken gerade durch diese ihm ganz eigene Vielseitigkeit und Komplexität. In ihnen erforscht er die Möglichkeiten der abstrakten Malerei in all ihren Facetten. Während in den ersten abstrakten Gemälden noch ein im weitesten Sinne figurativer Kern zu entdecken ist, überschreiten die Werkphasen der Farbtafeln und Vermalungen, der grauen Bilder und der Scheiben dann häufig die Grenze zur völligen Gegenstandslosigkeit.
Die Farbe wird zum zentralen, elementaren Thema vieler seiner Arbeiten erhoben. Zu Beginn der 1980er Jahre verbindet Richter seine nebulös-vermalten und verrakelten Hintergründe dann auch mit kraftvoll und expressiv aufgetragenen pastosen Strukturen. Dabei verwendet er unterschiedlichste Werkzeuge, arbeitet sowohl mit breiten Pinseln als auch mit Rakeln, Spachteln und Farbrollen. In zahlreichen Schichten bringt der Künstler die satten Farben auf die Leinwand, sodass ein erstes Bild entsteht. Dieses verändert, zerstört und ergänzt Richter in einem langwierigen, sich teilweise über mehrere Wochen hinauszögernden handwerklichen Prozess, während dem sich der Künstler mehrfach an dem Bild sattsieht, den Gefallen daran verliert, alles hinterfragt, das Bild dann weiterentwickelt und eben so oft verändert, bis er das Resultat als tatsächlich fertiges, ihn überzeugendes Werk anerkennen kann. Er erklärt: "Paradox ist, dass ich stets mit der Absicht beginne, ein geschlossenes Bild zu erhalten, mit einem richtigen, komponierten Motiv, und dass ich mit relativ viel Aufwand diese Absicht Stück für Stück zerstöre, fast gegen meinen Willen, bis das Bild fertig ist, es also nichts mehr davon hat, außer Offenheit" (D. Elger u. U. Olbrist (Hrsg.), Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007, Köln 2007, S. 185).
Bei diesem besonderen Findungs- und Schaffensprozess spielt also auch der Zufall eine große Rolle. Richter nimmt den Zufall an, verwendet ihn als Methode, um das erwünschte künstlerische Ziel zu erreichen. Damit handelt es sich also nicht um völlige Willkür, sondern um ein gewissermaßen erwünschtes, geplantes Einbeziehen eines Überraschungsmoments. Richter gesteht: "Oft bin ich verblüfft, wie viel besser der Zufall ist als ich" (Ausst.-Kat. Gerhard Richter, K20 Kunstsammlung NRW, Düsseldorf 2005, S. 81).
Die Arbeiten erfreuen den Betrachter mit variierenden Oberflächenstrukturen sowie mit hier und da hervorblitzenden Farbpartien der eigentlich bereits überdeckten Flächen aus vergangenen Arbeitsprozessen. Richters Abfolge von konstruktiven und destruktiven Elementen - dem Auflegen sowie Abtragen, Verrakeln und Verwischen der Farbe - lässt also letztlich ein sehr ambivalentes Bildgefüge entstehen, das sowohl einem bestimmten geplanten Konzept unterliegt, dem aber auch ein spontaner und sehr sinnlicher Charakter innewohnt. Zwar benutzt er auch hier Hilfsmittel und Werkzeuge wie Rakel und Spachtel, doch das besondere Moment des Bildes liegt in der ganz in den Vordergrund gerückten, unmittelbaren Malerei der kräftigen weißen Pinselhiebe und der schwungvoll-expressiven, die gesamte Darstellung überziehenden gestischen Linien und Vermalungen. Der Gleichmäßigkeit vieler gerakelter Arbeiten dieser Zeit weiß das hier angebotene Werk eine ganz persönliche, emotionsgeladene Handschrift entgegenzusetzen. Hier verfolgt Richter eine viel unmittelbarere Art der Malerei. Er trifft ganz bewusste ästhetische Entscheidungen und überlasst das Resultat des fertigen Bildes nicht so sehr dem bereits erwähnten Zufallsmoment oder der recht uniformen, homogenen Rakeltechnik, sondern führt den Pinsel schlussendlich ganz direkt und bewusst über die vorbereitete Leinwand.
Die nur unwesentlich frühere Arbeit "Untitled" (1985, Öl auf Papier), die sich heute in der Londoner Tate Gallery befindet, ähnelt unserem Werk in dieser Hinsicht. Auch hier ziehen sich - wenngleich unauffälliger - gestische, breite Pinselstriche über den verrakelten Untergrund, denen jedoch die emotionale Kraft und Dynamik unseres "Abstrakten Bildes" fehlt.
Das bisher teuerste Gemälde von Gerhard Richter ist das 2015 bei Sotheby's in London für knapp 41 Millionen Euro versteigerte "Abstrakte Bild" von 1986, aus dem selben Entstehungsjahr wie die hier angebotene Arbeit. Bedenkt man außerdem, dass die letzten fünf Auktionen von Gemälden Gerhard Richters in den USA, China und dem Vereinigten Königreich stattfanden (Stand: Ende September 2019), ist es uns ein ganz besonderes Vergnügen, diese für die Werkphase der "Abstrakten Bilder" der 1980er Jahre äußerst typische Arbeit des weltweit gefeierten deutschen Künstlers in unseren kommenden Herbstauktionen anbieten zu können. [CH]



138
Gerhard Richter
Abstraktes Bild, 1986.
Öl auf Leinwand
Schätzung:
€ 600.000
Ergebnis:
€ 1.009.000

(inkl. Käuferaufgeld)