Auktion: 540 / Evening Sale am 09.06.2023 in München Lot 42

 

42
Gerhard Richter
Teyde-Landschaft, 1971.
Öl auf Leinwand
Schätzpreis: € 800.000 - 1.200.000
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Teyde-Landschaft. 1971.
Öl auf Leinwand.
Elger 284-1. Verso signiert und datiert sowie betitelt "Teyde" und mit der Werknummer bezeichnet. Auf dem Keilrahmen betitelt "Teyde-Landschaft". 60 x 80 cm (23,6 x 31,4 in). [JS].

• In den 1971 geschaffenen Teyde-Landschaften führt Richter die romantische Bildtradition und das Streben nach Entgrenzung in der Natur in die Moderne.
• Richter dokumentiert mit seiner Kamera im Jahr 1969 die karge Teyde-Landschaft um den Vulkanberg Pico del Teide auf Teneriffa.
• Seine Technik der Vermalung, Verschiebung, Verzerrung von Konturen führt zu einer faszinierenden Verfremdung des Motivs.
• Bereits 1971 auf der frühen Richter-Ausstellung im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen neben zahlreichen bedeutenden Richter-Gemälden ausgestellt.
• Von Richter für das Künstlerplakat zur Ausstellung 1971 ausgewählt, das Richter in allen Details selbst gestaltet hat.
• Landschaften sind in Richters Œuvre von zentraler Bedeutung, jedoch hinsichtlich ihrer Anzahl ein verhältnismäßig kleiner Werkkomplex
.

PROVENIENZ: Privatsammlung Deutschland (seit Anfang der 1970er Jahre-2002).
Privatsammlung Rheinland (seit 2002, vom Vorgenannten erworben und seither in Familienbesitz. Lempertz, Köln, 3.12.2002, Los 388).

AUSSTELLUNG: Gerhard Richter. Arbeiten 1962 bis 1971, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, 22.6.-22.8.1971, S. 13 (m. Abb. auf dem Ausstellungsplakat, vgl. Butin 43).

LITERATUR: Dieter Honisch / Dietrich Helms / Kaus Honnef u.a., Gerhard Richter, 36. Biennale die Venezia, Deutscher Pavillon, Essen 1972, S. 42 (m. SW-Abb. S. 71).
Jürgen Harten / Dietmar Elger, Gerhard Richter. Bilder = Paintings 1962-1985, Köln 1986, S. 378 (m. SW-Abb. S. 128).
Gerhard Richter. Werkübersicht / Catalogue raisonné 1962-1993, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1993, Bd. III, Kat.-Nr. 284-1 (m. Abb.).
Vgl. Dietmar Elger, Gerhard Richter. Maler, Köln 2008, S. 215f. u. 221f.
Vgl. Hubertus Butin / Dietmar Elger u.a., Gerhard Richter. Landschaft, Ostfildern-Ruit 2011, S. 19.

"Landschaft ist einfach schön. Sie ist wahrscheinlich das Tollste, was es überhaupt gibt."

Gerhard Richter, 1970, zit. nach: Gerhard Richter, Landschaften, Ostfildern 2011, S. 17.

"Ich sehe mich als Erben einer ungeheuren, großen, reichen Kultur der Malerei. Der Kunst überhaupt, die wir verloren haben, die uns aber verpflichtet."
Gerhard Richter 1986, zit. nach: Gerhard Richter, Bonn 1993, S. 87.

Aufrufzeit: 09.06.2023 - ca. 18.22 h +/- 20 Min.

Richters meisterliches Spiel mit der fotografischen Vorlage
Gerhard Richters spezifisch bildnerischer Diskurs, eine fotografisch vermittelte Wirklichkeit für seine Malerei einzusetzen, verführt den Betrachter. Wirkt die Fotografie oftmals banal, mitunter auch uninteressant und für uns unmotiviert, so verwandelt Richter die Vorlage in ein stimmungsgeladenes, geheimnisvolles Motiv. Er gewinnt unsere Aufmerksamkeit, indem er einen belanglosen Ausschnitt durch sein künstlerisches Eingreifen zu einem malereiwürdigen Gegenstand erhebt und die fotografische Vorlage als medialen Ausgang dennoch deutlich belässt, bisweilen auch nur erahnen lässt.

Fotos aus Büchern, aus Magazinen, Ausschnitte aus Zeitungen, persönliche Erinnerungsfotos, Familienfotos, Fotoexperimente oder Skizzen sammelt und bündelt Richter seit 1962 zu einer Enzyklopädie der Muster, aufgezogen und collagiert auf Kartons. Anhand dieses "Atlas" lassen sich Beschäftigung und Auswahlverfahren nachvollziehen, nicht zuletzt erlaubt der Blick in dieses Tafelwerk, Richters Umsetzung der Vorlage in Malerei zu überprüfen. Und man wird feststellen, dass uns die gemalten Bilder Details der Vorlage verschweigen, sie können aber gleichzeitig auch Richters radikale Eingriffe und bildimmanente Veränderung nachvollziehen lassen. Gegenständliche Fotomalereien, überwiegend in grauweißer Grisaille-Technik, nach Landschaften, Stadtbildern, Bergmassiven, Seestücken, Porträts, Figurenbildern, Stillleben sowie Bilder nach Schatten wechseln mit monochromen Farbfeldern – sie alle bilden Richters Bilderkosmos der ersten Jahre im Westen. In einem Interview äußerte sich der Künstler 1993 zur Bedeutung der Fotografie in seinen Arbeiten: "Weil ich überrascht war vom Photo", so Gerhard Richter, "das wir alle täglich so massenhaft benutzen. Ich konnte es plötzlich anders sehen, als Bild, das ohne all die konventionellen Kriterien, die ich vor dem mit Kunst verband, mir eine andere Sicht vermittelte. Es hatte keinen Stil, keine Komposition, kein Urteil, es befreite mich vom persönlichen Erleben, es hatte erstmal gar nichts, war reines Bild. Deshalb wollte ich es haben – nicht als Mittel für eine reine Malerei benutzen, sondern die Malerei als Mittel für das Photo verwenden" (zit. nach: David Britt (Hrsg.), Gerhard Richter Texte 1962-1993, Frankfurt/Leipzig 1993, S. 67).

So hat Richter auch seine Reisen etwa nach Korsika, an den Vierwaldstätter See oder in die nahe Eifel südlich von Köln dokumentiert, und ebenso mit seiner Kamera im Jahr 1969 auf Teneriffa Motive der kargen Teyde-Landschaft um den Vulkanberg Pico del Teide festgehalten und in den Jahren 1971/72 für eine Serie von Landschaftsbildern verwendet. Man schaut nicht in die Landschaft hinein, sondern mehr auf vordere Schichten der tiefenraumhaltigen, diffusen Farbigkeit. Eine scheinbar unendliche Grenzenlosigkeit des Raumes vermittelt uns der Künstler unvermittelt, und dies ohne pittoreske Gegebenheiten; allein die Grenze zu der hell leuchtenden Himmelfläche gibt uns Halt. Wir erfahren hier Richters Faszination für das reine Licht, diesen bestimmten Moment des jungen Tages, bevor die Sonne durch die Wolken bricht, diesen Moment bildnerisch festzuhalten, gepaart mit seiner Begeisterung für Himmel und Wolken. "Landschaften entstehen im Werk von Gerhard Richter inzwischen seit mehr als dreißig Jahren. Kein anderes Sujet hat ihn ähnlich fasziniert und über einen vergleichbaren Zeitraum beschäftigt. [..] Dabei ist die Gesamtzahl dieser Bilder eher gering geblieben. Ihre Bedeutung liegt in ihrem herausragenden Stellenwert, den sie im Werk des Künstlers beanspruchen können [..]." (Dietmar Elger, Gerhard Richter. Maler, Köln 2008, S. 215.)

Richter und die romantische Tradition
Richter wird zurecht eine Beziehung zur historischen Romantik unterstellt. In Dresden, der Barockstadt an der Elbe, ist Richter geboren und sozialisiert, hier beginnt er sein Studium, bevor er 1961 in den Westen übersiedelt und an der Düsseldorfer Akademie in der Klasse von K. O. Götz weiterstudiert. Dresden ist auch die Stadt der Romantiker: Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus und der junge Däne Johan Christian Clausen Dahl sind allgegenwärtig. Ihre Gemälde hängen in der Galerie der Neuen Meister, quasi neben der Dresdner Akademie, wo Richter ein Atelier zur Verfügung hatte. Spätestens seit der Jahrhundertausstellung 1906 in der Berliner Nationalgalerie mit der von Hugo von Tschudi und Julius Meier-Graefe organisierten Epochenausstellung wurde weniger die Kunst des Impressionismus gewürdigt als gezielt der Blick auf das frühe 19. Jahrhundert gelenkt, so dass Künstler wie Caspar David Friedrich, Phillip Otto Runge, Carl Blechen und die anderen Romantiker zu den 'wiederentdeckten' Malern gehörten. Die Malerei der Romantik wurde hier zu einem nationalen Ereignis erhoben in Berlin und ehedem in Dresden. Gerhard Richter in der Nachfolge einer romantischen Tradition zu sehen ist also nicht so abwegig und wird von Beginn an über ihn publiziert.

Malerische Neuinterpretation – Richter überführt die Tradition in die Moderne
So wie Richter sich mit Fotovorlagen auseinandersetzt, so setzt er sich mit Kompositionsvorlagen früherer Malergenerationen auseinander und verbindet deren malerische Errungenschaften mit der eigenen Bildästhetik: Seestücke mögen entstehen in Erinnerung an Gustave Courbets Serie "La Vague", Wolkenbilder erinnern an Carus' Wolkenstudien im kleinen Skizzenformat. Die Teyde-Landschaften assoziieren etwa Friedrichs gebaute Landschaften, und dies auch in der Übernahme eines der wichtigsten Topoi des Romantikers, dem singularisierten Individuum in der Natur. Mit Bildern wie die vorliegende "Teyde-Landschaft", aber auch den vielfältigen Wolkenstudien zur gleichen Zeit, den Kerzenbildern Anfang der 1980er Jahre, mit dem Porträt seiner Tochter Betty, um nur wenige Beispiele zu nennen, greift Richter stets nach romantischen Motiven und verankert sie mit seiner charakteristischen Malweise in der zeitgenössischen Kunst. "Gerhard Richter zeigt eindrucksvoll und nachhaltig, dass das Landschaftsbild in der Gegenwart keineswegs obsolet geworden ist, sondern immer noch eine künstlerische Relevanz und Aktualität besitzt", so Hubertus Butin, Kunsthistoriker und intimer Kenner des Werkes von Gerhard Richter (zit. nach: Gerhard Richter, Landschaften, Wien/Zürich 2020/21, S. 22).

Allerdings bedient sich Richter stets einer illusionären Darbietung, nimmt die Materialität in der Überarbeitung der Fotovorlage zurück und relativiert mit der malerischen Geste der Unschärfe deren Präsenz. Sein von ihm entwickelter Stil der Vermalung, Verschiebung, Verzerrung von Konturen hilft ihm dabei, dem Erkennen des Motivs entgegenzuwirken. Richters Landschaftsmalerei ist also auch romantisch, weil er sich mit seinen Landschaften offensichtlich formaler und motivischer Parallelen bedient, und auch, weil er das Motiv Landschaft als Quelle immer wieder in die Mitte seines Tuns stellt. Der Hauptweg liegt aber in der sentimentalen Anverwandlung der Wirklichkeit. Es sind Natur-Stücke, die Richter jetzt in Malerei inszeniert, Landschaften, Wolken, dann auch Details aus verlaufender Farbpaste, vergrößert, gezeigt als gemachte Natur. Allerdings malt Gerhard Richter mit seiner brillanten Technik auch dann keine Landschaften, sondern immer nur Fotografien von Landschaften und handhabt dabei souverän seine bildnerischen Mittel. [MvL]



 

Aufgeld, Steuern und Folgerechtsvergütung zu Gerhard Richter "Teyde-Landschaft"
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Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 800.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 27 % berechnet und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 800.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
Auf den Teil des Zuschlagspreises, der 4.000.000 Euro übersteigt, wird ein Aufgeld von 22 % erhoben und zu dem Aufgeld, das bis zu dem Teil des Zuschlagspreises bis 4.000.000 Euro anfällt, hinzuaddiert.
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Auf die Summe von Zuschlag und Aufgeld wird die gesetzliche Umsatzsteuer, derzeit 19 %, erhoben. Als Ausnahme hiervon wird bei gedruckten Büchern der ermäßigte Umsatzsteuersatz von derzeit 7 % hinzugerechnet.

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weitere 3 % Prozent für den Teil des Zuschlags von 50.000,01 bis 200.000 Euro,
weitere 1 % für den Teil des Zuschlags von 200.000,01 bis 350.000 Euro,
weitere 0,5 Prozent für den Teil des Zuschlags von 350.000,01 bis 500.000 Euro und
weitere 0,25 Prozent für den Teil Zuschlags über 500.000 Euro.
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Die Folgerechtsvergütung ist umsatzsteuerfrei.