Auktion: 540 / Evening Sale am 09.06.2023 in München Lot 26

 

26
Egon Schiele
Kopf einer jungen Frau, von unten gesehen, 1908/09.
Kohlezeichnung und roter Buntstift
Schätzung:
€ 50.000
Ergebnis:
€ 139.700

(inklusive Aufgeld)
Kopf einer jungen Frau, von unten gesehen. 1908/09.
Kohlezeichnung und roter Buntstift.
Kallir D 184. Rechts unten monogrammiert "S" und datiert "9". Auf bräunlichem Japan. 11,2 x 11,5 cm (4,4 x 4,5 in), blattgroß.

• Monumentale Ausdruckskraft im kleinen Format.
• Assoziative, pointierte Farbsetzung.
• Perspektive, Symmetrie und der Blick der Dargestellten führen zu einer außergewöhnlichen Unmittelbarkeit und Direktheit in der Bildwirkung.
• Aus der bedeutenden Sammlung Serge Sabarsky.
• Womöglich handelt es sich bei der Dargestellten um Melanie Schiele, die Schwester des Künstlers (1886–1974) und in dieser Zeit eines seiner wichtigsten Modelle
.

PROVENIENZ: Christian M. Nebehay, Wien.
Sammlung Serge Sabarsky (1912-1996), New York (1985 vom Vorgenannten erworben).
Nachlass Serge Sabarsky, New York (1996).
Sammlung Vally Sabarsky (1909-2002), New York.
Vally Sabarsky Stiftung, New York.

AUSSTELLUNG: Egon Schiele. 100 Zeichnungen und Aquarelle, Städtische Galerie, Rosenheim, 7.5.-12.6.1988; Herforder Kunstverein im Daniel-Pöppelmann-Haus, Herford, 3.9.-12.10.1988; Erholungshaus der Bayer A.G., Leverkusen, 16.10.-20.11.1988; Jahrhunderthalle Hoechst, Frankfurt a. Main, 27.11.1988-15.1.1989, Kat.-Nr. 8.
Egon Schiele. 100 Zeichnungen und Aquarelle (teilw. Gemälde, Zeichnungen und Aquarelle), BAWAG Fondation, Wien, 24.3.-23.5.1993; Musée Granet, Aix-en-Provence, 18.6.-30.8.1993; Musée Toulouse-Lautrec, Albi, 7.10.-5.12.1993; Culturgest Lissabon, 15.12.1993-13.2.1994; Galerie Jesuitenkirche, Aschaffenburg, 23.4.-26.6.1994; Schloss Mainau, 22.9.-13.11.1994; Fondation Pierre Gianadda, Martigny, 3.2.-14.5.1995, Kat.-Nr. 20.
Egon Schiele. The Ronald S. Lauder and Serge Sabarsky Collections, Neue Galerie, New York, 21.10.2005 bis 20.2.2006, Kat.-Nr. D 17 (m. Farbabb.).

LITERATUR: Jane Kallir, Egon Schiele. The Complete Works, New York 1990, Kat.-Nr. D 184, S. 368 (m. Abb.).
Jane Kallir, Egon Schiele. The Complete Works, New York 1998, Kat.-Nr. D 184, S. 368 (m. Abb.).

Bereits in jungen Jahren an der Akademie gilt Schiele als absolutes Ausnahmetalent. Auf die Frage seiner Mutter, ob ihr Sohn denn Talent habe, antwortet Schieles konservativer Lehrer Christian Griepenkerl: "Ja, viel zu viel." (zit. nach: Jane Kallir, New York 1990, S. 44) Schon 1908 kann Schiele dem Unterricht an der Akademie nichts mehr abgewinnen und nimmt nur noch selten daran Teil. Der junge Künstler ist nun bereits im Prozess der künstlerischen Selbstfindung und der Formulierung einer ganz eigenen, individuellen Bildsprache.

Weitaus größeren Einfluss auf seine "Künstlerwerdung" als die starren Lehrmethoden an der Akademie haben indes die Arbeiten seiner Zeitgenossen. Den längst etablierten Star der Wiener Avantgarde Gustav Klimt lernt Schiele bereits 1907 kennen, doch die umfassende Wiener Kunstschau im Entstehungsjahr der hier angebotenen Zeichnung ermöglicht es Schiele, erstmals eine größere Zahl an Arbeiten des älteren Meisters zu sehen und zu studieren. Sie gilt heute allgemein als bahnbrechendes kulturelles Ereignis der Wiener Moderne. Zu sehen ist dort eine Vielzahl an Arbeiten von etwa 130 Künstlern, darunter auch Josef Hoffmann, Carl Moll, Oskar Kokoschka und Max Oppenheimer, doch bei Schiele hinterlassen damals insbesondere die 16 in einem separaten Raum ausgestellten Werke von Gustav Klimt nachhaltigen und bleibenden Eindruck, darunter auch "Danaë", "Wasserschlangen 1" und "Der Kuss". Bis 1909 bleibt der Einfluss der dort gesehenen Arbeiten in Schieles Schaffen spürbar.

Auch in der hier angebotenen Zeichnung meint man zunächst den Widerhall der Klimt'schen Bildwelt zu erkennen. Die exakte Symmetrie, die Frontalperspektive und der selbstbewusste Blick der Dargestellten zeigen gewisse Ähnlichkeiten mit Klimts "Judith" (1901, Belvedere Wien) oder der Protagonistin aus "Die Medizin" der leider verbrannten Fakultätsbilder (1901–1907), jedoch zu keinem der in der Kunstschau gezeigten Arbeiten Gustav Klimts. Schiele ist hier bereits weit über eine Verehrung und Nachahmung seines Vorbilds hinausgewachsen und hat zu diesem Zeitpunkt u. a. mit kräftigen Konturierungen, dezidierten Bildideen und Kompositionen sowie gekonnten flächigen Aussparungen bereits ganz eigene Ausdrucksmittel und einen individuellen Zeichenstil entwickelt. Mit der extremen Untersicht, dem so nah an das Motiv herantretenden Bildausschnitt, der Direktheit und fast erotischen Intimität des durchdringenden Blicks der Dargestellten sowie der pointierten, im Grunde provokativen Farbsetzung ihrer roten Lippen verweist Schiele zudem bereits ein Stück weit auf seine späteren radikal neu gedachten Akte mit verzerrten Posen und verfremdeten Gliedmaßen, wie auch auf den für sein Schaffen so bedeutenden, als Ausdruck von Emotion verwendeten fragmentarischen Einsatz von Farbe. [CH]



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Egon Schiele
Kopf einer jungen Frau, von unten gesehen, 1908/09.
Kohlezeichnung und roter Buntstift
Schätzung:
€ 50.000
Ergebnis:
€ 139.700

(inklusive Aufgeld)